JudikaturJustiz6Ob543/93

6Ob543/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Werner T*****, Rechtsanwalt, ***** vertreten durch Dr.Peter Schaden, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Dr.Peter S*****, Kaufmann, ***** vertreten durch Dr.Rainer-Maria Schilhan, Rechtsanwalt in Wien, wegen restl. 104.767,44 S samt Nebenforderungen, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das zum Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 2.August 1991, GZ 8 Cg 147/90-14, ergangene Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 22. Dezember 1992, AZ 3 R 236/91(ON 19), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision des Beklagten wird stattgegeben und das angefochtene Urteil derart abgeändert, daß auch das Begehren auf Zahlung des restlichen Betrages von 104.767,44 S samt 4,8 % Zinsen (einschließlich Umsatzteuer) seit 5.Oktober 1989 abgewiesen wird.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 53.436,80 S bestimmten Kosten des Rechtsstreites (darin enthalten an Barauslagen 20.000 S und an Umsatzsteuer 5.572,80 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Inhaber eines Gebäudereinigungsbetriebes hatte mit zahlreichen Personen Verträge zwecks Erfüllung der von ihm übernommenen Aufträge in der Auffassung geschlossen, diese Personen jeweils werkvertraglich und nicht als Dienstnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinn verpflichtet zu haben. Der zuständige Träger der Krankenversicherung vertrat dagegen den Standpunkt, der Betriebsinhaber habe die Arbeitskräfte im Sinn eines beitragspflichtigen Dienstverhältnisses beschäftigt und nahm eine Beitragsnachverrechnung vor.

Hierauf beantragte der Betriebsinhaber am 15.Juni 1984 die bescheidmäßige Feststellung, daß in Ansehung der in der Beitragsnachverrechnung berücksichtigten Personen keine Versicherungspflicht bestanden habe.

Mit Bescheiden vom 13.August 1984 sprach der zuständige Träger der Krankenversicherung die in den jeweils ausgewiesenen Zeiträumen bestandene Versicherungspflicht der einzelnen als Dienstnehmer gewerteten insgesamt 35 Personen in der Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung sowie die Verpflichtung zur Entrichtung der Beiträge im Sinne der erstellten Nachtragsverrechnung aus. Diese Bescheide wurden dem Betriebsinhaber am 17.August 1984 zu Handen seiner Ehefrau zugestellt. Gegen diese Bescheide des Trägers der Krankenversicherung vom 13.August 1984 erhob der Betriebsinhaber - in einem einheitlichen Schriftsatz - Einspruch. In Stattgebung der Einsprüche des Betriebsinhabers hob der Landeshauptmann mit Bescheid vom 5.August 1987 die Bescheide des Trägers der Krankenversicherung auf und sprach aus, daß die betroffenen Personen keiner Versicherungspflicht unterlegen seien. Der vom Träger der Krankenversicherung gegen den Einspruchsbescheid erhobenen Berufung wurde mit ministeriellem Bescheid vom 25.März 1988 nicht Folge gegeben. Der Träger der Krankenversicherung brachte eine Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde ein. Der Betriebsinhaber erstattete eine Gegenschrift. Der Verwaltungsgerichtshof wies mit seinem Erkenntnis vom 15.Dezember 1988 die Beschwerde des Trägers der Krankenversicherung ab.

Vom Antrag auf bescheidmäßigen Abspruch über die Versicherungspflicht an war der Betriebsinhaber aufgrund einer mit 30.Mai 1984 datierten Vollmacht anwaltlich vertreten. Nach dem formularmäßigen Text der Vollmachtsurkunde versprach der Klient dem Rechtsanwalt, dessen Verdienst zu bezahlen.

Der Rechtsanwalt begehrte von seinem Mandanten das auf der Grundlage der Autonomen Honorar-Richtlinien berechnete Entgelt. Strittig ist ausschließlich die Berechtigung des Rechtsanwaltes zur Verrechnung eines Streitgenossenzuschlages im Sinne des § 7 Abs 3 AHR.

Das Prozeßgericht erster Instanz anerkannte den Anspruch des Klägers auf einen 100 %igen Streitgenossenzuschlag und verurteilte den Beklagten zur Zahlung eines Betrages von 104.767,44 S samt 4,8 % Zinsen (einschließlich Umsatzsteuer) seit 5.Oktober 1989.

Das Berufungsgericht bestätigte diesen Zuspruch. Dazu sprach es aus, daß eine Revisonszulässigkeitsvoraussetzung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliege.

Das Prozeßgericht erster Instanz ging in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, daß die Entlohnung des Klägers nach den Autonomen Honorar-Richtlinien zwar nicht ausdrücklich vereinbart worden sei, die Regelungen der AHR aber dennoch als Maßstab für das vom Beklagten dem Kläger geschuldete angemessene Honorar heranzuziehen wären. Nach § 7 Abs 3 AHR gebühre bei Beteiligung mehrerer Personen in einem dem der eigenen Partei entgegengesetzten Interesse je beteiligter Person bis zum Höchstausmaß von insgesamt 100 % ein Streitgenossenzuschlag von 10 % der Bemessungsgrundlage. Im sozialversicherungsrechtlichen Feststellungs- und Beitragsverfahren sowie auch im anschließenden Verwaltungsgerichtshofsverfahren sei jede einzelne Person, deren Versicherungspflicht strittig gewesen sei, Partei im Sinne des § 8 AVG gewesen. Deren mögliches Interesse an der Feststellung der Versicherungspflicht wäre dem Interesse des Unternehmers entgegengesetzt gewesen. Das Vorhandensein der vom Träger der Krankenversicherung als Versicherte behandelten Personen rechtfertige daher den Anspruch des den Unternehmer vertretenden Rechtsanwaltes auf Verrechnung des Streitgenossenzuschlages (unabhängig von jedem verfahrensrechtlichen Tätigwerden dieser Personen).

Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht.

Der Beklagte erhebt gegen das bestätigende Berufungsurteil außerordentliche Revision mit einem auf Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebugnsantrag.

Der Kläger strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Auslegung des Begriffes "Beteiligung einer Person in dem der eigenen Partei entgegengesetzten Interesse" in § 7 Abs 3 AHR eine höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt.

Die Revision ist auch berechtigt.

Der Kläger hat den Beklagten in einem sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren wegen Feststellung der Versicherungspflicht und wegen Beitragsnachzahlungen anwaltlich vertreten. Seine Entlohnung nach den Autonomen Honorar-Richtlinien (AHR) war zwar nicht ausdrücklich vereinbart. Dennoch hat er für seine vom Beklagten in Anspruch genommenen berufsmäßigen Leistungen Anspruch auf angemessene Entlohnung und für die Angemessenheit sind die Regelungen der AHR ein gewichtiger Hinweis. Im Zuge des Rechtsstreites haben die Parteien im übrigen das eingeschränkte Begehren ausdrücklich der Höhe nach außer Streit gestellt.

Strittig verblieb zwischen dem Rechtsanwalt und seinem ehemaligen Klienten ausschließlich die Frage nach der Berechtigung zur Verrechnung eines Streitgenossenzuschlages im Sinne des § 7 Abs 3 AHR. Nach dem Grundsatz des § 6 AHR ist ein nach den Richtlinien zu bestimmendes Honorar "unter sinngemäßer Anwendung des Rechtsanwaltstarifgesetzes zu errechnen". Der Streitgenossenzuschlag ist nach § 15 RATG eine prozentuelle Erhöhung der dem Rechtsanwalt gebührenden Entlohnung dafür, daß er entweder mehrere Personen vertritt oder daß er (richtiger: daß sein Mandant) mehreren Personen gegenübersteht. Die AHR umschreiben in ihrem § 7 Abs 3 die Voraussetzung für den Anspruch auf Streitgenossenzuschlag einerseits mit der Vertretung mehrerer Personen und andererseits mit der "Beteiligung mehrerer Personen in dem der eigenen Partei entgegengesetzten Interesse (§ 15 RATG)".

Bestehen die anwaltlichen Leistungen in der Vertretung des Klienten in einem förmlichen Verfahren, gebührt danach bei Vertretung nur eines Verfahrensbeteiligten ein Streitgenossenzuschlag für jeden Verfahrensbeteiligten in einem dem des vertretenen Klienten entgegengesetzten Interesse. Das "entgegengesetzte Interesse" einer anderen Person ist im Falle eines förmlichen Verfahrens nur aus der im Verfahren bezogenen Stellung zu entnehmen. Nicht jeder, dem nach den Verfahrensgesetzen Beteiligtenstellung zuzugestehen wäre, sondern nur ein solcher, der von seinen Möglichkeiten zur Verfahrensbeteiligung auch tatsächlich Gebrauch macht, steht dem Klienten als Beteiligter mit einem entgegengesetzten Interesse gegenüber (in einem Bauverfahren etwa nicht jeder Anrainer eines vom Rechtsanwalt vertretenen Bauwerbers, sondern nur jene, die tatsächlich Einwendungen erheben).

Der Hinweis des Revisionsgegners auf den Zivilprozeß des Klienten gegen eine mehrköpfige notwendige Streitgenossenschaft, für die im Verfahren aber nur einer prozessual tätig wird, schlägt insofern fehl, als eben im Falle einer notwendigen Streitgenossenschaft Verfahrenshandlungen eines Streitgenossen auch für die übrigen gelten. Das Einschreiten einer Behörde oder eines Selbstverwaltungsträgers in Vollziehung der Gesetze dürfte aber keinesfalls in vergleichbarer Weise als Verfahrenshandlung irgendeines Verfahrensbeteiligten gewertet werden.

Der vom Revisionsgegener in die Argumentation eingebrachte Tatumstand der Vielzahl von Personen, deren Versicherungspflicht Verfahrensgegenstand war, betrifft eine Frage der Anspruchshäufung oder auch der Verbindung mehrerer Verfahren, ändert aber nichts an der als erheblich erkannten tatsächlichen Inanspruchnahme der Beteiligtenstellung des einen oder anderen Vertragspartners des Beklagten im Verfahren über deren Versicherungspflicht.

Im Sinne des § 7 Abs 3 AHR ist nur eine solche Person in einem jenem des Klienten entgegengesetzten Interesse "beteiligt", die dieses ihr Interesse auch in einer dem Gegenstand der anwaltlichen Leistung gemäßen Weise betätigt, in einem formellen Verfahren also auch als Verfahrensbeteiligter auftritt.

Der Kläger hat nicht dargetan und es ist auch nicht aktenkundig, daß von den in den Feststellungsbescheiden des Trägers der Krankenversicherung als Versicherte bezeichneten Personen auch nur eine sich an dem sie betreffenden Verfahren vor dem Sozialversicherungsträger, vor dem Landeshauptmann, vor dem Bundesminister oder vor dem Verwaltungsgerichtshof durch Setzung einer Verfahrenshandlung beteiligt hätte.

Der Umstand, daß der Kläger den Beklagten in mehr als 30 - parallelen - Fällen strittiger Versicherungspflicht vertreten hat, rechtfertigt noch nicht die Verrechnung eines Streitgenossenzuschlages nach § 7 Abs 3 AHR.

Auch der Umstand, daß der Träger der Krankenversicherung bei der Beitragsfestsetzung und der Feststellung der Versicherungspflicht gleichzeitig auch gemäß § 58 Abs 5 ASVG "als Vertreter" anderer Rechtsträger, insbesondere der Träger der Unfall-, und der Pensionsversicherung, tätig geworden war, rechtfertigt keinen Zuspruch eines Streitgenossenzuschlages.

Der Oberste Gerichtshof hat in SZ 58/124 eingehend zu der als gesetzliche Bündelung der mehreren grundsätzlich voneinander unabhängigen öffentlich-rechtlichen Beitragsforderungen zu einem einheitlichen Zahlungs- und Einhebungsvorgang, bei dem auf der Gläubigerseite unter Ausschaltung der anderen materiellrechtlichen Forderungsträger allein der Träger der Krankenversicherung tätig zu werden hat, Stellung genommen. Für die Frage der Mehrpersönlichkeit des einen Versicherungsträgers ist unter dem Gesichtspunkt des § 7 Abs 3 AHR nur entscheidend, daß verfahrenstechnisch einzig und allein der Träger der Krankenversicherung dem Beitragsschuldner gegenüberzutreten hat. Diese gesetzlich angeordnete verfahrensrechtliche Einheit ist auch dafür bestimmend, daß - unabhängig der Verwendung des Ausdruckes "Vertreter" in § 58 Abs 5 ASVG - der Träger der Krankenversicherung verfahrensrechtlich nur als eine Person aufzufassen ist. Der Umstand, daß der Träger der Krankenversicherung auch die Beiträge für die Träger der Unfallversicherung und der Pensionsversicherung als deren Vertreter einzuheben hat, rechtfertigt es wegen der gesetzlich normierten Bündelung der Beitragsforderungen nicht, verfahrensrechtlich eine den Anspruch auf Streitgenossenzuschlag im Sinne des § 7 Abs 3 AHR begründende Parteienmehrheit anzunehmen.

Aus diesen Erwägungen besteht der Anspruch des Klägers auf ein um den Streitgenossenzuschlag erhöhtes Honorar nicht.

In Stattgebung der außerordentlichen Revision war das Klagebegehren daher im Abänderung der vorinstanzlichen Urteile zur Gänze abzuweisen.

Gemäß §§ 41 und 50 ZPO hat der Kläger dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.