JudikaturJustiz8ObA56/23b

8ObA56/23b – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. OAR Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Stadtgemeinde G*, vertreten durch Dr. Michael Koth, Rechtsanwalt in Gänserndorf, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2023, GZ 8 Ra 51/23p 22, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits und Sozialgericht vom 11. Jänner 2023, 15 Cga 104/17m 15 bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.261,40 EUR (darin 376,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Das Dienstverhältnis der Klägerin zur beklagten Stadtgemeinde unterliegt den Bestimmungen des NÖ GVBG. Die Klägerin befand sich von 20. 6. 2016 bis 29. 6. 2016 und danach ab 6. 9. 2016 im Krankenstand. Nachdem die Klägerin am 27. 10. 2016 die Feststellung ihrer Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten beantragt hatte, sprach die Beklagte am 24. 11. 2016 die Kündigung des Dienstverhältnisses aus. Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom 1. 12. 2016 wurde festgestellt, dass die Klägerin ab dem Tag der Antragstellung dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört, sodass die Kündigung mangels Zustimmung des Behindertenausschusses unwirksam blieb.

[2] Mit Schreiben vom 15. 5. 2017 informierte die Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf § 26 Abs 9 NÖ GVBG, dass das Dienstverhältnis im Fall der Fortsetzung ihres Krankenstands mit 5. 9. 2017 ende, weil sich die Klägerin dann schon mehr als ein Jahr im Krankenstand befinde. Erst mit Schreiben 23. 8. 2017 (zugestellt am 28. 8. 2017) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass das Dienstverhältnis bereits mit 26. 8. 2017 enden würde, weil bei der Berechnung der Jahresfrist auch der vorherige Krankenstand von 20. 6. 2016 bis 29. 6. 2016 zu berücksichtigen sei. Als die Klägerin von ihrem Arzt am 1. 9. 2017 gesundgeschrieben wurde und ihren Dienst antreten wollte, wurde ihr dies von der Beklagten verweigert.

[3] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass das Dienstverhältnis über den 26. 8. 2017 hinaus aufrecht sei. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung, die Klägerin drei Monate vor Ablauf der Jahresfrist vom bevorstehenden Ende des Dienstverhältnisses zu verständigen, nicht nachgekommen. Angesichts des Schreibens der Beklagten vom 15. 5. 2017 habe das Dienstverhältnis nicht vor dem 5. 9. 2017 enden können, auch weil eine konkludente Vereinbarung über die Fortsetzung des Dienstverhältnisses vorliege.

[4] Die Beklagte wendet ein, dass sie die Klägerin mit Schreiben vom 15. 5. 2017 über die bevorstehende Beendigung des Dienstverhältnisses informiert habe. Da Krankenstände innerhalb von sechs Monaten zusammenzurechnen seien, wäre die Jahresfrist des § 26 Abs 9 NÖ GVBG schon am 26. 8. 2017 abgelaufen. E iner Verlängerung des Dienstverhältnisses habe die B eklagte nicht zugestimmt.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt und stellte den Fortbestand des Dienstverhältnisses fest. § 26 Abs 9 NÖ GVBG ziele darauf ab, dass kurze Krankenstände, welche die Folge einer nicht gänzlich geheilten Ersterkrankung sind, in die Berechnung der Jahresfrist miteinbezogen werden, während der vor der langen Erkrankung gelegene kurze Krankenstand der Klägerin nach dem Zweck des Gesetzes unberücksichtigt bleiben müsse, sodass es erst am 5. 9. 2017 zur Beendigung des Dienstverhältnisses kommen hätte können. Darüber hinaus sei die Beklagte ihrer Verständigungspflicht nach § 26 Abs 10 NÖ GVBG nicht nachgekommen, weil sie im Schreiben vom 15. 5. 2017 noch von einer Beendigung des Dienstverhältnisses am 5. 9. 2017 ausgegangen sei. Es widerspreche der Fürsorgepflicht des Dienstgebers, wenn das Datum der Beendigung des Dienstverhältnisses kurzfristig vorverlegt und dem Dienstnehmer damit die Möglichkeit genommen werde, vor Ablauf der Jahresfrist an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren.

[6] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung nicht Folge. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts seien die Krankenstände der Klägerin zusammenzurechnen, doch habe die Klägerin angesichts des Schreibens vom 15. 5. 2017 darauf vertrauen dürfen, dass das Dienstverhältnis nicht vor dem 5. 9. 2017 enden werde. Da für die Klägerin keine Veranlassung bestanden habe, die Richtigkeit dieser Angaben zu überprüfen, verstoße die Berufung auf eine vorherige Beendigung des Dienstverhältnisses gegen Treu und Glauben. Die ordentliche Revision sei mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten , mit der sie beantragt, die Entscheidung dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Rechtsmittelbeantwortung der Revision nicht Folge zu geben.

[9] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Verständigungspflicht nach § 26 Abs 10 NÖ GVBG vorliegt. Sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. § 26 Abs 9 NÖ GVBG sieht vor, dass das Dienstverhältnis endet, wenn Dienstverhinderungen wegen Unfalls oder Krankheit ein Jahr gedauert haben und keine Fortsetzung des Dienstverhältnis vereinbart wurde. Es handelt sich um eine gesetzlich festgelegte Resolutivbedingung, bei deren Eintritt das Dienstverhältnis des Vertragsbediensteten durch Zeitablauf endet (RIS Justiz RS0129049). Die Vorinstanzen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Fall keine Fortsetzung des Dienstverhältnisses vereinbart wurde, weil dem Schreiben vom 15. 5. 2017 nicht entnommen werden kann, dass die Beklagte einer Verlängerung des Dienstverhältnis über den in § 26 Abs 9 NÖ GVBG genannten Zeitpunkt hinaus zugestimmt hätte.

[11] 2. Nach § 26 Abs 9 NÖ GVBG gilt eine Dienstverhinderung, die innerhalb von sechs Monaten nach Wiederantritt des Dienstes eintritt, bei der Berechnung der einjährigen Frist als Fortsetzung der früheren Dienstverhinderung. Bei einem ununterbrochenen Krankenstand über mehr als ein Jahr rechtfertigt sich die Beendigung des Dienstverhältnisses in der langandauernden Dienstverhinderung, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Dienstverhinderung auf eine oder mehrere medizinische Ursachen zurückzuführen ist. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts setzt deshalb auch die Zusammenrechnung von Krankenstandszeiten nach § 26 Abs 9 NÖ GVBG nicht voraus, dass beide Krankenstände die selbe medizinische Ursache haben. Die Jahresfrist des § 26 Abs 9 NÖ GVBG ist im Fall der Klägerin deshalb bereits am 26. 8. 2017 abgelaufen.

[12] 3. Nach § 26 Abs 10 NÖ GVBG hat der Bürgermeister den Vertragsbediensteten spätestens drei Monate vor Ablauf der Frist nachweislich vom bevorstehenden Ende des Dienstverhältnisses zu verständigen. Erfolgt die Verständigung später, so endet das Dienstverhältnis nach § 26 Abs 10 NÖ GVBG drei Monate nach dieser Verständigung, sofern der Vertragsbedienstete bis dahin den Dienst nicht wieder angetreten hat. Die Verständigungspflicht dient dem Schutz des Vertragsbediensteten, der dadurch die Chance erhalten soll, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um den Dienst vor Ablauf der Jahresfrist wieder antreten zu können, oder zumindest eine vertragliche Verlängerung des Dienstverhältnisses bis zu seiner Gesundung zu erwirken (ErläutRV 223 BlgNR 19. GP 31; Ziehensack , VBG [28. Lfg] § 24 Rz 44). Es liegt auf der Hand, dass eine Verständigung ihre Warnfunktion nicht erfüllen kann, wenn die Jahresfrist unrichtig berechnet wurde und der Vertragsbedienstete von der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses überrascht wird.

[13] 4. Die Klägerin konnte dem Schreiben vom 15. 5. 2017 nicht entnehmen, dass das Dienstverhältnis schon am 26. 8. 2017 enden würde, weil selbst die Beklagte damals noch davon ausging, dass die Jahresfrist erst mit 5. 9. 2017 ablaufen würde. Dass sie der Klägerin am 23. 8. 2017 schrieb, dass das Dienstverhältnis am 26. 8. 2017 enden werde, konnte schon deshalb nicht zur Beendigung des Dienstverhältnisses führen, weil die Verständigung nach § 26 Abs 10 NÖ GVBG spätestens drei Monate vor der Beendigung des Dienstverhältnisses erfolgen muss, der Klägerin – sobald ausgehend vom Datum des Schreibens – damals aber nur mehr eine Frist von drei Tagen zur Verfügung gestanden wäre. Damit hat es die Beklagte verabsäumt, die Klägerin von der drohenden Beendigung des Dienstverhältnisses am 26. 8. 2017 rechtzeitig zu verständigen, sodass das Dienstverhältnis nach wie vor aufrecht ist.

[14] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.