JudikaturJustiz7Ob9/93

7Ob9/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Juli 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kazimier S*****, vertreten durch Dr.Anton Tschann und andere, Rechtsanwälte in Bludenz, wider die beklagte Partei Versicherung*****, vertreten durch Dr.Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen S 59.000 und Feststellung (Feststellungsinteresse S 30.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 12.Februar 1993, GZ 4 R 11/93-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 19.Oktober 1992, GZ 4 Cg 310/92x-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.094 (darin enthalten S 849 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, ein polnischer Staatsbürger, ist bei der beklagten Partei mit seinem PKW ***** kfz-haftpflicht- und kaskoversichert. Er arbeitet seit Mai 1989 in Österreich, ist seither in N***** wohnhaft und besucht seine in Polen lebende Familie alle drei Monate. Er verursachte am 24.1.1992 in N***** einen Verkehrsunfall. Zu diesem Zeitpunkt war er im Besitze eines polnischen Führerscheins, der ihm zwischenzeitig nie von der polnischen Behörde entzogen worden war. Nach dem Unfall beantragte der Kläger bei der Bezirkshauptmannschaft Bludenz die Ausstellung einer Bestätigung nach § 79 Abs 3 KFG unter Vorlage einer Bestätigung des Doppelwohnsitzes. Am 6.4.1992 stellte die Bezirkshauptmannschaft Bludenz gemäß § 79 Abs 3 KFG fest, daß der Kläger je einen Wohnsitz in N***** und in Krakau begründet habe und daher berechtigt sei, den ausländischen Führerschein in Österreich bis zum 6.4.1993 zu benützen.

Der Kläger begehrt die Feststellung, die beklagte Partei sei als Haftpflichtversicherer ihm gegenüber zur Deckung aller aus dem Unfall entstandenen Schadenersatzansprüche verpflichtet und ihm gegenüber auch nicht regreßberechtigt, weiters aus der Kollisionskaskoversicherung Zahlung eines Betrages von S 59.000. Die beklagte Partei sei zur Deckung in der KFZ-Haftpflichtversicherung und zur Zahlung des Kaskoschadens verpflichtet, obwohl er zum Unfallszeitpunkt seinen polnischen Führerschein noch nicht habe "umschreiben" lassen. Diese "Umschreibung" sei durch Ausstellung der Bestätigung gemäß § 79 Abs 3 KFG erfolgt, die Voraussetzungen dazu hätten bereits zum Unfallszeipunkt bestanden.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage, weil der Kläger eine zur Leistungsfreiheit führende Obliegenheitsverletzung begangen habe. Ausländern könne zwar gemäß § 64 Abs 6 KFG unter gewissen Voraussetzungen eine Lenkerberechtigung erteilt werden; diese Voraussetzungen seien beim Kläger offenbar nicht vorgelegen, weshalb er einen diesbezüglichen Antrag nicht gestellt habe.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es verneinte das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung nach den AKHB, weil die "Führerscheinklausel" dann nicht verletzt sei, wenn das Fahrzeug durch einen Fahrer mit inländischem Wohnsitz aber ausländischem Führerschein nach Ablauf der Jahresfrist des § 64 Abs 5 KFG gelenkt werde. Im übrigen (Kaskoversicherung) sei dem Kläger der Kausalitätsgegenbeweis gelungen; hätte er vor dem Unfall einen entsprechenden Antrag gestellt, wäre ihm zweifellos ebenfalls eine Bestätigung im Sinn des § 79 Abs 3 KFG ausgestellt worden, weil bereits zum Unfallszeitpunkt und zuvor dieselben Voraussetzungen gegeben gewesen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Kläger sei zwar zum Unfallszeitpunkt noch nicht im Besitze einer Bestätigung im Sinne des § 79 Abs 3 KFG gewesen, da er einen entsprechenden Antrag bis dahin nicht gestellt gehabt habe. Ihm wäre aber eine solche Bestätigung in derselben Art und Weise bereits vor dem Unfall ausgestellt worden, weil sich die tatsächliche Gestaltung der Wohnsitzverhältnisse des Klägers seit Mai 1989 nicht geändert habe. Da zudem feststehe, daß die Verwaltungsbehörde für die Zeit von einem Jahr ab dem 6.4.1992 die Voraussetzungen für eine Bestätigung nach § 79 Abs 3 KFG als gegeben erachtete, könne unterstellt werden, daß zum Unfallszeitpunkt im wesentlichen dieselben (Wohnsitz)Verhältnisse bestanden haben. Der Kausalitätsgegenbeweis im Sinne von § 6 Abs 2 VersVG sei zwar bei Verletzung der (Obliegenheit der) Führerscheinklausel nur sehr eingeschränkt zulässig; so könne die Lenkerberechtigung nicht etwa durch den Nachweis tatsächlichen Fahrkönnens ersetzt werden. Sie müsse vielmehr bereits vor Antritt der Fahrt in der vom Gesetz formalisierten Weise durch Erhebungen der Behörden und die Fahrprüfung dargetan sein. Der Fahrer ohne Lenkerberechtigung könne den Kausalitätsgegenbeweis in der Regel nur in die Richtung führen, daß der Unfall durch keinerlei Fahrfehler, vielmehr etwa durch ein technisches Gebrechen oder durch das ausschließliche Verschulden eines Dritten verursacht worden sei. Eine mildere Beurteilung werde aber in Ausnahmefällen, in denen der Formalisierung der Erteilung der Lenkerberechtigung aus besonderen Gründen keine entscheidende Bedeutung mehr zukomme, für gerechtfertigt gehalten. Dies gelte zum Beispiel für den Fall der Herbeiführung des Versicherungsfalles nach bereits bestandener Lenkerprüfung, aber noch vor Aushändigung des Führerscheins. In diesem Fall sei der Kausalitätsgegenbeweis erbracht, wenn alle Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung vorgelegen seien und letztere nicht aus sachlichen, sondern bloß aus verfahrenstechnischen Gründen unterblieben sei. Ähnlich sei das Lenken eines KFZ nach Ablauf einer im Inland zunächst gültigen ausländischen Fahrerlaubnis zu beurteilen. Der Sinn der Obliegenheit, ein KFZ nur zu lenken, wenn die entsprechende Lenkerberechtigung vorhanden sei, sei der Schutz des Versicherers vor einem erhöhten Risiko. Die Obliegenheit solle den Versicherer vor den Risken durch eine Person befreien, der die hiezu erforderlichen Fähigkeiten fehlten. Dieser Sinn und Zweck der Führerscheinklausel als Schutz der Interessen des Versicherers werde dann nicht berührt, wenn die Voraussetzungen für eine Bestätigung im Sinne des § 79 Abs 3 KFG zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles ebenso vorgelegen seien wie zum Zeitpunkt der später bewirkten verwaltungsbehördlichen Entscheidung, weil auch hier der Formalisierung durch das Erfordernis der tatsächlichen verwaltungsbehördlichen Entscheidung keine (versicherungsrechtlich) entscheidende Bedeutung zukomme. Der Kläger habe daher den ihm obliegenden Kausalitätsgegenbeweis erbracht. Für den Bereich der KFZ-Haftpflichtversicherung liege aber zudem eine Obliegenheitsverletzung gar nicht vor, weil § 6 Abs 5 AKHB ausdrücklich besage, daß die Bestimmung des § 6 Abs 2 Z 1 (Führerscheinklausel) nicht für das Lenken aufgrund einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit ordentlichem Wohnsitz im Bundesgebiet nach Ablauf der in § 64 Abs 5 erster Satz KFG 1967 festgesetzten Frist gelte, solange nicht ein Antrag gemäß § 64 Abs 6 KFG abgewiesen worden sei. Werde ein solcher Antrag abgewiesen, bedeute dies, daß der Antragsteller entweder nicht glaubhaft habe machen können, daß er aufgrund der im Ausland erteilten Lenkerberechtigung seit mindestens einem Jahr Kraftfahrzeuge der Gruppe gelenkt habe, für die die Lenkerberechtigung erteilt worden sei; oder daß bei ihm Bedenken hinsichtlich der Verkehrszuverlässigkeit, der geistigen und körperlichen Eignung und der fachlichen Befähigung bestünden. Das Lenken eines Kraftfahrzeuges durch eine solche Person bilde für den Versicherer genau jenes erhöhte Risiko von Unfällen, das durch die (Obliegenheit der) Führerscheinklausel verhindert werden solle. Die Interessenlage des Haftpflichtversicherers sei gleichartig, ob nach Ablauf der Jahresfrist im Sinn des § 64 Abs 5 KFG mit einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung durch Personen mit ordentlichem Wohnsitz im Inland nach Stellung eines Antrages im Sinne des § 64 Abs 6 KFG ein Fahrzeug gelenkt werde oder ob dies ohne Stellung eines solchen Antrages erfolge, weil in keinem Fall zu unterstellen sei, daß dadurch das Risiko von Unfällen und demnach das Entstehen einer Leistungspflicht erhöht werde.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu den Kriterien des Kausalitätsgegenbeweises bei Verstoß gegen die Führerscheinklausel beim Fahren mit ausländischem Führerschein kurz vor Beantragung und Ausstellung einer Bestätigung im Sinn des § 79 Abs 3 KFG nicht existiere.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

§ 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 bestimmt als Obliegenheit, deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadensereignisses die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, daß der Lenker die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzt, das versicherte Fahrzeug zu lenken. Der Versicherer hat bei Geltendmachung der Leistungsfreiheit wegen eines Verstoßes gegen die "Führerscheinklausel" nur den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nachzuweisen (Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den KFZ-Versicherungen, ZVR 1985, 65 ff [68], ZVR 1991/27; ZVR 1984/329). Die Versicherungsbedingungen unterstellen diese Obliegenheit ausdrücklich dem § 6 Abs 2 VersVG. Danach kann sich der Versicherer auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung der Obliegenheit keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der ihm obliegenden Leistung gehabt hat. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, daß an den dem Kläger obliegenden Kausalitätsgegenbeweis nach ständiger Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen sind. So kann er nach herrschender Rechtsprechung beim Fehlen der allgemeinen Lenkerberechtigung nicht durch einen Nachweis des tatsächlichen Fahrkönnens ersetzt werden (ZVR 1983/40, ZVR 1983/289). Dieses muß vielmehr bereits vor Antritt der Fahrt in der vom Gesetz formalisierten Weise durch Erhebungen der Behörde und die Fahrprüfung dargetan sein (Petrasch aaO 73). Dem Fahrer ohne Lenkerberechtigung bleibt demnach ein eingeschränkter Kausalitätsgegenbeweis nur in der Richtung möglich, daß der Unfall durch keinerlei Fahrfehler, sondern etwa durch ein technisches Gebrechen oder das ausschließliche Verschulden eines Dritten verursacht wurde. Ausnahmsweise sind an die Kriterien des Kausalitätsgegenbeweises geringere Anforderungen dann zu stellen, wenn der Formalisierung der Erteilung der Lenkerberechtigung aus besonderen Gründen keine entscheidende Bedeutung mehr zukommt. So hat der Oberste Gerichtshof den Kausalitätsgegenbeweis für den Fall als erbracht angesehen, als zwar der Versicherungsfall nach bereits bestandener Lenkerprüfung, aber noch vor Aushändigung des Führerscheins eingetreten war (JBl 1984, 499), weil alle Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung vorlagen und letztere nicht aus sachlichen, sondern bloß aus verfahrenstechnischen Gründen unterblieb. Im gleichen Sinne wurde auch das Lenken eines Kraftfahrzeuges nach Ablauf einer im Inland zunächst gültigen ausländischen Fahrerlaubnis beurteilt (SZ 50/94). Auch hier konnte sich der Versicherer in diesem Ausnahmefall trotz eines Fahrfehlers des Versicherten nicht auf seine Leistungsfreiheit berufen, weil der Versicherungsfall erweislich weder auf Unkenntnis der inländischen Verkehrsvorschriften noch auf mangelnder Eignung des Fahrers beruhte (iglS Pertrasch, ZVR 1985, 65 ff, hier: 73).

Nicht anders ist aber auch der vorliegende Fall zu beurteilen.

Nach § 79 Abs 3 KFG können Personen, die sowohl im Bundesgebiet als auch im Ausland einen ordentlichen Wohnsitz haben, von einem ausländischen Führerschein, der vom Staat ihres Wohnsitzes ausgestellt ist, im Bundesgebiet Gebrauch machen, wenn sie eine Bestätigung der Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Wohnsitz liegt, vorweisen, in der das Vorliegen eines Doppelwohnsitzes festgestellt wird. Solche Bestätigungen sind auf Antrag jeweils nur auf die Dauer eines Jahres auszustellen. Sinn und Zweck dieser durch die 6.KFG-Novelle eingeführten Bestimmung war die Regelung der Lenkerberechtigung bei Vorliegen eines Doppelwohnsitzes. Zuvor war nach den bestehenden Vorschriften das Vorliegen je einer Zulassung und der Besitz je eines Führerscheines beider Staaten erforderlich. Nach dieser Bestimmung soll die österreichische Behörde nach Prüfung des tatsächlichen Vorliegens eines Doppelwohnsitzes eine entsprechende Bestätigung ausstellen, wodurch dann die Verpflichtung des österreichischen Führerscheines wegfällt, wenn der Führerschein im anderen Staat ausgestellt wurde. Diese Bestätigung ist jeweils nur auf die Dauer eines Jahres auszustellen und nur nach neuerlicher Prüfung des Vorliegens auch eines Wohnsitzes im Ausland zu verlängern (EB zur RV 1093 BlgNr 15. GP, 33). Daraus erhellt, daß die Ausstellung einer Bestätigung nach § 79 Abs 3 KFG lediglich vom Vorliegen eines Doppelwohnsitzes, sonst aber von keinen weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Ein darüber hinausgehendes besonderes Ermittlungsverfahren ist nicht vorgesehen, insbesondere sind neben dem Vorliegen eines Doppelwohnsitzes weitere Voraussetzungen wie Verkehrszuverlässigkeit, geistige und körperliche Eignung sowie faktische Befähigung nicht mehr zu prüfen.

Nach den Feststellungen haben sich die tatsächlichen Wohnsitzverhältnisse des Klägers seit dem Jahre 1989 nicht verändert. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß die zuständigen Verwaltungsbehörden eine Bestätigung im Sinn des § 79 Abs 3 KFG bereits vor dem Unfall erteilt hätten, wenn eine solche beantragt worden wäre. Bei diesem Sachverhalt muß in der erwiesenen Erteilung der Bestätigung nach § 79 Abs 3 KFG infolge Vorliegens eines Doppelwohnsitzes der Nachweis der fehlenden Kausalität des Mangels der inländischen Lenkerberechtigung im Sinn des § 6 Abs 2 VersVG erblickt werden. Ist dem Kläger der Kausalitätsgegenbeweis gelungen, kommt es nicht mehr darauf an, ob im Bereich der Haftpflichtversicherung überhaupt eine Obliegenheit verletzt werden konnte, weil der Kläger noch keinen Antrag nach § 64 Abs 6 KFG gestellt hatte.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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