JudikaturJustiz6Ob399/60

6Ob399/60 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 1960

Kopf

SZ 33/131

Spruch

Leugnen des Besitzes im technischen Sinn unter Geständnis der Innehabung genügt für die Anwendung des § 376 ABGB.

Entscheidung vom 23. November 1960, 6 Ob 399/60.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger hat in seiner Klage vom 24. Juni 1953 vorgebracht, daß zur Zeit der NS. Herrschaft, während er als Jude emigriert gewesen sei, sein Vermögen von der Gestapo eingezogen worden sei. In diesem Vermögen hätten sich unter anderen Kunstwerken Bilder befunden, darunter insbesondere auch ein Ölgemälde von Lovis Corinth, ein Interieur, darstellend ein Mädchen am Klavier. Sein Klagebegehren war auf eidliche Vermögensangabe und Übergabe mehrerer Bilder, darunter auch des erwähnten Bildes von Corinth, gerichtet. Der Beklagte hat in seiner Klagebeantwortung vom 12. September 1953 bezüglich des Bildes von Corinth vorgebracht, das Bild habe auf seine Empfehlung die inzwischen verstorbene Lilly A. im Frühjahr 1943 in einer Berliner Kunsthandlung um 24.000 RM erworben. Es befinde sich in der Münchner Galerie des Beklagten, der den Erben der Lilly A., Ernst A., als dessen Bevollmächtigter vertrete. Bei der Streitverhandlung vom 15. Dezember 1954 hat sich der Beklagte auf den Zeugen Johannes H. zum Beweis der Richtigkeit seines Vorbringens über den Erwerb des Corinth-Bildes durch Lilly A. berufen. Der erwähnte Zeuge hat aber bei seiner am 29. Jänner 1955 unter Intervention des Beklagtenvertreters durchgeführten Vernehmung diesen Erwerb nicht bestätigen können. Nach weiteren Verhandlungen am 29. März 1955, 11. Oktober 1955 und 28. März 1956 hat der Beklagte bei der Streitverhandlung vom 25. Mai 1956 im Zuge seiner Vernehmung als Partei zugegeben, daß er das Corinth-Bild zur Zeit der NS. Herrschaft in Berlin um 24.000 RM gekauft und aus seinem Vermögen bezahlt habe; er habe es dann seiner Sekretärin Liliy A. überlassen und habe sich erst im Jahre 1954, nach dem Tod der Lilly A. und nachdem deren Gatte auf alle Ansprüche verzichtet habe, als Eigentümer des Bildes betrachten können. Der Kläger hat darauf sein Begehren auf Herausgabe dieses Bildes in eventu auf § 376 ABGB. gestützt. In seinem Schriftsatz vom 20. Oktober 1956 hat der Beklagte vorgebracht, er habe das Bild als Notpfennig für Lilly A. gekauft und ihr die Berechtigung eingeräumt, im Falle der Not dieses Bild zu verwerten; erst im Jahre 1954, nachdem der Gatte der Lilly A. auf alle Ansprüche an deren Nachlaß verzichtet habe, habe sich der Beklagte wieder als Eigentümer des Bildes betrachten können; das Bild sei dann aus dem Nachlaß nach Lilly A. ausgeschieden, worden. Bei der Streitverhandlung vom 14. Februar 1958 hat der Beklagte wieder seine Passivlegitimation bestritten, da das Corinth-Bild entweder der Verlassenschaft nach Lilly A. oder dem Ehegatten der Lilly A. als deren Erben gehöre. Bei der Streitverhandlung vom 7. November 1958 hat der Beklagte, fortsetzungsweise als Partei vernommen, angegeben, er habe das Corinth-Bild der Lilly A. geschenkt, ohne es ihr aber zu übergeben; Lilly A. habe bis zu ihrem Tod mit ihm im gemeinsamen Haushalt gelebt; der Gatte der Lilly A. und Erbe nach ihr habe ihn bevollmächtigt, über den Nachlaß der Genannten frei zu verfügen; später sei diese Vollmacht allerdings widerrufen worden; das Corinth-Bild befinde sich nach wie vor in der Galerie des Beklagten; der Gatte der Lilly A. habe durch die erwähnte Vollmachtserteilung an den Beklagten vom 29. Jänner 1951 auf den Nachlaß nach Lilly A. verzichtet.

Das Erstgericht hat den Beklagten schuldig erkannt, dem Kläger das Corinth-Bild abzutreten.

Das Berufungsgericht bestätigte und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Untergerichte sind zutreffend und von der Revision unbekämpft davon ausgegangen, § 376 ABGB. setze nicht voraus, daß die Innehabung der Sache vor Gericht geleugnet wird, es genüge nach dieser Gesetzesstelle vielmehr, daß der Besitz im technischen Sinn geleugnet werde und der besitzende Beklagte fälschlich behaupte, bloß Inhaber ohne Besitzwillen zu sein (Klang 2. Aufl. II 238 f., Ehrenzweig 2. Aufl. I/2 S. 290 Anm. 25, je mit weiteren Literaturzitaten). Die Untergerichte haben angenommen, daß der Beklagte in Ansehung des Corinth-Bildes den Besitzwillen, d. h. den Willen, das Bild als Eigentümer zu behalten, hat, und diese in der Revision ebenfalls nicht bekämpfte Annahme erscheint im Hinblick auf die Parteiaussage des Beklagten, daß er das von ihm gekaufte und nachher der Lilly A. geschenkte Bild der Genannten nie übergeben habe, im Hinblick auf die Parteiaussage des Beklagten, daß - zumindest nach seiner Ansicht - der Gatte der Lilly A. auf das Bild verzichtet habe, und im Hinblick auf das gleichlautende Vorbringen des Beklagten mit dem zuzüglichen Vorbringen, daß das Bild aus dem Nachlaß der Lilly A. ausgeschieden worden sei, unbedenklich. Es ist daher mit der Revision davon auszugehen, daß der Beklagte das in seinem Gewahrsam befindliche Bild auch als sein Eigentum betrachtet und daher Besitzer desselben ist.

Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, daß, da die Vernehmung der Parteien ein vom Parteivorbringen streng zu unterscheidendes Beweismittel ist, das, was bei der Aussage einer Partei hervorkommt, nicht als von ihr zugegeben oder außer Streit gestellt angesehen werden kann, so daß der Beklagte mit Recht als durch seine Parteiaussage im Sinne des § 376 ABGB. seines bis dahin geleugneten Besitzes überwiesen angesehen worden ist. Dazu kommt, daß der Beklagte in erster Instanz zuletzt wieder den - von ihm dann nicht mehr verlassenen - Prozeßstandpunkt eingenommen hat, er sei nicht passiv legitimiert, weil das Bild entweder der Verlassenschaft nach Lilly A. oder dem Gatten der Lilly A. gehöre.

§ 376 ABGB. stellt eine Lügenstrafe dar, die nach dem Wortlaut dieser Gesetzesstelle jeden trifft, der vor einem diesem Gesetz unterworfenen, also österreichischen Gericht - das damit zum forum delicti commissi wird -, seinen Besitz leugnet. Wenn außerdem das Vorbringen des Beklagten selbst die Möglichkeit offenläßt, daß das Bild nach Österreich zurückkommt, dem Kläger somit ein Rechtsschutzinteresse bei Erwirkung des Erkenntnisses nach § 376 ABGB. nicht abgesprochen werden kann, ist hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit dieser Gesetzesstelle im vorliegenden Fall die Anknüpfung an eine andere Rechtsordnung auszuschließen.