JudikaturJustiz6Ob635/94

6Ob635/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Januar 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Raiffeisenbank ***** registrierte Genossenschaft mbH, ***** 2. Raiffeisenkasse ***** registrierte Genossenschaft mbH, ***** beide vertreten durch Dr.Reinhard Steger, Rechtsanwalt in St.Johann im Pongau, wider die beklagte Partei Raiffeisenverband ***** registrierte Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Christoph Liebscher, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Nichtigkeit und Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen (Streitwert S 500.000,--), infolge Revisionsrekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 14.September 1994, AZ 1 R 175/94 (ON 7), womit der Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 18.Juli 1994, GZ 3 Cg 126/94z-4, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß der erstgerichtliche Beschluß mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß er lautet:

Der Antrag der beklagten Partei, den Streitwert mit S 5,000.000,--, jedenfalls aber mit S 501.000,-- festzusetzen und die Verhandlung und Entscheidung im Senat durchzuführen, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 23.512,50 (darin S 3.918,75 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die klagenden Parteien begehren die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise die Nichtigerklärung von Generalversammlungsbeschlüssen, mit welchen die Satzung der beklagten Partei in einzelnen Punkten geändert wurde und bewerteten ihr Begehren mit S 500.000,--.

Die beklagte Partei stellte in ihrer Klagebeantwortung unter anderem den Antrag, den Streitwert mit S 5,000.000,--, jedenfalls aber mit S 501.000,-- festzusetzen und die Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache im Senat durchzuführen.

Das Erstgericht wies den Antrag der beklagten Partei auf Verhandlung und Entscheidung durch einen Senat ab. Es führte aus, die beklagte Partei räume selbst ein, daß die Bestimmungen der Jurisdiktionsnorm kein Recht auf Bemängelung eines zu gering angesetzten Streitwertes und auf Senatsbesetzung durch die beklagte Partei enthielten. Eine zu geringe Bewertung des Streitwertes durch die klagende Partei könne nicht Anlaß zur Bestreitung der Zuständigkeit und Gerichtsbesetzung geben. Nach § 60 Abs 1 JN könne das Gericht bei übermäßiger Bewertung die Richtigkeit der Wertangabe überprüfen, im übrigen sei nach § 60 Abs 4 JN die in der Klage enthaltene Bewertung des Streitgegenstandes in Ansehung der Zuständigkeit und Besetzung des Gerichtes sowohl für das Gericht als auch für den Gegner bindend.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der beklagten Partei, in welchem auf verfassungsgesetzliche Grundsätze, insbesondere den im Zivilverfahren geltenden Grundsatz der Chancengleichheit verwiesen wird, Folge. Es hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem auf, über den Antrag der beklagten Partei auf Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes zu entscheiden. Es sei in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, daß fehlerhafte Generalversammlungsbeschlüsse einer Genossenschaft in sinngemäßer Anwendung der aktienrechtlichen Bestimmungen über die Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen bekämpft werden könnten. Die analoge Anwendung der Bestimmungen des Aktiengesetzes gelte auch für die Anfechtungsbefugnis und die Urteilswirkungen. Die angestrebte Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechtes und die Rechtssicherheit ließen es geboten erscheinen, auch die in §§ 197 und 201 AktG enthaltenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen über die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage sinngemäß anzuwenden.

Nach § 56 Abs 2 JN habe der Kläger bei der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage den Wert des nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstandes in der Klage anzugeben. Diese Bewertung sei grundsätzlich für die Zuständigkeit und Besetzung des Gerichtes bindend. § 197 Abs 6 AktG, welcher gemäß § 201 Abs 1 AktG auch für die Nichtigkeitsklage gelte, weise jedoch eine Besonderheit auf: Das Prozeßgericht habe über den bis zum Verhandlungsschluß zulässigen Antrag einer Partei den Wert des Streitgegenstandes ohne Bindung an die Bewertung des Klägers festzusetzen. Nach dieser Bestimmung sei die beklagte Partei daher berechtigt gewesen, einen Antrag auf Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes zu stellen, über den das Erstgericht unter Berücksichtigung der im § 197 Abs 6 AktG normierten Umstände werde zu entscheiden haben. Setze das Erstgericht den Streitgegenstand mit einem Betrag über S 500.000,-- fest, entscheide in der Rechtssache gemäß § 7a JN der Senat, weil die beklagte Partei den darauf abzielenden Antrag rechtzeitig bereits in der Klagebeantwortung gestellt habe.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zu der hier zu entscheidenden Frage des Verfahrensrechtes eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Grundsätzlich bestimmt § 56 Abs 2 JN, daß der Kläger den Wert eines nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstandes in der Klage anzugeben hat. Dies gilt insbesondere auch in Ansehung von Feststellungsklagen. Diese Bewertung ist grundsätzlich für die Zuständigkeit und die Besetzung des Gerichtes (§ 7a JN) sowohl für das Gericht als auch für den Gegner bindend. § 60 JN ermöglicht es dem Gericht lediglich, eine übermäßig hoch gegriffene Bewertung des Streitgegenstandes nach unten zu korrigieren, wenn wahrscheinlich ist, daß bei richtiger Bewertung des Streitgegenstandes dieser die für die Zuständigkeit des Gerichtshofes oder für die Besetzung des Gerichtes (§ 7a) maßgebende Wertgrenze nicht erreichen dürfte. Zweck dieser Bestimmung ist es, die Erschleichung der Gerichtshofzuständigkeit oder der Senatsbesetzung hintanzuhalten (RZ 1987/44). Eine Unterbewertung durch den Kläger kann nicht korrigiert werden und bindet das Gericht und den Beklagten hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit und der Gerichtsbesetzung.

Als lex specialis und Ausnahme von dieser generellen verfahrensrechtlichen Regelung ermöglicht § 197 Abs 6 AktG dem Prozeßgericht, über einen bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zulässigen Antrag einer Partei den Wert des Streitgegenstandes ohne Bindung an die Bewertung des Klägers mit - anfechtbarem - Beschluß festzusetzen.

Weil im Genossenschaftsrecht eine Regelungslücke über die Wirkungen und die Voraussetzungen der Geltendmachung von fehlerhaften Generalversammlungsbeschlüssen besteht und die im Prinzip gleichgelagerte Situation der verschiedenen Gesellschaften (AG, GesmbH, GenmbH) eine gleichartige Behandlung verlangt - das Problem des Schicksals fehlerhafter Beschlüsse ist bei allen Gesellschaften gleichgelagert - hat die neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, Reischauer in JBl 1976, 7 folgend, die Regelungslücke im Genossenschaftsrecht durch analoge Anwendung der aktienrechtlichen Bestimmungen über die Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen ausgefüllt (ecolex 1990, 418; NRspr 1989/104). Die Analogie zum Aktienrecht, in welchem als dem modernsten Gesetz die Sanktionen auf fehlerhafte Beschlüsse am weitesten entwickelt sind, wurde vom Obersten Gerichtshof hinsichtlich der materiellrechtlichen Bestimmungen (Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, Anfechtungsbefugnis und Urteilswirkung) bejaht und wird von Reischauer (aaO) auch auf die verfahrensrechtlichen Regelungen der Anfechtungsfrist und des Beginnes des Fristenlaufes ausgedehnt.

Eine analoge Anwendung verfahrensrechtlicher Ausnahmebestimmungen bei bestehenden generellen gesetzlichen Regelungen käme nur in Betracht, wenn die strukturell gleichgelagerte Problematik eine gleichartige Behandlung zwingend erforderte, der Gesetzgeber, würde er die Frage neuerlich regeln, die Rechtslage zweifellos entsprechend der von der generellen Regelung abweichenden Sonderbestimmung gestalten würde. Dies trifft auf die von §§ 56 Abs 2 und 60 JN abweichende Bestimmung des § 197 Abs 6 AktG nicht zu. Schon im GesmbHG fehlt eine gleichartige Regelung und der Anfechtungskläger hat hier die Bewertung des Streitgegenstandes nach der allgemeinen Bestimmung des § 56 Abs 2 JN ohne Korrekturmöglichkeit durch den Richter vorzunehmen. Die Ausnahmeregelung des § 197 Abs 6 AktG, die noch aus dem deutschen Aktiengesetz 1937 stammt, ist vielmehr auf die Besonderheiten gerade der Aktiengesellschaften, die besondere Höhe der Kapitalausstattung und damit die gravierenden Auswirkungen auf Anfechtungs- und Nichtigkeitsurteile für die Gesellschaft und die Aktionäre abgestimmt. Die Erläuterung zur Regierungsvorlage des Aktiengesetzes 1965 (301 BlgNR 10.GP) führen hiezu an: "Für die Vorschrift des § 197 Abs 6 war die Überzeugung von der Zweckmäßigkeit der Beibehaltung der bisher geltenden Regelung (§ 199 Abs 6) maßgeblich, die es dem Gericht ermöglicht, den Streitwert in Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles der Bedeutung des Prozesses, dem Interesse der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung des Beschlusses aber auch dem des Klägers an der Nichtigkeit entsprechend zu bemessen". Für die Gerichtsbesetzung, etwa in der Form, daß wegen der Wichtigkeit und Auswirkungen der Entscheidung in erster Instanz jedenfalls ein Senat zu verhandeln und zu entscheiden hätte, enthält nicht einmal das Aktiengesetz eine von der allgemeinen Regelung abweichende Sonderbestimmung. Für eine analoge Anwendung des § 197 Abs 6 AktG auch auf Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen im Genossenschaftsrecht besteht daher keine Notwendigkeit.

Die Bindung an die Bewertung des Streitgegenstandes durch den Kläger verletzt entgegen der Ansicht der beklagten Partei auch nicht den Grundsatz der Waffengleichheit der Parteien im Zivilprozeß, denn beide Parteien stehen gleichmäßig entweder einem Einzelrichter oder, soferne die Voraussetzungen hiefür vorliegen, einem Senat aus drei Richtern gegenüber. Im übrigen hat schon das Erstgericht darauf verwiesen, daß der Gesetzgeber in jüngster Zeit bestrebt ist, die Senatsgerichtsbarkeit in erster Instanz möglichst einzuschränken, bei den umfangreichen Rechtsmittelmöglichkeiten der österreichischen Zivilprozeßordnung kann hiedurch ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Grundrecht wohl nicht verletzt sein.

In Stattgebung des Revisionsrekurses war daher der erstgerichtliche Beschluß wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.