JudikaturJustiz9ObA60/94

9ObA60/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. April 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Dr.Hans Peter Bobek und Erwin Macho als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Stefan H*****, kfm. Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Kurt Klein und Dr.Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei B***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Harald Hohenberg, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Dezember 1993, GZ 8 Ra 51/93-13a, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. November 1992, GZ 35 Cga 229/92-7, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß das Dienstverhältnis der klagenden Partei zur beklagten Partei über die im Kündigungsschreiben der beklagten Partei vom 6.10.1992 angegebenen Endzeitpunkte hinaus aufrecht fortbestehe, abgewiesen wird.

Im übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen im Rahmen des bisher unerledigt gebliebenen Eventualbegehrens (Kündigungsanfechtung) und im Kostenpunkt aufgehoben und die Arbeitsrechtssache wird in diesem Umfang an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, der seit 27.11.1973 bei der beklagten Partei beschäftigt war, wurde am 28.4.1989 zum Mitglied des Betriebsrats (Vorsitzender) gewählt. Im Zeitpunkt der Betriebsratswahl beschäftigte die beklagte Partei 10 Arbeitnehmer. Gemäß § 50 Abs 1 ArbVG wurden von ihnen zwei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder in den Betriebsrat gewählt. Das weitere Betriebsratsmitglied schied bereits im Dezember 1990 aus dem Betrieb aus. Ein Ersatzmitglied legte 1991 sein Betriebsratsmandat zurück und das andere im März 1992.

Mit Schreiben vom 6.10.1992 kündigte die beklagte Partei das Dienstverhältnis des Klägers, wobei sie im Kündigungsschreiben mehrere "Eventualendtermine" anführte.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß sein Arbeitsverhältnis über die in der Kündigung genannten Endtermine hinaus aufrecht fortbestehe; zufolge seines Betriebsratsmandats sei die Kündigung unwirksam. In eventu beantragt er, die mit Schreiben vom 6.10.1992 ausgesprochene Kündigung für unwirksam zu erklären. Diese sei aus verpönten Motiven gemäß § 105 Abs 3 Z 1 lit e ArbVG erfolgt und überdies im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG sozialwidrig.

Die beklagte Partei beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger sei nicht aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit gekündigt worden, sondern aus Gründen, die in seiner Person gelegen seien.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt und wies das Eventualbegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats gemäß § 62 ArbVG vorzeitig ende, wenn der Betriebsrat funktionsunfähig werde. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Zahl der Mitglieder unter die Hälfte der im § 50 Abs 1 ArbVG festgesetzten Mitgliederzahl sinke. Durch das Ausscheiden des zweiten Mitglieds und der beiden Ersatzmitglieder habe sich die Anzahl der Mitglieder des Betriebsrats nicht um mehr als die Hälfte der ursprünglich gewählten Mitglieder vermindert. Der nur mehr aus einem Mitglied bestehende Betriebsrat sei daher nach wie vor funktionsfähig, zumal es auch Betriebe gebe, in denen der Betriebsrat nur aus einem Arbeitnehmer bestehen könne.

Das Berufungsgericht hob die Abweisung des Eventualbegehrens als nichtig auf und bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung hinsichtlich des Feststellungsbegehrens. Bei einem Betriebsrat mit nur einem Mitglied könne die Mitgliederzahl denklogisch nicht unter die Hälfte sinken. Gleiches gelte für einen Betriebsrat mit zwei Mitgliedern. Sinke demnach die Mitgliederzahl eines aus zwei Personen bestehenden Betriebsrats durch Erlöschen der Mitgliedschaft eines Mitgliedes auf eine Person ab, bleibe dieser Restbetriebsrat funktionsfähig. Da sich § 68 ArbVG nur auf die Beschlußfähigkeit, nicht aber auf die Funktionsfähigkeit beziehe, gehe allenfalls nur ein Teil der Betriebsratsfunktionen verloren, für die sich die Einberufung und Abhaltung von Sitzungen sowie kollegiale Beschlußfassungen denklogisch erübrigten. Solange eine Teilfunktion (Überwachungs-, Kontroll-, Informations- und Beratungsrechte) noch möglich sei, werde daher durch den Verlust lediglich der Beschlußfähigkeit diese Teilfunktion nicht beendet.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß sowohl das Klagebegehren als auch das Eventualbegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist hinsichtlich des Hauptbegehrens berechtigt.

Unter einem Betriebsrat ist in der Regel das Kollegialorgan der betrieblichen Arbeitnehmervertretung zu verstehen, das die teilrechtsfähige Arbeitnehmerschaft vertritt (vgl. B.Schwarz in Cerny-Haas/Laßnigg-B.Schwarz, ArbVG Bd 2 § 50 Erl 4). Lediglich ausnahmsweise kann es gemäß § 50 Abs 1 ArbVG in Betrieben mit fünf bis neun Arbeitnehmern zu einem "Betriebsrat" kommen, der nur aus einer Person besteht. In diesem Fall können die Bestimmungen über die Beschlußfähigkeit und die erforderliche Stimmenmehrheit naturgemäß keine Anwendung finden. Für die übrigen Konstellationen gilt gemäß § 68 Abs 1 ArbVG allgemein, daß der Betriebsrat nur beschlußfähig ist, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Besteht der Betriebsrat nur aus zwei Mitgliedern, kommt nach § 68 Abs 2 letzter Satz ArbVG ein Beschluß allerdings nur bei Übereinstimmung beider Mitglieder zustande. Daraus ergibt sich, daß die Beschlußfähigkeit des Betriebsrats nur bei Anwesenheit beider Betriebsratsmitglieder gegeben ist (Floretta in Floretta-Strasser, HandkommzArbVG 381). Wird ein Betriebsrat mit zwei Mitgliedern auf ein Mitglied reduziert, wird er beschlußunfähig (Schwarz-Löschnigg, ArbR4 539 und 549).

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann ein Betriebsrat nur solange tätig sein, als es ihm möglich ist, Beschlüsse zu fassen (Haas-Laßnigg in Cerny-Haas/Laßnigg-B.Schwarz, ArbVG § 62 Erl 4). Auf die auch dem einzelnen Betriebsratsmitglied zukommenden Individualkompetenzen (vgl. Köck, Betriebsratstätigkeit und Arbeitspflicht 106 ff) kommt es für die Funktionsfähigkeit des Kollegialorgans Betriebsrat nicht an. Gemäß § 62 Z 2 ArbVG endet die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats vor Ablauf des im § 61 Abs 1 ArbVG bezeichneten Zeitraums, wenn der Betriebsrat dauernd funktionsunfähig wird. Beispielsweise ist dazu das Absinken der Mitglieder unter die Hälfte der im § 50 Abs 1 ArbVG festgesetzten Mitgliederzahl angeführt. Auf Betriebsräte mit nur zwei Mitgliedern ist dieser exemplarisch angeführte Beendigungsgrund aber im Hinblick auf § 68 ArbVG nicht anwendbar. Diese Betriebsräte werden vielmehr schon bei Absinken der Mitgliederzahl auf die Hälfte, also auf ein Mitglied beschlußunfähig und damit funktionsunfähig (vgl. Floretta aaO 350;

Floretta-Strasser, ArbVG2 § 62 Anm.4 und § 68 Anm.6;

Schwarz-Löschnigg aaO 539; Haas-Laßnigg aaO § 62 Erl.4).

Soweit das weitere Mitglied des Betriebsrats der beklagten Partei aus dem Betrieb ausgeschieden ist und die beiden Ersatzmitglieder von ihren Funktionen zurückgetreten sind, ist ihre Mitgliedschaft zum Betriebsrat ipso iure erloschen (§ 64 Abs 1 Z 2 und 3 ArbVG; Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser, ArbR3 II 286). Der Betriebsrat wurde dadurch gemäß § 62 Z 2 ArbVG dauernd funktionsunfähig. Aufgrund dieses Umstandes endete die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats mit dem Rücktritt des letzten Ersatzmitglieds im März 1992, so daß auch die Mitgliedschaft des Klägers zum Betriebsrat gemäß § 64 Abs 1 Z 1 ArbVG erloschen ist. Der sich aus den §§ 120 bis 122 ArbVG ergebende besondere Bestandschutz des Klägers endete somit gemäß § 120 Abs 3 ArbVG drei Monate nach dem Erlöschen seiner Mitgliedschaft zum Betriebsrat. Die am 6.10.1992 ausgesprochene Kündigung war daher nicht aus dem Grunde des § 120 Abs 1 ArbVG unwirksam, so daß das Feststellungsbegehren, das sich allein auf das Fortbestehen des Betriebsratsmandats des Klägers stützt, abzuweisen ist.

Zufolge der Abweisung des Hauptbegehrens ist nunmehr zu prüfen, ob das auf Kündigungsanfechtung gerichtete Eventualbegehren berechtigt ist. Dazu fehlt es noch an jeglichen Feststellungen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher diesbezüglich aufzuheben und die Arbeitsrechtssache ist im Rahmen des unerledigten Eventualbegehrens an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen (vgl. Fasching, ZPR2 Rz 1134).

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.