JudikaturJustiz7Ob394/97k

7Ob394/97k – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Januar 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** AG, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Lindner und Mag.Thomas Fragner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Wolfgang Johann B*****, vertreten durch Puttinger, Vogl und Partner, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wegen S 200.000 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 18.September 1997, GZ 4 R 42/97t-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 6.Dezember 1996, GZ 5 Cg 105/96k-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S

39.638 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 3.941,50 USt und S 23.150 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23.12.1994 verschuldete der Beklagte als Lenker des ihm von seinem Vater Walter B***** als Halter und Eigentümer anvertrauten und bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten PKW Ford Fiesta einen Verkehrsunfall mit Personenschaden. Der Beklagte setzte seine Fahrt fort, ohne dem Verletzten Hilfe zu leisten und ohne zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen. Die Klägerin hat zur Regulierung der Ansprüche des Verletzten S 332.892,90 geleistet und sich bisher mit S 100.000 beim Beklagten regressiert.

Der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag wurde im April 1993 abgeschlossen. Vertragsgrundlagen waren die gültigen Tarife, die AKHB 1988 und die Besonderen Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung. Bis zum 9.3.1995 erfolgten sechs Nachträge zur ursprünglichen Polizze, welche die Prämienhöhe änderten, nicht aber die Vertragsgrundlagen.

Die Klägerin reagierte auf die Einführung des KHVG 1994 gegenüber dem Versicherungsnehmer weder durch eine Prämienerhöhung, Prämienanpassung noch durch einen Hinweis auf Neuerungen insbesondere im Hinblick auf § 7 KHVG 1994.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung weiterer S 200.000 samt Anhang im Regreßwege. Seit dem Inkrafttreten des KHVG 1994 am 1.9.1994 sei sie berechtigt, pro Versicherungsfall bis zu S 300.000 Regreß zu fordern. Diese neuen Regreßbestimmungen hätten auch für die zur Zeit des Inkrafttretens des KHVG 1994 bereits bestehenden Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsverträge Geltung.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Für den gegenständlichen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag seien auch nach dem Inkrafttreten des KHVG 1994 die AKHB 1988 maßgeblich, welche die Leistungsfreiheit des Versicherers mit S 100.000 begrenzten. Eine Prämienanpassung sei nicht erfolgt, eine Änderung des Vertrags nicht vereinbart worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die durch § 7 KHVG 1994 geschaffenen neuen Höchstgrenzen der Leistungsfreiheit seien gemäß § 36 Abs 1 KHVG 1994 auch auf bestehende Versicherungsverträge anzuwenden. § 7 KHVG 1994 sei Bestandteil des 2. Abschnitts des KHVG 1994. Gemäß § 36 Abs 1 KHVG 1994 änderten sich aber bestehende Versicherungsverträge zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes, wenn sie den neuen Bestimmungen des 2. Abschnitts nicht entsprächen. Wohl entsprächen auch die alten Verträge dem § 7 KHVG 1994, weil sie die darin für die Begrenzung der Leistungsfreiheit des Versicherers genannten Grenzen nicht überschritten. Nach den EB zum KHVG 1994 sollte aber durch § 7 KHVG 1994 die Begrenzung der Leistungsfreiheit erhöht werden; dem Versicherungsunternehmen bleibe es unbenommen, die Leistungsfreiheit mit geringeren Beträgen zu begrenzen, wofür allerdings ein aktives Handeln des Versicherungsunternehmens erforderlich sei. Wenn den Gesetzesmaterialien mit eindeutiger Sicherheit entnommen werden könne, daß der Wille des Gesetzgebers tatsächlich in eine andere Richtung gegangen sei, als dies in der getroffenen Regelung zum Ausdruck komme, dann sei dem Willen des Gesetzgebers bei der Auslegung des Gesetzes der Vorzug zu geben. Der Beklagte habe nach dem Unfall dem Opfer keine Hilfe geleistet und keine ordnungsgemäße Anzeige erstattet. Ihm falle daher die Verletzung zweier Obliegenheiten zur Last, so daß die Leistungsfreiheit der Klägerin bloß mit S 300.000 begrenzt sei.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Nach den dem gegenständlichen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag zugrundege- legten AKHB 1988 sei die Leistungsfreiheit des Versicherers im Falle der Verletztung der Hilfeleistungspflicht und der Verletzung der Pflicht, zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen, mit S 100.000 begrenzt. Gemäß § 7 Abs 1 KHVG 1994 betrage die Leistungsfreiheit wegen Verletzung einer Obliegenheit oder einer Erhöhung der Gefahr höchstens je S 150.000, für jeden Versicherungsfall insgesamt höchstens S 300.000. Der Versicherungsfall habe sich im zeitlichen Geltungsbereich des KHVG 1994 ereignet. Nach § 36 Abs 1 KHVG 1994 änderten sich bestehende Versicherungsverträge, soweit sie den Bestimmungen des zweiten Abschnitts dieses Bundesgesetz nicht entsprächen. Nach diesem Gesetzeswortlaut sei davon auszugehen, daß der bestehende Versicherungsvertrag, der eine Begrenzung der Leistungsfreiheit des Versicherers mit S 100.000 vorsehe, dem § 7 Abs 1 KHVG 1994, der höhere Obergrenzen normiere, entspreche. Aus der Gesamtheit der Übergangsbestimmungen ergebe sich, daß § 7 Abs 1 KHVG 1994 nicht schlechthin auch für Altverträge gelte, weil die §§ 37 und 37 a KHVG 1994 die Bestimmungen enthielten, welche für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bestehenden Versicherungsverträge gelten sollten. Nach der neuen Regelung solle es dem Versicherer unbenommen bleiben, die Leistungsfreiheit mit geringeren Beträgen festzulegen. Könne demnach bei der Begründung von Neuverträgen durch geschicktes Verhandeln die Grenze der Leistungsfreiheit mit geringeren Beträgen festgelegt werden, dann sei nicht einzusehen, daß die neuen Höchstgrenzen auf Altverträge ohne weiteres anzuwenden seien. Es spreche nichts dagegen, die Anpassung von Altverträgen auch in Ansehung der Grenzen für die Leistungsfreiheit der Privatautonomie der Parteien zu überlassen.

Die Revision der Klägerin ist - entgegen den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung - zulässig im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, weil zur Auslegung der Übergangsbestimmungen im KHVG 1994 keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 8 Abs 3 AKHB 1988 ist die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Verletzung der Obliegenheit, im Falle der Verletzung von Personen diesen Hilfe zu leisten oder unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen (§ 8 Abs 1 Z 1 AKHB 1988) und nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen (§ 8 Art 2 Z 2 AKHB 1988) mit S 100.000 begrenzt. Die AKHB wurden bis Ende 1993 vom BM für Finanzen durch Verordnung festgesetzt. Die Aufhebung der AKHB 1988 als Verordnung erfolgte durch BGBl 1994/62. Sie gelten nunmehr als schlichte AVB fort (Schauer, Versicherungsvertragsrecht3, 418). Durch das KHVG 1994 wurde die Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18.Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG und 88/357/EWG (3. Richtlinie Schadenversicherung) im innerstaatlichen Recht umgesetzt. Nach Art 30 Abs 1 der Richtlinie 92/49/EWG ist es nicht mehr zulässig, die Verwendung von Versicherungsbedingungen an eine Genehmigung der Versicherungsaufsichtsbehörde zu binden; das erforderte eine genauere gesetzliche Umschreibung des Inhalts des Versicherungsvertrags (1681 BlgNR 18. GP 11). Gemäß § 7 KHVG 1994 beträgt nunmehr die Leistungsfreiheit wegen Verletzung einer Obliegenheit oder einer Erhöhung der Gefahr höchstens je S 150.000 für jeden Versicherungsfall, insgesamt höchstens S 300.000. Damit wurden die bisherigen Regelungen über die Begrenzung der Leistungsfreiheit des Versicherers zusammengefaßt, die auf § 6 Abs 3, § 7 und § 8 Abs 3 AKHB 1988 verstreut waren. Der Betrag der Begrenzung der Leistungsfreiheit wurde von S 100.000 auf S 150.000 erhöht; eine Höchstgrenze je Versicherungsfall, wenn mehrere Leistungsfreiheit begründende Tatbestände erfüllt sind, wurde mit S 300.000 neu eingeführt; den Versicherungsunternehmen bleibt es unbenommen, die Leistungsfreiheit mit geringeren Beträgen zu begrenzen (1681 BlgNR 18. GP 12).

Gemäß § 36 Abs 1 KHVG 1994 ändern sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bestehende Versicherungsverträge zu diesem Zeitpunkt, insoweit sie den Bestimmungen des zweiten Abschnitts nicht entsprechen; § 15 KHVG über die Anpassung der Prämie im Fall einer Änderung des Versicherungsvertrages aufgrund einer Änderung des 2. Abschnittes dieses Bundesgesetzes, ist anzuwenden, § 7 KHVG 1994 ist im 2. Abschnitt dieses Bundesgesetzes enthalten. Gemäß § 37 Abs 1 KHVG 1994 gelten die - im dritten Abschnitt dieses Bundesgesetzes enthaltenen - §§ 11 bis 17, sowie - die im vierten Abschnitt dieses Bundesgesetzes enthaltenen - §§ 23 und 24 KHVG 1994 auch für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bestehenden Versicherungsverträge. Gemäß § 37a KHVG 1994 ist § 14a KHVG 1994 (Fassung durch BG BGBl 1995/258) über das Kündigungsrecht bei Prämienerhöhung ebenfalls auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung bestehenden Versicherungsverträge anzuwenden.

Die Bestimmung des zweiten Abschnitts des KHVG 1994 ändern demnach widersprechende Bestimmungen in bestehenden Versicherungsverträgen. Es trifft nicht zu, wie das Berufungsgericht meint, daß sich aus den §§ 37 und 37a KHVG 1994 ergebe, daß § 7 Abs 1 KHVG 1994 für Altverträge nicht gelten soll. § 36 Abs 1 KHVG 1994 verweist ausdrücklich auf den 2. Abschnitt dieses Bundesgesetzes, in dem § 7 Abs 1 KHVG enthalten ist. Daß nunmehr § 7 Abs 1 KHVG 1994 für die neuen Grenzen der Leistungsfreiheit Höchstbeträge festlegt und damit dem Versicherungsunternehmen die Möglichkeit einräumt, die Leistungsfreiheit mit geringeren Beträgen festzulegen, besagt nicht, daß die in § 8 Abs 3 AKHB 1988 enthaltene niedrigere Grenze von S 100.000, die dem vorliegenden Versicherungsvertrag im Jahr 1993 zugrundegelegt wurde, der neuen Regelung nicht widerspreche. Denn das Gesetz legt die Höchstgrenze mit je S 150.000 (und für jeden Versicherungsfall insgesamt mit S 300.000) fest, sofern nicht niedrigere Grenzen der Leistungsfreiheit vereinbart wurden. Demgemäß enthalten auch die neuen unverbindlichen Musterbedingungen des Verbandes der Versicherungsunternehmen Österreichs für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (abgedruckt in Grubmann, Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, MGA 14b 217 ff) in Art 11 die Bestimmung, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Verletzung einer Obliegenheit oder einer Erhöhung der Gefahr je S 150.000 für jeden Versicherungsfall insgesamt maximal S 300.000 beträgt, soweit nichts anderes vereinbart ist. Ist nichts anderes vereinbart, dann gelten die im Gesetz genannten Höchstgrenzen. Die Begrenzung der Leistungsfreiheit des Versicherers wurde seinerzeit eingeführt, weil das "Alles - oder Nichts - Prinzip" der Regelung des § 6 VersVG, also der gänzliche Verlust des Anspruchs im Fall der Verletzung einer Obliegenheit, in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung häufig als unbillige Härte empfunden wurde, vor allem, wenn dem Verhalten des Versicherungsnehmers nur ein geringer Unrechtsgehalt beigemessen werden kann (Grubmann, KHVG3, 124 FN 10 zu § 6 AKHB 1988). Ist dagegen der Unrechtsgehalt der Obliegenheitsverletzung - wie im vorliegenden Fall - hoch, dann ist es unbedenklich, die gesetzlichen Höchstbeträge für die Leistungsfreiheit des Versicherers auch anzuwenden. Bei laufenden Verträgen kann der Versicherungsnehmer derartige Folgen einer Gesetzesänderung zwar nicht mehr durch Verhandlungen abwenden. Es bleibt ihm aber die Möglichkeit der Kündigung, sofern er anderswo insoweit günstigere Bedingungen zugestanden erhält.

Dieses Ergebnis entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers bei der Einführung des § 36 Abs 1 KHVG 1994. Nach dem damals geltenden § 18 Abs 1 KHVG 1987 wirkten Änderungen der Versicherungsbedingungen und der Tarife auch auf bestehende Verträge. Diese Vorschrift ist im Gesetz nun nicht mehr enthalten. Für bestehende Verträge mußte daher eine besondere Anpassungsmöglichkeit vorgesehen werden, um zu verhindern, daß Bestände notleidend werden oder Versicherungsunternehmen zu zahlreichen Kündigungen gezwungen sind (1681 BlgNR 18. GP 14). Mit der Einführung von - der Parteiendisposition unterliegenden - Höchstgrenzen wollte der Gesetzgeber aber nicht zum Ausdruck bringen, daß die niedrigeren Höchstgrenzen für die Leistungsfreiheit des Versicherers bei Obliegenheitsverletzung in Altverträgen weitergelten sollten.

Geht man aber davon aus, daß die in Art 8 Abs 3 AKHB 1988 genannten Höchstgrenzen dem § 7 Abs 1 KHVG 1994 widersprechen, dann wurden durch das Inkrafttreten des KHVG 1994 auch damals bestehende Verträge in Ansehung dieser Grenzen im Sinne der neuen gesetzlichen Bestimmungen unbeschadet des Umstandes geändert, daß die AKHB 1988 im Rahmen bestehender Verträge, soweit sie noch anwendbar bleiben, weitergelten.

Die Höhe des geltend gemachten Regreßbetrages ist nicht mehr strittig. Daher war das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.