JudikaturJustiz6Ob94/71

6Ob94/71 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 1971

Kopf

SZ 44/56

Spruch

Der private Hausangestellte eines Botschaftsrates der Wiener griechischen Botschaft genießt keine Freiheit von der inländischen Jurisdiktion

OGH 28. 4. 1971, 6 Ob 94/71 (LGZ Wien 43 R 760/69; BG Döbling 4 C 113/69)

Text

Die Kläger nehmen den Beklagten als außerehelichen Vater in Anspruch und begehren die Feststellung seiner Vaterschaft und Leistung des Unterhalts in Höhe von monatlich S 400.- für jedes der beiden Kinder.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Urteil erster Instanz und das vorausgegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Hinsichtlich einer vom Bundesministerium für Justiz abgegebenen Erklärung, wonach der Beklagte in der vorliegenden Rechtssache keine Immunität von der inländischen Zivilgerichtsbarkeit genieße, vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, es sei nur an die Tatsache gebunden, daß der Beklagte privater Hausangestellter des Botschaftsrates der Königlich Griechischen Botschaft in Wien Georges P sei. Übrigens findet sich diese Tatsachenmitteilung nicht etwa in der Erklärung des Bundesministeriums für Justiz, sondern in der Mitteilung des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten. In rechtlicher Hinsicht erachtete sich das Berufungsgericht in der Beurteilung der Unterworfenheit des Beklagten unter die inländische Gerichtsbarkeit frei.

Gegen den Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschluß des Berufungsgerichtes wendet sich der Rekurs der Kläger mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Urteil erster Instanz zu bestätigen oder dem Berufungsgericht die Entscheidung der Sache selbst aufzutragen. Hilfsweise beantragen die Kläger, nach Aufhebung es angefochtenen Beschlusses die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eine Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Kläger Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache an dieses zur Verhandlung und Entscheidung zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Vorweg erhebt sich die Frage der Gebundenheit des ordentlichen Richters an die vom Bundesminister für Justiz hinsichtlich der Unterworfenheit des Beklagten unter die inländische Gerichtsbarkeit abgegegebenen Erklärung i S des Art IX Abs. 3 des EGJN. Gemäß dieser Erklärung genießt der Beklagte in dieser Sache keine Immunität von der inländischen Zivilgerichtsbarkeit.

Von der Überzeugung ausgehend, daß Art IX des EGJN geltendes Recht ist und der Oberste Gerichtshof die zitierte Gesetzesstelle anzuwenden hätte, sowie von der weiteren Überzeugung ausgehend, daß die gesetzliche Anordnung der Bindung des Richters an die Erklärung des Justizministers verfassungswidrig sei, stellte der Oberste Gerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, den letzten Satz des Art IX Abs 3 EGJN RGBl 1895/110 als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit Erkenntnis vom 14. 10. 1970, G 20/70-8, hob der Verfassungsgerichtshof die zitierte Gesetzesstelle als verfassungswidrig auf. Das Erkenntnis wurde dem Obersten Gerichtshof am 20. 4. 1971 zugestellt. Für den Anlaßfall ist das Erkenntnis mit seiner Zustellung schon vor der Kundmachung im Bundesgesetzblatt wirksam. Dies bedeutet, daß der Oberste Gerichtshof bei Erledigung des anhängigen Rechtsmittels an die Erklärung des Bundesministers für Justiz nicht gebunden ist und die völkerrechtliche Vorfrage bei der Entscheidung über das strittige Prozeßhindernis selbst zu lösen hat.

Gemäß Art 37 Abs 4 des Wiener Übereinkommens über die diplomatischen Beziehungen BGBl 1966/66 genießen private Hausangestellte von Mitgliedern einer Mission, wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaates noch in demselben ständig ansässig sind, Befreiung von Steuern und sonstigen Abgaben auf die Bezüge, die sie auf Grund ihres Arbeitsverhältnisses erhalten. Im übrigen stehen ihnen Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zu. Der Beklagte ist griechischer Staatsangehöriger. Das Berufungsgericht grundete seine Entscheidung auf die Erwägung, daß Österreich als Empfangsstaat gemäß den Hofdekreten vom 7. 2. 1834, JGS Nr 2641 und vom 2. 9. 1839, JGS Nr 375 den privaten Hausangestellten akkreditierter Diplomaten über die Bestimmungen des Art 37 Abs 4 des Wiener Übereinkommens hinaus und i S des dort enthaltenen Vorbehaltes diplomatische Immunität zuerkenne, soweit es sich um die Freiheit von der inländischen Jurisdiktion handelt. Diese Auffassung kann jedoch nicht geteilt werden.

Gemäß § 1 Abs 1 des Gesetzes vom 3. 4. 1919 über die Abschaffung der nicht im Völkerrecht begrundeten Exterritorialität StGBl 1919/210 steht das Vorrecht der Exterritorialität nur Personen zu,die darauf nach den Grundsätzen des Völkerrechtes Anspruch haben. Gemäß Abs 2 leg cit wurden alle Vorschriften, nach denen dieses Vorrecht auch anderen Personen zusteht, aufgehoben. Aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage und dem Bericht des Verfassungsausschusses (Blg Nr 81, 2 und Blg 109, 1 zu den stenogr Protokollen der Nationalversammlung 1919) ergibt sich allerdings, daß Anlaß zu dem genannten Gesetz das Streben war, verschiedenen fremden Fürstlichkeiten Vorrechte zu entziehen, die ihnen der Kaiser "aus Höflichkeit" über das Völkerrecht hinaus verliehen hatte. Das Gesetz hat aber ohne in dieser Hinsicht eine Beschränkung zu treffen, ganz allgemein durch das Völkerrecht nicht begrundete Vorrechte der genannten Art aufgehoben. Es ist darauf zu verweisen, daß nach dem Gesetz die betreffende Person auf Grund des Völkerrechts Anspruch auf Gewährung der diplomatischen Immunität haben muß. Es genügt daher nicht, daß solche Vorrechte mitunter oder vielleicht in der Mehrzahl gewährt werden, vielmehr muß ein Völkerrechtssatz bestehen, wonach sie einen Anspruch darauf haben.

Somit ist zu untersuchen, ob die Bestimmungen der vom Berufungsgericht zitierten Hofdekrete unter die pauschale Aufhebung von Vorrechten fallen, die über die Grundsätze des Völkerrechtes hinausgehen. Diese Frage wäre nur dann zu verneinen, wenn es im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes vom 3. 4. 1919 den Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechtes entsprochen hätte, daß auch der Personenkreis, dem der Beklagte zuzurechnen ist, der inländischen Gerichtsbarkeit in Zivilrechtssachen entzogen war.

Eine zwischenstaatliche positiv-rechtliche Grundlage fehlt jedenfalls und es kann sich nur darum handeln, ob die Gewährung des hier in Rede stehenden Privilegs dem Völkergewohnheitsrecht, wie es im Jahre 1919 bestand, entsprach. Als Völkergewohnheitsrecht in diesem Sinn können nur Normen gewertet werden, die von der allgemeinen Staatenpraxis als Recht angenommen wurden (Verdross Völkerrecht[5] 139).

Die ältere Praxis (s jedoch hiezu Holtzendorff Handbuch des Völkerrechtes 1887, 661) gewährte wie dem Gefolge des Staatsoberhauptes so auch der "suite privee" des Diplomaten die volle Immunität. Diese umfaßte neben der Familie auch die Personen, die nicht zum amtlichen Personal der Gesandtschaft gehören, aber dem Diplomaten persönlich dienstpflichtig sind wie zB persönliche Hausbedienstete. Auch diese Personen werden noch heute in manchen Ländern privilegiert. Es besteht also darüber keine einhellige Rechtsüberzeugung (Verdross 333; Dahra Völkerrecht I 342; Strupp - Schlochauer Wörterbuch des Völkerrechts 672). Auch die mehrfach zitierte Bestimmung des Art 37 Abs 4 des Wiener Übereinkommens geht völlig eindeutig davon aus, daß es keine einheitliche Übung und Rechtsüberzeugung hinsichtlich der Privilegien an private Hausangestellte gibt. Gerade deshalb wurde ja des Ausnahmsfalles gedacht, daß der eine oder andere Empfangsstaat auch diesem Personenkreis weitergehende Immunitäten gewährt. Welche Bedeutung gerade diese vorsichtige Regelung des Wiener Übereinkommens hat, wird klar, wenn man bedenkt, daß das Konferenzergebnis nur in geringem Ausmaß von juristischen Erwägungen beeinflußt war, weil die Delegationsführer meist Diplomaten waren, die im Zweifel für eine Verstärkung der privilegierten Stellung eintraten. Wenn sie trotzdem den privaten Hausangestellten generell keine Ausnahme von der Unterworfenheit unter die Zivilgerichtsbarkeit des Empfangsstaates einräumten, so beruht dies offensichtlich auf dem Gedanken der hinsichtlich dieses Personenkreises fehlenden funktionellen Notwendigkeit. Die Theorie der funktionellen Notwendigkeit war aber ein Leitgedanke der Wiener diplomatischen Konferenz (Zemanek: Die Wiener diplomatische Konferenz Arch VR 9, 407 f).

Den vom Berufungsgericht zitierten Hofdekreten wurde keinesfalls durch die Bestimmung des Art 37 Abs 4 des Wiener Übereinkommens derogiert, weil der dort enthaltene Vorbehalt einer ausnahmsweisen Übung des Empfangsstaates eine sachliche Kollision verhindert, so daß eine grundlegende Voraussetzung der inhaltlichen Derogation fehlt. Die Hofdekrete waren aber nicht mehr österreichisches geltendes Recht.

Ihnen wurde nicht inhaltlich derogiert, sondern sie wurden durch österreichisches Gesetz, nämlich durch § 1 Abs 2 des Gesetzes vom 3. 4. 1919 aufgehoben. Dies ergibt sich daraus, daß die Gewährung der Exterritorialität (diplomatischen Immunität) hinsichtlich der Zivilgerichtsbarkeit im Inland für diesen Personenkreis nicht allgemeines Völkerrecht war. Zu diesem Ergebnis führt der oben dargestellte Mangel einer einheitlichen internationalen Rechtspraxis und Rechtsüberzeugung.

Es verdient in diesem Zusammenhang Interesse, daß sogar zeitlich vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 3. 4. 1919 für den innerösterreichischen Rechtsbereich der aufrechte Bestand der Freiheit des privaten Dienstpersonals der Diplomaten von der inländischen Gerichtsbarkeit zweifelhaft war (Strisower in Österreichisches Staatswörterbuch[2] I 914).

Das Berufungsgericht ist also von einer unrichtigen rechtlichen Voraussetzung ausgegangen, wenn es meinte, daß die Bestimmungen der von ihm zitierten Hofdekrete noch heute geltendes österreichisches Recht seien und wenn es daraus den Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit in der vorliegenden Sache ableitete.

Es erweist sich daher als notwendig, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Rechtssache zur sachlichen Erledigung der Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Rechtssätze
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