JudikaturJustiz5Ob173/20g

5Ob173/20g – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers D*, vertreten durch Knirsch Gschaider Cerha Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Antragsgegnerin M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Franz Terp, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 iVm § 12a Abs 3 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den (Sach )Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. Juli 2020, GZ 38 R 11/20d 10, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Frage, ob die Abtretung sämtlicher Geschäftsanteile an der Komplementär GmbH einer Mieter KG durch den fremdnützigen Treuhänder an den Alleinaktionär der treugebenden Aktiengesellschaft als entscheidende Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten den Mietzinsanhebungstatbestand des § 12a Abs 3 MRG auslöst.

Das Erstgericht verneinte dies und gab dem Mietzinsüberprüfungsantrag statt.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. § 12a Abs 3 erster Satz MRG gibt dem Vermieter das Recht zur Anhebung des Mietzinses, wenn sich bei der Mietergesellschaft die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ändern. Damit sollte der Machtwechsel in der Gesellschaft erfasst werden (RIS Justiz RS0069558). Nach gefestigter höchstgerichtlicher Rechtsprechung (RS0069560) bilden dabei die Adjektive „rechtlich“ und „wirtschaftlich“ ein unzertrennliches Begriffspaar; die entscheidende Änderung muss also kumulativ die rechtlichen und die wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten betreffen. Eine bloß rechtliche Änderung, mit der eine wirtschaftliche nicht einhergeht, führt daher nicht zur Mietzinsanhebung. Seit der Entscheidung 5 Ob 198/09t vertritt auch der erkennende Senat – in Übereinstimmung mit sämtlichen übrigen Senaten des Höchstgerichts – die Auffassung, dass ein Kippen der Mehrheitsverhältnisse den Machtwechsel zwar indiziert, die konkreten Auswirkungen aber jeweils im Einzelfall zu prüfen sind. Ergibt eine solche Prüfung, dass trotz Änderung der rechtlichen Verhältnisse keine wirtschaftliche Änderung eintritt, weil am Ende eines Vorgangs unveränderte Machtverhältnisse stehen, ist kein Anhebungsrecht bewirkt (RS0125715). Ebenso ist es ständige Rechtsprechung (RS0116611), dass bei fremdnütziger Treuhand jedenfalls bei einer Kapitalgesellschaft im Fall der Anteilsübertragung vom Treugeber auf den Treuhänder und umgekehrt keine Änderung der wirtschaftlichen Einflussmöglichkeit eintritt. In der Entscheidung 5 Ob 127/08z verneinte der Fachsenat bei einer derartigen fremdnützigen Treuhandkonstruktion den Machtwechsel mit der Begründung, dass die Person desjenigen, der in der Gesellschaft auf oberster Ebene den entscheidenden Einfluss ausübte (früherer und nunmehriger Alleingesellschafter und Geschäftsführer), von den Anteilsübertragungen unberührt geblieben war.

2. Grundsätzlich kann die Frage, ob der Tatbestand des § 12a Abs 3 erster Satz MRG verwirklicht wurde, immer nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls entschieden werden, weshalb sie in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft (5 Ob 173/18d; 5 Ob 195/19s; RS0111167 [T11]). Dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt wurde, reicht für sich allein noch nicht aus, eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG zu begründen. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – die im Anlassfall entscheidenden Rechtsfragen von der Rechtsprechung im Grundsätzlichen bereits geklärt sind und die Entscheidung der zweiten Instanz sich im Rahmen dieser Grundsätze hält. Diesfalls bedarf nicht jede in solchem Zusammenhang neu auftretende Sachverhaltsvariante wiederum der Befassung des Obersten Gerichtshofs (vgl RS0110702; 5 Ob 149/19a). Eine aus Gründen der Rechtssicherheit auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung ist nicht zu erkennen.

3. Soweit sich die Antragsgegnerin noch im Revisionsrekurs dagegen wendet, dass der Antragsteller alleiniger Aktionär der treugebenden Aktiengesellschaft war, für die der Treuhänder sämtliche Geschäftsanteile an der Komplementärin der vormaligen Mieter KG gehalten hatte, ist dies unzulässig. Das Rekursgericht hat diese von der Antragsgegnerin im Rekurs mit Beweisrüge bekämpfte Feststellung als unbedenklich übernommen. Auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren ist der Oberste Gerichtshof keine Tatsachen , sondern ausschließlich Rechtsinstanz, sodass die Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen im Revisionsrekurs nicht möglich ist (vgl RS0070446 [T1]).

4. Der Umstand allein, dass die treugebende Gesellschaft eine Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht ist, steht der Beurteilung der Vorinstanzen nicht entgegen. Auch nach Schweizer Obligationenrecht ist die Generalversammlung der Aktionäre oberstes Organ der Aktiengesellschaft, der (vgl Art 698 OR; Böckli , Schweizer Aktienrecht 4 § 12 Rz 2) eine Reihe unübertragbarer Befugnisse zustehen, darunter die Festsetzung und Änderung der Statuten, die Wahl und die Entlastung der Mitglieder des Verwaltungsrats, die Genehmigung der Jahresrechnung und die Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns. Dies zeigt, dass die Ausgestaltung des Rechts der Aktiengesellschaft in der Schweiz derjenigen in Österreich vergleichbar ist. Auch in Österreich ist ein Aktionär gegenüber dem Vorstand nicht direkt weisungsbefugt, was aber nichts daran ändert, dass er als Alleinaktionär maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben kann (6 Ob 88/06y; vgl auch § 75 Abs 4 AktG). Wenn eine Gesellschaft zu 100 % oder doch mehrheitlich im Eigentum eines Einzelnen oder einer entsprechend strukturierten Gruppe steht, kann diese(r) sowohl nach österreichischem als auch Schweizer Recht als Haupt (bzw General )Versammlung nach Gutdünken – allenfalls bis ins Tagesgeschehen hinein – die Leitung der Gesellschaft bestimmen ( Strasser in Jabornegg/Strasser, Aktiengesetz 3 Rz 9 zu § 70; vgl MietSlg LVII/29). Ein Alleinaktionär kann nach österreichischem und Schweizer Recht dem Vorstand sein Vertrauen entziehen. Wer die Mehrheit der oder sämtliche Aktien an jenem Unternehmen besitzt, das einen beherrschenden Einfluss auf die nachgeordneten Unternehmen ausübt, ist überdies regelmäßig in der Lage, aufgrund dieser Beteiligungen auf die nachgeordneten (abhängigen) Unternehmen Einfluss zu nehmen (1 Ob 180/07p).

5. An dieser Rechtslage hat sich das Rekursgericht orientiert, das von einer vierstufigen Konzernstruktur sprach und die ursprüngliche Mieter KG in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht als die Ur Enkeltochter bezeichnete. Zwar gab es im Beweisverfahren tatsächlich keinen Hinweis, dass die treugebende Aktiengesellschaft (vom Rekursgericht als Tochter bezeichnet) tatsächlich Kommanditistin der ursprünglichen Mieter KG gewesen wäre, darauf kommt es aber nicht an. Wesentlich ist vielmehr, dass der nunmehrige Antragsteller seit jeher als Alleingesellschafter der Treugebergesellschaft, die über einen Treuhänder sämtliche Geschäftsanteile an der Komplementärin der ursprünglichen Mieter KG hielt, in wirtschaftlicher Sicht die „Konzernspitze“ bildete, woran weder die Abtretung sämtlicher Geschäftsanteile des Treuhänders an ihn als Alleingesellschafter der treugebenden Gesellschaft noch die spätere Auflösung und Löschung der vormaligen Mieter KG samt Übertragung des Unternehmens gemäß § 142 UGB auf die allein verbliebene Komplementärin und die Umwandlung dieser Gesellschaft durch Übertragung auf den alleinigen Gesellschafter, den nunmehrigen Antragsteller, etwas änderten. Wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, es liege hier keine Änderung der wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten vor, weil sich an der Person nichts geändert hat, die auf der obersten Ebene Einfluss ausübt (vgl 5 Ob 267/05h; 6 Ob 88/06v), hält sich das in dem von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen, ohne dass es einer Korrektur im Einzelfall bedürfte.

6. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Rechtssätze
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