JudikaturJustizBsw12200/08

Bsw12200/08 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
16. Juli 2019

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Zhdanov u.a. gg. Russland, Urteil vom 16.7.2019, Bsw. 12200/08.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 11 EMRK, Art. 14 EMRK - Verweigerte Registrierung von Vereinigungen zur Verteidigung der Rechte sexueller Minderheiten.

Zulässigkeit der Beschwerden (einstimmig).

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Verletzung von Art. 11 EMRK (einstimmig).

Verletzung von Art. 14 EMKR iVm. Art. 11 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 10.000,– an Herrn Zhdanov und je € 13.000,– an Herrn Nepomnyashchiy sowie Herrn Naumchik für immateriellen Schaden; € 6.500,– an die Bf. gemeinsam für Kosten und Auslagen (4:3 Stimmen).

Text

Begründung:

Die drei Beschwerden wurden von vier Personen und drei russischen NGOs erhoben, die sich für die Rechte von homo- und bisexuellen sowie Transgender-Personen (»LGBT«) einsetzen.

Der Verein Rainbow House beantragte im Juni 2006 die Registrierung als juristische Person. Dieser Antrag wurde im Dezember 2006 insbesondere mit der Begründung abgelehnt, die von diesem Verein ausgehende Propaganda für nichttraditionelle sexuelle Orientierung würde die moralischen Werte zerstören und die nationale Sicherheit Russlands gefährden. Außerdem stellte die Behörde Unregelmäßigkeiten in den vorgelegten Dokumenten fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom BG Taganskiy am 26.10.2007 abgewiesen, auch eine Berufung blieb erfolglos. Ein zweiter Antrag auf Registrierung wurde mit wortgleicher Begründung abgewiesen. Auch diese Entscheidung wurde von den Gerichten bestätigt. Im Mai und November 2010 scheiterten weitere Versuche, eine Registrierung zu erreichen.

Am 14.12.2009 beantragte der Bf. Alekseyev die Registrierung der von ihm gegründeten NGO Bewegung für Ehegleichberechtigung. Dieser Antrag wurde abgewiesen, die gerichtliche Anfechtung blieb erfolglos. Die Gerichte begründeten die Ablehnung der Registrierung insbesondere mit einer Unvereinbarkeit des Ziels der Forderung nach einer Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe mit der herrschenden Moral.

Drei der Bf. gründeten im Oktober 2011 die Organisation Sochi Pride House, die sportliche Aktivitäten für LGBT-Personen fördern und Vorurteile im Sport bekämpfen sollte. Ein Antrag auf Registrierung wurde am 16.11.2011 abgewiesen, weil der Name fremdsprachige Wörter enthielt. Das BG Pervomayskiy bestätigte diese Entscheidung am 20.2.2012. Begründend führte das Gericht aus, das Ziel der Schaffung einer positiven Haltung gegenüber LGBT-Personen im Sport wäre unvereinbar mit der Moral. Die geplanten Aktivitäten würden Propaganda für nichttraditionelle sexuelle Praktiken darstellen und die nationale Sicherheit gefährden. Die schriftliche Ausfertigung dieses Urteils wurde den Bf. am 27.3.2012 zugestellt, die dagegen erhobene Berufung als verspätet zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupteten insbesondere eine Verletzung von Art. 11 EMRK (hier: Vereinigungsfreiheit) alleine und iVm. Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) durch die Verweigerung der Anerkennung der Vereinigungen, die zur Förderung und zum Schutz der LGBT-Rechte gegründet wurden. Die Bf. der Bsw. Nr. 58.282/12 behaupteten auch eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (hier: Recht auf Zugang zu einem Gericht).

Verbindung der Beschwerden

(75) Der GH entscheidet [...], die Beschwerden zur gemeinsamen Behandlung zu verbinden (einstimmig).

Zum behaupteten Missbrauch des Beschwerderechts durch Herrn Alekseyev

(76) Die Regierung brachte vor, Herr Alekseyev hätte die Richter des GH in sozialen Netzwerken beleidigt und damit das Individualbeschwerderecht missbraucht. [...]

(77) Die Regierung teilte dem GH [...] mit, dass Herr Alekseyev nach der Zustellung des Urteils im Fall Alekseyev u.a./RUS (Anm: EGMR 27.11.2018, 14.988/09 u.a. (Alekseyev u.a. gg. Russland).) aus Frustration über die Ablehnung seines Antrags auf Entschädigung für immateriellen Schaden auf [...] Instagram und VKontakte beleidigende Kommentare über den GH veröffentlicht hätte. [...]

Allgemeine Grundsätze

(79) [...] Der Begriff des »Missbrauchs« iSv. Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK ist in seinem gewöhnlichen Sinn [...] zu verstehen, nämlich als schädliche Ausübung eines Rechts für andere Zwecke, als jene, für die es geschaffen wurde.

(80) Der GH [...] hat diese Bestimmung insbesondere in zwei Arten von Situationen angewendet. Erstens kann eine Beschwerde wegen Missbrauchs des Beschwerderechts [...] zurückgewiesen werden, wenn sie wissentlich auf falsche Tatsachen gestützt wurde. Zweitens kann sie auch in Fällen zurückgewiesen werden, in denen ein Bf. in seinem Schriftverkehr mit dem GH besonders bösartige, beleidigende, drohende oder provokante Sprache verwendet – egal ob sich diese gegen die belangte Regierung, deren Vertreter, die Behörden des belangten Staates, den GH selbst, seine Richter, Kanzlei oder deren Mitarbeiter richtet. Es reicht allerdings nicht aus, dass die Sprache des Bf. scharf, polemisch oder sarkastisch war. Sie muss vielmehr die Grenzen der normalen, zivilisierten und legitimen Kritik überschreiten [...].

(81) Der Begriff des Missbrauchs des Beschwerderechts iSv. Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK ist allerdings nicht auf diese beiden Fälle beschränkt. Auch andere Situationen können als Missbrauch dieses Rechts angesehen werden. Im Prinzip kann jedes Verhalten seitens eines Bf. als ein Missbrauch des Beschwerderechts angesehen werden, das offensichtlich dem Zweck des Individualbeschwerderechts [...] widerspricht und das ordnungsgemäße Funktionieren des GH oder die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens beeinträchtigt. [...]

Anwendung im vorliegenden Fall

(82) [...] Herr Alekseyev hat als bekannter LGBT-Aktivist und Person des öffentlichen Lebens den Medien zahlreiche Interviews gegeben und seine Accounts bei den sozialen Netzwerken haben hunderte Follower. Diese Accounts sind leicht auffindbar, indem sein Name und der Name des jeweiligen sozialen Netzwerks in eine Internet-Suchmaschine eingegeben werden. Sie enthalten persönliche Informationen über ihn [...] sowie Informationen über seine früheren und derzeit anhängigen Fälle vor dem GH [...]. Auch wenn er behauptete, dass es sich nicht um seine »persönlichen« Accounts handle, hat Herr Alekseyev nicht bestritten, dass er der Autor der dort veröffentlichten Äußerungen über den GH ist.

(83) [...] Die auf den fraglichen Accounts veröffentlichten Äußerungen über den GH und seine Richter sind rundweg und persönlich beleidigend und drohend. Insbesondere veröffentlichte Herr Alekseyev Fotos der Richter mit Bildunterschriften wie »Alkoholiker«, »Drogensüchtiger«, »korrupt« und »diese alte Schachtel schuldet mir 100.000 Euro ... Gott wird sie bestrafen«. Er bezeichnete die Richter unter anderem als »europäische Bastarde und Degenerierte«, »Missgeburten«, »korrupten Abschaum« und »verblödet«. Er [...] drohte, sie »mit hunderten Litern Wodka zu foltern« und kündigte an, dass »es Zeit [wäre], den EGMR in Brand zu stecken«. [...] Diese Äußerungen überschreiten eindeutig die Grenzen normaler, zivilisierter und legitimer Kritik.

(84) Der GH nimmt zur Kenntnis, dass die oben genannten Kommentare in Reaktion auf das Urteil des GH im Fall Alekseyev/RUS erfolgten, also außerhalb des Kontexts des vorliegenden Falls. Er berücksichtigt aber auch, dass Herr Alekseyev durch die Veröffentlichung der umstrittenen Äußerungen auf öffentlich zugänglichen Accounts bei sozialen Netzwerken versuchte, eine größtmögliche Verbreitung seiner Anschuldigungen und Beleidigungen sicherzustellen, und damit seine Entschlossenheit unter Beweis stellte, das Ansehen der Institution des EGMR und seiner Mitglieder zu schädigen. Der GH sandte Herrn Alekseyev daher einen Brief, der sich auf alle seine anhängigen Beschwerden bezog, und warnte ihn, dass solche Äußerungen einen Missbrauch des Beschwerderechts darstellen könnten. Herr Alekseyev hat allerdings seine Äußerungen nicht zurückgenommen, die nach wie vor auf seinen Accounts sichtbar sind. Vor allem hat er seither neue beleidigende Äußerungen über den GH veröffentlicht und diesen insbesondere als »Müllhaufen« und seine Richter als »europäischen korrupten Abschaum« und »homophob« bezeichnet. Diese nach der Verwarnung veröffentlichten Äußerungen, die ausdrücklich die vorliegenden Beschwerden erwähnten, können daher als mit diesen in Verbindung stehend betrachtet werden.

(85) [...] Indem er nach der Verwarnung weiter Beleidigungen [...] veröffentlichte, legte der Bf. eine Missachtung eben jener Institution an den Tag, an die er sich zum Schutz seiner Rechte gewandt hatte. Es ist gewiss inakzeptabel, ein Gericht um Schutz zu bitten, in das der Bf. jedes Vertrauen verloren hat. Sein Verhalten stellt »eine irritierende Offenbarung von Unverantwortlichkeit und eine frivole Haltung gegenüber dem GH« dar. Es kommt somit einer Missachtung gleich und widerspricht daher dem Zweck des Individualbeschwerderechts [...]. Es stellt einen Missbrauch des Beschwerderechts iSv. Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK dar.

(86) Folglich muss die von Herrn Alekseyev erhobene Beschwerde [...] wegen Missbrauchs des Beschwerderechts für unzulässig erklärt werden (mehrheitlich; abweichendes Sondervotum von Richterin Keller, Richter Serghides und Richterin Elósegui). Diese sich nur auf Herrn Alekseyev beziehende Feststellung der Unzulässigkeit hindert den GH nicht daran, den Fall [...] insofern in der Sache zu prüfen, als er von den anderen Bf. vorgebracht wurde.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK

(87) Die Bf. der Bsw. Nr. 58.282/12 brachten vor, die Verweigerung einer Prüfung ihrer Berufung in der Sache habe ihr Recht auf Zugang zu einem Gericht verletzt. [...]

Zulässigkeit

(88) Wie der GH bereits wiederholt festgestellt hat, ist Art. 6 EMRK [...] auf innerstaatliche Verfahren betreffend die Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit anwendbar. [...]

(89) [...] Dieser Beschwerdepunkt ist weder offensichtlich unbegründet [...] noch aus einem anderen Grund unzulässig. Er muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

In der Sache

(90) Die Regierung brachte vor, die Bf. hätten ihre Berufung gegen das Urteil vom 20.2.2012 nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen einmonatigen Frist eingebracht. Diese Frist hätte mit der Verkündung des Urteils [...] am 20.2.2012 zu laufen begonnen. [...]

(96) Auch wenn Fristen grundsätzlich legitime Einschränkungen des Rechts auf Zugang zu einem Gericht darstellen, kann ihre Anwendung im Einzelfall eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK begründen, etwa wenn die Frist für eine Berufung zu einem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem den Parteien der Inhalt der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung nicht bekannt war und nicht bekannt sein konnte oder wenn die Frist so kurz und unflexibel ist, dass die Partei in der Praxis nicht genug Zeit hat, eine Berufung einzubringen, oder wenn die Zurückweisung einer Berufung wegen Missachtung einer Frist keine vorhersehbare Reaktion darstellt.

(98) Zum vorliegenden Fall stellt der GH fest, dass das Recht der Bf., eine Berufung zu erheben, in der Zivilprozessordnung gewährleistet war, die eindeutig festlegte, dass die einmonatige Frist [...] zu laufen begann, sobald das erstinstanzliche Urteil in seiner endgültigen Fassung zugestellt worden war, und um Mitternacht des letzten Tages des fraglichen Zeitraums ablief. Sie war gewahrt, wenn das Berufungsschreiben an diesem Tag vor Mitternacht per Post abgeschickt wurde.

(99) Aus den Dokumenten im Akt geht nicht klar hervor, wann das Urteil vom 20.2.2012 in seiner endgültigen Fassung zugestellt wurde [...]. Die einzige gewisse Tatsache ist, dass das [...] Urteil den Bf. am 27.3.2012 per Post zugestellt wurde. Daraus folgt, das den Bf. der Inhalt des Urteils vor diesem Datum nicht bekannt sein konnte. [...] Die innerstaatlichen Gerichte erklärten nicht, warum sie [...] den 20.2.2012 als Beginn der Frist annahmen. Der GH ist daher nicht davon überzeugt, dass der Beginn der Berufungsfrist in einer vorhersehbaren Weise bestimmt wurde.

(100) Selbst unter der Annahme, die Frist hätte am 20.2.2012 zu laufen begonnen, haben ihr die Bf. allerdings ihrer Ansicht nach entsprochen, indem sie ihr Berufungsschreiben am 19.3.2012 abschickten. Die innerstaatlichen Gerichte erklärten nicht, warum sie davon ausgingen, dass die Berufung am 26.3.2012, dem Tag des Empfangs des Berufungsschreibens durch das BG Pervomayskiy, eingebracht wurde, und nicht wie vom innerstaatlichen Recht gefordert am Tag der Postaufgabe. [...] Folglich wurde auch das Datum, an dem die Bf. ihre Berufung einbrachten, nicht in einer vorhersehbaren Weise bestimmt.

(101) [...] Die Berufung der Bf. wurde nicht in der Sache behandelt, obwohl sie scheinbar den innerstaatlichen Regeln für die Einbringung einer Berufung entsprach. Dies reicht für den GH aus um zum Schluss zu gelangen, dass die Bf. jeder Gelegenheit beraubt wurden, gegen das erstinstanzliche Urteil zu berufen und dass der Wesenskern ihres Rechts auf effektiven Zugang zu einem Gericht beeinträchtigt wurde.

(102) Es hat folglich in der Rechtssache 58.282/12 eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK stattgefunden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 11 EMRK

(103) Die Bf. brachten vor, die Verweigerung der Registrierung der drei bf. Organisationen hätte gegen ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit verstoßen [...].

Zulässigkeit

(115) [...] Der GH hat regelmäßig die Beschwerdelegitimation nicht registrierter oder aufgelöster Organisationen anerkannt, ohne danach zu fragen, ob die Organisation gemäß dem innerstaatlichen Recht nach ihrer Auflösung oder der Verweigerung ihrer Registrierung rechtlich existiert. Folglich sind alle drei bf. Organisationen befugt, eine gegen die Verweigerung ihrer Registrierung gerichtete Beschwerde an den GH zu erheben.

(116) [...] Bei Entscheidungen, mit denen die Behörden die Registrierung einer Gruppe verweigern oder sie auflösen, wurde davon ausgegangen, dass diese sowohl die Gruppe selbst als auch ihre Vorsitzenden, Gründer und einzelnen Mitglieder betreffen. Daraus folgt, dass alle Bf. behaupten können, Opfer der behaupteten Verletzungen von Art. 11 EMRK zu sein.

(117) Der GH stellt fest, dass dieser Beschwerdepunkt nicht [...] offensichtlich unbegründet ist. Er [...] ist auch nicht aus einem anderen Grund unzulässig und muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Entscheidung in der Sache

Allgemeine Grundsätze

(138) [...] Das Recht, eine Vereinigung zu bilden, ist ein integraler Bestandteil des durch Art. 11 EMRK garantierten Rechts. Die Fähigkeit von Bürgern, eine rechtliche Einheit zu bilden, um auf einem Gebiet von gemeinsamem Interesse kollektiv zu handeln, ist einer der wichtigsten Aspekte des Rechts auf Vereinigungsfreiheit. [...]

(139) Während der GH im Kontext von Art. 11 EMRK häufig die wesentliche Rolle betont hat, die politische Parteien bei der Sicherstellung von Pluralismus und Demokratie spielen, sind auch zu anderen Zwecken gebildete Vereinigungen wichtig für das ordnungsgemäße Funktionieren der Demokratie. [...]

(140) Die Befugnis des Staates, seine Institutionen und Bürger vor Vereinigungen zu schützen, die sie gefährden könnten, muss sparsam eingesetzt werden, da Ausnahmen von der Regel der Vereinigungsfreiheit strikt auszulegen sind und nur überzeugende und zwingende Gründe Einschränkungen dieser Freiheit rechtfertigen können. [...]

Anwendung auf den vorliegenden Fall

Zum Vorliegen eines Eingriffs

(142) [...] Wie der GH bei vielen Gelegenheiten festgestellt hat, stellt die Verweigerung des Status einer juristischen Person für eine Vereinigung von Personen durch die innerstaatlichen Behörden einen Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit dar.

(143) [...] Nach russischem Recht können gemeinnützige Organisationen wie die Bewegung für Ehegleichberechtigung nicht ohne staatliche Registrierung bestehen. Öffentliche Vereine, wie Rainbow House oder Sochi Pride House, können ohne Registrierung existieren, aber nicht die ausschließlich mit dem rechtlichen Status des registrierten »öffentlichen Vereins« verbundenen Rechte – wie insbesondere das Recht auf Besitz von Vermögen, die Durchführung öffentlicher Aktivitäten, die Gründung von Medienkanälen, die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen, die Beteiligung am Entscheidungsfindungsprozess des Staates und der Gemeindebehörden – besitzen und ausüben. Ihre Möglichkeiten, gegenüber dem Staat und den Gemeindebehörden Vorschläge zu erstatten und Initiativen zu starten und die Rechte und Interessen der Bevölkerung zu verteidigen, sind ebenfalls eingeschränkt verglichen mit jenen registrierter öffentlicher Vereine. Der nicht registrierten öffentlichen Vereinen gewährte Status schränkt damit das Recht auf Vereinigungsfreiheit der Gründer und Mitglieder einer solchen Organisation erheblich ein.

(144) Folglich konnte als Resultat der Entscheidungen der russischen Gerichte die Bewegung für Ehegleichberechtigung nicht gegründet werden, während Rainbow House und Sochi Pride House nicht den Status einer juristischen Person und die damit verbundenen Rechte erlangen konnten. Diese Entscheidungen griffen somit in das Recht auf Vereinigungsfreiheit sowohl der Organisationen als auch der individuellen Bf. ein, die deren Gründer oder Vorsitzende waren.

Zur Rechtfertigung des Eingriffs

(145) [...] Die Registrierungsbehörde und die innerstaatlichen Gerichte stützten sich bei der Verweigerung der Registrierung der bf. Organisationen auf zwei Arten von Gründen: Gründe, die sich auf die Ziele der bf. Organisationen bezogen, und Gründe, die verschiedene Unregelmäßigkeiten in den Dokumenten betrafen. Die letztgenannten Gründe scheinen jedoch sekundär und belanglos gewesen zu sein. Selbst wenn sie die Bf. erfolgreich bestritten oder die formalen Unregelmäßigkeiten in den Dokumenten korrigiert hätten, wären ihre Anträge auf Registrierung immer noch unter Verweis auf die Ziele der bf. Organisationen verweigert worden. [...] Es ist [...] klar, dass die innerstaatlichen Gerichte die sich auf die Ziele der Organisationen beziehenden Gründe alleine als ausreichend ansahen, um eine Verweigerung der Registrierung zu rechtfertigen.

(146) [...] Um eine Registrierung zu erlangen, hätten die bf. Organisationen ihre Ziele ändern, also damit aufhören müssen, LGBT-Rechte zu fördern. Die sich auf die Ziele der bf. Organisationen beziehenden Gründe spielten somit eine entscheidende Rolle bei den Entscheidungen, ihre Registrierung abzulehnen. [...] Diese Gründe berührten den Kern der bf. Organisationen und betrafen das Wesen des Rechts auf Vereinigungsfreiheit.

(147) Der GH erachtet es angesichts dieser Überlegungen nicht für notwendig, auf die Gründe für die Verweigerung der Registrierung einzugehen, die sich auf die verschiedenen Unregelmäßigkeiten in den zur Registrierung vorgelegten Dokumenten bezogen. Er wird sich auf die Gründe konzentrieren, die die Ziele der bf. Organisationen betreffen. [...]

(149) [...] Der vorliegende Sachverhalt ereignete sich vor der Verabschiedung des gesetzlichen Verbots von »auf Minderjährige abzielender Propaganda nichttraditioneller sexueller Praktiken«, das im Fall Bayev u.a./RUS geprüft wurde. [...]

(150) Dennoch hat der GH keinen Grund zu bezweifeln, dass die Eingriffe im vorliegenden Fall eine Grundlage im innerstaatlichen Recht hatten, nämlich im Gesetz über gemeinnützige Organisationen und im Gesetz über öffentliche Vereine. [...]

(151) [...] Obwohl die Regierung sich auf keine bestimmten legitimen Ziele bezog, geht aus den innerstaatlichen Entscheidungen hervor, dass die Behörden mit der Verweigerung der Registrierung der bf. Organisationen versuchten, die folgenden Ziele zu verfolgen: den Schutz der moralischen Werte der Gesellschaft sowie der Institutionen der Familie und Ehe; den Schutz der Souveränität, Sicherheit und territorialen Integrität Russlands, die ihrer Ansicht nach durch einen von den Aktivitäten von LGBT-Vereinigungen ausgelösten Bevölkerungsrückgang bedroht waren; den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer; und die Verhinderung gesellschaftlich oder religiös motivierten Hasses, der ihrer Ansicht nach durch die Aktivitäten von LGBT-Vereinigungen ausgelöst werden und Gewalt nach sich ziehen konnte. Der GH wird prüfen, ob die Verweigerung der Registrierung der bf. Organisationen dazu diente, diese erklärten Ziele zu verwirklichen.

(152) Was das erste Ziel betrifft, hat der GH bereits erklärt, dass Einschränkungen der öffentlichen Debatte über LGBT-Angelegenheiten nicht mit Gründen des Schutzes der Moral gerechtfertigt werden können und daher nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie dieses legitime Ziel verfolgen. Er hat auch das Argument der Regierung über die angebliche Unvereinbarkeit zwischen der Bewahrung der Werte der Familie sowie der Institution der Ehe und der Bestätigung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexualität zurückgewiesen.

(153) Der GH sieht keinen Grund, im vorliegenden Fall zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Die Ziele der bf. Organisation bestanden darin, die Rechte von LGBT-Personen zu verteidigen und zu fördern, einschließlich [...] des Rechts auf gleichgeschlechtliche Ehe. Auch wenn es den Staaten nach wie vor freisteht [...], den Zugang zur Ehe auf verschiedengeschlechtliche Paare zu beschränken, geht es im vorliegenden Fall nicht darum, ob die gleichgeschlechtliche Ehe in Russland anerkannt werden muss. Der Knackpunkt ist [...], ob die Verweigerung der Registrierung einer Vereinigung, die eine Kampagne gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und für die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe führt, mit Gründen des Schutzes der Moral gerechtfertigt werden kann.

(154) Das Fehlen eines europäischen Konsenses über die Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe spielt daher für den vorliegenden Fall keine Rolle, da sich die Gewährung materieller Rechte für homosexuelle Personen fundamental von der Anerkennung ihres Rechts unterscheidet, sich für solche Rechte einzusetzen. Es gibt keine Unklarheit über die in den anderen Mitgliedstaaten herrschende Anerkennung des Rechts von Personen, sich offen als schwul, lesbisch oder einer sonstigen sexuellen Minderheit zugehörig zu bekennen und ihre Rechte und Freiheiten insbesondere durch die Ausübung ihres Rechts auf friedliche Versammlung und Vereinigung zu fördern.

(155) Der GH schließt daraus, dass die Verweigerung der Anerkennung der bf. Organisationen nicht mit Gründen des Schutzes moralischer Werte oder der Institutionen der Ehe und Familie gerechtfertigt und daher nicht angenommen werden kann, dass sie dem legitimen Ziel des Schutzes der Moral dient.

(156) Das nächste von den innerstaatlichen Behörden in ihren Entscheidungen ins Treffen geführte Ziel – der Schutz der Souveränität, Sicherheit und territorialen Integrität Russlands – kann mit den legitimen Zielen des Schutzes der nationalen oder öffentlichen Sicherheit in Verbindung gebracht werden. Der GH erinnert daran, dass die Begriffe der »nationalen Sicherheit« und der »öffentlichen Sicherheit« zurückhaltend angewendet und einschränkend interpretiert werden müssen. [...] Die innerstaatlichen Behörden sahen eine Bedrohung der Souveränität und [...] Integrität Russlands durch die bf. Organisationen, weil deren Aktivitäten zu einem Bevölkerungsrückgang führen könnten. Der GH ist nicht davon überzeugt, dass eine auf solche Gründe gestützte Verweigerung der Registrierung einer Organisation, die LGBT-Rechte verteidigt, dazu dienen kann, den Schutz der nationalen und öffentlichen Sicherheit zu fördern. Erstens gibt es, wie der GH bereits festgestellt hat, keinen Zusammenhang zwischen der Förderung von Homosexualität und der demographischen Lage [...]. Zweitens haben weder die innerstaatlichen Gerichte noch die Regierung erklärt, wie ein hypothetischer Bevölkerungsrückgang die nationale und öffentliche Sicherheit bedrohen könnte [...].

(157) Was weiters das Ziel des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer betrifft [...], bemerkt der GH, dass die nationalen Behörden mit der Verweigerung der Registrierung der bf. Vereinigungen versuchten, das Recht zu schützen, nicht mit irgendeiner Darstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen oder der Förderung von LGBT-Rechten oder mit der Idee der Gleichberechtigung von verschieden- und gleichgeschlechtlichen Beziehungen – was von der Mehrheit der Russen offenbar abgelehnt und als beleidigend, verstörend oder schockierend empfunden würde – konfrontiert zu werden.

(158) In diesem Zusammenhang erinnert der GH daran, dass die Konvention kein Recht garantiert, nicht mit Meinungen konfrontiert zu werden, die den eigenen Überzeugungen widersprechen. Außerdem wäre es mit den der EMRK zugrunde liegenden Werten unvereinbar, die Ausübung von Konventionsrechten durch eine Minderheit von der Akzeptanz durch die Mehrheit abhängig zu machen. Wenn dies so wäre, würden die Rechte einer Minderheit auf Religions-, Meinungsäußerungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit bloß theoretisch und nicht praktisch und effektiv, wie dies von der EMRK gefordert wird. Der GH hat es daher stets abgelehnt, Politiken und Entscheidungen zu billigen, die Vorurteile der heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer homosexuellen Minderheit verkörpern.

(159) Der GH ist daher nicht davon überzeugt, dass die Verweigerung der Registrierung der bf. Organisationen das legitime Ziel des Schutzes der Rechte anderer verfolgt.

(160) Was schließlich das Ziel der Verhinderung von gesellschaftlichem oder religiösem Hass und Feindseligkeit betrifft, die von den Aktivitäten von LGBT-Vereinigungen ausgelöst werden und nach Ansicht der innerstaatlichen Behörden zu Gewalt führen könnten, kann dies dem legitimen Ziel der Aufrechterhaltung der Ordnung dienen. Der GH akzeptiert, dass gesellschaftlicher oder religiöser Hass und Feindseligkeit eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden und die politische Stabilität demokratischer Staaten darstellen und zu Gewalt führen können. Er akzeptiert daher, dass das erklärte Ziel, solchen Hass und Feindseligkeit zu verhindern, dem legitimen Ziel der Aufrechterhaltung der Ordnung entspricht. Er wird ausgehend von der Annahme fortfahren, dass die umstrittenen Maßnahmen diesem Ziel entsprachen.

(161) [...] Die Gefahr von Hass und Feindseligkeit, die geeignet waren, zu Störungen der Ordnung zu führen, wurde von den nationalen Behörden offenbar aus ihrem Glauben abgeleitet, die Mehrheit der Russen würde Homosexualität ablehnen und wäre über jegliche Darstellung von Homosexualität oder Förderung von LGBT-Rechten empört. Es wurde nie behauptet, dass die Bf. selbst beabsichtigen würden, irgendwelche gewalttätigen, aggressiven oder in anderer Weise die Ordnung störenden Handlungen zu setzen. Tatsächlich nahmen die Behörden an, die Bf. könnten potentiell Opfer von Aggression seitens Personen werden, die Homosexualität ablehnen.

(162) Wie der GH [...] in Erinnerung ruft, kann die wirkliche und effektive Achtung der Vereinigungsfreiheit nicht auf eine bloße Pflicht seitens des Staates reduziert werden, nicht einzugreifen. Ein rein negatives Verständnis wäre mit dem Ziel von Art. 11 EMRK oder generell mit jenem der Konvention nicht vereinbar. Es kann daher positive Verpflichtungen geben, den effektiven Genuss des Rechts auf Vereinigungsfreiheit selbst im Bereich der Beziehungen zwischen Individuen untereinander zu gewährleisten. Dementsprechend obliegt es den Behörden, das angemessene Funktionieren von Vereinigungen oder politischen Parteien selbst dann zu gewährleisten, wenn diese von Personen als ärgerlich oder störend empfunden werden, die gegen die von ihnen vertretenen rechtmäßigen Ideen und Ansprüchen sind. Ihre Mitglieder müssen in der Lage sein, Versammlungen abzuhalten ohne befürchten zu müssen, physischer Gewalt seitens ihrer Gegner unterworfen zu werden. Eine solche Angst könnte dazu führen, andere Vereinigungen oder politische Parteien davon abzuschrecken, ihre Meinungen über sehr kontroverse, die Gemeinschaft betreffende Themen offen zu äußern. In einer Demokratie kann das Recht auf eine Gegendemonstration nicht so weit gehen, die Ausübung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit zu unterdrücken.

(163) Die positive Verpflichtung, den effektiven Genuss des Rechts auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, ist für Personen besonders wichtig, die unpopuläre Ansichten vertreten oder Minderheiten angehören, weil sie stärker Gefahr laufen, schikaniert zu werden. Ein Verweis auf das Bewusstsein, einer Minderheit anzugehören, die Bewahrung und Entwicklung der Kultur einer Minderheit oder die Verteidigung der Rechte einer Minderheit können nach Ansicht des GH nicht als Bedrohung der »demokratischen Gesellschaft« bezeichnet werden, selbst wenn er Spannungen provozieren kann. Das Auftreten von Spannungen ist eine der unvermeidbaren Folgen des Pluralismus, also der freien Diskussion über alle politischen Ideen. Die Rolle der Behörden besteht daher unter solchen Umständen nicht darin, die Ursache der Spannungen durch die Beseitigung des Pluralismus zu entfernen, sondern darin sicherzustellen, dass sich die rivalisierenden Gruppen gegenseitig tolerieren.

(164) Folglich waren die russischen Behörden verpflichtet, vernünftige und angemessene Maßnahmen zu setzen, um es den bf. Organisationen zu ermöglichen, ihre Aktivitäten auszuüben, ohne befürchten zu müssen, durch ihre Gegner physischer Gewalt unterworfen zu werden. [...] Die innerstaatlichen Behörden hatten bei der Wahl der Mittel, die den bf. Organisationen ein ungestörtes Arbeiten ermöglicht hätten, ein weites Ermessen. So hätten sie etwa öffentliche Stellungnahmen abgeben können, um unmissverständlich eine tolerante, vermittelnde Haltung zu vertreten und potentiellen Aggressoren mögliche Sanktionen anzudrohen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die russischen Behörden solche Maßnahmen in Erwägung gezogen hätten. Stattdessen entschieden sie sich dazu, die Ursache für die Spannungen zu beseitigen und die Gefahr von Störungen der Ordnung abzuwenden, indem sie die Vereinigungsfreiheit der Bf. einschränkten. Unter solchen Umständen kann der GH nicht akzeptieren, dass die Verweigerung der Registrierung der bf. Organisationen »in einer demokratischen Gesellschaft notwendig« war.

(165) Folglich hat im Hinblick auf alle Bf. eine Verletzung von Art. 11 EMRK stattgefunden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK

(166) Die Bf. behaupteten, die verweigerte Registrierung der bf. Organisationen würde eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung darstellen. [...]

Zulässigkeit

(168) [...] Wie der GH festgestellt hat, begründeten die umstrittenen Entscheidungen einen Eingriff in das Recht der Bf. auf Vereinigungsfreiheit. Folglich ist Art. 14 iVm. Art. 11 EMRK im vorliegenden Fall anwendbar.

(170) Der GH hat früher festgestellt, dass eine NGO behaupten kann, Opfer einer Verletzung von Art. 14 EMRK aufgrund einer persönlichen Eigenschaft wie der Religion zu sein. [...]

(171) Der GH hat auch akzeptiert, dass eine NGO in Fällen, die sich auf Einschränkungen oder den fehlenden Schutz öffentlicher Versammlungen bezogen, die von ihr organisiert wurden, behaupten kann, Opfer einer Verletzung von Art. 14 EMRK aufgrund der sexuellen Orientierung zu sein.

(172) Der GH sieht keinen Grund dafür, im vorliegenden Fall zu einer anderen Schlussfolgerung zu kommen. Bei den bf. Organisationen handelt es sich um LGBT-Vereinigungen, die mit dem Ziel der Verteidigung von LGBT-Rechten gegründet wurden. Sie waren von der Weigerung der Behörden, sie zu registrieren, direkt betroffen. Sie können daher behaupten, Opfer einer Verletzung von Art. 14 EMRK aufgrund der sexuellen Orientierung zu sein.

(173) [...] Dieser Beschwerdepunkt ist weder offensichtlich unbegründet [...] noch aus einem anderen Grund unzulässig. Er muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

In der Sache

(179) [...] Eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der sexuellen Orientierung bedarf zur Rechtfertigung besonders überzeugender und schwerwiegender Gründe. Wie der GH betont hat, sind Unterschiede, die ausschließlich auf Überlegungen hinsichtlich der sexuellen Orientierung beruhen, nach der Konvention nicht akzeptabel.

(180) Der GH hat bereits festgestellt, dass der entscheidende Grund für die Verweigerung der Registrierung der bf. Organisationen deren Ziel der Förderung von LGBT-Rechten war. Es ist unerheblich, dass die innerstaatlichen Behörden auch auf andere Gründe betreffend verschiedene Unregelmäßigkeiten in den Dokumenten verwiesen. Der GH ruft in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass in Diskriminierungsfällen, in denen die Gesamteinschätzung der Situation des Bf. mehr als einen Grund umfasst, die Gründe nicht alternativ, sondern kumulativ zu beurteilen sind. Folglich bewirkt die Illegitimität eines der Gründe die Kontaminierung der gesamten Entscheidung.

(181) Da das Ziel der bf. Organisationen, die Förderung von LGBT-Rechten, ein entscheidender Faktor für die Entscheidung war, ihnen die Registrierung zu verwehren, erlitten sie eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der sexuellen Orientierung.

(182) Der GH hat oben bereits festgestellt, dass die Verweigerung der Registrierung der bf. Organisationen wegen ihrer Förderung von LGBT-Rechten nicht als sachlich oder objektiv gerechtfertigt bezeichnet werden kann.

(183) Die obigen Feststellungen geben auch Anlass für eine Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 11 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK

€ 10.000,– an Herrn Zhdanov und je € 13.000,– an Herrn Nepomnyashchiy sowie Herrn Naumchik für immateriellen Schaden; € 6.500,– an die Bf. gemeinsam für Kosten und Auslagen (4:3 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richterin Keller, Richter Serghides und Richterin Elósegui).

Vom GH zitierte Judikatur:

Sidiropoulos u.a./GR v. 10.7.1998 = NL 1998, 133 = ÖJZ 1999, 477

Karner/A v. 24.7.2003 = NL 2003, 214 = ÖJZ 2004, 36

Gorzelik u.a./PL v. 17.2.2004 (GK) = NL 2004, 26

Baczkowski u.a./PL v. 3.5.2007 = NL 2007, 121

E. B./F v. 22.1.2008 (GK) = NL 2008, 10 = ÖJZ 2008, 499

Alekseyev/RUS v. 21.10.2010

X. u.a./A v. 19.2.2013 (GK) = NLMR 2013, 46 = ÖJZ 2013, 476

Identoba u.a./GE v. 12.5.2015 = NLMR 2015, 242

Bayev u.a./RUS v. 20.6.2017 = NLMR 2017, 251

Orlandi u.a./I v. 14.12.2017 = NLMR 2017, 553

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 16.7.2019, Bsw. 12200/08, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2019, 312) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Original des Urteils ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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