JudikaturJustiz8ObA28/12v

8ObA28/12v – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. September 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Schneider und Dr. Höhrhan Weiguni als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G***** Z*****, vertreten durch Dr. Rath Partner Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Graz, wegen 310,90 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 27. März 2012, GZ 7 Ra 98/11b 13, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom 4. Oktober 2011, GZ 29 Cga 69/11k 7, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 188,02 EUR (darin 31,34 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. August 2006 bis 15. Juni 2011 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Seit April 2008 belief sich seine vereinbarte Arbeitszeit auf 24 Stunden pro Woche mit freier Zeiteinteilung und einem monatlichen Gehalt von 1.710 EUR brutto. Im Dienstvertrag war der 15. eines Monats als zusätzlicher Kündigungstermin schriftlich vereinbart worden.

Nach dem Auslaufen einer Bildungskarenz mit Ende März 2011 gab der Kläger der Beklagten per E Mail seine Vorstellungen über die Arbeitseinteilung der nächsten Monate bekannt. Im Anhang des E Mails befand sich eine Tabelle, in der der Kläger seine gewünschte Arbeitszeit sowie seinen Urlaubswunsch vom 18. bis 22. April und vom 27. Mai bis 22. Juni 2011 eingetragen hatte.

Nachdem der Geschäftsführer der Beklagten den offenen Urlaubssaldo des Klägers angezweifelt hatte, übermittelte ihm dieser eine weitere Tabelle, in der er seinen Urlaubswunsch wieder vom 18. bis 22. April sowie vom 27. Mai bis (erweitert) 30. Juni 2011 eingetragen hatte.

Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 7. April 2011 (unstrittig fristwahrend) das Dienstverhältnis zum 15. Juni 2011 und teilte dem Kläger darin mit, er könne wie gewünscht vom 18. bis 22. April 2011 und weiters vom 26. Mai bis zum 15. Juni 2011 Urlaub konsumieren.

Nach Zugang dieses Kündigungsschreibens forderte der Kläger vom Geschäftsführer der Beklagten zehn Postensuchtage, dieser antwortete, er genehmige nur sechs.

Der Kläger konsumierte vom 18. bis 22. April 2011 Urlaub. Das letzte Mal arbeitete er am 9. Mai. Vom 10. bis 17. Mai 2011 baute er ein Zeitguthaben ab, vom 18. bis 25. Mai konsumierte er Postensuchtage im Ausmaß von sechs Arbeitstagen, danach blieb er bis zum Ende der Kündigungsfrist im Urlaub.

In der Klage wird Geldersatz für vier nicht konsumierte Postensuchtage begehrt.

Das Erstgericht gab der Klage (unter Abweisung eines im Revisionsverfahren nicht mehr gegenständlichen Mehrbegehrens) statt. Es ging von einem Anspruch auf zehn Postensuchtage aus, die der Kläger nicht zur Gänze konsumieren habe können.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab.

Während der Dauer eines bereits vor der Kündigung vereinbarten Urlaubs bestehe kein gesonderter Anspruch auf Freizeit zur Postensuche. Einzig mit Ausnahme des 26. Mai 2011 seien alle Urlaubstage des Klägers bereits wirksam vereinbart gewesen, bevor er seine Forderung nach Postensuchtagen erhoben habe, sodass mit den konsumierten sechs Arbeitstagen sein Anspruch zur Gänze befriedigt sei. Da höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, welche Auswirkung ein vereinbarter Urlaub auf den Freistellungsanspruch nach § 22 AngG hat, noch nicht bestehe, sei die ordentliche Revision zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Nach § 22 AngG ist dem Angestellten bei Kündigung durch den Dienstgeber während der Kündigungsfrist auf sein Verlangen wöchentlich mindestens ein Fünftel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ohne Schmälerung des Entgelts freizugeben. Der auch als „Postensuchtage“ bezeichnete Anspruch soll dem Arbeitnehmer das Erlangen eines neuen Arbeitsplatzes erleichtern, ist aber nach völlig herrschender Ansicht nicht an den Nachweis einer entsprechenden Verwendung gebunden (ua Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer , AngG Kommentar § 22 Rz 3).

Der Umfang des bezahlten Mindestfreistellungsanspruchs hängt von der Dauer der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder einzelvertraglich vereinbarten längeren Kündigungsfrist ab. Eine „frühzeitige“ Kündigung erhöht den Anspruch nicht ( Karl aaO § 22 AngG Rz 53 mwN). Bei der Berechnung sind angefangene Wochen nach herrschender Auffassung voll zu zählen, sodass im Fall einer Kündigungsfrist von zwei Monaten der Freistellungsanspruch für neun Wochen besteht (vgl Schindler in Mazal/Risak XX Rz 15; Neumayr in Kletečka/Schauer § 1160 Rz 3; Drs in ZellKomm² § 22 AngG Rz 17).

Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend zugrundegelegt (§ 510 Abs 3 ZPO), dass ein Anspruch nach § 22 AngG für jene Zeiten nicht in Betracht kommt, in denen der gekündigte Arbeitnehmer bereits aus anderen Gründen bezahlte Freizeit konsumiert und eine zusätzliche „Freistellung“ begrifflich nicht möglich ist. Das gilt bei fristwidriger Kündigung oder unberechtigter Entlassung für jenen Zeitraum, in dem eine Kündigungsentschädigung gebührt (RIS Justiz RS0114301), das gilt aber insbesondere auch für die Dauer eines vereinbarten Erholungsurlaubs.

Der Anspruch auf Gewährung von Postensuchtagen entsteht nicht bereits ex lege durch die Kündigung, sondern erst durch das darauf gerichtete Verlangen des Arbeitnehmers (ua Drs aaO § 22 AngG Rz 11; dies , Postensuchtage und Urlaub, RdW 2003, 580 [583]; Karl aaO § 22 AngG Rz 506 [528]). Für die Frage, ob ein in der Kündigungsfrist gelegener Erholungsurlaub wirksam vereinbart werden konnte, ohne in den Freistellungsanspruch einzugreifen, kommt es entgegen der Auffassung der Revision daher nicht auf den Zugang der Kündigung, sondern auf den Zugang des Verlangens nach § 22 AngG an. Der Kläger hat sein Freistellungsbegehren erst nach der ausdrücklichen Annahme seines Urlaubsantrags durch die Beklagte erhoben (der zu diesem Zeitpunkt einzig noch nicht fixierte 26. Mai 2011 ist für die Berechnung ohne Relevanz).

Ob ein Angestellter von einer in Unkenntnis der nachfolgenden Kündigung getroffenen Urlaubsvereinbarung unter Umständen aus wichtigem Grund zurücktreten könnte, steht im vorliegenden Fall nicht zur Prüfung an, weil ein Rücktritt vom Kläger nicht behauptet wurde.

Nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt kam zwischen Kläger und Beklagter vor dem Verlangen gemäß § 22 AngG eine bindende Urlaubsvereinbarung über mehr als drei Arbeitswochen (18. bis 22. 4 und 27. 5. bis 15. 6. 2011) zustande. Ausgehend von insgesamt neun Wochen Kündigungsfrist abzüglich drei Urlaubswochen verblieb dem Kläger daher ein Anspruch auf bezahlte Freistellung iSd § 22 AngG für sechs Wochen. Diese Freizeit hat er mit den ihm gewährten sechs Postensuchtagen zur Gänze konsumiert.

Einem Angestellten kann theoretisch bei Vorliegen eines erhöhten Bedarfs die Freistellung auch für einen längeren Zeitraum zu gewähren sein, weil der Gesetzgeber in § 22 AngG ausdrücklich nur einen Mindestanspruch für die Freistellung festgelegt hat ( Karl aaO § 22 AngG Rz 45; 4 Ob 114/80, DRdA 1982/11, 214 [ Wilhelm ] = ARD 3285/13/81; 4 Ob 19/83, RdW 1984, 319 = ARD 3596/9/84; Drs , RdW 2003, 520 FN 6; dies , RdW 2003, 580 FN 2). Die Behauptungs und Beweislast für einen erheblichen Mehrbedarf läge allerdings beim Kläger, der in dieser Hinsicht nichts vorgebracht hat.

Der Revision war daher keine Folge zu geben. Gemäß § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO hat der Kläger der Beklagten die Kosten der Revisionsbeantwortung zu erstatten.