JudikaturJustiz9ObA35/22w

9ObA35/22w – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Hon. Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Dr. Hanns Forcher Mayr, Dr. Josef Kantner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei F* GmbH, *, vertreten durch Hauska Matzunski Rechtsanwälte OG in Innsbruck, wegen 10.920,87 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 7.647,23 EUR brutto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 2. Februar 2022, GZ 15 Ra 81/21f 31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits und Sozialgericht vom 6. Mai 2021, GZ 75 Cga 74/20a 20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.215,48 EUR (darin 202,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit  2.359,88 EUR (darin 138,98 EUR USt und 1.526 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war ab 28. 11. 2019 als Filialleiterin in einem Geschäft der Beklagten in einem Kaufhaus beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für die Angestellten im Handel.

[2] Wie die Beklagte vorbrachte, wurde für ihren Betrieb ab 15. 3. 2020 Kurzarbeit nach den „einschlägigen Bestimmungen“ beantragt. Mit der Klägerin wurde Kurzarbeit von 15. 6. 2020 bis 14. 9. 2020 vereinbart. Der von der Klägerin und von einem Vertreter der Beklagten unterschriebene „COVID 19 Kurzarbeits Dienstzettel (gemäß § 2 AVRAG)“ vom 3. 6. 2020 wies folgende Eintragungen auf:

„1. Beginn der Kurzarbeit 15.6 …

2. Ende der Kurzarbeit 14.9 …

3. Ende der Behaltefrist 14.10 …

5. Arbeitszeit: …Die kollektivvertragliche Normalarbeitszeit (Vollzeit) wird während der Dauer der Kurzarbeit im Durchschnitt um 40% gekürzt. Der/die Arbeitgeberin behält sich eine Erhöhung der Arbeitszeit gemäß den Bestimmungen der Sozialpartnervereinbarung vor.

Rechtlich verbindlich ist die Standardvorlage der Sozialpartnervereinbarung (Formularversion 7.0).“

[3] Die Klägerin las diesen Dienstzettel durch, bevor sie ihn unterfertigte und erkundigte sich danach. Es wurde ihr mitgeteilt, dass sie der Arbeitgeber bis 14. 10. 2020 behalten müsse und sie dann mit vierwöchiger Kündigungsfrist kündigen könne.

[4] Die Beklagte kündigte das Dienstverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 14. 7. 2020 zum 31. 8. 2020. Am 16. 7. 2020 meldete die Beklagte zwei neue Arbeitnehmerinnen mit einer Beschäftigung ab 18. 7. 2020 und ab 25. 7. 2020 bei der Österreichischen Gesundheitskasse an.

[5] Die Klägerin begehrt die Zuerkennung von – der Höhe nach unstrittiger – Kündigungsentschädigung für den Zeitraum von 1. 9. 2020 bis 30. 11. 2020, Weihnachtsremuneration von 1. 1. 2020 bis 30. 11. 2020 und Urlaubsersatzleistung für 23 Werktage. Die Streitteile hätten eine Kurzarbeitszeitvereinbarung geschlossen, im Anschluss sei eine Behaltefrist vereinbart worden. Arbeitgeberkündigungen seien während der Kurzarbeit verboten und rechtsunwirksam. Die Klägerin lasse diese Kündigung jedoch gegen sich gelten und mache anstelle des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses Schadenersatz in Form der Kündigungsentschädigung sowie die ihr zustehende Weihnachtsremuneration und Urlaubsersatzleistung geltend. In ihrer Person gelegene Kündigungsgründe gebe es nicht.

[6] Die Beklagte wandte ein, dass die Kündigung der Klägerin rechtswirksam ausgesprochen worden sei. Auch lägen personenbezogene Kündigungsgründe vor. Zudem sei die Beklagte ihrer „Auffüllverpflichtung“ durch Aufnahme anderer Arbeitnehmer/innen nachgekommen.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 3.273,64 EUR brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von 7.647,23 EUR brutto sA ab. Im Umfang der Stattgebung des Klagebegehrens erwuchs die Entscheidung unangefochten in Rechtskraft. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass nach der im vorliegenden Fall anzuwendenden Sozialpartnervereinbarung (Formularversion 7.0) Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürften, bei dennoch vor diesem Zeitpunkt erfolgten Beendigungen von Arbeitsverhältnissen differenziere die Sozialpartnervereinbarung zwischen Beendigungsarten, die eine „Auffüllverpflichtung“ des Arbeitgebers auslösen – wie etwa Kündigungen durch den Arbeitgeber aus personenbezogenen Gründen – und solchen, bei denen dies nicht der Fall sei. Neben der „Auffüllverpflichtung“ bestünden jedoch keine weiteren Rechtsfolgen, wie zB eine Rechtsunwirksamkeit einer solchen Kündigung. Der Normzweck des § 37b AMSG liege in der Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstands als Gesamtgröße, sodass es an einem dem einzelnen Arbeitnehmer individuell eingeräumten Schutz, der einem gesetzlich normierten besonderen Kündigungsschutz vergleichbar wäre, fehle. Daher könne auch die Klägerin keinen besonderen Kündigungsschutz für sich in Anspruch nehmen, weshalb ihr Arbeitsverhältnis durch Kündigung zum 31. 8. 2020 wirksam beendet worden sei. Die Urlaubsersatzleistung sowie die anteilig bis 31. 8. 2020 gebührende Weihnachtsremuneration sei der Klägerin zuzuerkennen, nicht hingegen die begehrte Kündigungsentschädigung (Gehälter und Weihnachtsremuneration) von 1. 9. 2020 bis 30. 11. 2020. Personenbezogene Kündigungsgründe lägen nicht vor. Die Beklagte sei ihrer „Auffüllverpflichtung“ in angemessener Zeit nachgekommen.

[8] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren über Berufung der Klägerin zur Gänze statt. Eine während einer Kurzarbeitsperiode bzw der daran anschließenden Behaltezeit ausgesprochene Arbeitgeberkündigung sei jedenfalls dann als rechts und zeitwidrig zu qualifizieren, wenn sie (wie hier) einer individuellen/einzelvertraglichen Kurzarbeitsvereinbarung zuwider laufe. Ob eine solche Kündigung rechtsunwirksam sei, müsse nicht beantwortet werden, weil die Klägerin die Kündigung gegen sich gelten lasse und Kündigungsentschädigung begehrte. Eine individuell/einzelvertragliche Kurzarbeitsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei dahin auszulegen, dass ein Arbeitnehmer im Gegenzug zu den für ihn mit der Kurzarbeit verbundenen Nachteilen grundsätzlich darauf vertrauen dürfe, dass sein Arbeitsplatz bis zum Ende der Behaltefrist gesichert sei. Zwar stehe nicht fest, bei wem sich die Klägerin nach den möglichen Konsequenzen der Kurzarbeitsvereinbarung erkundigt hat und wer ihr die Auskunft gegeben habe, dass der Arbeitgeber sie bis 14. 10. 2020 behalten müsse und erst dann unter Einhaltung einer vierwöchigen Kündigungsfrist kündigen könne. Ganz offensichtlich sei die Klägerin bei Abschluss der Vereinbarung aber davon ausgegangen, dass ihr Arbeitsverhältnis zumindest bis 14. 10. 2020 nicht gekündigt werden könne. Die Kündigung erweise sich daher als rechts und zeitwidrig, sodass die Ansprüche der Klägerin zur Gänze zu Recht bestehen. Auf personenbezogene Kündigungsgründe komme die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr zurück.

[9] Die Revision sei zulässig, weil der hier interessierenden Rechtsfrage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme und sich das Berufungsgericht weder auf eine völlig eindeutige Rechtslage noch auf einschlägige höchstgerichtliche Judikatur stützen habe können.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zulässig und berechtigt.

[12] 1. Die Beklagte macht in der Revision geltend, dass durch die Sozialpartnervereinbarung kein individueller Kündigungsschutz für den einzelnen Arbeitnehmer abzuleiten sei.

[13] Diese Ansicht ist zutreffend und entspricht der – mittlerweile gefestigten – Rechtsprechung, nach der sich aus der Bestimmung des § 37b AMSG keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt (RS0133808 mwH).

[14] Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung vom 22. 10. 2021 8 ObA 48/21y mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Kündigungsbeschränkungen einer Kurzarbeitsvereinbarung, die im dort zu beurteilenden Fall vom klagenden Arbeitnehmer nicht mitunterfertigt worden war, bloß den Beschäftigtenstand in dem Unternehmen schützen soll oder auch dem Arbeitnehmer einen individuellen Kündigungsschutz gewähren soll. Dabei wurde nach Auseinandersetzung mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung und der Kurzarbeitsvereinbarung sowie dem zu dieser Problematik ergangenen Schrifttum das Ergebnis erzielt, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG in Verbindung mit den maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarungen keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt, sondern die Förderung im Rahmen einer allfälligen Kündigungsanfechtung bei der Beurteilung des Vorliegens „betrieblicher Erfordernisse“ für die Kündigung (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) zu berücksichtigen ist. Ebensowenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und termine.

[15] In der Entscheidung 8 ObA 50/21t vom 29. 11. 2021 hat der Oberste Gerichtshof an die Ausführungen in der Entscheidung 8 ObA 48/21y anknüpfend weiters zu der Frage Stellung genommen, ob es einen Unterschied mache, wenn der (die) Arbeitnehmer/in (Kläger/in) die Sozialpartnervereinbarung zur Kurzarbeit mitunterfertigt hat. In dieser Entscheidung, in der eine vom Arbeitnehmer unterfertigte „Sozialpartnervereinbarung-Einzelvereinbarung“ (Formularversion 7.0) zu beurteilen war, wurde ausführlich begründet, warum aus der Formulierung, dass Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen, auch kein vereinbarter individueller Kündigungsschutz abzuleiten sei. Auf diese Entscheidung kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden. Unter anderem wurde ausgeführt, das sich die Unwirksamkeit einer entgegen der Vereinbarung ausgesprochenen Kündigung aus dem Wortlaut nicht ableiten lasse. Aufgrund des Umstands, dass die zugrunde liegende Mustervereinbarung von den Sozialpartnern ausverhandelt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass diese Rechtsfolge gerade nicht gewollt gewesen sei. Verwiesen wird weiters darauf, dass ein Arbeitnehmer, der die Vereinbarung unterfertigt, diese im Zweifel so verstehen muss, wie sie auch der Interessensvertretung der Arbeitnehmerseite, die Gewerkschaft, die die Vereinbarung mit der Wirtschaftskammer (bzw dem zuständigen Arbeitgeberverband) ausverhandelt hat, redlicherweise nur verstehen konnte. Gegen die Annahme eines vereinbarten individuellen Kündigungsschutzes spreche weiters, dass die Formulierung „dürfen frühestens gekündigt werden“ sprachlich als Handlungsanleitung für Arbeitgeber formuliert sei. Gleiches gelte für den volkswirtschaftlichen Schutzzweck der Subventionierung von Kurzarbeit. Die Vereinbarung diene – zumindest in erster Linie – bloß dessen Effektuierung (Pkt II dieser Entscheidung).

[16] Dass sich auch aus der vom Arbeitnehmer mit unterfertigten Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz ableiten lasse, wurde in einer Reihe von Folgeentscheidungen bestätigt (9 ObA 83/21b; 9 ObA 98/21h; 9 ObA 135/21z ua). Das Vorliegen einer Sozialpartnervereinbarung-Einzelvereinbarung ändert daran nichts. Da die Vereinbarung im Verhältnis zum jeweiligen Arbeitnehmer auch keinen Einfluss auf die Kündigungsfristen und -termine hat, steht im Fall einer solchen Kündigung keine Kündigungsentschädigung zu (9 ObA 148/21m [Pkt 4]).

[17] Diese Ausführungen – von denen abzugehen kein Anlass besteht – gelten in gleicher Weise für den vorliegenden Fall, in dem im – von der Klägerin unterfertigten „COVID 19 Kurzarbeits Dienstzettel (gemäß § 2 AVRAG)“, auf die rechtliche Verbindlichkeit der Standardvorlage der Sozialpartnervereinbarung (Formularversion 7.0) ausdrücklich hingewiesen wird und in dem die wesentlichen Eckpunkte der getroffenen Kurzarbeitsvereinbarung (deren Beginn und Ende, das Ende der Behaltefrist und das Ausmaß der Kürzung der kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit) ausgewiesen werden.

[18] 2. Soweit die Klägerin in der Revisionsbeantwortung zu dem COVID 19 Kurzarbeits Dienstzettel vorbringt, ihr sei dazu vom Arbeitgeber mitgeteilt worden, dass er sie bis 14. 10. 2020 „behalten müsse“ und daraus ableiten will, dass zwischen ihr und ihrem Arbeitgeber ausdrücklich eine Behaltefrist im Anschluss an die Kurzarbeit vereinbart worden sei, entfernt sie sich von den Feststellungen. Dass die Auskunft, die Beklagte müsse sie bis 14. 10. 2020 behalten und könne erst danach allenfalls kündigen, von der Arbeitgeberin stammt, steht gerade nicht fest (siehe Pkt 4. iVm Pkt 5.2 des Berufungsurteils).

[19] Ausgehend davon ist das Erstgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin wirksam zum 31. 8. 2020 durch Arbeitgeberkündigung beendet wurde, sodass die darüber hinaus geltend gemachten und noch im Verfahren zu behandelnden Ansprüche der Klägerin nicht zu Recht bestehen.

[20] Der Revision war daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts insgesamt wiederherzustellen.

[21] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.