JudikaturJustiz9Os19/82

9Os19/82 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Februar 1982

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger, Dr. Horak und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag. Kliment als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Friedrich A wegen des Vergehens des Vernachlässigens eines Gefangenen nach § 312 Abs. 2 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 18. Dezember 1981, GZ 29 Vr 2674/81-27, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 18. April 1916 geborene Arzt Dr. Friedrich A des Vergehens des Vernachlässigens eines Gefangenen nach § 312 Abs. 2

StGB schuldig erkannt.

Nach den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen wurde Erich B am 14. Juli 1980 zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in das kreisgerichtliche Gefangenenhaus Leoben eingeliefert. Als dieser Strafgefangene in der Nacht zum 15. Juli 1980 erbrach, wurde der damals (unter anderem) als Anstaltsarzt des genannten Gefangenenhauses tätige Angeklagte unverzüglich verständigt, der (telefonisch) die Verlegung des Gefangenen in die Krankenzelle anordnete. Gegen 7 Uhr untersuchte der Angeklagte den Strafgefangenen B; Blutdruck und Pulskontrolle ergaben dabei normale Werte. Im Hinblick auf die Mitteilung B' s, beim Arzt Dr. C wegen eines Leberleidens in Behandlung gestanden zu sein, ordnete der Angeklagte Erhebungen bei diesem Arzt an. Als diese ergaben, daß der wegen eines Leberschadens behandelte Alkoholiker B schon seit 15 Monaten nicht mehr bei Dr. C war, erklärte der Angeklagte, B sei haftfähig und es bestehe kein Grund zur Besorgnis.

Gegen 16,45 Uhr dieses Tages trat bei B ein in Zittern bestehender Anfall auf, wovon der Angeklagte (telefonisch) verständigt wurde. Ohne sich die Symptome dieses Anfalls schildern zu lassen, ordnete der Angeklagte der der Meinung war, es handle sich um einen epileptischen Anfall, an, B sei in ein Gitterbett zu legen, damit er sich bei einem weiteren Anfall nicht verletze.

Um 19,30 Uhr wurde B in ein Gitterbett gelegt und erlitt dort einen weiteren Anfall, nach dem sich sein Zustand wieder besserte. Von diesem Anfall konnte der Angeklagte allerdings nicht verständigt werden, weil er telefonisch nicht erreichbar war. Um 21,30 Uhr und um 23,30 Uhr folgten zwei weitere kurze Anfälle B' s. Ein ähnliches Verhalten wurde von Justizwachebeamten um 3,30 Uhr des 16.7.1980 festgestellt. Um 6 Uhr wurde B tot aufgefunden.

Ursache der (epiletiformen) Anfälle war nach den weiteren auf die ärztlichen Sachverständigengutachten gestützten Feststellungen des Erstgerichtes keine Epilepsie B' s, sondern ein Herzinfarkt; die Anfälle waren klassische Zeichen eines als Entzugserscheinung auftretenden Deliriums eines Alkoholikers (das - nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D - bei dazu veranlagten Menschen Herzinfarkte auslösen kann).

Das Erstgericht hielt die Unterlassung des Angeklagten, sich (nach der Mitteilung vom zweiten Anfall) zu vergewissern, welcher Art die Anfälle sind und die Unterlassung der gebotenen sofortigen Einweisung B' s in ein Krankenhaus als gröbliche Vernachlässigung der Verpflichtung eines Anstaltsarztes eines Gefangenenhauses zur Fürsorge gegenüber einem Gefangenen.

Das Erstgericht führte im Urteil aus, daß durch diese Vernachlässigung bei B 'in zunehmendem Maß ein gesundheitlicher Schaden eingetreten' sei und stellte hiezu in tatsächlicher Beziehung - gestützt auf die Sachverständigengutachten - (lediglich) fest, daß die überlebenschancen bei einem ausgedehnten Herzinfarkt, wie er bei B auf Grund der Obduktion festgestellt worden war, nicht abschätzbar seien und es ebensogut möglich gewesen sein könne, daß bei sofortiger (ärztlicher) Behandlung der Tod hätte vermieden werden können, dieser aber auch ebensogut 'schicksalsmäßig unabänderlich hätte eintreten können'. Der Eintritt des Todes wurde dem Angeklagten - auch schon von der Anklage - nicht zur Last gelegt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Z 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.

Die im Rahmen der Rechtsausführungen des erstgerichtlichen Urteils enthaltene Feststellung, durch die vom Angeklagten zu verantwortende Vernachlässigung des Strafgefangenen B sei bei diesem 'in zunehmendem Maß ein gesundheitlicher Schaden eingetreten', ist zwar nicht, wie die Beschwerde meint, unbegründet und aktenwidrig, denn sie wird ausdrücklich auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. E gestützt (S 117 d.A), der ausgeführt hatte, durch die Unterlassung der Einweisung des Strafgefangenen B in ein Krankenhaus sei 'ein gewisser Schaden sicher eingetreten,' und zwar um so mehr, je mehr Anfälle der Strafgefangene gehabt habe (S 106 d.A). Diese Feststellung des Erstgerichtes über einen gesundheitlichen Schaden 'in zunehmendem Maß' ist jedoch zu unbestimmt und läßt damit keine Prüfung zu, ob das Erstgericht den Begriff des beträchtlichen Schadens an der Gesundheit im Sinn des § 312 Abs. 2 StGB richtig auslegte.

Zu Recht weist die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Prim.

Dr. D hin und macht der Sache nach überdies einen Begründungsmangel in der Unterlassung der Erörterung der Ausführungen dieses Sachverständigen geltend, der unter anderem erklärt hatte, er könne nicht sagen, welche beträchtliche Gesundheitsstörung durch eine (sofortige) Einweisung des Strafgefangenen in ein Krankenhaus hätte vermieden werden können (S 108 d.A). Insoweit weicht nämlich dieses Gutachten von jenem des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. E ab, der - wie erwähnt - ausgeführt hatte, ein 'gewisser Schaden' sei durch die dem Angeklagten angelasteten Unterlassungen sicher eingetreten.

Rechtliche Beurteilung

Schon aus den angeführten Gründen erweist sich somit das Verfahren erneuerungsbedürftig, weil es zur Beurteilung, ob eine beträchtliche Schädigung der Gesundheit des Strafgefangenen B durch die dem Angeklagten vorgeworfenen Unterlassungen eintrat, der mängelfrei begründeten Feststellung über Art und Umfang der bei B als Folge der Unterlassungen des Angeklagten eingetretenen Schäden an der Gesundheit bedarf oder auszusprechen sein wird, daß eine solche Feststellung nicht möglich ist.

Es war daher sofort bei der nichtöffentlichen Beratung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285 e StPO), ohne daß ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erforderlich gewesen wäre.

Mit seiner (nicht ausgeführten) Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.