JudikaturJustiz9ObA228/90

9ObA228/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Oktober 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Mag.Ernst Löwe als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und beklagten Partei prot. Firma Wilhelm D***, Frohsdorf, Mühlbachgasse 75, vertreten durch Dr.Helmut Kientzl und Dr.Gerhard Schultschik, Rechtsanwälte in Wr.Neustadt, wider die beklagte und klagende Partei Johann L***, Bad Fischau-Brunn, Bergschlösslstraße 3, vertreten durch Dr.Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zustimmung zur Entlassung (Streitwert 30.000 S) und Zahlung von 418.461,48 S sA (Streitwert im Revisionsverfahren 30.000 S und 292.752,89 S), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.Mai 1990, GZ 33 Ra 31/90-32, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wr.Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 15.November 1989, GZ 4 Cga 176/88, 4 Cga 105/89-24, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende und beklagte Partei ist schuldig, der beklagten und klagenden Partei die mit 8.624,16 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.437,36 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Da die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Urteils zutrifft, genügt es, auf ihre Richtigkeit hinzuweisen (§ 48 ASGG). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerber folgendes zu erwidern:

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Revision der klagenden (und beklagten) Partei:

Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen, wonach der Beklagte zwar nur die etwa ein Viertel des Gesamtbetriebes umfassende Abteilung "Putzlappenproduktion samt Verkauf" leitete, aber auch wesentliche Agenden bezüglich der übrigen Abteilungen (für Lumpen, für gebrauchte Kleidung und für neue Textilien) hatte, wie die Kontrolle über den innerbetrieblichen Gesamtablauf, die Überwachung des gesamten Personals sowie sämtlicher Verladetätigkeiten und darüber hinaus auch noch fallweise bezüglich dieser Abteilungen im Ein- und Verkauf tätig war, ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß die im Rahmenkollektivvertrag für Angestellte der Industrie vom 1.November 1984 genannten generellen Einstufungskriterien (Angestellte, die Arbeiten erledigen, die besonders verantwortungsvoll sind, selbständig ausgeführt werden müssen, wozu umfangreiche, überdurchschnittliche Berufskenntnisse und mehrjährige praktische Erfahrungen erforderlich sind) auf die Tätigkeit des Klägers zutreffen. Mit den im zweiten Absatz dieser Bestimmung genannten Kriterien ("ferner Angestellte, die regelmäßig und dauernd mit der verantwortlichen Führung, Unterweisung und Beaufsichtigung von größeren Angestelltengruppen....beauftragt sind") wird eine weitere Personengruppe - auf die die im ersten Absatz genannten Merkmale nicht zutreffen müssen - der Verwendungsgruppe V zugeordnet. Da demnach die in den Absätzen 1 und 2 genannten Kriterien nicht kumulativ, sondern alternativ für die Einstufung in die Verwendungsgruppe V heranzuziehen sind, ist die vom Revisionswerber vermißte Feststellung, welche Angestellten vom Beklagten beaufsichtigt wurden, entbehrlich. Auch der Umstand, daß die vom Beklagten verrichtete Tätigkeit in der nur beispielsweisen Aufzählung zur Verwendungsgruppe V nicht genannt ist, spricht nicht gegen die Einstufung in diese Gruppe, zumal diese Tätigkeit auch nicht in der entsprechenden Aufzählung zur Verwendungsgruppe IV aufscheint.

II. Zur Revision des Beklagten (und Klägers):

Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung RdW 1989, 343 = Arb 10.785 ausgesprochen hat, trifft den Arbeitgeber die Obliegenheit, ehestens die Klage auf Zustimmung zur Entlassung im Sinne des § 122 Abs 3 ArbVG einzubringen, weil der Arbeitnehmer nicht nur umgehend Klarheit darüber haben muß, daß er vom Arbeitgeber entlassen wurde, sondern auch darüber, daß die Entlassung gerichtlich geltend gemacht wurde (vgl auch Floretta in Floretta-Strasser Komm ArbVG 858). Zieht man nun in Betracht, daß die Einbringung einer Klage erheblich aufwendiger und zeitraubender ist als der bloße Ausspruch der Entlassung, und berücksichtigt man weiters, daß die Entlassung am 20.Dezember 1988 und damit unmittelbar vor den Weihnachtsfeiertagen ausgesprochen wurde, dann erfolgte die Einbringung der Klage am 30.Dezember 1988 noch rechtzeitig.

Die Frage, ob sich der Betriebsrat eines Verbrechens schuldig gemacht und damit den Entlassungstatbestand des § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG verwirklicht hat, hat das Zivilgericht grundsätzlich selbständig zu prüfen (vgl Floretta aaO; Kuderna Entlassungsrecht 62). Nur dann, wenn ein verurteilendes Straferkenntnis bereits vorliegt, besteht eine Bindung des Zivilgerichtes an dieses Erkenntnis gemäß § 268 ZPO. Hingegen ist eine Bindung der Zivilgerichte an ein freisprechendes Strafurteil im Hinblick auf den im Strafverfahren geltenden Grundsatz "in dubio pro reo" nicht vorgesehen. Im Fall eines Freispruches darf das Zivilgericht daher die Tatsachen, die in diesem Erkenntnis festgestellt wurden, nicht übernehmen, sondern hat darüber die beantragten Beweise aufzunehmen und selbständig zu würdigen (vgl Fasching ZPR2 Rz 859). Gelangte daher das Zivilgericht wie im vorliegenden Fall zum Ergebnis, daß die behauptete Straftat begangen wurde, wäre ein Strafverfahren auch dann ohne Einfluß auf das Zivilverfahren gewesen, wenn es vor dessen Abschluß durch Freispruch oder Verurteilung geendet hätte. Soweit der Revisionswerber vermeint, der Zivilprozeßordnung fehle eine § 5 Abs 1 StPO vergleichbare Norm, die ausspreche, daß sich die Beurteilung des Zivilgerichtes auch auf strafrechtliche Vorfragen erstrecken könne, ist ihm zu erwidern, daß sich aus den Bestimmungen der §§ 191 Abs 1 ("kann der Senat anordnen") und 268 ZPO ergibt, daß das Zivilgericht - abgesehen vom Vorliegen eines verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses - derartige Vorfragen selbständig beurteilen kann. Abschließend ist zu bemerken, daß das Strafverfahren der Durchsetzung des öffentlich-rechtlichen Strafanspruches des Staates dient, während im Zivilprozeß über die dem Privatrecht zuzuordnenden Rechtsbeziehungen gleichgestellter Rechtsobjekte zu entscheiden ist. Soweit es um die zivilrechtlichen Folgen strafbaren Verhaltens geht, wird daher von den Zivilgerichten nicht etwa über eine Sanktion (Strafe) im Sinne einer Durchsetzung des Strafanspruches des Staates entschieden. Den Ausführungen des Revisionswerbers, der die zivilrechtlichen Folgen mit den strafrechtlichen Sanktionen gleichsetzt und daher zum Ergebnis gelangt, die Zivilgerichte nähmen mit der Beurteilung strafrechtlicher Vorfragen den Strafgerichten zukommende Kompetenzen in Anspruch, kann somit nicht gefolgt werden. Der Oberste Gerichtshof teilt daher nicht die Bedenken des Revisionswerbers gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG, die nicht auf eine erfolgte strafgerichtliche Verurteilung abstellt, sondern die Beurteilung, ob das als Entlassungsgrund genannte strafbare Verhalten vorliegt, dem Zivilgericht überläßt. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 58 Abs 1 Satz 1 ASGG sowie 43 Abs 1 und 50 ZPO.

Rechtssätze
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