JudikaturJustiz9Ob33/22a

9Ob33/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei J* F*, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei M* AG, *, vertreten durch Dr. Ivo Greiter und andere, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 18.205,80 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. Februar 2022, GZ 2 R 4/22d 25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 5. November 2021, GZ 36 Cg 25/21k 20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird von „D* AG“ auf „M* AG“ berichtigt.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.044,90 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] I. Die Beklagte wird in der Revision des Klägers erstmals als „M* AG“ bezeichnet. Die Beklagte hat, wie aus dem Firmenbuch zu FN * ersichtlich, ihre Firma geändert. Ihre Parteibezeichnung war daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO vom Obersten Gerichtshof als Rechtsmittelgericht von Amts wegen zu berichtigen (RS0039666 [T10]).

[2] II. De r Kläger erwarb am 14. 2. 2014 von der P* GmbH über Vermittlung der A* GmbH ein Fahrzeug der Marke * um 60.686 EUR, das am 27. 2. 2014 zugelassen wurde. Im Fahrzeug war ein – dem Stand der Technik entsprechendes – Thermofenster eingebaut. Dieses Fahrzeug hatte immer eine aufrechte Typengenehmigung. Der Kläger erhielt keine Aufforderung zur Durchführung eines Software-Updates und es gab aus seiner Sicht nie einen Hinweis darauf, dass die Typengenehmigung für das Fahrzeug entzogen werden könnte. Dieses Fahrzeug, in dem ein Motor mit den Kennbuchstaben * verbaut war, scheint auch nicht in der KBA Liste als vom Abgasskandal betroffenes Fahrzeug auf. Anlässlich der Überprüfung des Fahrzeugs nach § 57a KFG am 22. 2. 2021 (Kilometerstand rund 71.000) wurde dem Kläger mitgeteilt, dass ein freiwilliges Software-Update für das Fahrzeug zur Verfügung stehe. Der Kläger lehnte dessen Installierung jedoch ab. Vielmehr erwarb er kurze Zeit später ein anderes Fahrzeug – wiederum der Marke * –, das er durch Eintausch seines alten Fahrzeugs und Aufzahlung von 51.300 EUR bezahlte.

[3] Um einen drohenden Typengenehmigungsentzug zu kompensieren, hätte man das Fahrzeug um 30 % günstiger anbieten müssen, damit es von einem Durchschnittskäufer gleich gerne erworben wird, wie ein solches Fahrzeug ohne möglichen Entzug der Typengenehmigung.

[4] Der Kaufpreis des Fahrzeugs im Februar 2014 war nicht überhöht, zumal es für dieses Fahrzeug keinen Rückruf gab und das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt hatte. Aus diesen Gründen ist zudem eine Wertminderung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung nicht feststellbar. Auch zum Verkaufszeitpunkt des Fahrzeugs war keine Wertminderung gegeben, zumal sich am österreichischen Markt eine Preisminderung am Gebrauchtwagenmarkt nicht eingestellt hat. Käufer am österreichischen Markt haben sich nie darum gekümmert, ob ein Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen ist oder nicht.

[5] Der Kläger nimmt die die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch. Er stützt sich dabei auf Schutzgesetzverletzung, arglistige Täuschung, absichtliche sittenwidrige Schädigung und unlautere Geschäftspraktik (§ 1 UWG) sowie Betrug, culpa in contrahendo und Garantie. Da im Fahrzeug mit dem Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei, habe er das mangelhafte Fahrzeug um einen überteuerten Kaufpreis erworben. Die listig handelnde Beklagte hafte ihm für den erlittenen Schaden durch den Vertragsabschluss mit einem Dritten. Die Berechnung des Minderwerts erfolge nach der relativen Berechnungsmethode zum Kaufzeitpunkt analog § 932 ABGB. Der objektive Minderwert/Verkehrswert – bei Offenlegung der Manipulation – für das Fahrzeug zum Ankaufszeitpunkt betrage 30 % des Kaufpreises.

[6] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Das Fahrzeug sei mängelfrei, eine unzulässige Abschalteinrichtung sei darin nicht verbaut. Die Nutzung des Fahrzeugs sei nie eingeschränkt gewesen. Da der Kläger das Fahrzeug bereits verkauft habe, könnte ein allfälliger Schaden nur in der Differenz des Werts des Fahrzeugs, den der Kläger erhalten habe, und dem tatsächlichen Wert am Markt liegen. Überdies seien die Ansprüche des Klägers verjährt.

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Klagebegehren scheitere schon daran, dass alle vom Kläger geltend gemachten Anspruchsgrundlagen voraussetzten, dass der Kläger den von ihm behaupteten Schaden erlitten habe. Dies sei aber nicht der Fall, weil der Preis des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Ankaufs im Jahr 2014 nicht überhöht gewesen sei und der Kläger auch zum Zeitpunkt des Verkaufs im Jahr 2021 keine Wertminderung hinnehmen habe müssen.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Die vom Kläger geltend gemachte Preisminderung um 30 % sei nur anzusetzen, um einen drohenden Typengenehmigungsentzug auszugleichen. Nach den Feststellungen habe aber weder zum Vertragsabschlusszeitpunkt (Kauf des Fahrzeugs) noch danach bis zum Verkauf des Fahrzeugs ein Entzug der Typengenehmigung gedroht. Ob das verbaute Thermofenster im Fahrzeug als unzulässige Abschalteinrichtung und damit als Mangel zu qualifizieren sei, sei daher unerheblich. Der Kläger habe auch insofern keinen Schaden erlitten, als auch kein merkantiler Minderwert vorliege. Der österreichische Markt habe eine Preisminderung durch den Abgasskandal und durch die Programmierung von Thermofenstern am Gebrauchtwagenmarkt nicht abgezeichnet. Käufer am österreichischen Markt hätten sich nie darum gekümmert, ob ein Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen sei oder nicht.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zu, weil noch keine Rechtsprechung dazu vorliege, ob eine gegen Art 5 der VO (EG) 715/2007 verstoßende Ausführung eines Fahrzeugs, durch die kein behördlicher Entzug der Typengenehmigung drohe, und die weder zu einem rechnerischen Schaden noch sonstigem Nachteil führe, für den Erwerber des Fahrzeugs dennoch ein Schaden sei.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Überdies wird zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007) die Einleitung eines Vorabentscheidungs-verfahrens angeregt.

[11] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger begründet die Zulässigkeit seiner Revision nur mit unionsrechtlichen Fragen zur VO (EG) 715/2007. Die übereinstimmende Beurteilung der Vorinstanzen, dass er durch das allfällige Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung, wodurch der Entzug der Typengenehmigung gedroht hätte, gar keinen Schaden erlitten habe, weshalb seine Ansprüche schon aus diesem Grund nicht erfolgreich sein können, wird in der Zulassungsbegründung nicht aufgegriffen (RS0112166 [T14]).

1. Die Beurteilung der Vorinstanzen ist zutreffend. Der weite Schadensbegriff des ABGB umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist (RS0022537 [T10]). Nach den Feststellungen hat der Kläger aber durch den Ankauf (und Verkauf) des Fahrzeugs keinen „Nachteil“ in seinem Vermögen erlitten. Selbst wenn in seinem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut gewesen wäre, die eine Wertminderung des Fahrzeugs zur Folge gehabt hätte, hat sich der dadurch allenfalls dem Kläger (zunächst) entstandene Schaden bei ihm letztlich nicht realisiert, weil er das Fahrzeug zu einem (offenbar) damals marktüblichen Preis verkauft hat. Geschädigt ist hier allenfalls der Dritte, dem der Kläger das Fahrzeug mit einer allenfalls unzulässigen Abschalteinrichtung verkauft hat. Dies ist hier aber nicht zu prüfen.

[13] 2. Da der Kläger somit keinen Schaden aus dem allfälligen Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung erlitten hat, stellen sich die in der Revision aufgegriffenen unionsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der VO (EG) 715/2007 nicht. Auch die im Vorabentscheidungsersuchen 10 Ob 44/19x vom Obersten Gerichtshof an den Gerichtshof der Europäischen Union herangetragenen Fragen sind hier nicht entscheidungsrelevant, weil der Kläger nicht einmal einen bloßen Vermögensschaden erlitten hat. Einen eigenen, vom Entstehen eines Nachteils unabhängigen Schadensbegriff normiert die VO (EG) 715/2007 nicht.

[14] Die Revision des Klägers ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[15] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979).