JudikaturJustiz6Ob168/06h

6Ob168/06h – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. August 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Runa R*****, vertreten durch Dr. Edwin Morent, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Walch Zehetbauer, Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen EUR 31.801,72, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 24. April 2006, GZ 16 R 34/06x-44, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Dezember 2005, GZ 25 Cg 83/04s-38, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Einfamilienhauses in W*****, *****, an dem im Winter 2002/2003 Schäden sichtbar wurden. Die Beklagte ließ im Zusammenhang mit dem viergleisigen Ausbau der Westbahn in einer Entfernung von etwa 70 m zum Haus der Klägerin Tunnelarbeiten von verschiedenen dazu beauftragten Arbeitsgemeinschaften durchführen. Die Baustellenzufahrt für die beauftragten Bauunternehmen - somit auch für den baustellenbedingten Schwerverkehr - erfolgte dabei unter anderem über die P*****straße, eine öffentliche Straße. Diese war bzw ist allerdings derart schmal, dass zwei Lkws im Gegenverkehr nicht aneinander vorbeifahren können. Im Spätsommer 2002 bis 2003 war das Aufkommen der Baufahrzeuge dort sehr stark, sodass teilweise ununterbrochen schwere Lkws mit Aushubmaterial beginnend von 6.00 Uhr morgens bis 18.00 Uhr abends von der Baustelle aus über die P*****straße an- und abgefahren sind. Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei Schadenersatz und bringt dazu im Wesentlichen vor, die Schäden an ihrem Haus seien durch den Bau am L***** Tunnel verursacht, und zwar unter anderem durch die über ein Jahr andauernden schweren Erschütterungen durch den Schwerlastverkehr.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Beklagte hafte für den verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB. Sie habe eine Vielzahl von Baufirmen für die Errichtung des L***** Tunnels beauftragt. Im Zuge dieses Baues sei die P*****straße als Baustellenzufahrt für den Schwerverkehr in offensichtlich großem Umfang benutzt worden. Dadurch seien massive Schäden am Einfamilienhaus der Klägerin entstanden. Die beauftragten Firmen seien der beklagten Partei als Auftraggeberin der Arbeiten zuzurechnen. Eine öffentliche Straße gelte als behördlich genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB (unter Berufung auf 6 Ob 608/95 = RdU 1996, 200). Der Eigentümer einer an die Straße angrenzenden Liegenschaft habe einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch auf Vergütung des eingetretenen Schadens, der aufgrund der von der Straße ausgehenden Immission entstanden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Eine öffentliche Straße sei als behördlich genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB anzusehen (unter Berufung auf RIS-Justiz RS0010596). Die behördliche Genehmigung betreffe nicht nur den Bau und die Instandhaltung, sondern auch die Benützung der Straße (so implizit 6 Ob 608/95 = RdU 1996, 200 [kritisch Kerschner]).

Anspruchsgegner sei nicht nur der Eigentümer des Grundes, sondern auch ein dritter Verursacher, der das Grundstück für seine Zwecke benütze (6 Ob 608/95 = RdU 1996, 200 [Kerschner]; 1 Ob 2337/96z = SZ 70/85; 1 Ob 117/05w). Das Befahren einer Straße, die zugleich das Nachbargrundstück des geschädigten Grundeigentümers sei, sei eine Benützung „zu eigenen Zwecken" (6 Ob 608/95 = RdU 1996, 200). Weil das Nachbarrecht seinem Grundkonzept nach eine Kollision zwischen gleichrangigen Eigentümern regle, fordere ein Teil der Rechtsprechung für eine Ausweitung der nachbarrechtlichen Haftung auf den unmittelbaren Störer, der nicht Grundnachbar ist, dass das Handeln des Störers zumindest in irgendeiner rechtlichen Beziehung zum Grundstückseigentümer stehe, sodass das Handeln deshalb als „in Ausübung des Eigentumsrechtes" iSd § 364 Abs 1 ABGB qualifiziert werden könne (1 Ob 195/63 = EvBl 1964/239; 6 Ob 608/95 = RdU 1996, 200 [Kerschner] ua). Hingegen genüge es nach der Entscheidung 1 Ob 285/9091w für die Passivlegitimation, dass die dortige Beklagte, die Betreiberin eines Ortskanalsystems, dieses Grundstück für ihre eigenen Zwecke (Betreibung der Kanalisationsanlage) benützte und dadurch Störungen hervorrief.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts komme es nicht darauf, ob eine Sondernutzung der Straße vorliege und hiefür eine behördliche Bewilligung erteilt wurde. Die Beklagte habe die öffentliche P*****straße für eigene Zwecke, und zwar vor allem für den Abtransport von Aushubmaterial von ihrer nahe gelegenen Baustelle benützt. Die Schwertransporte seien der Beklagten zuzurechnen, selbst wenn sie diese nicht selbst durchgeführt habe und nicht Halterin der Lkw gewesen sei. Als Bauherrin hätte die Beklagte die Dispositionsmöglichkeit, sich für eine möglichst schadensvermeidende Durchführung der Schwertransporte zu entscheiden.

Die Klägerin treffe keine Mitverantwortung am eingetretenen Schaden. Die Fundierung des Hauses der Klägerin mit 1,1 m Tiefe sei bautechnisch üblich und nach den örtlichen Verhältnissen auch geeignet gewesen. Angesichts der konkreten Ausgestaltung der P*****straße habe die Klägerin mit Erschütterungen durch einen derart intensiven Schwerverkehr nicht rechnen müssen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil das Berufungsgericht von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung insoweit abweiche, als es bei der negatorischen Haftung des Bauherrn für Schäden durch Schwertransporte auf einer öffentlichen Straße nicht auf die in der Entscheidung 6 Ob 608/95 geforderte Sonderbeziehung des Störers zur Gemeindestraße als öffentliches Gut durch die erlaubte Ausweitung der Straßenbenützung abstellte.

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:

Rechtliche Beurteilung

1. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen kommt es auf eine rechtliche Beurteilung der Haftung nach §§ 364, 364a ABGB nicht an. Für Immissionen des Eisenbahnbetriebes ist § 19 EisbG eine lex specialis gegenüber § 364 ABGB (ZVR 1965/221). Nach § 19 Abs 2 EisbG hat das Eisenbahnunternehmen Vorkehrungen zu treffen, dass durch den Bau, Bestand oder Betrieb der Eisenbahn keine Schäden an öffentlichem und privatem Gut entstehen. Es haftet, unbeschadet der Haftung nach anderen gesetzlichen Vorschriften, für Schäden die durch den Bau oder Bestand der Eisenbahn an den benachbarten Liegenschaften verursacht werden.

2. Bei dieser Regelung handelt es sich um einen privatrechtlichen

Schadenersatzanspruch (VwGH 86/03/0050 = ÖJZ 1988/188 A = ZfVB

1988/104; VwGH 91/03/056 = ZfVB 1992/2060; Zeleny, Eisenbahnplanungs-

und -Baurecht 207 ff, 213; Zeleny, Alternativvarianten im eisenbahnrechtlichen Baugenehmigungsverfahren, ZVR 2001, 2 ff).

3. § 19 Abs 2 EisbG normiert eine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung (Zeleny, Eisenbahnplanungs- und Baurecht 210; Kühne/Hofmann/Nugent/Roth, Eisenbahnenteignungsgesetz und Eisenbahngesetz [1982] § 19 EisbG Anm 3). Eine vergleichbare Regelung war schon in § 8 Abs 1 lit c EisbG 1943 und in § 10 lit b EBKG 1854 vorgesehen. Diese Bestimmung wurde wegen der damals unzureichenden nachbarrechtlichen Haftungsregelung im ABGB eingeführt (Zeleny aaO 208). Zweck der Auferlegung einer verschuldensunabhängigen Erfolgshaftung war es, den Bedenken der breiten Öffentlichkeit gegen die Errichtung von Eisenbahnen überhaupt zu begegnen (Kühne/Hofmann/Nugent/Roth aaO). Diese Erfolgshaftung wurde von allen späteren Eisenbahngesetzen rezipiert (Kühne/Hofmann/Nugent/Roth aaO).

4. Dass es sich bei der beklagten Partei um ein Eisenbahnunternehmen handelt, kann keinem Zweifel unterliegen, werden doch auch Eisenbahninfrastrukturunternehmen als Eisenbahnunternehmen angesehen (§ 1a EisbG).

Die Novellierung des § 1a EisbG durch BGBl I 2004/38 spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, weil dadurch der Begriff des Eisenbahn-Infrastrukturunternehmens lediglich enger gefasst wurde. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die beklagte Partei auch nach § 1a EisbG idF BGBl I 1999/166 ein Eisenbahnunternehmen war (§ 1a Abs 1 Z 1 EisbG 1957 idF BGBl I 1999/166). Diese Bestimmung definierte Eisenbahnunternehmen - soweit im vorliegenden Fall von Belang - als (Abs 1 Z 1) Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen, die dem Bau und Betrieb von Schieneninfrastruktur dienen, darüber verfügungsberechtigt sind und sie zur Benützung zwecks Eisenbahnverkehrs bereit halten. Dass die Schäden am Haus der Klägerin durch den Bau einer Eisenbahnanlage verursacht sind, haben die Vorinstanzen ausdrücklich festgestellt.

5. In der Entscheidung 6 Ob 608/95 (= RdU 1996, 200) war auf § 19 Abs 2 EisbG nicht einzugehen, weil dort nicht das Seilbahnunternehmen, sondern die mit der Errichtung der Seilbahn betraute Generalunternehmerin beklagt war.

6. Damit bedarf es aber ebenso wenig eines Eingehens auf die vom Berufungsgericht für erheblich angesehene Frage, ob für die Haftung nach § 364 ABGB aufgrund bloßer Straßenbenützung das Vorliegen einer Sonderbeziehung zwischen dem Straßenbenützer und dem Eigentümer Voraussetzung ist, wie auf die weitere Frage, ob im vorliegenden Fall nicht aufgrund der besonderen räumlichen Nähe der Baustelle der beklagten Partei zum Haus der Klägerin die den Schaden am Haus der Klägerin verursachenden Transporte als Ausfluss der spezifischen Nutzung der Liegenschaft durch die beklagte Partei anzusehen sind, sodass es auf das Vorliegen einer Sonderbeziehung zum Straßenerhalter gar nicht ankäme.

7. Eine Erörterung der Anwendung des § 19 Abs 2 EisbG iSd § 182a ZPO war im vorliegenden Fall nicht erforderlich. Abgesehen davon, dass auf diese Bestimmung auch in der zivilrechtlichen Standardliteratur hingewiesen wird (vgl Oberhammer in Schwimann, ABGB³ § 364a Rz 11), muss davon ausgegangen werden, dass der beklagten Partei die Rechtsgrundlagen ihrer Tätigkeit bekannt sind.

Die Revision war daher spruchgemäß zurückzuweisen. Kosten für die Revisionsbeantwortung waren nicht zuzuerkennen, weil die Klägerin auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat (RIS-Justiz RS0035962).