JudikaturJustiz6Ob556/87

6Ob556/87 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. April 1987

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Schlosser, Mag. Engelmaier und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*** H*** gemeinnützige registrierte Genossenschaft

mbH., 8010 Graz, Klosterwiesgasse 32, vertreten durch Dr. Gerhard Hermann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Friedrich W***, Kaufmann, 1160 Wien, Redtenbachergasse 57, vertreten durch Dr. Helmut Neudorfer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung gemieteter Geschäftsräumlichkeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 21. Jänner 1987, GZ. 41 R 667/86-230, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 28. August 1986, GZ. 4 C 19/85-224, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.829,75 S (darin enthalten 257,25 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Vermieterin kündigte dem beklagten Mieter die im Tiefparterre des Hauses 1160 Wien, Redtenbachergasse 57, gemieteten Geschäftsräumlichkeiten aus dem Grunde des § 19 Abs.2 Z 4 MG gerichtlich auf und behielt sich in der Kündigung vor, den Ersatzmietgegenstand erst im Zuge des Verfahrens anzubieten. Über diese Aufkündigung erließ das Erstgericht den Auftrag vom 4. Juni 1976, 4 K 170/76.

Der Mieter erhob gegen die Aufkündigung Einwendungen. Mit Zwischenurteil vom 10. August 1976 entschied das Erstgericht, daß der Kündigungsgrund vorbehaltlich der Ersatzbeschaffung gegeben ist.

Binnen drei Monaten nach dem Eintritt der Rechtskraft des Zwischenurteiles bot die Vermieterin dem Mieter Räumlichkeiten im Hause 1160 Wien, Grundsteingasse 15, als Ersatz an, der jedoch nach Ansicht des Mieters nicht nach Lage und Beschaffenheit angemessen ist.

Mit Beschluß vom 13.Mai 1983 setzte das Erstgericht die angemessene Höhe der vom Mieter begehrten Entschädigung mit 2,460.905 S fest, die vom Mieter nicht angenommen wurde. Nach Eintritt der Rechtskraft des letztgenannten Beschlusses entschied das Erstgericht über die Aufkündigung durch Endurteil, wobei es im zweiten Rechtsgang die Aufkündigung für rechtsunwirksam erklärte und das Räumungsbegehren abwies.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen fest, daß das Mietverhältnis am 1.Oktober 1958 begann und der Mieter in den Bestandräumlichkeiten ein Waffelerzeugungsunternehmen betreibt. Im 194 m 2 großen, langgestreckten rechteckigen Produktionsraum sind sechs Tütenbackautomaten aufgestellt, einer davon möglicherweise erst nach der Aufkündigung. Daß vier Backautomaten in der Nähe der Fenster stehen, ermöglicht - jedenfalls außerhalb des Sommers - in diesem Arbeitsraum erträgliche Temperaturen. Die Innenwand dieses Raumes bietet Platz für 26,6 m 2 Stellflächen, auf denen etwa 250 Kartons mit einer knappen Tagesproduktion abzukühlender Waren gelagert werden können. In einem etwa 19 m 2 großen weiteren Produktionsraum befinden sich ein Waffelbackautomat und ein Arbeitstisch. Die 37,7 m 2 große Schlosserei ist gut mit Maschinen ausgestattet. Durch die Schlosserei ist ein 23,5 m 2 großer Lagerraum zugänglich, in dem Backformen und andere Hilfs- und Betriebsmittel aufbewahrt werden. Ein vom Vorraum zugänglicher, 16,8 m 2 großer weiterer Lagerraum in der Nähe des großen Produktionsraumes dient der Lagerung verpackter Fertigwaren und Verpackungsmaterials und reicht für 450 Kartons aus. In einem neben dem kleinen Produktionsraum liegenden 25,5 m 2 großen Lagerraum können bis 650 Kartons fertig verpackter Waren aufbewahrt werden. Ein 47 m 2 großer Raum wird etwa je zur Hälfte als Mehllager und als Teigküche verwendet. Im inneren und im äußeren Vorraum werden Fertigwarenverpackungen zwischengelagert. Die Einfahrt in den Betrieb ist ohne höhenmäßige Begrenzung offen. In unmittelbarer Nähe des Betriebes, nämlich in den ebenfalls in der Redtenbachergasse befindlichen Häusern 54 und 60 und in dem in der Parallelgasse der Redtenbachergasse befindlichen Haus Speckbachergasse 47 hat der Mieter insgesamt etwa 157 m 2 große Räume gemietet, wovon rund 107 m 2 zur Lagerung von Fertigwaren, der Rest zur Lagerung von Emballagen verwendet werden. Der Mieter erzeugt Backwaren, die im wesentlichen aus einem Mehl-Wassergemisch unter Zusatz von Lezithin bestehen. Das Mehl muß aus betriebswirtschaftlichen Gründen von Mühlen mit Acht- bis Zehn-Tonnen-LKW, oft auch LKW-Zügen angeliefert werden, die auf dem Betriebsgrundstück bis zu einem Kellerfenster des Mehllagers zufahren können. In den Sommermonaten werden wöchentlich 50 bis 70 50-Kilo-Säcke Mehl zugestellt, in der Wintersaison etwa die Hälfte dieser Menge. Der rechteckige Grundriß des großen Produktionsraumes ist die Voraussetzung für die sehr günstige Aufstellung der Backautomaten, die eine gute Frischluftzufuhr und Warmluftabfuhr, reibungslose innerbetriebliche Transporte und die Lagerung der langsam abzukühlenden Backwaren ermöglicht. Da die Auslieferung der Fertigwaren in die Bundesländer von Spediteuren mit größeren Transportmitteln vorgenommen wird, ist die Möglichkeit der Lagerung in den in unmittelbarer Nähe gelegenen Räumen in der Redtenbachergasse 54 und 60, die knapp 3000 Kartons fassen, betriebswirtschaftlich besonders wichtig. Die Kunden im Wiener Raum werden mit einem rund 150 Kartons fassenden Transporter des Mieters beliefert. Da es sich bei den vom Mieter hergestellten Produkten um großvolumige, aber leichte Waren handelt, sind diese ein ideales Zuladegut für die Lieferfirmen, deren LKW beim Beladen über die etwa vier Meter breite Zufahrt direkt auf das Betriebsareal oder zu den Zwischenlagern fahren können. Während des Sommers laden die Spediteure ein- bis zweimal täglich Fertigwaren, im späten Frühjahr sogar öfter.

In den angebotenen Ersatzräumen im Hause 1160 Wien, Grundsteingasse 15, könnten in einer betriebsorganisatorisch zu rechtfertigenden Weise fünf Tütenbackmaschinen und ein Waffelbackautomat aufgestellt und etwa 900 Kartons Fertigwaren gelagert werden. Das Haus Grundsteingasse 15 liegt zwischen dem Brunnenmarkt und dem Gürtel. Wegen der Einbahnregelung ist eine Zufahrt nur nach Überquerung des von Fußgehern stark frequentierten Brunnenmarktes in Richtung Gürtel zulässig. Die Grundsteingasse ist zwischen dem Brunnenmarkt und dem genannten Haus etwa 5,4 m, vor dem Haus rund 6,5 m breit und häufig verparkt, und zwar entgegen dem dortigen Halteverbot oft auch auf der gegenüberliegenden Seite. Die für die Mehllieferungen und den Abtransport der Fertigwaren erforderlichen größeren Transportfahrzeuge würden im Bereich der Grundsteingasse erschwerte Fahr- und Parkverhältnisse vorfinden, was zu einer deutlichen Belastung und Beeinträchtigung des Betriebsgeschehens führen würde, der auch durch Errichtung einer Ladezone nicht abgeholfen werden könnte. Ein Einfahren, Be- und Entladen solcher größerer Fahrzeuge auf dem Betriebsgrundstück selbst ist nicht möglich. Die Einlagerung von in der Grundsteingasse erzeugten Fertigwaren in den in der Redtenbachergasse zugemieteten Lagerräumen wäre wegen des zusätzlichen Personalaufwandes und Einsatzes des firmeneigenen Lieferwagens betriebswirtschaftlich nicht zu vertreten.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht im wesentlichen aus, daß die angebotenen Ersatzräumlichkeiten insbesondere deshalb kein nach Lage und Beschaffenheit angemessener Ersatz seien, weil dort die aus betriebswirtschaftlichen Gründen nötige Zulieferung des Rohstoffes Mehl und der Abtransport der Fertigwaren durch große LKW sehr schwierig wäre, die ebenfalls aus betriebswirtschaftlichen Gründen nötige Lagermöglichkeit der Fertigwaren geringer wäre und die quadratische Form des vorgesehenen Produktionsraumes zu einer Überschneidung der Betriebsabläufe führen würde. Die nicht mehr gegebene Möglichkeit des Auskühlens der Backwaren im Produktionsraum würde deren Qualität verschlechtern. Der Mieter könnte daher seinen Waffelerzeugungsbetrieb im angebotenen Ersatzobjekt nicht ohne Einschränkung seiner Wettbewerbsfähigkeit und dmait nicht ohne wesentliche Schlechterstellung weiterführen.

Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Vermieterin nicht Folge.

Die zweite Instanz übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung und teilte auch die Rechtsmeinung des Erstrichters, daß die angebotenen Ersatzräume wegen der erschwerten Transport-, Lager- und Produktionsmöglichkeiten den aufgekündigten Räumen nicht im wesentlichen gleichwertig und damit nicht nach Lage und Beschaffenheit angemessen seien.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der klagenden Partei wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, es durch Wirksamerklärung der Aufkündigung abzuändern, allenfalls es aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Wegen des Ausspruches des Berufungsgerichtes, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteigt, ist die Revision nach § 502 Abs.4 Z 2 ZPO zulässig.

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Da dieses Verfahren im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Mietrechtsgesetzes am 1.Jänner 1982 schon bei Gericht anhängig war, ist es nach § 48 Abs.1 leg.cit. nach den bis dahin in Geltung gestandenen Vorschriften durchzuführen, so daß die Wirksamkeit der vor dem 1.Jänner 1982 zugestellten Aufkündigung nach den bis 31. Dezember 1981 maßgeblichen Regelungen zu beurteilen ist (MietSlg 35.476, 36.565, 36.566 ua; Würth in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 48 MRG). Für diese Kündigung gelten daher die Sonderbestimmungen des § 21 a MG in der seit 1.August 1974 wirksamen Fassung der Novelle 1974, BGBl. Nr.409.

Weil der Beklagte weder den angebotenen Ersatzmietgegenstand noch die Entschädigung angenommen hat, wäre die Aufkündigung nach § 21 a Abs.3 Z 2 MG durch Endurteil für rechtswirksam zu erklären, wenn sich erweist, daß das Anbot bezüglich des angebotenen Ersatzmietgegenstandes im Sinne des Absatzes 2 dieser Gesetzesstelle angemessen gewesen ist.

Dies wäre nur der Fall, wenn die angebotenen Geschäftsräumlichkeiten in der Grundsteingasse 15 ein nach Lage und Beschaffenheit angemessener Ersatz der aufgekündigten Geschäftsräumlichkeiten in der Redtenbachergasse 57 wären. Angemessen ist der Ersatz bei ungefährer Gleichwertigkeit, wobei insbesondere auf die Erwerbsbedingungen des Mieters Bedacht zu nehmen ist (Zingher, Mietengesetz 18 102; Derbolav in Korinek-Krejci, Handbuch zum Mietrechtsgesetz, 463; Würth in Rummel, ABGB, Rz 5 zu dem im wesentlichen auf § 21 a Mietengesetz zurückgehenden § 32 MRG; MietSlg 1.912, 5.867; EvBl.1959/313; MietSlg 8.941 und 23.371 ua.).

Bei dem aufgekündigten Bestandvertrag handelt es sich um die Miete von Geschäftsräumlichkeiten, in denen der Mieter bis zur Zeit der Aufkündigung, aber auch bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in erster Instanz eine Waffelerzeugung betrieb. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen sind die angebotenen Ersatzräumlichkeiten für diesen Waffelerzeugungsbetrieb des Beklagten nach Lage und Beschaffenheit, insbesondere wegen der dort wesentlich schlechteren Bedingungen für die Zulieferung der Rohstoffe sowie für die Herstellung, Lagerung und Auslieferung der Backwaren nicht angemessen.

Unter diesen Umständen stellten die angefochtenen Ersatzräume weder zur Zeit des Anbotes noch bei Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz einen angemessenen Ersatz im Sinne des § 21 a Abs.2 MG dar.

Da der Mieter seinen Waffelerzeugungsbetrieb unbestrittenermaßen bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz führte, können nur solche Ersatzräume als ungefähr gleichwertiger Ersatz angesehen werden, die ihm eine Fortsetzung dieser Betriebstätigkeit unter etwa gleichen Bedingungen ermöglichen, ohne daß im Zusammenhang mit dieser bestandrechtlichen Frage zu prüfen wäre, ob die bisherige Betriebsanlage allen Voraussetzungen einer gewerbebehördlichen Genehmigung entsprach.

Die geltend gemachten Revisionsgründe sind daher nicht gegeben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage beträgt nach § 10 Z 2 lit a RATG 35.400 S (Jahresmietzins).

Rechtssätze
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