JudikaturJustiz8Ob7/86

8Ob7/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. April 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Werner S***, Maler, Tauernstraße 26, 8784 Trieben, vertreten durch Dr. Alois Kitzmüller, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagten Parteien 1.) Hannes H***, Kraftfahrer, 5531 Eben im Pongau 30, 2.) Hubert J***, Transportunternehmer, Sinnhub 41, 5541 Altenmarkt, und

3.) S*** L*** AG, Auerspergstraße 9, 5021 Salzburg, alle vertreten durch Dr. Herwig Trnka, Rechtsanwalt in Leoben, wegen S 185.000,-- s.A. und Feststellung (S 100.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 15. Oktober 1985, GZ. 7 R 153/85-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 5. Juli 1985, GZ. 4 Cg 6/84-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Am 27.9.1983 ereignete sich gegen 16,50 Uhr auf der Bundesstraße 145 zwischen Trautenfels und Tauplitz bei Km 109 ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen St 535.013 und der Erstbeklagte als Lenker des LKW-Zuges mit den Kennzeichen S 61.106 (Zugwagen) und S 169.415 (Anhänger) beteiligt waren. Der Zweitbeklagte ist der Halter, die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer dieses LKW-Zuges. Der in Richtung Tauplitz fahrende Kläger fuhr mit seinem PKW gegen den Anhänger des LKW-Zuges, der sich (in Fahrtrichtung des Klägers gesehen) auf der Überholspur befand. Dabei wurden der Kläger und seine im PKW mitfahrende Ehegattin verletzt; beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde gegen beide beteiligte Lenker zu U 563/83 des Bezirksgerichtes Irdning ein Strafverfahren eingeleitet. Der Kläger wurde mit rechtskräftiger Strafverfügung vom 28.11.1983 des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.4 erster Fall StGB schuldig erkannt; es wurde ihm zur Last gelegt, daß er infolge überhöhter Geschwindigkeit auf den Anhänger des LKW-Zuges aufgefahren sei. Der Erstbeklagte wurde mit rechtskräftigem Urteil des Berufungsgerichtes vom 11.10.1984 gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 185.000,-- s.A. (das sind zwei Drittel der behaupteten Ersatzansprüche des Klägers an Fahrzeugschaden, Ummeldekosten, Bergungs- und Abschleppkosten, Kleiderschaden und Schmerzengeld); überdies stellte er ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für zwei Drittel der künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß den Erstbeklagten ein mit zwei Dritteln zu bewertendes Verschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil er ohne Notwendigkeit den Versuch unternommen habe, mit dem von ihm gelenkten LKW-Zug die Bundesstraße 145 reversierend von rechts nach links zu überqueren und dabei durch einen längeren Zeitraum eine extrem gefährliche Situation für die übrigen Verkehrsteilnehmer heraufbeschworen habe. Dem gegenüber sei das in einer möglichen Reaktionsverzögerung liegende Mitverschulden des Klägers geringer, nämlich nur mit einem Drittel, zu bewerten.

Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im wesentlichen ein, das Alleinverschulden an diesem Verkehrunfall treffe den Kläger. Der Erstbeklagte habe den infolge einer Betriebsstörung zum Stillstand gekommenen LKW-Zug von der Fahrbahn entfernen müssen und habe ihn deswegen mit eingeschalteter Warnblinkanlage unter Ausnützung des Gefälles in Rückwärtsfahrt auf einen Parkplatz westlich der Bundesstraße zurücklenken wollen. Da während dieses Fahrmanövers aus Richtung Trautenfels mehrere Kraftfahrzeuge herangekommen seien, habe der Erstbeklagte den LKW-Zug am mittleren Fahrstreifen angehalten. Der mit überhöhter Geschwindigkeit auf diesem Fahrstreifen fahrende Kläger habe den LKW-Zug zu spät wahrgenommen und sei gegen das Heck des Anhängers gestoßen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Bundesstraße 145 verläuft im Unfallsbereich annähernd in Ost-West-Richtung. Als Bezugslinie wurde eine Fahrbahnnormale auf Höhe des Straßenkilometers 109,0 angenommen. Die Bundesstraße beschreibt aus Osten kommend - das ist in der Anfahrtsrichtung des PKW des Klägers - eine langgezogene Linkskurve mit einer Richtungsänderung von nahezu 180 Grad. Diese Linkskurve erstreckt sich zwischen den Positionen etwa 700 m östlich bis 300 m westlich der Bezugslinie. In Richtung Westen steigt die Bundesstraße mit 5 % an. Die Fahrbahn ist mit einer gut griffigen 12 m breiten Asphaltdecke befestigt; durch weiße Randlinien entlang der Fahrbahnränder besteht eine markierte Fahrbahnbreite von 11 m. Durch Leitlinien und eine doppelte Sperrlinie sind 3 Fahrstreifen markiert, wobei der nördliche und der mittlere Fahrstreifen jeweils eine Breite von 3,5 m aufweisen und durch eine Leitlinie voneinander getrennt sind. Der südliche Fahrstreifen hat eine Breite von 4 m und ist gegenüber dem mittleren Fahrstreifen durch eine doppelte Sperrlinie begrenzt. Diese doppelte Sperrlinie ist zwischen den Positionen 16 und 21 m östlich der Bezugslinie unterbrochen und in diesem Bereich als doppelte Leitlinie ausgeführt. Zu beiden Seiten der Fahrbahn sind Bankette angelegt, auf denen jeweils Metalleitschienen errichtet sind. Nördlich der Fahrbahn beginnt die Leitschiene 7 m östlich der Bezugslinie und erstreckt sich von dort in Richtung Westen. Die südliche Metalleitschiene reicht bis zu einer Position 25 m östlich der Bezugslinie. In diesem Bereich beginnt die Einfahrt zu einem südlich der Bundesstraße gelegenen asphaltierten Parkstreifen, die in einem flachen Winkel von etwa 20 Grad zur Fahrbahnlängsachse der Bundesstraße angelegt und mit einer Asphaltdecke befestigt ist. Die Begrenzung der Einfahrtseinmündung in die Bundesstraße liegt zwischen den Positionen 27 und 55 m östlich der Bezugslinie.

Die Bundesstraße verläuft im Unfallsbereich als Freilandstraße. Eine spezielle ziffernmäßige Geschwindigkeitsbeschränkung ist nicht vorgeschrieben: Verkehrszeichen im Hinblick auf das Unfallgeschehen sind keine aufgestellt.

Aus Richtung Osten kommend ist ein LKW-Zug im Bereich der Bezugslinie vom nördlichen Fahrstreifen aus einer Position 320 m östlich der Bezugslinie erstmals zu beobachten. Vom mittleren Fahrstreifen kann ein LKW-Zug im Bereich der Bezugslinie erstmals aus der Position 300 m östlich der Bezugslinie beobachtet werden. Am Unfallstag lenkte der Erstbeklagte den LKW-Zug auf der Bundesstraße 145 aus Trautenfels (Osten) kommend in Richtung Tauplitz (Westen). Der LKW-Zug war mit Rundholz beladen und befuhr den nördlichen Fahrstreifen. Im Zuge des Bergauffahrens trat am Zugfahrzeug ein Motorschaden (ein sogenannter "Verreiber") auf, worauf der Erstbeklagte den LKW-Zug in einer Position etwa 28,5 m westlich der Bezugslinie (bezogen auf das Heck des Anhängers) am rechten (nördlichen) Fahrstreifen mit den rechten Rädern an der Randlinie zum Stillstand brachte. Der Erstbeklagte schaltete die Warnblinkanlage ein, stellte jedoch kein Warndreieck auf. Eine Fortsetzung der Fahrt in Richtung Tauplitz war auf Grund des Motorschadens nicht möglich. Anschließend versuchte der Erstbeklagte, den Motor zu starten, was aber nicht gelang. Daraufhin faßte er den Entschluß, den LKW-Zug auf den südlich der Bundesstraße gelegenen Parkplatz zu lenken, weil auf diesem das Umladen der Ladung leichter möglich gewesen wäre. Zu diesem Zweck ließ der Erstbeklagte den LKW-Zug mit abgestelltem Motor vorerst um ca. eine Zuglänge (15,6 m) auf dem rechten Fahrstreifen zurück in östliche Richtung bis in eine Position 13 m westlich der Bezugslinie (bezogen auf das Heck des Anhängers) rollen. In dieser Position hielt er den LKW-Zug an und versuchte neuerlich, den Motor zu starten, was diesmal auch gelang. Ein Abstellen des LKW-Zuges außerhalb des rechten Fahrbahnrandes war wegen der in diesem Bereich aufgestellten Leitschiene nicht möglich.

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß keine Fahrzeuge nachkamen, begann der Erstbeklagte mit dem LKW-Zug die Fahrbahn von Norden nach Süden im Zurückrollen zu queren. In der Folge mußte er den LKW-Zug anhalten, weil aus Richtung Osten ein PKW herankam. Dieser PKW wurde angehalten, weil der LKW-Zug beide bergwärts führende Fahrstreifen verstellte, überholte dann aber den LKW-Zug durch Überfahren der doppelten Sperrlinie und fuhr in Richtung Westen weiter. Der Erstbeklagte setzte daraufhin sein Rückrollmanöver fort und gelangte schließlich mit dem Heck des Anhängers in eine Position etwa 12,5 m östlich der Bezugslinie, wo er den LKW-Zug wieder anhielt, weil er aus Richtung Osten weitere Fahrzeuge nachkommen sah. Der LKW-Zug befand sich dabei in einer Schrägstellung von etwa 3,7 Grad, wobei die linke Heckecke im Bereich der doppelten Sperrlinie und die rechte Frontecke im Bereich der Leitlinie zwischen den beiden nördlichen Fahrstreifen zu stehen kam.

Zur selben Zeit näherte sich der PKW des Zeugen K*** mit einer Geschwindigkeit von etwa 90 bis 100 km/h der späteren Unfallstelle aus Osten kommend. Etwa zu dem Zeitpunkt, als der Erstbeklagte den LKW-Zug in der Position 12,5 m östlich der Bezugslinie angehalten hatte, wurde er vom Zeugen K*** aus einer Position etwa 245 m östlich der Bezugslinie erstmals wahrgenommen. Weil der Zeuge durch die Sonne geblendet wurde und nicht erkennen konnte, ob sich der LKW-Zug im Stillstand befand oder nicht und wo er sich in Bezug auf die Fahrbahn befand, leitete er eine Bremsung mit einer Verzögerung von 1,7 m/sec 2 ein. Im Moment der ersten Sicht des Zeugen K*** auf den LKW-Zug befand sich der PKW des Klägers in einer Position etwa 450 m östlich der Bezugslinie in Richtung Westen fahrend. In dieser Position überholte der Kläger das Fahrzeug des Zeugen P***, das mit einer Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h unterwegs war. Nachdem der Zeuge K*** den Bremsentschluß gefaßt hatte, brachte er sein Fahrzeug nach einer Zeitspanne von 16,4 Sekunden rund 5 m hinter dem LKW-Zug (7,5 m östlich der Bezugslinie) auf dem nördlichen Fahrstreifen zum Stillstand. Inzwischen hatte sich der PKW des Klägers dem LKW-Zug genähert. Der Kläger faßte 73,6 m östlich der Bezugslinie auf dem mittleren Fahrstreifen fahrend aus einer Geschwindigkeit von 105 km/h den Bremsentschluß. 2,6 Sekunden nach dem Bremsentschluß (eine Reaktionssekunde und 0,3 Sekunden Spurenaufbauzeit sind darin enthalten) prallte der PKW des Klägers 12,5 m östlich der Bezugslinie mit seiner Frontpartie gegen den Unterfahrschutz des Anhängers des LKW-Zuges, nachdem der PKW eine Bremsspur von 23,45 m abgezeichnet hatte. Die Anprallgeschwindigkeit des PKW betrug ca. 70 km/h.

Zur Unfallszeit war die Sicht im Bereich der Unfallstelle durch die im Westen tiefstehende Sonne stark eingeschränkt, sodaß nur die Konturen der Fahrzeuge erkennbar waren. War die Sicht durch die tiefstehende Sonne auf etwa 60 m eingeschränkt, so hätte der Kläger sein Fahrzeug über diese Strecke aus einer Geschwindigkeit von 84 km/h mit einer Verzögerung von 7,5 m/sec 2 bei einer Reaktionssekunde anhalten können.

Dem Kläger wäre ein Auslenken nach links ohne Geschwindigkeitsverminderung über eine Distanz von 61,1 m technisch möglich gewesen, wobei sein Fahrzeug eine Querverzögerung von 3 m/sec 2 erzielen hätte müssen, um eine Versetzung von 3 m nach links auszuführen und anstoßfrei am Anhänger vorbeizukommen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Erstbeklagte gemäß § 89 a Abs.1 StVO verpflichtet gewesen sei, für die eheste Entfernung des LKW-Zuges von der Fahrbahn zu sorgen. In Erfüllung dieser Verpfichtung habe der Erstbeklagte die einzige verbleibende Möglichkeit des Zurückrollens in die südlich der Fahrbahn gelegene Parkplatzeinfahrt gewählt. Dieses Rückrollmanöver habe der Erstbeklagte langsam (mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h) und vorsichtig (Anhalten wegen nachkommender Fahrzeuge) auf einer übersichtlichen Straßenstelle ausgeführt, sodaß ihm daraus kein Vorwurf zu machen sei. Eine Pflicht zur Aufstellung eines Warndreieckes gemäß § 89 Abs.2 StVO habe für den Erstbeklagten nicht bestanden, weil die Sichtweite an der Unfallstelle ausreichend gewesen sei und weder Dämmerung noch Dunkelheit geherrscht habe; die durch die tiefstehende Sonne hervorgerufene Blendung könne nicht als witterungsbedingte schlechte Sicht gelten.

Dem Kläger wäre es möglich gewesen, den LKW-Zug aus einer Entfernung, die ein gefahrloses Anhalten erlaubt hätte, wahrzunehmen. Er sei aber unaufmerksam gewesen und habe deshalb den LKW-Zug nicht wahrgenommen. Sei die Sichtmöglichkeit des Klägers durch die tiefstehende Sonne eingeschränkt gewesen, dann sei die von ihm eingehaltene Fahrgeschwindigkeit weitaus überhöht gewesen. Bei Wahl einer den Sichtverhältnissen angepaßten Fahrgeschwindigkeit und bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte der Kläger erkennen müssen, daß die nördliche Fahrspur frei gewesen sei; er hätte ohne weiteres auf diese Fahrspur ausweichen können.

Unter diesen Umständen könne dem Erstbeklagten kein Verschulden an diesem Verkehrsunfall angelastet werden; vielmehr falle das Alleinverschulden dem Kläger zur Last.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, daß die Vorschrift des § 89 a Abs.1 StVO nicht dahin mißverstanden werden dürfe, daß die dort normierte Entfernungsverpflichtung gleichsam um ihrer selbst willen und ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles selbst dann erfüllt werden müsse, wenn dies nur unter Beeinträchtigung der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer möglich wäre. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor. Die Sicht auf den havarierten LKW-Zug aus der Anfahrtsrichtung des Klägers sei derart günstig gewesen, daß - besondere Sorgfalt des Erstbeklagten vorausgesetzt - das Rückfahrmanöver nicht bloß riskiert habe werden dürfen, sondern sich angesichts des in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle befindlichen Parkplatzes für einen gewissenhaften Verkehrsteilnehmer geradezu aufgedrängt habe. Der LKW-Zug wäre, selbst wenn er nur 2 m in die Fahrbahn geragt hätte, als ein Hindernis im Sinne des § 89 a Abs.1 StVO anzusehen gewesen, welches grundsätzlich von der Fahrbahn entfernt habe werden müssen. Dies jedenfalls dann, wenn sich - wie hier - in unmittelbarer Nähe ein Parkplatz befunden habe und dieser unter Beobachtung der übrigen Vorschriften der StVO auf relativ einfache Weise erreicht habe werden können. Der Erstbeklagte habe angesichts des Gefälles und der 5 m langen Unterbrechung der Sperrlinie (16 bis 21 m östlich der Bezugslinie) den LKW-Zug sowohl durch bloßes Zurückrollenlassen als auch unter Betätigung des Motors auf diesen Parkplatz lenken und damit das Hindernis von der Fahrbahn beseitigen können. Unter diesen Umständen sei es nicht zu beanständen, daß sich der Erstbeklagte zu dem in Rede stehenden Rückfahrmanöver entschlossen habe. Dieses Rückfahrmanöver des Erstbeklagten habe aber zwangsläufig in sich geschlossen, daß er auch - vorübergehend - auf der Überholspur fahren und diese blockieren mußte. Dieser Vorgang stelle demnach im vorliegenden besonders gelagerten Fall keinen Verstoß gegen die allgemeine Fahrordnung des § 7 Abs.1 StVO dar.

Allerdings erfordere ein Rückwärtsfahrmanöver besondere Vorsicht und Rücksichtnahme auf den übrigen Verkehr. Wenn es die Verkehrssicherheit erfordere, müsse sich ein Lenker beim Rückwärtsfahren sogar von einer geeigneten Person einweisen lassen. Diesen Erfordernissen habe im vorliegenden Fall der Erstbeklagte durch sein festgestelltes vorsichtiges Rückwärtsfahrmanöver ausreichend Rechnung getragen. Dazu komme, daß sich der Unfall selbst nicht im Zuge des Rückwärtsfahrens des LKW-Zuges ereignet habe, sondern in einem Zeitpunkt, als dieser LKW-Zug vom Erstbeklagten bereits zum Stillstand gebracht gewesen sei. Der Vorschrift des § 14 Abs.2 StVO könne nicht entnommen werden, daß im vorliegenden Fall dem Erstbeklagten ein Rückwärtsfahren generell verboten gewesen wäre. Halte man sich weiter vor Augen, daß der Kläger nicht einmal die am LKW-Zug in Tätigkeit befindliche Warnblinkanlage bemerkt habe, müsse angenommen werden, daß auch bei Tätigwerden eines Einweisers der Unfall in der vorliegenden Form stattgefunden hätte.

Dem Erstbeklagten könne auch nicht angelastet werden, daß er im Sinne des § 89 Abs.2 StVO keine Warneinrichtung aufstellte, weil zur Unfallszeit die Sicht witterungsbedingt nicht beeinträchtigt gewesen sei. Eine mögliche Blendung nachkommender Fahrzeuge durch die tiefstehende Sonne stelle keine witterungsbedingte Sichtbeeinträchtigung dar.

Daß der Erstbeklagte den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens (Fahren von der sogenannten Kriechspur auf die Überholspur) nicht im Sinne des § 11 Abs.2 StVO angezeigt, sondern nur die Warnblinkanlage betätigt habe, sei für den Eintritt des Schadens nicht kausal gewesen. Der Kläger habe nämlich den auf der Überholspur stehenden LKW-Zug, an dem überdies die Warnblinkanlage tätig gewesen sei, zu spät gesehen, sodaß diesbezüglich den Beklagten der Nachweis gelungen sei, daß auch rechtmäßiges Alternativverhalten des Erstbeklagten den Schaden nicht abgewendet hätte.

Selbst wenn man davon ausgehen wollte, daß der Anhänger des LKW-Zuges mit dem linken Hinterrad bereits auf der Sperrlinie zum Stillstand gekommen sein sollte, was an sich ein Verstoß gegen § 9 Abs.1 StVO wäre, könnte der Kläger aus einem solchen Verstoß gegen die als Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB anzusehende Bestimmung des § 9 Abs.1 StVO nichts für seinen Standpunkt ableiten, weil einerseits dieser Verstoß für das Unfallgeschehen nicht kausal gewesen sei und überdies das Verbot, Sperrlinien zu überfahren, dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht jedoch des nachfolgenden Verkehrs diene.

Da das Verschulden des Klägers am Zustandekommen dieses Unfalles eindeutig und gravierend sei, bestehe im Sinne des § 11 Abs.1 EKHG keine Möglichkeit, den Zweitbeklagten und die Drittbeklagte zum Ersatz heranzuziehen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er bekämpft es aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Umfang der Entscheidung über das Feststellungsbegehren im Sinne der Stattgebung dieses Begehrens abzuändern und es im übrigen aufzuheben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagten haben eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung des Streitgegenstandes im Sinne des § 500 Abs.2 Z 3 ZPO ist die Revision ohne die im § 503 Abs.2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig. Sie ist auch sachlich berechtigt. Mit Recht wendet sich der Kläger gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, daß dem Erstbeklagten kein Verschulden an diesem Verkehrsunfall anzulasten sei.

Gemäß § 89 a Abs.1 zweiter Satz StVO hat der Lenker, wenn mit einem Fahrzeug wegen einer Betriebsstörung die Fahrt nicht fortgesetzt werden kann, für die eheste Entfernung des Fahrzeuges von der Fahrbahn zu sorgen, wenn das Fahrzeug ein Hindernis bildet. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen konnte der Erstbeklagte infolge der aufgetretenen Betriebsstörung die Fahrt in Richtung Tauplitz nicht mehr fortsetzen. Im übrigen hätte der LKW-Zug zweifellos ein Verkehrshindernis gebildet, wenn er auf dem nördlichen Fahrstreifen abgestellt worden wäre, weil er diesen nach den Feststellungen der Vorinstanzen 3,5 m breiten Fahrstreifen sehr weitgehend blockiert hätte. Die Voraussetzungen des § 89 a Abs.1 zweiter Satz StVO lagen daher für den Erstbeklagten vor. Das Berufungsgericht hat durchaus zutreffend darauf verwiesen, daß diese Gesetzesstelle den Lenker nicht zur Vornahme der Straßenverkehrsordnung widersprechender Fahrmanöver berechtigt; war die Entfernung des zum Stillstand gekommenen Fahrzeuges für den Lenker nur unter dieser Voraussetzung möglich, dann mußte er sie unterlassen.

Nach ständiger Rechtsprechung erfordert das Rückwärtsfahren unter allen Umständen erhöhte Aufmerksamkeit und besondere Vorsicht. Der Lenker eines Kraftfahrzeuges ist verpflichtet, bei jedem Rückwärtsfahren sich durch eigenen Augenschein oder durch entsprechende Verständigung mit einer als Einweiser fungierenden Person die Überzeugung zu verschaffen, daß sich auf der von ihm zu befahrenden Verkehrsfläche niemand im Gefahrenbereich befindet und durch das Weiterfahren eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit von Personen nicht eintreten kann (Dittrich-Veit-Schuchlenz StVO 3 § 14 Anm.19 a und 21 und die dort angeführte Judikatur). Ist der Lenker eines Kraftfahrzeuges nicht in der Lage, ein Rückwärtsfahrmanöver ohne Behinderung des fließenden Verkehrs durchzuführen, muß er davon von vornherein Abstand nehmen (vgl.ZVR 1974/130; ZVR 1980/269; ZVR 1982/175; 8 Ob 52/85 ua.). Im vorliegenden Fall war der Erstbeklagte keinesfalls in der Lage, sich durch eigenen Augenschein die Überzeugung zu verschaffen, daß er durch sein Rückwärtsfahrmanöver den fließenden Verkehr nicht behinderte und niemand gefährdete, zumal er im Zuge dieses Fahrmanövers auch die Überholspur befuhr und er damit rechnen mußte, daß sich gerade auf dieser Fahrspur Fahrzeuge mit hohen Geschwindigkeiten nähern würden, wobei die Sicht ihrer Lenker überdies noch durch die im Westen tiefstehende Sonne beeinträchtigt wurde. Eine Behinderung solcher Fahrzeuge und eine Gefährdung ihrer Lenker durch sein Rückwärtsfahrmanöver konnte der Erstbeklagte gerade durch den Umstand, daß er den LKW-Zug nur langsam zurückrollen lassen konnte und daß dieser daher auf längere Zeit ein erhebliches Verkehrshindernis bilden mußte, nicht vermeiden. Durch Anhalten des LKW-Zuges - zumal auf der Überholspur - bei Wahrnehmung von Nachfolgeverkehr war dessen Behinderung und Gefährdung keinesfalls vermeidbar. Unter diesen Umständen hätte der Erstbeklagte aber im Sinne der dargestellten Rechtsprechung von seinem Rückwärtsfahrmanöver von vornherein Abstand nehmen müssen. Es trifft daher auch den Erstbeklagten ein Verschulden an dem eingetretenen Unfall, das nicht vernachlässigt werden kann. Es ist allerdings schon deswegen milder zu beurteilen als das des Klägers, weil der Erstbeklagte sein Fehlverhalten immerhin in der Absicht setzte, dem Gebot des § 89 a Abs.1 zweiter Satz StVO nachzukommen. Im übrigen wird das Gewicht des Fehlverhaltens des Erstbeklagten auch ansonsten durch das des Klägers überwogen, der nicht nur die im § 20 Abs.2 StVO normierte Geschwindigkeitsbeschränkung übertrat, sondern auch noch auf das durch den auf der Überholspur angehaltenen LKW-Zug gebildete Verkehrshindernis verspätet und unzureichend reagierte. Im Hinblick auf diese im vorliegenden Fall gegebenen Umstände erscheint eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 3 zu Lasten des Klägers angemessen.

Obwohl somit die Frage der Verschuldensteilung erschöpfend zu beurteilen ist, kann über das Klagebegehren noch nicht zur Gänze abgesprochen werden, weil sich auf Grund der getroffenen Feststellungen die Höhe des Leistungsbegehrens nicht endgültig beurteilen läßt und im Zusammenhang mit dem Feststellungsbegehren der Einwand der Vernachlässigung der Gurtenanlegepflicht nicht erörtert wurde.

Es waren daher in Stattgebung der Revision des Klägers die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Die Rechtssache war zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen, das die zur endgültigen Beurteilung des Leistungs- und des Feststellungsbegehrens des Klägers erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird.

Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.