JudikaturJustiz8Ob118/23w

8Ob118/23w – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagten Parteien 1. P* GmbH, *, und 2. V* AG, *, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 13.641,60 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 30. Juni 2023, GZ 13 R 176/20k 56, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Güssing vom 30. September 2020, GZ 2 C 672/18b 46, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird teilweise bestätigt, sodass es als Teilurteil lautet:

„1. Der zwischen der klagenden Partei und der erstbeklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag vom 9. 12. 2011 über den Ankauf des KFZ Skoda Octavia Combi Elegance TDI, Fahrgestellnummer *, um 23.200 EUR wird aufgehoben.

2. Die Klageforderung gegen die erstbeklagte Partei besteht mit 10.990,59 EUR zu Recht.

3. Die aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung der erstbeklagten Partei besteht nicht zu Recht.

4. Die erstbeklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei 10.990,59 EUR samt 4 % Zinsen aus 23.200 EUR von 24. 3. 2012 bis 12. 7. 2018 und aus 10.990,59 EUR seit 13. 7. 2018 Zug um Zug gegen Rückgabe des KFZ Skoda Octavia Combi Elegance TDI, Fahrgestellnummer *, binnen 14 Tagen zu bezahlen.

5. Das Begehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei weitere 2.651,01 EUR samt 4 % Zinsen pa aus 2.651,01 EUR seit 13. 7. 2018 zu bezahlen, wird abgewiesen.

6. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Im Übrigen, nämlich hinsichtlich des gegen die zweitbeklagte Partei gerichteten Zahlungsbegehrens über 10.990,59 EUR sA, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger erwarb am 9. 12. 2011 bei der Erstbeklagten ein Fahrzeug der Type Skoda Octavia Combi Elegance TDI zum Preis von 23.200 EUR. Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Die in der Motorsteuerung des Fahrzeugs ursprünglich enthaltene „Umschaltlogik“ erkannte einen Prüfstandlauf und reduzierte im normalen Fahrbetrieb die Abgasrückführung. Der Kläger erfuhr Mitte 2015 aus den Medien vom sogenannten Abgasskandal. Mit Schreiben vom 8. 10. 2015 wurde er darüber in Kenntnis gesetzt, dass auch sein Fahrzeug betroffen sei und er sich an eine Werkstätte wenden solle. Daraufhin wurde von den Beklagten am 30. 6. 2017 am Fahrzeug ein Software-Update durchgeführt, das die in der Motorsteuerung enthaltene „Umschaltlogik“ entfernte, aber ein „Thermofenster“ implementierte, welches die Abgasrückführung außerhalb eines Temperaturbereichs von 15° C bis 33° C reduzierte. Hätte der Kläger gewusst, dass das Fahrzeug nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Der Kläger hat mit dem Fahrzeug, bei dem eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zu erwarten ist, mittlerweile 131.567 km zurückgelegt.

[2] Der Kläger begehrt mit seiner am 5. 6. 2018 eingebrachten Klage die Aufhebung des Kaufvertrags sowie die Zahlung von 13.641,60 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs, hilfsweise 6.000 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für Schäden aus der unzulässigen Abschaltvorrichtung. Das Fahrzeug entspreche auch nach dem Software-Update nicht den geltenden Zulassungsvorschriften. Die Gewährleistungsfrist gegenüber der Erstbeklagten habe durch den Verbesserungsversuch neu zu laufen begonnen. Die Zweitbeklagte würde eine listige, jedenfalls aber schuldhafte Irreführung verantworten, weil sie das Fahrzeug als besonders umweltschonend beworben habe. Der Kläger habe Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags, wobei er sich ein Benützungsentgelt von 9.558,40 EUR anrechnen lasse, jedenfalls aber Anspruch auf eine Preisminderung von 6.000 EUR.

[3] Die Beklagten wenden ein, dass die Gewährleistungsansprüche gegenüber der Erstbeklagten verjährt seien. Das Fahrzeug entspreche den geltenden Zulassungsvorschriften und verfüge über eine aufrechte EG Typengenehmigung, sodass kein Sachmangel und kein Schaden vorliege. Darüber hinaus halten die Beklagten der Klagsforderung eine dem Zeitwert des Fahrzeugs entsprechende Gegenforderung von 16.260 EUR aufrechnungsweise entgegen.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auch wenn das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entsprochen habe, sei dieser Mangel durch das Software-Update behoben worden.

[5] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es der auf Aufhebung des Kaufvertrags gerichteten Klage stattgab, das Nichtbestehen der eingewendeten Gegenforderung feststellte und die Beklagten unter Abweisung des Mehrbegehrens zur Zahlung von 10.990,59 EUR Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs verpflichtete. Das Fahrzeug sei im Zeitpunkt der Übergabe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet gewesen und würde auch nach dem Software Update nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entsprechen, weil das „Thermofenster“ dazu führe, dass die Abgasrückführung angesichts der in Österreich vorherrschenden Temperaturen den überwiegenden Teil des Jahres nur eingeschränkt funktioniere.

[6] Da es sich um einen nicht geringfügigen Mangel handle und ein Verbesserungsversuch fehlgeschlagen sei, habe der Kläger gegenüber der Erstbeklagten Anspruch auf Wandlung des Kaufvertrags, wobei dieser Anspruch auch nicht verjährt sei, weil durch den Verbesserungsversuch eine neue Gewährleistungsfrist begonnen habe. Darüber hinaus verfüge der Kläger gegenüber der Zweitbeklagten über einen inhaltsgleichen Schadenersatzanspruch, weil die geltenden Zulassungsvorschriften als Schutzgesetze zu Gunsten des Fahrzeugkäufers zu qualifizieren seien und der Kläger das Fahrzeug bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht erworben hätte. Feststellungen zu einem vorsätzlichen Handeln der Zweitbeklagten seien nicht erforderlich, weil der Vorwurf einer fahrlässigen Irreführung nicht hinreichend konkret bestritten worden sei. Der Kläger müsse sich aber ein Benützungsentgelt anrechnen lassen, das sich angesichts der erwartbaren Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs mit 12.209,41 EUR errechne.

[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die Vielzahl an zum „Abgasskandal“ gerichtsanhängigen Verfahren zur Frage der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs und der Verjährung des Gewährleistungsanspruchs zulässig sei.

[8] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Der Kläger beantragt die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zur Klarstellung hinsichtlich der Haftung der Zweitbeklagten zulässig und sohin im Sinne des Aufhebungsantrags auch teilweise berechtigt.

[11] 1. Der Oberste Gerichtshof hat zu 10 Ob 2/23a nach Einholung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juli 2022, C-145/20, klargestellt, dass eine „Umschaltlogik“, wie sie auch im Fahrzeug des Klägers verbaut war, eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt und der damit verbundene Sachmangel auch durch ein Software-Update nicht behoben wird, wenn diese Software ein „Thermofenster“ zwischen 15° C bis 33° C beinhaltet, aufgrund dessen die Abgasrückführung aufgrund der in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten des Jahres uneingeschränkt funktioniert (ebenso 6 Ob 150/22k und 3 Ob 121/23z).

[12] 2. Die Beklagten rügen als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, dass die Unzulässigkeit einer temperaturabhängigen Abschaltvorrichtung nicht erörtert worden sei. Richtig ist, dass das Gericht die Parteien nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen darf, die sie nicht beachtet haben und auf die sie nicht aufmerksam gemacht wurden (RIS Justiz RS0037300; RS0108816). Das gilt auch im Berufungsverfahren (RS0037300 [T1]). Im vorliegenden Fall hat sich aber schon der Kläger darauf gestützt, dass die Abgasrückführung angesichts der herrschenden klimatischen Verhältnisse den überwiegenden Teil des Jahres nur eingeschränkt funktioniere, sodass diesbezüglich auch kein weiterer Erörterungsbedarf bestand (2 Ob 5/23h; 8 Ob 21/23f; 10 Ob 2/23a).

[13] 3. Die Rechtsansicht der Beklagten, wonach es nicht auf die Temperaturverhältnisse in Österreich, sondern auf die durchschnittliche Umgebungstemperatur im Unionsgebiet ankomme, wurde vom Obersten Gerichtshof zu 3 Ob 40/23p ausdrücklich abgelehnt. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof unlängst mit ausführlicher Begründung ausgesprochen, dass es angesichts der jedenfalls unzulässigen Abschalteinrichtung nicht darauf ankommt, ob Emissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb trotz der unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten werden (10 Ob 31/23s; ebenso BGH VIa ZR 335/21 Rn 51; anders noch 3 Ob 77/23d).

[14] 4. Was den von der Erstbeklagten erhobenen Einwand der Verjährung betrifft, hat der Oberste Gerichtshof zu 8 Ob 40/23z festgehalten, dass ein Käufer, der unter Hinweis auf die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom „Dieselskandal“ zur Durchführung eines Software-Updates aufgefordert wird, dieses Verhalten dahin verstehen muss, dass die Gewährleistung aus dem Verkauf eines den geltenden Abgasvorschriften widersprechenden Fahrzeugs anerkannt und auf die Einrede der bereits eingetretenen Verjährung verzichtet wird. Soweit die Beklagten einwenden, dass die Erstbeklagte mit dem Software-Update „nichts zu tun“ gehabt habe, setzen sie sich in Widerspruch mit den getroffenen Feststellungen, wonach das Software-Update „von den Beklagten durchgeführt“ wurde.

[15] 5. Nachdem der Verbesserungsversuch gescheitert ist, weil das Fahrzeug auch nach dem Software-Update nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht, und es sich auch um keinen bloß geringfügigen Mangel handelt, hat der Kläger gegenüber der Erstbeklagten Anspruch auf Wandlung des Kaufvertrags und Rückzahlung des Kaufpreises, sodass das Urteil des Berufungsgerichts insoweit zu bestätigen war. Demgegenüber besteht kein vertragliches Verhältnis zur Zweitbeklagten, wodurch sich allfällige Ansprüche gegen die Zweitbeklagte nach allgemeinem Schadenersatzrecht richten.

[16] 6. Die VO 715/2007/EG, auf die sich der Kläger beruft, regelt die Anforderungen, welche die Hersteller von Neufahrzeugen erfüllen müssen, um eine EG Typengenehmigung zu erhalten. Der EuGH hat zu C 100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG , ausgesprochen, dass diese Regelungen die Interessen des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs schützen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Der Kläger hat aber gar nicht behauptet, dass die Zweitbeklagte das Fahrzeug hergestellt hätte. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 3 Ob 40/23p darauf hingewiesen, dass eine deliktische Haftung aus Schutzgesetzverletzung wegen Verstoßes gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausschließlich den Fahrzeughersteller als Inhaber der EG-Typengenehmigung und Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung trifft, während eine Haftung anderer Personen nur nach § 1295 Abs 2 und § 875 ABGB denkbar ist, was eine vorsätzliche Irreführung voraussetzt.

[17] 7. Das Erstgericht hat keine Feststellungen zu dem vom Kläger behaupteten Täuschungsvorsatz der Zweitbeklagten getroffen, sodass die Rechtssache gegenüber der Zweitbeklagten noch nicht entscheidungsreif ist, was insoweit die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung erfordert. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren klären müssen, ob die Zweitbeklagte eine vorsätzliche Irreführung verantwortet. Sollte sich herausstellen, dass die Zweitbeklagte im Zusammenhang mit der im Fahrzeug ursprünglich verbauten „Umschaltlogik“ einen Täuschungsvorsatz hatte, wäre sie gegenüber dem Kläger selbst dann zum Schadenersatz verpflichtet, wenn sie später hinsichtlich der Zulässigkeit des „Thermofensters“ einem entschuldbaren Rechtsirrtum erlegen wäre, weil das Fahrzeug nach wie vor nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht.

[18] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.