JudikaturJustiz7Ob23/20p

7Ob23/20p – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon. Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** M*****, Ungarn, vertreten durch Dr. Bernhard Gumpoldsberger, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte W***** AG *****, vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. November 2019, GZ 1 R 95/19z 12, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 10. Mai 2019, GZ 5 Cg 146/18t 8, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt lautet:

„Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei als Haftpflichtversicherer ihrer/ihres ersatzpflichtigen Versicherten, der ARGE ***** und/oder der ARGE ***** im Rahmen der Deckungspflicht gegenüber der klagenden Partei für sämtliche unfallskausalen künftigen Schäden aus dem Vorfall vom ***** auf der Baustelle der ***** und somit für sämtliche aus dem Unfall resultierenden Spät- und Dauerfolgen haftet.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 14.100,32 EUR (darin 1.797,22 EUR USt und 3.317 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist (unstrittig) Haftpflichtversicherer einer Generalunternehmerin eines Bauvorhabens, einer ARGE. Der Kläger wurde durch eine der Versicherungsnehmerin zurechenbare Person schwer verletzt; aus der Verletzung resultieren Spät- und Dauerfolgen.

Die Beklagte veranlasste ärztliche Untersuchungen des Klägers und zahlte 37.117,57 EUR an ihn.

In der Folge verlangte der Klagevertreter eine schriftliche Erklärung, dass die Beklagte die Haftung für etwaige Spät- und Dauerfolgen des Klägers aus dem Unfall dem Grunde nach übernehme.

Ein (neuer) Schadensreferent der Beklagten – der lediglich berechtigt war, im Namen der Versicherungsnehmer gegenüber den Geschädigten, nicht jedoch für die Beklagte Anerkenntnisse abzugeben – gab zweieinhalb Jahre nach dem Unfall am 25. 5. 2018 folgende Erklärung ab:

„… Hiermit bestätigen wir, auch namens der ARGE *****, dass wir für die Forderungen Ihres Mandanten aus dem oben genannten Vorfall im Sinne eines Feststellungsurteiles auf die Einrede der Verjährung bis einschließlich ***** verzichten, sofern die Ansprüche oder Teile davon nicht bereits verjährt (sind). Unserer Versicherungsnehmerin steht für diesen Schadensfall eine Versicherungssumme von € 15.000.000,00 zur Verfügung.

Diese Erklärung betrifft ausschließlich den Verjährungseinwand. Alle Einwände zu Grund und Höhe der Forderungen bleiben uns vorbehalten.“

Daraufhin begehrte der Klagevertreter „letztmalig“ von der Beklagten ein schriftliches Haftungsanerkenntnis für etwaige Spät- und Dauerfolgen des Klägers dem Grunde nach. Dies beantwortete derselbe Schadenreferent – ein Monat nach dem oben zitierten Schreiben am 28. 6. 2018 – wie folgt:

„… Hiermit bestätigen wir, auch namens der ARGE *****, dass wir die Ansprüche Ihres Mandanten dem Grunde nach anerkennen und für etwaige Spät- und Dauerfolgen im Sinne eines Feststellungsurteiles auf die Einrede der Verjährung bis einschließlich ***** verzichten, sofern diese Ansprüche oder Teile davon nicht bereits verjährt sind. Unserer Versicherungsnehmerin steht für diesen Schadensfall eine Versicherungssumme von € 15.000.000,00 zur Verfügung.

Diese Erklärung betrifft ausschließlich den Verjährungseinwand. Alle Einwände zu Kausalität und Höhe bleiben uns vorbehalten.“

Drei Monate danach begehrte der Klagsvertreter (wiederum „letztmalig“) die Abgabe eines Haftungsanerkenntnisses für sämtliche Spät- und Dauerfolgen mittels einer vorbereiteten Anerkenntniserklärung mit folgendem Inhalt:

„Konstitutive Anerkenntniserklärung

Die [Beklagte] anerkennt als Haftpflichtversicherer der ARGE ***** die Haftung für alle vorfallskausalen Spät- und Dauerfolgen, die [der Kläger], resultierend aus dem am ***** auf der Baustelle in der *****, verursachten Unfalls erlitten hat und in Zukunft erleiden wird.

Dieses Anerkenntnis gilt mit Wirkung und Umfang eines rechtskräftigen Feststellungsurteiles.“

Die Beklagte unterfertigte diese Anerkenntniserklärung nicht.

Der Kläger begehrte die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung. Die Beklagte habe das Anerkenntnis auch im eigenen Namen abgegeben, jedoch zeitlich befristet. Daher liege ein Feststellungsinteresse des Klägers vor.

Die Beklagte bestritt das Vorliegen eines Anerkenntnisses. Die Schreiben hätten jeweils ausschließlich die Abgabe eines Verjährungsverzichts zum Inhalt; deren Verfasser sei bloß Dienstnehmer, kein vertretungsbefugtes Organ der Beklagten und zur Abgabe eines Anerkenntnisses in ihrem Namen nicht befugt.

Das Erstgericht wies die Klage ab. In der freiwilligen Haftpflichtversicherung habe der am Versicherungsvertrag nicht beteiligte geschädigte Dritte grundsätzlich keine rechtliche Handhabe, den Versicherer direkt in Anspruch zu nehmen, sondern er müsse sich an den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer halten. Der Dritte könne jedoch eine Klage auf Feststellung mit der Deckungspflicht des Versicherers – bezogen auf den Versicherungsnehmer – erheben, wenn er ein entsprechendes rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung habe. Hier sei das Klagebegehren jedoch auf die Feststellung gerichtet, dass die Beklagte selbst hafte. Dies sei nur durch die Behauptung schlüssig, dass die Beklagte ihre Haftung ausdrücklich konstitutiv anerkannt habe. Ein solches konstitutives Anerkenntnis der Haftung gegenüber dem Kläger liege aber nicht vor.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der Wortlaut der Schreiben der Beklagten spreche zwar eindeutig für ein konstitutives Anerkenntnis, jedoch lasse sich aus den Feststellungen keine Anscheinsvollmacht des zur Abgabe solcher Anerkenntnisse tatsächlich nicht berechtigten Schadensreferenten ableiten. Das Anerkenntnis sei daher für den Versicherungsnehmer rechtswirksam, mangels ausreichender Vertretungsmacht jedoch nicht für die Beklagte.

Die Revision des Klägers beantragt die Abänderung im klagsstattgebenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil den Vorinstanzen eine aus Gründen der Rechtssicherheit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist; die Revision ist dementsprechend auch berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof ist nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ( RS0002399 [T2]; RS0043414 [T14]). Fragen der Beweiswürdigung können an den Obersten Gerichtshof nicht herangetragen werden; der vom Kläger angezogene Revisionsgrund der unrichtigen Sachverhaltsfeststellungen ist dem Gesetz fremd ( RS0042903 [insb T2, T4, T7, T8, T10]; RS0069246 [T1, T2]; RS0043414 [T11]; RS0042963 ).

2.1. Zwar kann der geschädigte Dritte den Haftpflichtversicherer aus dem Gesetz nicht unmittelbar in Anspruch nehmen, sondern muss sich an den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer halten. Dies schließt aber nicht aus, dass sich der Versicherer unmittelbar mit dem geschädigten Dritten auseinandersetzt und dahin vergleicht, dass er die Verbindlichkeit des Versicherungsnehmers übernimmt (RS0080753); eine solche Eigenverpflichtung ist jedoch nicht zu vermuten (RS0080753 [T1]). Der Haftpflichtversicherer handelt bei den Verhandlungen mit dem Geschädigten über die Liquidierung des Schadens regelmäßig nur als Vertreter des Versicherungsnehmers (RS0080760).

2.2. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Wortlaut der vom Mitarbeiter der Beklagten abgegebenen Erklärung vom 28. 6. 2018 (bestätigen wir, auch namens der ARGE ..., dass wir die Ansprüche Ihres Mandanten dem Grunde nach anerkennen ...) nach ihrem objektiven Erklärungswert insbesondere im Kontext mit dem gesamten Schriftverkehr, keinen Zweifel daran lässt, dass damit die Haftung dem Grunde nach anerkannt werden sollte und das damit auch eine Verpflichtungserklärung der Beklagten im eigenen Namen abgegeben wurde (vgl 7 Ob 95/10m).

2.3. Dem Umstand, dass der Kläger dies auch so verstand, steht nicht entgegen, dass der Klagevertreter zuletzt noch – erfolglos – die Abgabe eines von ihm selbst vorformulierten „konstitutiven Anerkenntnisses“ verlangte. Dies erfolgte erkennbar aus advokatorischer Vorsicht, zumal die in den zuvor übermittelten Schreiben der Beklagten enthaltenen Bezugnahmen auf die zeitliche Beschränkung des Verjährungsverzichts und auf die Versicherungssumme unterblieben wären.

2.4. An dieser Einschätzung ändert schließlich die in den Schreiben der Beklagten enthaltene Einschränkung nichts, wonach alle Einwände zu Kausalität und Höhe vorbehalten blieben: Diese bezieht sich auf die Berechtigung von einzelnen Ansprüchen, nicht jedoch auf die Eintrittspflicht als Haftpflichtversicherer dem Grunde nach.

2.5. Die Erklärung des Schadensreferenten der Beklagten ist daher als konstitutives Anerkenntnis im Namen der Beklagten zu verstehen.

3.1. Eine wirksame Stellvertretung setzt neben dem Handeln des Stellvertreters im Namen des Vertretenen das Vorliegen von Vertretungsmacht voraus, die hinreichend offengelegt werden muss. Ein ohne ausreichende Vertretungsmacht gesetzter Geschäftsakt ist unwirksam (vgl RS0105992), soweit nicht die Regeln der Handlungsvollmacht oder der Anscheinsvollmacht eingreifen. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass jemand nicht im eigenen Namen, sondern im Namen eines anderen als dessen direkter Stellvertreter gehandelt hat, trifft denjenigen, der daraus Rechte ableitet (RS0053936), hier also den Kläger.

3.2. Anscheinsvollmacht darf nach der Rechtsprechung nur dann angenommen werden, wenn aus dem Verhalten des Vertretenen selbst der Schluss abgeleitet werden kann, er habe dem Handelnden Vollmacht erteilt. Der die Vertretungsmacht begründende Anschein hat nicht vom Vertreter, sondern von einem Verhalten des Vertretenen bzw eines vertretungsbefugten Organs auszugehen. Der auf diese Weise gesetzte, dem Vertretenen zurechenbare äußere Tatbestand muss das Vertrauen des gutgläubigen Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht rechtfertigen (vgl RS0019609; RS0020145).

3.3. Den österreichischen Gesetzen ist keine (allgemeine) Regulierungsvollmacht des Haftpflichtversicherers zu entnehmen. Es kommt auf die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegende Bedingungslage an.

3.4. Der Schadensreferent der Beklagten, der die als Anerkenntnis zu wertenden Schreiben verfasste, war nach den Feststellungen berechtigt, solche Anerkenntnisse im Namen des Versicherungsnehmers gegenüber den Geschädigten abzugeben. Diese Regulierungsvollmacht kommt dem Versicherer zu. Woraus nun der Geschädigte hätte erkennen können, dass der Schadensreferent von der Beklagten zwar bevollmächtigt war, in ihrem Namen, aber bloß den Versicherungsnehmer betreffend, handeln zu dürfen, nicht jedoch auch für sie selbst, ist nicht erkennbar. Setzt der Versicherer einen Schadensreferenten zur Abwicklung eines Versicherungsfalls ein, so hat er damit – wenn nichts anderes zu erkennen ist – gegenüber dem Versicherungsnehmer oder Dritten den Anschein erweckt, dass der Schadensreferent zur Abgabe von den Schadensfall betreffenden Erklärungen im Namen des Versicherers bevollmächtigt ist, sei es aufgrund einer Vollmacht zur selbständigen Entscheidung, sei es nach Abschluss der internen Willensbildung der Entscheidungsträger. Der Anschein, dass die Erklärung des Schadensreferenten von der Vollmacht der Beklagten gedeckt war, wurde daher sehr wohl von der Beklagten gesetzt, nämlich indem sie sich eines Schadensreferenten zur Abwicklung und Kommunikation im Außen bediente.

3.5. Das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht ist damit zu bejahen.

4.1. Erklärt der Schädiger gegenüber dem Geschädigten, seine Haftung für alle künftig aus der schädigenden Handlung entstehenden Schäden anzuerkennen und diese Schäden zu ersetzen, so ist dies als konstitutives Anerkenntnis anzusehen; einem Feststellungsbegehren bezüglich dieser Schäden fehlt daher das rechtliche Interesse (RS0034315).

4.2. Hier hat die Beklagte zwar ein konstitutives Anerkenntnis abgegeben, bestreitet jedoch sowohl vorprozessual als auch während des Prozesses dessen Gültigkeit.

Das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung ist auch dann gegeben, wenn ein aktueller Anlass zur präventiven Klärung des strittigen Rechtsverhältnisses besteht, der dann zu bejahen ist, wenn das Rechtsverhältnis durch eine ernsthafte Unsicherheit gefährdet erscheint; zum Beispiel wenn der Beklagte ein Recht des Klägers – wie hier – hartnäckig bestreitet (RS0039007), wobei kein allzu strenger Maßstab an die Frage der Klärungsbedürftigkeit eines Rechts oder Rechtsverhältnisses anzulegen ist (RS0038908 [T12]; vgl 7 Ob 95/10m).

4.3. Das Vorliegen eines Feststellungsinteresses ist daher hier zu bejahen, zumal das Begehren ohnehin nur auf die Haftung der Beklagten im Rahmen ihrer Deckungspflicht gerichtet ist.

5. Zusammenfassend sind also sowohl die Abgabe eines konstitutiven Anerkenntnisses der Beklagten selbst gegenüber dem Kläger als auch das rechtliche Interesse an der Feststellung dieser von der Beklagten übernommenen Haftung zu bejahen. Dies führt zur Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn.

6. Die Kostenentscheidung gründet in § 41 ZPO iVm § 54 Abs 1a ZPO (für das erstinstanzliche Verfahren) bzw § 50 ZPO (für das gesamte Rechtsmittelverfahren).