JudikaturJustiz5Ob148/95

5Ob148/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Adamovic und Dr.Baumann als weitere Richter in der Mietrechtssache des Antragstellers Sebahattin Ö*****, Kellner, ***** vertreten durch Dr.Romana Aron, Mieter-Interessens-Gemeinschaft Österreichs, 1100 Wien, Antonsplatz 22, wider die Antragsgegner 1.) Franz S*****, 2.) Adolf S*****, Beamter, ***** beide vertreten durch Dr.Alois Leyrer, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 1 MRG, infolge außerordentlichen Rekurses des Antragstellers gegen den Sachbeschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 5.Mai 1995, GZ 40 R 409/95-15, womit der Sachbeschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 15.März 1995, GZ 9 Msch 50/94t-10, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Sachbeschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antragsteller als Hauptmieter der Wohnung top Nr. 6 im Hause *****, anerkannt wird.

Die Antragsgegner sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Antragsteller die mit S 1.683,- bestimmten Verfahrenskosten (Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Antragsteller begehrt - nach vorausgegangenem Verfahren vor der Schlichtungstelle - seine Anerkennung als Hauptmieter (§ 2 Abs 3 MRG) der Wohnung top Nr 6 im Haus *****. Der Erstantragsgegner sei Eigentümer dieses Hauses, der Zweitantragsgegner Hauptmieter der genannten Wohnung, in Wahrheit jedoch nur Strohmann für den Hauseigentümer.

Das Erstgericht wies den Antrag des Antragstellers ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Zweitantragsgegner hatte die Verfahrensgegenständliche Wohnung mit Mietvertrag vom 2.11.1960 vom damaligen Hauseigentümer gemietet. Er bewohnte diese 30 m2 große Wohnung der Ausstattungskategorie D (Friedenszins 1914: 384 Kronen pro Jahr) mit seiner Frau, seiner Mutter und den beiden Söhnen. Im Jahre 1965 zog der Zweitantragsgegner in eine Dienstwohnung in Baden. In der verfahrensgegenständlichen Wohnung blieb seine Mutter zurück, die am 31.5.1988 starb. Im Jahre 1985 bracht der Zweitantragsgegner gegen den Erstantragsgegner Anträge bei der Schlichtungsstelle zur Überprüfung des ihm vorgeschriebenen Mietzinses ein. Im Jänner 1986 kam es zwischen den Antragsgegnern zu einer Einigung: Der Zweitantragsgegner erklärte sich mit den vorgeschriebenen Beträgen einverstanden und zog die Anträge zurück.

Nach dem Tod der Mutter des Zweitantragsgegners (im Mai 1988) meinte dieser, die Wohnung vorübergehend nicht zu benötigen. Einer seiner Söhne arbeitete in Ungarn, der andere bei U-Bahn-Revisionen in Wien. Dieser übernachtete gelegentlich in der Wohnung des Vaters. Der Zweitantragsgegner ging aber davon aus, daß der in Ungarn arbeitende Sohn eines Tages zurückkommen würde und im Falle von Nachtarbeit die Wohnung in Zukunft benötigen könnte. Ein näherer Zeitpunkt war diesbezüglich aber nicht bestimmt.

Am 25.Jänner 1989 erteilte der Erstantragsgegner dem Zweitantragsgegner für zwei Jahre die schriftliche Zustimmung zur Untervermietung. Es wurde aber vereinbart, daß sich die Zustimmung um weitere zwei Jahre verlängern würde, wenn nicht mindestens drei Monate vor Ablauf der Zweijahresfrist seitens des Erstantragsgegners die Beendigung der Bewilligung zur Untervermietung bekannt gegeben würde. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung wurde vereinbart, daß der Untermietzins vom Sohn des Erstantragsgegners im Namen und für Rechnung des Zweitantragsgegners kassieren würde.

Der Antragsteller wohnte zunächst in der Wohnung Nr. 5 in diesem Haus. Im Jahre 1989 wurde ihm vom Sohn des Erstantragsgegners mitgeteilt, daß er die Wohnung top Nr. 5 verlassen müsse, daß er jedoch vorübergehend in die Wohnung top Nr. 6 ziehen können und daß ihm zu einem späteren Zeitpunkt eine größere Wohnung zugeteilt würde. Einen schriftlichen Mietvertrag, in dem der Zweitantragsgegner als Vermieter aufschien, unterschrieb der Antragsteller nicht.

Tatsächlich zog der Antragsteller im Herbst 1989 in die Wohnung top Nr. 6 und zahlte an den Sohn des Erstantragsgegners zuerst monatlich S 1.750,-, ab Jänner 1993 S 1.830,- als Mietzins. Der Sohn des Erstantragsgegners kassierte den Mietzins in unregelmäßigen Abständen. Über die Zahlungen wurden Bestätigungen ausgestellt, in welchen als Hausverwaltung der Erstantragsgegner und als Mieter vorwiegend die Namen S***** - Ö***** eingesetzt sind. Der Zweitantragsgegner kümmerte sich weder um die Vermietung an den Antragsteller noch um das Inkasso. Der Sohn des Erstantragsgegners rechnete einmal jährlich in der Weise ab, daß er den Hauptmietzins zuzüglich Betriebskosten und Mehrwertsteuer einbehielt und dem Zweitantragsgegner die Differenz übergab. Diese Differenz betrug in jedem Jahr zirka S 11.000,-.

Da es mit dem Antragsteller im Zusammenhang mit einer anderen Wohnung Probleme gab, wünschte der Erstantragsgegner die Beendigung der Untervermietung an den Antragsteller. Der Sohn des Erstantragsgegners teilte daher dem Zweitantragsgegner dies und weiters noch mit, daß er im Jahre 1993 nicht mehr abrechnen wolle. Darüber hinaus kam im Jahre 1993 der Sohn des Zweitantragsgegners, der in Ungarn arbeitete nach Österreich zurück. Der Zweitantragsgegner benötigte die Wohnung für diesen Sohn und erklärte dies dem Erstantragsgegner.

Der Zweitantragsgegner verlangte vom Antragsteller die Räumung der Wohnung bis September 1993. Bereits im April 1993 hatte der Erstantragsgegner die gerichtliche Aufkündigung gegen den Zweitantragsgegner eingebracht. Die Räumungsexekution unterblieb jedoch wegen einer vom Antragsteller eingebrachten Exszindierungsklage.

Auf Grund dieses Sachverhaltes verneinte das Erstgericht eine Umgehungabsicht bei beiden Antragsgegnern.

Das Rekursgericht bestätigte den Sachbeschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtlich führte das Rekursgericht im wesentlichen folgendes aus:

Unstrittig sei, daß das Hauptmietverhältnis zwischen Erst- und Zweitantragsgegner nicht zur Umgehung im Sinne des § 2 Abs 3 MRG abgeschlossen worden sei. Auch in der Folge - vor Abschluß des gegenständlichen Untermietvertrages - sei eine solche Umgehungsabsicht nicht gefaßt worden. Da der Zweitantragsgegner das Bestandverhältnis aufrechterhalten und sich zur vorübergehenden Untervermietung deswegen entschlossen habe, weil er erwartete, die gegenständliche Wohnung wieder für seine Söhne zu benötigen, sei das Hauptmietverhältnis nicht bloß zur Untervermietung aufrechterhalten worden. Daran ändere auch der Umstand, daß das Untermietverhältnis mit dem Hauptmietverhältnis ende und daß der Zweitantragsgegner einen höheren Untermietzins lukrierte als er selbst als Hauptmietzins zu zahlen hatte, nichts. Auch der Umstand, daß der Sohn des Erstantragsgegners als dessen Vertreter und als Vertreter des Zweitantragsgegners das Inkasso des Untermietzinses vorgenommen habe, habe keinen Einfluß auf die Beantwortung der Frage, ob eine Umgehungsabsicht vor Untervermietung vorgelegen sei. Da es wesentlich sei, ob die Umgehungsabsicht jedenfalls vor der Untervermietung vorgelegen sei (WoBl 1992/161) sei es irrelevant, ob der Sohn des Zweitantragsgegners im Jahre 1993 zurückgekehrt sei.

Die vom Antragsteller vermißte Feststellung, daß eine ähnliche Vorgangsweise wie die gegenständliche in mehreren Fällen in diesem Haus gewählt worden sei, sei im Verfahren erster Instanz nicht begehrt worden. Das diesbezügliche Vorbringen im Rekurs widerspreche dem Neuerungsverbot.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht abgewichen sei.

Gegen den Sachbeschluß des Rekursgerichtes richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen in antragsstattgebendem Sinn abzuändern; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Antragsteller macht als erhebliche Rechtsfragen folgendes geltend:

a) Die bloße Absicht des Zweitantragsgegners, die Wohnung später für seine Söhne zur Verfügung haben zu wollen, reiche nicht aus, weil ein solcher Bedarf damals nicht absehbar gewesen sei (vgl 5 Ob 81/95 und 5 Ob 109/91). Die Verhaltensweisen der Antragsgegner ließen jedenfalls den Anscheinsbeweis für eine Umgehungsabsicht als erbracht erscheinen (s 5 Ob 109/91).

b) Der erbrachte Anscheinsbeweis hätte von den Antragsgegnern widerlegt werden müssen. Darauf seien die Unterinstanzen nicht eingegangen.

c) Es müsse hier dasselbe gelten wie in einem dasselbe Haus betreffende Parallelverfahren (top Nr. 14), in dem die Rechtssache vom Obersten Gerichtshof an die Unterinstanzen zurückverwiesen worden sei (5 Ob 81/95).

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

a) Zur Zulässigkeit:

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Vorinstanzen bei Beurteilung der festgestellten Tatsachen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - wie bei der meritorischen Erledigung des Rechtsmittels gezeigt werden wird - abgewichen sind.

b) Zur Sachentscheidung:

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes ist von folgenden, von der Rechtsprechung zur Auslegung des § 2 Abs 3 MRG entwickelten Grundsätzen auszugehen:

Das subjektive Tatbestandselement des § 2 Abs 3 MRG - die Umgehungsabsicht - wird schon dann als erfüllt angesehen, wenn "bei Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund besteht, daran zu zweifeln". Der Umgehungstatbestand des § 2 Abs 3 MRG kann daher auch dann vorliegen, wenn die letzte Gewißheit über die vom Gesetzgeber verpönte Absicht der Parteien eines formellen Hauptmietvertrages fehlt. Es reicht aus, wenn genügend Anhaltspunkte für eine derartige Absicht vorhanden sind. Ob ein Hauptmietvertrag unter den im Einzelfall festgestellten konkreten äußeren Umständen nur zur Untervermietung durch den Hauptmieter und zur Umgehung der einem Hauptmieter nach dem MRG zustehenden Rechte geschlossen wurde, ist dann im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu entscheiden. Es genügt, wenn beide Teile die Umgehung wenigstens in Kauf nahmen (5 Ob 81/95 unter Hinweis auf WoBl 1994, 181/40 [zust Dirnbacher] mwN).

Die Umgehungsabsicht des § 2 Abs 3 MRG muß nicht schon bei Abschluß des Hauptmietvertrages vorliegen, sie kann auch erst später gefaßt werden (5 Ob 81/95 unter Hinweis auf WoBl 1992, 241/161 und 5 Ob 1023/95). Es genügt daher, daß der Hauptmietvertrag mit der in § 2 Abs 3 MRG pönalisierten Absicht aufrecht erhalten wird. In einem solchen Fall muß die Umgehungsabsicht spätestens zum Zeitpunkt des Abschlusses des Untermietvertrages vorliegen (5 Ob 81/95 unter Berufung auf WoBl 1994, 183/41 [Dirnbacher]).

Aus dem letztgenannten Grundsatz folgt, daß es in der hier zu beurteilenden Rechtssache für die Abweisung des Anerkennungsantrages nicht ausreicht, daß die in § 2 Abs 3 MRG umschriebene Umgehungsabsicht im Zeitpunkt der Anmietung der Wohnung durch den Zweitantragsgegner im Jahre 1960 nicht bestand. Die Rechtsfolgen des § 2 Abs 3 MRG treten vielmehr auch dann ein, wenn die Umgehungsabsicht der Parteien des Hauptmietvertrages im Zeitpunkt des Abschlusses des Untermietvertrages bestand.

Unterzieht man den von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt der rechtlichen Beurteilung unter den zur Auslegung des § 2 Abs 3 MRG bezüglich der dort genannten Umgehungsabsicht dargestellten Gesichtspunkten, so zeitigt dies folgendes Ergebnis:

Das festgestellte Verhalten von Hauseigentümer und Hauptmieter in den Jahren 1986 (Zurückziehung von Anträgen des Hauptmieters, die dieser wegen Überschreitung des gesetzlich zulässigen Zinsausmaßes bei der Schlichtungsstelle gestellt hatte, sodaß die zulässige Mietzinshöhe letztlich nicht durch behördliche Entscheidung festgestellt wurde) und 1989 (befristete Gestattung der Untervermietung, wobei eine Verlängerung der Frist in Aussicht gestellt worden war) sowie die Art des Managements der Untervermietung durch den Sohn des Hauseigentümers - hier sogar, damit dieser den Antragsteller aus einer anderen Wohnung im Haus in der vom Zweitantragsgegner gemieteten Wohnung unterbringen konnte - unter dem besonderen Umstand, daß ein konkreter Bedarf des Hauptmieters an der untervermieteten Wohnung in absehbarer Zeit (vgl WoBl 1993, 181/122) nicht gegeben war, muß zur Beurteilung führen, daß dem Antragsteller der Nachweis hinreichender Anhaltspunkte für die in § 2 Abs 3 MRG umschriebene Umgehungsabsicht gelungen ist, den Parteien des Hauptmietvertrages hingegen nicht der Beweis, daß dennoch die durch das festgestellte Verhalten indizierte Umgehungsabsicht nicht gegeben ist (vgl MietSlg 45.207).

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 19 MRG.

Rechtssätze
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