JudikaturJustiz9Os77/78

9Os77/78 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 1978

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Dezember 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sailer als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Ulrich A wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1

und 2 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 8. November 1977, GZ. 12 Bs 380/77, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Michael Stern, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Dr. Ulrich A wegen § 111 Abs. 1 und 2 StGB, AZ. 10 E Vr 501/76 des Kreisgerichtes Krems an der Donau, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 8. November 1977, AZ. 12 Bs 380/77, soweit durch dieses das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 25. März 1977, GZ. 10 E Vr 501/76-20, auch in Ansehung der Urteilsfakten 2.), 3.), 4.) und 6.) ohne Beweiswiederholung aufgehoben und der Angeklagte auch insoweit von dem gegen ihn erhobenen Strafantrag wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und 2 StGB aus dem Grunde des § 114 Abs. 2 StGB gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen wurde, das Gesetz in den Bestimmungen der § 473 Abs. 2, 489 Abs. 1 StPO und des § 114 Abs. 2 StGB

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Einzelrichters des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 25. März 1977, GZ. 10 E Vr 501/76-20, wurde der am 4. Juni 1931 geborene Facharzt für Gynäkologie Dr. Ulrich A des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen a S 200, im Fall der Uneinbringlichkeit zu 50 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt, weil er am 5. April 1976 in einer in der 15. Folge der 'Zwettler Nachrichten' abgedruckten, von ihm verfaßten Stellungnahme den Stadtrat der Gemeinde Zwettl, Ehrenfried B, durch die im Urteilsspruch zitierten (im folgenden angeführten) öußerungen eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigte, wobei die Tat gegen einen Beamten in Beziehung auf eine seiner Berufshandlungen in einem Druckwerk begangen wurde (§ 117 Abs. 2 StGB).

Gegen Dr. Ulrich A wurde der Vorwurf erhoben, er habe sich als Leiter der Gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses Zwettl gegenüber (vornehmlich korpulenten) Patientinnen eine Vielzahl obszöner Äußerungen und Beschimpfungen zuschulden kommen lassen. Diese Vorwürfe führten zu einem Ermittlungsverfahren, das über Auftrag des Gemeinderates von Zwettl von dem für das dortige Gesundheitswesen zuständigen Stadtrat Ehrenfried B durchgeführt wurde, und schließlich zum Ausspruch der Kündigung des Dr. A durch den genannten Gemeinderat. Als der bisherige Bürgermeister von Zwettl auf Grund des (mehrheitlichen) Abstimmungsergebnisses zurücktrat, wurden die Ereignisse in den Massenmedien ausführlich behandelt. In einer 'Stellungnahme', die in der 15. Folge der 'Zwettler Nachrichten' vom 8. April (erschienen bereits am 5. April) 1976 wiedergegeben wurde, brachte nun Dr. A gegen Stadtrat B, den er für die treibende Kraft der zu seiner Kündigung führenden Maßnahmen hielt, zahlreiche Beschuldigungen vor, die schließlich zur Anzeigeerstattung von Seiten des Angegriffenen und zur Erhebung eines Strafantrages des öffentlichen Anklägers wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und Abs. 2 StGB führte. Die Kündigung wurde von der Personalvertretung des Krankenhauses Zwettl beim Einigungsamt Gmünd angefochten.

Mit dem Urteil vom 8. November 1977, AZ. 12 Bs 380/77, hob das Oberlandesgericht Wien nach einer mündlichen Berufungsverhandlung, in der außer der Verlesung einschlägiger Zeitungsberichte aus den 'Zwettler Nachrichten' vom 1. April 1976, aus den 'Niederösterreichischen Nachrichten' vom 1. April 1976 und aus den 'Zwettler Nachrichten' vom 8. April 1976 keine Beweisaufnahmen durchgeführt wurden, das eingangs zitierte Urteil teilweise in Stattgebung der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld sowie im übrigen gemäß § 477 Abs. 1, 489 Abs. 1 StPO aus Anlaß dieser Berufung auf und sprach den Angeklagten von dem gegen ihn erhobenen Strafantrag gemäß § 259 Z. 3

StPO zur Gänze frei.

Zu den inkriminierten Textstellen, in denen das Erstgericht das Vergehen der üblen Nachrede erblickte, nahm das Berufungsgericht - kurz zusammengefaßt wiedergegeben - folgendermaßen Stellung:

1.) 'Mit geradezu teuflicher überlegung wurden die Anschuldigungen gegen mich konstruiert'.

Diese Passage sei nicht in einer für jeden Leser erkennbaren Weise auf Stadtrat B bezogen.

2.) 'Als das Kesseltreiben, das Stadtrat B gegen mich betrieb, um seinen in Schwierigkeiten geratenen Günstling zu schützen ......'

Die Äußerung stelle zwar den Vorwurf einer unehrenhaften Handlung dar; der für ihre Richtigkeit angebotene Wahrheitsbeweis sei dem Angeklagten nicht gelungen. Gemäß § 114 Abs. 2 StGB sei der Angeklagte jedoch durch besondere Umstände, nämlich durch die zufolge der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen eingetretene Gefährdung seiner als Existenzgrundlage verbliebenen Praxis als Facharzt für Gynäkologie genötigt gewesen, diese Behauptungen in der Form und auf die Weise vorzubringen, wie es geschehen sei, ohne daß er sich der Unrichtigkeit bei Aufwendung der nötigen Sorgfalt (§ 6 StGB) hätte bewußt sein können.

3.) 'Obwohl eindeutig feststeht, daß ich dieses Ermittlungsverfahren freiwillig beantragte und B dies bereits auch öffentlich zugeben mußte, beliebt Stadtrat B immer wieder, zuletzt in seinem Interview für die 'Niederösterreichischen Nachrichten' vom 1. April 1976, zu behaupten, daß dieses Verfahren mir aufgezwungen worden wäre. Aber mit der Wahrheit hat Stadtrat B die geringsten Schwierigkeiten'.

Hier gelte im wesentlichen das gleiche wie zu 2.).

4.) 'Obwohl ein Referent zur Objektivität verpflichtet ist, ließ Stadtrat B diese völlig missen. Alle positiven Stellungnahmen, die ihm nachweislich zur Kenntnis kamen, wurden entweder entstellt und als Anklage wiedergegeben oder gänzlich unterdrückt. Statt dessen wurden mir aus Geheimakten, die nur B bekannt waren, die absurdesten Anschuldigungen vorgehalten, ohne daß mir je die Möglichkeit geboten wurde, die Unwahrheit dieser Vorwürfe zu beweisen. B weigerte sich stets, irgendwelche Tatsachen bekanntzugeben ..... Alle Menschen, die aus Verantwortungsgefühl für ein faires rechtsstaatliches Verfahren eintraten, wurden als meine Freunde abgetan oder man warf ihnen vor, so B, daß sie alles nur unterdrücken und verniedlichen wollen.' Hinsichtlich des 3., 4. und 5. Satzes dieser Äußerung sei der Wahrheitsbeweis - entgegen der Auffassung des Erstgerichtes - als erbracht anzusehen. Bezüglich des 1. und 2.

Satzes seien die gleichen Erwägungen wie zu 2.) und 3.) anzustellen.

5.) 'Wenn B in seinem Radiointerview sagte, daß er nicht nur auf einen kleinen Zwettler Kreis Rücksicht nehmen könne, weil er sich der ganzen Bevölkerung des Einzugsgebietes verpflichtet fühle, so ist dies der Gipfel der Demagogie.' Diese Äußerung stelle nur eine sachlich vertretbare Kritik an einem bestimmten öffentlichen Ausspruch des Stadtrates B, jedoch keine üble Nachrede dar.

6.) 'Aber für B ist nicht wahr, was nicht wahr sein darf. Wo sind all die positiven Auskünfte, die B nachweislich erhielt ? Hat er sie nur aus Verantwortungsgefühl für alle Menschen des Einzugsgebietes zurückgehalten ? Wenn er beschließt, daß ein Primarius zu gehen hat, dann darf es andere Meinungen nicht geben.' Bezüglich dieser Äußerung, deren letzter Satz an sich nicht beleidigend sei, komme dem Angeklagten gleichfalls der Entschuldigungsgrund des § 114 Abs. 2 StGB zustatten.

Rechtliche Beurteilung

Diese Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

1.) Gemäß § 473 Abs. 2, 489 Abs. 1 StPO ist das Berufungsgericht bei Entscheidung über ein Urteil des Einzelrichters eines Gerichtshofes grundsätzlich an den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt gebunden. Hat es Bedenken gegen die Feststellungen des Erstgerichtes oder gegen dessen Beweiswürdigung, so muß es, den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit gemäß, das Beweisverfahren wiederholen. Dieser zwingenden Vorschrift unterliegt es nur insoweit nicht, als Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichtes unbekämpft geblieben oder einzelne Beweismittel vom Erstgericht bei seiner Urteilsfindung gar nicht herangezogen wurden und auch das Berufungsgericht diese Beweismittel als für seine Entscheidung unerheblich ansieht.

Das Berufungsgericht darf vom Erstgericht unterlassene rechtlich erhebliche Feststellungen nur dann treffen, wenn es alle für die Beurteilung des bezüglichen Sachverhaltes in Betracht kommenden Beweise noch einmal aufnimmt. Eine bloße Verlesung der Aussagen von Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen ist hiebei nur unter den Voraussetzungen des § 252 Abs. 1 StPO zulässig (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/3, Entscheidungen Nr. 4 und 7 ff. zu § 473 StPO).

Diesen Verfahrensgrundsätzen hat das Oberlandesgericht Wien mehrfach zuwidergehandelt.

Wie bereits erwähnt, wurden in der mündlichen Berufungsverhandlung nur einige Zeitungsausschnitte verlesen.

Lediglich auf Grund dieser Beweisaufnahmen war das Berufungsgericht jedoch nicht berechtigt, jene teils zusätzlichen, teils von den erstgerichtlichen Konstatierungen abweichenden Feststellungen zu treffen, aus denen es den Schluß zog, der Angeklagte sei durch § 114 Abs. 2 StGB entschuldigt bzw. es sei ihm, entgegen der erstgerichtlichen Meinung, der Wahrheitsbeweis gelungen. So ging es nicht an, ohne Vernehmung des Angeklagten als erwiesen anzunehmen, seine Existenzgrundlage - die in Zwettl bestehende Privatpraxis - sei durch die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ernstlich gefährdet und er deshalb genötigt gewesen, gegen Stadtrat B in der Öffentlichkeit im Wege eines Zeitungsinterviews beleidigende Beschuldigungen zu erheben, deren Wahrheitsgehalt er nicht beweisen konnte (vgl. Band II S. 301 f. d.A.). Desgleichen war es nicht zulässig, ohne Wiederholung der entsprechenden Beweise ergänzend festzustellen, das vom Angeklagten zu Christine C Gesagte ('......hätten sie nicht so viel gefressen, dann wären sie nicht so dick. Euch Waldviertler wird eine Schüssel von Knödel auf den Tisch gestellt und mit dem Kochlöffel hinuntergestopft, darum seid ihr so dick ...'), sei deshalb verständlich, weil durch ihren 'außerordentlichen Leibesumfang Erschwernisse für die Entbindung und die Unmöglichkeit eines Kaiserschnittes' gegeben gewesen seien, der Angeklagte sei 'nach der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen um die Geburt eines Kindes erregt gewesen' und die von ihm gegenüber dem Gatten einer Patientin gemachte Äußerung, 'er solle auf die Leute scheissen', sei 'möglicherweise auf sein Bemühen zurückzuführen, sich der von ihm vermuteten Sprechweise des anderen anzupassen.'

(Band II S. 305 d.A.). Das gleiche gilt von den berufungsgerichtlichen Feststellungen, er habe die gegenüber einer Patientin gebrauchten Worte 'dreh Dich um Du Walroß' 'in eher heiterem Ton gesagt' und die Patientin habe daraufhin 'nicht reagiert' (Band II S. 304 d.A.), woraus das Berufungsgericht sogleich anschließend folgert, daß es sich bei den zitierten Worten um einen Scherz und nicht um eine Beleidigung gehandelt habe. Analoges ist zu der Annahme des Berufungsgerichts zu sagen, die an die Zeugin Maria Schuh im Anschluß an deren Klage, sie leide an Schmerzen im Bauch bis hinauf zur Brust, vom Angeklagten gerichtete Frage 'Haben Sie Busensausen', sei 'eher scherzhaft als beleidigend' gewesen und die Zeugin 'hebe hervor, 'daß der Angeklagte sonst immer nett und freundlich zu ihr war' (Band II S. 303 d.A.). Ohne Wiederholung bzw. Ergänzung des Beweisverfahrens durfte das Berufungsgericht aber auch nicht feststellen, der Angeklagte sei 'auf der Suche nach der mutmaßlichen Motivation B für sein Verhalten zu der Vermutung gekommen, dieser wolle von den Vorwürfen gegen Prim. Dr. D ablenken', die Kinderstation im Krankenhaus Zwettl sei 'auf Veranlassung B ohne Gemeinderatsbeschluß mit einem erheblichen Kostenaufwand eingerichtet und ohne Genehmigung der Landessanitätsdirektion in Betrieb genommen worden', zu ihrem Leiter sei 'zunächst ohne öffentliche Ausschreibung ein Arzt bestellt worden, den B nach einem Gespräch mit dessen Mutter brieflich zur Bewerbung aufgefordert habe', dieser Arzt, 'dessen fachliche Fähigkeiten auch vom Leiter des Krankenhauses Prim.Dr. E und vom Vorgänger des Angeklagten Prim.Dr. F offenbar eher gering eingeschätzt wurden, sei durch die starke Zunahme der Kindersterblichkeit in der Abteilung in beträchtliche Schwierigkeiten geraten' (Band II S. 306 d.A.), die Situation bei der Betreuung der Neugeborenen 'bereitete der Landessanitätsdirektion Sorgen' und es hätten (im Krankenhaus Zwettl) 'in der Betreuung von Kleinkindern Mißstände' geherrscht (Band II S. 307 d.A.), aus welchen Feststellungen das Berufungsgericht den Schluß zieht, es sei hieraus für den Angeklagten in verständlicher Weise der Eindruck entstanden, den er in der inkriminierten Behauptung - Stadtrat B habe gegen ihn ein Kesseltreiben betrieben, um seinen in Schwierigkeiten geratenen Günstling (Prim.Dr. D) zu schützen - wiedergab (Band II S. 308 d. A.). Mit den Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens nicht vereinbar sind des weiteren die berufungsgerichtlichen Konstatierungen, der Angeklagte sei 'bei seinem Vorwurf, B habe behauptet, dem Angeklagten sei das Ermittlungsverfahren aufgezwungen worden, möglicherweise in einem Irrtum befangen gewesen' (Band II S. 311 d.A.), B habe 'seinen Rücktritt erklärt, als sich die Mehrheit der Kommissionsmitglieder für die Anhörung (des Angeklagten) aussprach' (Band II S. 314 d. A.), er habe 'heftigen Widerstand gegen die Anhörung des Angeklagten' geleistet (Band II S. 317 d.A.), der Angeklagte habe 'schließlich erfahren, daß B seine Kündigung im Gemeinderat durch eine leidenschaftliche Rede und unter Einbeziehung durchaus unsachlicher Argumente durchgesetzt und damit sogar den Rücktritt des Bürgermeisters herbeigeführt hatte' (Band II S. 318 d.A.) und dem Zeugen B seien 'möglicherweise auch die im Ermittlungsakt erliegenden, freilich erst nach dem Gemeinderatsbeschluß eingesandten Befürwortungsschreiben bekanntgewesen' (Band II S. 319 d. A.).

Zu diesen ohne Beweiswiederholung unzulässigen ergänzenden Feststellungen treten solche, die von ausdrücklichen Konstatierungen des Erstgerichts abweichen bzw. diesen widersprechen. So tat das Berufungsgericht die Feststellung des Erstgerichts, der Angeklagte habe über die Zeugin Maria G, die wegen einer Darmverschlingung im Krankenhaus Zwettl war, gesagt, sie habe sechs Wickler im Bauch und einen im Hirn (Band I S. 522 d.A.) damit 'als nicht gerichtsordnungsgemäß getroffen' ab, diese Äußerung sei der Maria G nur hinterbracht und die Ohrenzeugin dieser 'angeblichen' Äußerung nicht vernommen worden. Das gleiche gilt in bezug auf die erstgerichtliche Feststellung, wonach der Angeklagte zu Patientinnen äußerte, daß die Waldviertler Frauen stinken (Band I S. 528 d.A.), die das Berufungsgericht mit dem Hinweis, die Zeugin habe davon bloß reden gehört, als jeden Wertes entbehrend bezeichnet (Band II S. 304 d. A.) sowie hinsichtlich der berufungsgerichtlichen Annahme, der Angeklagte habe zu Christine C nicht - wie das Erstgericht konstatierte (Band I S. 523 d.A.) - gesagt, sie könne von ihrem 'Balg' drei Monate leben, sondern er habe lediglich von drei Wochen gesprochen, was einen 'wohl richtigen Sachverhalt' darstelle. Auch der Ausspruch des Berufungsgerichts, der Angeklagte habe 'gewußt, daß die Mehrzahl der gegen ihn erhobenen Vorwürfe unrichtig war' (Band II S. 318 d.A.) bzw. er habe 'gewußt daß ihm eine nur sehr kleine Anzahl begründeter Vorwürfe gemacht werden konnte' (Band II S. 319 d.A.) sowie B habe ihm 'nebulose Beschuldigungen' vorgehalten, könne mit den erstgerichtlichen Feststellungen, die (d.h. sämtliche) Vorwürfe gegen den Angeklagten hätten zu Recht bestanden (Band I S. 535 d.A.), die tatsächlichen Verfehlungen des Angeklagten seien im weit häufigeren Umfang gesetzt worden, als dies das Beweisverfahren ergeben habe (Band I S. 541 d.A.) und B habe ihm am 10. März 1976 die aktenkundigen Vorwürfe der Reihe nach vorgehalten (Band I S. 518 d.A.) bzw. bei einer Sitzung der ÖVP-Fraktion des Gemeinderates sei dem Angeklagten Gelegenheit gegeben worden, zu den von B bis zu diesem Tag ermittelten Vorwürfen und Beschwerden Stellung zu nehmen (Band I S. 519 d.A.) nicht in Einklang gebracht werden. Analoges gilt von der berufungsgerichtlichen Konstatierung (Band II S. 313 d.A.), 'die im inkriminierten Interview geäußerte Klage des Angeklagten, es seien ihm aus Geheimakten die absurdesten Anschuldigungen vorgehalten worden, sei vollauf berechtigt gewesen und habe der Wahrheit entsprochen', weil das Erstgericht eben - abweichend von der Meinung des Berufungsgerichts - zu dem Tatsachenschluß gelangt war, sämtliche gegen den Angeklagten erhobenen (und ihm vorgehaltenen) Anschuldigungen seien zutreffend also keineswegs 'absurd'. Angesichts dessen erweist sich auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts (Band II S. 313 d.A.), die im Ermittlungsakt von Stadtrat B gesammelten Anschuldigungen seien 'auf die bereits erörterte geringe Anzahl von Entgleisungen und Taktlosigkeiten geschrumpft', als eklatante (und ohne Beweiswiederholung unzulässige) Umwürdigung der im erstinstanzlichen Verfahren aufgenommenen Beweise.

Soweit das Oberlandesgericht Wien demnach in den Urteilsfakten Punkt 2, 3, 4 und 6 ohne Wiederholung des Beweisverfahrens zu einem Freispruch gelangte, verletzt sein Urteil das Gesetz in den Bestimmungen der § 473 Abs. 2, 489 Abs. 1 StPO).

Was die von der Generalprokuratur des weiteren behauptete Verletzung des § 114 Abs. 2 StGB betrifft - welche Vorschrift (entgegen der Meinung der Generalprokuratur S. 10 der Wahrungsbeschwerde) jedenfalls nicht als Strafaufhebungsgrund, sondern als Strafausschließungsgrund zu verstehen ist, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es sich dabei nur um einen Entschuldigungsgrund oder (auch) um einen Rechtfertigungsgrund handelt (für eine Mischform Tschulik in: Zum neuen Strafrecht II 138; Leukauf-Steininger 570; EBRV 248; für einen Entschuldigungsgrund Foregger-Serini MKK2 212; für einen Rechtfertigungsgrund Kienapfel BT I RN 1065) -, so ist vorliegend entscheidend, ob Dr. Ulrich A genötigt war, die inkriminierten Behauptungen in der Form und auf die Weise vorzubringen, wie dies geschehen ist. Selbst wenn man mit dem Oberlandesgericht Wien davon ausginge, daß er im gegebenen Fall (auch objektiv gesehen) zur Wahrung eigener schutzwürdiger Interessen genötigt war, auf die Behauptungen des Stadtrats B im Zeitungsinterview vom 1. April 1976

seinerseits mit Behauptungen in einem Zeitungsinterview zu reagieren, die sich als ehrenrührig in bezug auf B darstellen und daß ihm keine objektive und subjektive Sorgfaltswidrigkeit (§ 6 StGB) in bezug auf die Wahrheit dessen, was er in seinem ('Gegen'-) Interview gesagt hat, vorzuwerfen ist, kommt es darüberhinaus aber auch darauf an, ob die Art und Weise seiner Interessenswahrnehmung dem Anlaß (Interview B vom 1. April 1976) angemessen, d.h. anlaßund ausführungsadäquat gewesen ist (vgl. hiezu Kienapfel BT I RN 1072;

Proske in ÖJZ 1977, 5). In dieser Beziehung ist - im Einklang mit

dem zit. Schrifttum - zu fordern, daß der Täter so schonend wie

möglich vorgeht und nur ausnahmsweise entschuldigt (oder

gerechtfertigt) ist, wenn er Ehrenrühriges über eine Person in die

breite Öffentlichkeit (Zeitung) bringt, wozu kommt, daß derjenige,

der durch sein eigenes Verhalten begründeten Anlaß zur Erhebung von

Vorwürfen gegeben hat, in weiterem Umfang ehrenrührige Äußerungen

hinnehmen muß als sonst jemand, der überhaupt keinen Anlaß hiezu

gegeben hat.So gesehen, war es (objektiv betrachtet) nicht

angemessen, daß Dr. A, der - auch nach den Feststellungen des

Oberlandesgerichtes (vgl. Band II S. 303 f.d.A.) - gegenüber

Patientinnen Wendungen wie '....halten Sie die Schnauze' (zu einer

Frau, die eine Totgeburt erlitten hatte), '.... hätten Sie nicht so

viel gefressen, dann wären Sie nicht so dick...', '...haben Sie

Busensausen...', '..... drehen Sie sich um, Sie Walroß...',

gebraucht hatte, auf den von Ehrenfried B in dessen Interview vom 1.

April 1976 gegen ihn erhobenen Kernvorwurf, das Ermittlungsverfahren habe eine Fülle von gröblich beileidigenden Äußerungen von äußerst niedrigem Niveau erbracht, mit dem (öffentlichen) Gegenvorwurf eines 'Kesseltreibens' (= planvolle Einkreisung bis zur Vernichtung) seitens des B gegen ihn, mangelnder Wahrheitsliebe und - vor allem - bewußter Verletzung der Pflicht als Beamter zu Unparteilichkeit und Objektivität bei Führung seiner Amtsgeschäfte zu reagieren. Diese Vorwürfe des Beschuldigten waren mithin nicht anlaßadäquat, sondern - bezogen auf den Inhalt des Interviews des B vom 1. April 1976 - unangemessen.

Dr. A war daher bei der gegebenen Sachlage (objektiv) nicht genötigt, auf diese Weise, nämlich mit den zu den Punkten 2.), 3.),

4.) und 6.) inkriminierten Vorwürfen gegen B, auf dessen Interview vom 1. April 1976 in der Öffentlichkeit zu erwidern, weshalb insoweit die Anwendung des § 114 Abs. 2 StGB rechtlich verfehlt war. Es war daher der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen, wobei sich der Oberste Gerichtshof auf die Feststellung der Gesetzesverletzungen zu beschränken hatte, da sich diese nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.