JudikaturJustiz9ObA21/22m

9ObA21/22m – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Sabrina Langer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C* B*, vertreten durch Mag. Andreas Krautschneider, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C* GmbH, *, vertreten durch Engelbrecht Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 1.) Feststellung (Interesse: 24.000 EUR) und 2.) 4.189,50 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. November 2021, GZ 10 Ra 79/21t 21, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 7. Mai 2021, GZ 9 Cga 157/20b 17, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.505,12 EUR (darin 417,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.565,40 EUR (darin 300,75 EUR USt und 762 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Geschäftsgegenstand der Beklagten ist unter anderem die Vermittlung von Veranstaltungstickets.

[2] Die Klägerin war bei der Beklagten ab 2. 1. 2019 im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Im Zeitraum 16. 3. 2020 bis 16. 6. 2020 vereinbarte die Beklagte mit 99 Arbeitnehmern, darunter der Klägerin, Kurzarbeit (Sozialpartnervereinbarung-Einzelvereinbarung zur Corona-Kurzarbeit). Anschließend wurde die Kurzarbeit für den Zeitraum 16. 6. 2020 bis 15. 9. 2020 mit 64 Arbeitnehmern, darunter der Klägerin, auf Basis der neuen Sozialpartnervereinbarung vom 22. 5. 2020 (Formularversion 7.0) verlängert. Am 29. 6. 2020 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis mit der Klägerin und weiteren vier Mitarbeitern zum 30. 9. 2020 auf.

[3] Die Klägerin begehrte 1. die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses und 2. die Zahlung von 4.189,50 EUR brutto sA und brachte vor, dass nach der Sozialpartnervereinbarung eine Behaltepflicht im Ausmaß von einem Monat nach Ende der Kurzarbeit vorgesehen sei. Die Arbeitgeberkündigung dürfte frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden. Davon ausgenommen seien nur Kündigungen in den in Punkt IV Z 2 lit c der Sozialpartnervereinbarung angeführten Fällen. Ein solcher Fall liege bei ihr nicht vor. Es liege auch keine Ausnahmebewilligung durch den AMS Regionalbeirat und auch keine Zustimmung der Gewerkschaft vor, die innerhalb von sieben Tagen hätte erteilt werden müssen, falls die Kündigung zum Zweck der Verringerung des Beschäftigtenstands wegen einer im hohen Maß bestehenden Gefährdung des Fortbestands des Unternehmens/Betriebsstandorts beabsichtigt gewesen sei. Die Kündigung sei daher rechtsunwirksam. Ihr stünden noch 4.189,50 EUR brutto an Entgeltdifferenzen (aliquote Sonderzahlung und Gehalt für Oktober 2020) zu.

[4] Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass sie aufgrund der pandemiebedingten wirtschaftlichen Situation und damit verbundener untersagter/abgesagter Veranstaltungen einen Umsatzausfall von weit über 90 % gehabt habe, sodass sie gezwungen gewesen sei, Stellen einzusparen, um den Fortbestand des Unternehmens und eine möglichst große Anzahl an Arbeitsplätzen sichern zu können. Die Kündigung der Klägerin sei auch zulässig gewesen, weil das AMS am 25. 6. 2020 zum Zweck der Verringerung des Beschäftigtenstands entsprechend Punkt IV Z 2 lit c der „Sozialpartnervereinbarung-Einzelvereinbarung“ zugestimmt habe. Die Gefährdung des Betriebsstandorts als eine der Bedingungen für die Zustimmung zur Kündigung sei ausschließlich von den Sozialpartnern, konkret der Gewerkschaft bzw dem AMS zu beurteilen. Die Beklagte habe sich auf die Mitteilung des AMS, wonach der Regionalbeirat nicht beigezogen werden müsse, verlassen können. Die Klägerin könne aus dem Umstand der Nichtbefassung des Regionalbeirats des AMS keine individuellen Rechte ableiten.

[5] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es schloss sich der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Linz (AZ 12 Ra 6/21w) an und führte zusammengefasst aus, dass weder ein gesetzlicher noch ein vertraglicher Kündigungsschutz anzunehmen sei. Eine an Wortlaut und Zweck der Sozialpartnervereinbarung orientierte Auslegung ergebe, dass den einzelnen Arbeitnehmern kein subjektiver Anspruch auf Bestand des Arbeitsverhältnisses eingeräumt werden solle. Darüber hinaus stehe fest, dass die Beklagte eine Ausnahmegenehmigung gemäß der Sozialpartnervereinbarung bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS beantragt habe und die Ausnahmegenehmigung von der Geschäftsstelle des AMS – zulässigerweise ohne Befassung des Regionalbeirats – erteilt worden sei.

[6] Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Klägerin Folge und gab dem Klagebegehren statt. Zusammengefasst kam es zum Ergebnis, dass § 37b AMSG einen individuellen Kündigungsschutz bei der Kurzarbeit entfalte. Dass der Regionalbeirat die erforderliche Ausnahmebewilligung erteilt habe, habe die Beklagte nicht vorgebracht. Ihr Vertrauen auf eine Auskunft des AMS könne allenfalls Schadenersatzansprüche gegen die auskunftgebende Stelle begründen. Die Kündigung der Klägerin sei unwirksam.

[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage, ob sich ein individueller Kündigungsschutz aus der Sozialpartner-Einzelvereinbarung betreffend Kurzarbeit ableiten lasse, zu.

[8] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zulässig und berechtigt.

[11] 1. Die Frage, ob und inwieweit Sozialpartnervereinbarungen über Corona-Kurzarbeit einen Individualkündigungsschutz für den einzelnen Arbeitnehmer während der Kurzarbeit und der Behaltefrist bieten, war zwischenzeitig – nach Fällung des Berufungsurteils – bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs.

[12] 2. In der Entscheidung 8 ObA 48/21y hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Kündigungsbeschränkungen einer Kurzarbeitsvereinbarung, die im dort zu beurteilenden Fall vom klagenden Arbeitnehmer nicht mitunterfertigt worden war, bloß den Beschäftigungsstand in den Unternehmen oder auch die individuellen Arbeitnehmer schützen sollen und einen individuellen Kündigungsschutz gewähren. Dabei kam der Oberste Gerichtshof in Auseinandersetzung mit dem Zweck der gesetzlichen Regelung und der Kurzarbeitsvereinbarung sowie der zu dieser Problematik ergangenen Literatur zu dem Ergebnis, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG iVm den maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarung keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt. Ebensowenig resultiert daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und termine.

[13] 3. Diesem Ergebnis wurde mit ausführlicher Begründung auch in der jüngst ergangenen Entscheidung 8 ObA 50/21t gefolgt, in der – wie hier – eine „Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung“ (Formularversion 7.0) über Begleitmaßnahmen während der Kurzarbeit von sämtlichen Arbeitnehmern mitunterfertigt worden war. In dieser Entscheidung wurde auch ausgeführt , dass sich die Unwirksamkeit einer entgegen der Vereinbarung ausgesprochenen Kündigung aus dem Wortlaut nicht ableiten lasse. Aufgrund des Umstands, dass die zugrunde liegende Mustervereinbarung von den Sozialpartnern ausverhandelt worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass diese Rechtsfolge gerade nicht gewollt gewesen sei. Verwiesen wurde auch darauf, dass die sonstigen Regelungen des entsprechenden Vertragspunktes nur die Frage beträfen, wann eine Auffüllpflicht bestehe, somit eine Thematik, die für den einzelnen Arbeitnehmer ohne Bedeutung sei. Gegen die Annahme eines individuellen Kündigungsschutzes spreche weiters, dass die Formulierung „dürfen frühestens gekündigt werden“ sprachlich als Handlungsanleitung für Arbeitgeber formuliert sei. Gleiches gelte für den volkswirtschaftlichen Schutzzweck der Subventionierung von Kurzarbeit. Die Entscheidung kam daher zu dem Ergebnis, dass sich auch aus der vom Arbeitnehmer mitunterfertigten Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz ableiten lasse, weshalb auch für eine Kündigung während der Behaltefrist keine Kündigungsentschädigung zustehe. Dieses Ergebnis wurde jüngst in einer Reihe von Folgeentscheidungen bestätigt (RS0133808; 9 ObA 148/21m betreffend eine andere Mitarbeiterin der Beklagten).

[14] 4. Im vorliegenden Fall besteht kein Grund, davon abzuweichen. Die gegenteilige Rechtsauffassung von Burger , Rechtsfragen der Kurzarbeit, DRdA 2022, 3, die die Revision zum Schwerpunkt ihrer Überlegungen macht, sind nicht geeignet, den Obersten Gerichtshof zu einer Judikaturwende zu veranlassen. Unabhängig von der Frage, ob für die Kündigung der Klägerin im Sinn von Punkt IV Z 2 lit c der Sozialpartnervereinbarung vom 22. 5. 2020 der Regionalbeirat zu befassen gewesen wäre, wurde durch die Kurzarbeitsvereinbarung kein individueller Kündigungsschutz begründet. Wie dargelegt, ändert daran auch nichts, dass im konkreten Fall eine Sozialpartnervereinbarung – Einzelvereinbarung getroffen wurde. Da die Vereinbarung im Verhältnis zum jeweiligen Arbeitnehmer auch keinen Einfluss auf die Kündigungsfristen und termine hat, steht der Klägerin im Falle einer solchen Kündigung auch keine Kündigungsentschädigung zu.

[15] 5. Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben und in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts das klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen.

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43, 50 ZPO. Die vom Kläger behauptete fehlende Zustellung der Berufungsbeantwortung nimmt der Beklagten nicht den Anspruch auf die ihr zustehenden Kosten für den von ihr erstatteten Rechtsmittelschriftsatz. Im Revisionsverfahren gebührt gemäß § 23 Abs 3 RATG ein Einheitssatz von 50 % (RS0115069).