JudikaturJustiz8NdS1/00

8NdS1/00 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut H*****, vertreten durch Dr. Erhard Hackl und Dr. Karl Hatak, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen für W*****, wegen S 68.607,-- Insolvenzausfallgeld nach § 28 JN den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Für die Erledigung dieser Sozialrechtssache wird das Landesgericht Wels als Arbeits- und Sozialgericht als örtlich zuständiges Gericht bestimmt.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger brachte am 8. 10. 1999 beim Arbeits- und Sozialgericht Wien eine Klage auf Zahlung von Insolvenzausfallgeld in Höhe von S 68.607,--, in eventu auf Feststellung des Bestehens dieses Anspruches ein und bekämpft damit den Bescheid des beklagten Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen Wien, Niederösterreich und Burgenland. Hiezu führt er aus, dass er seit 9. 11. 1998 als LKW-Fahrer bei der Firma W***** BV mit Sitz in Holland beschäftigt gewesen sei, Dienstort jedoch Wels gewesen sei. Am 5. 1. 1999 habe das Landgericht Assen, Holland, über das Vermögen seines Dienstgebers das Konkursverfahren eröffnet. Der Kläger sei vom Konkursverwalter zum 29. 1. 1999 gekündigt worden; er habe bei der GAK Nederland BV einen Antrag auf Leistung nach dem niederländischen Arbeitslosenversicherungsgesetz gestellt, der am 25. 3. 1999 abgelehnt worden sei.

Am 18. 5. 1999 sei von der beklagten Partei die Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld abgelehnt worden. Der Kläger sei aber in Österreich sozialversichert gewesen und habe hier auch Beiträge und Lohnsteuer bezahlt. Die Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien ergebe sich aus § 7 Abs 4 iVm § 65 Abs 1 Z 7

ASGG.

Das Arbeits- und Sozialgericht Wien erklärte sich als örtlich unzuständig und legte den Akt zwecks Zuständigkeitsbestimmung dem Obersten Gerichtshof vor. Es ging davon aus, dass nach § 7 Abs 4 letzter Satz ASGG das Arbeits- und Sozialgericht Wien nur zuständig sei, wenn ein ausländisches Gericht eine Entscheidung iSd § 1 Abs 1 Z 1 bis 7 (richtig: 6) IESG getroffen habe, die auf Grund von völkerrechtlichen Verträgen anerkannt werde. Das Gesetz enthalte keine Bestimmung darüber, welches Gericht für Rechtsstreitigkeiten zuständig sei, falls diesbezügliche zwischenstaatliche Vereinbarungen fehlten, wie dies im Verhältnis zum Königreich Niederlande der Fall sei. Bei den Zuständigkeiten nach § 7 Abs 4 ASGG handle es sich um ausschließliche Gerichtsstände, sodass ein Überweisungsgericht nicht feststellbar sei. Auch nach dem LGVÜ könne ein zuständiges Gericht nicht ermittelt werden, weil dieses auf Konkurse und Angelegenheiten der sozialen Sicherheit nicht anwendbar sei (vgl Art 1 Abs 2 LGVÜ).

Beim Landesgericht Wels sei von einem anderen Arbeitnehmer zu 20 Se 304/99b ein Konkursantrag gegen den niederländischen Dienstgeber des Klägers eingebracht worden, der jedoch mangels inländischer Gerichtsbarkeit zurückgewiesen worden sei. Unter Berufung auf die eher unklaren Ausführungen Liebegs, IESG-Komm1, 70 f (diesbezüglich ebenso unklar in der zweiten Auflage 94 ff) hielt das vorlegende Gericht eine Überweisung an das Landesgericht Wels mangels Vorliegens einer Konkurseröffnung bzw Beschlussfassung nach § 1 Abs 1 Z 1 bis 6 IESG nicht möglich, weil § 1 Abs 1 Z 6 (richtig: Z 5) IESG auf eine Zurückweisung mangels inländischer Gerichtsbarkeit gemäß § 63 KO nicht anwendbar sei. Nach der Klage sei infolge des inländischen Wohnsitzes des Klägers, der im Inland erbrachten Sozialversicherungsleistungen sowie dem Dienstort Wels von einer hinreichenden Nahebeziehung zum Inland auszugehen, es fehle jedoch an einem inländischen Gerichtsstand, sodass die Voraussetzungen zur Vorlage nach § 28 JN bestünden.

Nach § 28 Abs 4 JN hat in streitigen bürgerlichen Rechtssachen die Bestimmung eines zuständigen Gerichtes auf Antrag einer Partei zu erfolgen. Zutreffend weist Fasching (ZPR2 Rz 206; vgl auch den Hinweis Matschers in Fasching2 § 28 JN Rz 134) darauf hin, dass die Beschränkung der Ordination in Streitsachen auf Parteienantrag die Fälle außer Acht lässt, in denen das ursprünglich angerufene Gericht unzuständig ist und die Sache von diesem von Amts wegen an das zuständige Gericht überwiesen werden muss, wie etwa § 38 Abs 2 ASGG. Sei im Falle der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes kein anderes örtlich zuständiges Gericht feststellbar, müsste die Klage zurückgewiesen werden und der Kläger müsste nach einer auf seinen Antrag erfolgten Ordination die Klage neu beim ordinierten Gericht einbringen; dadurch wäre der bisherige Prozessaufwand verloren, was die amtswegige Überweisung aber verhindern solle. Hier werde man entweder dem zur Überweisung verpflichteten Gericht ein Antragsrecht an den Obersten Gerichtshof zur Ordination einräumen oder doch den Obersten Gerichtshof nach Vorlage des Aktes durch dieses Gericht als zur amtswegigen Ordination verpflichtet ansehen müssen. Diese Argumentation erscheint überzeugend, wobei insbesondere in Sozialrechtssachen hinzukommt, dass die relativ kurzen Klagsfristen nach § 65 Abs 2 ASGG bei Einbringung einer neuen Klage nach erfolgter Zurückweisung kaum einzuhalten sind. Da das angerufene Gericht vor Ausspruch seiner Unzuständigkeit und Vorlage an den Obersten Gerichtshof zur Bestimmung des für die Überweisung in Frage kommenden örtlich zuständigen Gerichtes den anwaltlich vertretenen Kläger mit Note vom 29. 10. 1999 unter Hinweis auf die Rechtslage und die beabsichtigte Überweisung gemäß § 38 Abs 2 ASGG zur Stellungnahme binnen 4 Wochen aufgefordert hat, wurde auch das in § 38 Abs 2 ASGG geforderte Parteiengehör gewahrt und sind die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichtes durch den Obersten Gerichtshof gegeben.

Das angerufene Gericht hat seine Zuständigkeit (aus durchaus zutreffenden Gründen) rechtskräftig verneint, sodass die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN durch den Obersten Gerichtshof vorliegen, weil der Kläger österreichischer Staatsbürger ist, seinen Wohnsitz in Österreich hat, Ansprüche aus in Österreich geleisteter Arbeit geltend macht, für die Beiträge zum Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geleistet worden sein sollen, und die Rechtsverfolgung im Ausland (Niederlande) auf Zahlungen aus dem österreichischen Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds mangels eines wohl nicht vorliegenden Zuständigkeitstatbestandes unmöglich wäre (näheres dazu Mayr in Rechberger Komm ZPO2 Rz 2 und 4 zu § 28 JN). Eine Ablehnung der Ordination käme einer unzulässigen Rechtsverweigerung gleich (Matscher in FS Schwind 79). In Betracht kommt wegen der eben erwähnten Nahebeziehungen nur das Landesgericht Wels als Arbeits- und Sozialgericht, weil der Kläger in dessen Sprengel wohnt und gearbeitet hat und dort Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sein sollen. Es wird daher das Landesgericht Wels als Arbeits- und Sozialgericht für die Führung dieses Rechtsstreites bestimmt. In diesem Zusammenhang ist auf die Entscheidung des EuGH vom 16. 12. 1999 (Everson und Barass, C-198/98) = ZASB 2000, 16 = ELR 2000, 39 hinzuweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird darauf zu achten sein, dass die Bezeichnung der beklagten Partei richtig zustellen ist; von einer unzulässigen Klagsänderung iSd § 235 Abs 5 ZPO kann in dem vorliegenden Sonderfall auf Zahlung von Ansprüchen nach dem IESG nicht gesprochen werden; der Kläger macht eindeutig Ansprüche nach dem IESG auf Insolvenz-Ausfallgeld geltend, die aus den Mitteln des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds (§ 13 IESG) zu bezahlen sind. Die einzelnen Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen iSd § 5 Abs 1 IESG sind in diesem Sinn nur mit der Abwicklung betraute Dienststellen (vgl Liebeg Komm IESG2 218).