JudikaturJustiz4Ob354/99h

4Ob354/99h – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Februar 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk, sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Richard Köhler und Dr. Anton Draskovits, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien

1. H***** GmbH, ***** und 2. Franz H*****, beide vertreten durch Dr. Horst Auer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisiorialverfahren 400.000 S), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. November 1999, GZ 1 R 204/99y-10, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 19. August 1999, GZ 37 Cg 120/99x-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den Beklagten Parteien die mit 19.305 S bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin 3.217,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs begehrt der klagende Verein, den Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, die bewilligungspflichtige Übernahme, Ablagerung und Zwischenlagerung von Abfällen, insbesondere von Plastikabfällen, Spuckstoffen und ähnlichem Abfallmaterial vorzunehmen oder zu veranlassen, sofern die Beklagten nicht im Besitz der hiezu erforderlichen Bewilligungen "nach der Gewerbeordnung, dem NÖ Landesabfallwirtschaftsgesetz, der NÖ Bauordnung, des Altlastensanierungsgesetzes, des WRG sowie sämtlicher anderer bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften" sind. Die Erstbeklagte - deren Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der Zweitbeklagte sei - habe mehr als 10.000 m3 Plastikabfall und Spuckstoffe übernommen und auf dem Betriebsgelände in S***** gelagert. Sie verfüge jedoch über keine gewerberechtliche Betriebsanlagengenehmigung für diese Lagerung. Mit dieser rechtswidrigen Lagerung habe sie gegen die §§ 360 iVm 366 GewO verstoßen. Deshalb sei ein Maßnahmebescheid der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt ergangen. Gleichzeitig hätten die Beklagten mit ihrer Vorgangsweise gegen verschiedene andere, im Einzelnen bezeichnete Vorschriften verstoßen. Durch die Missachtung dieser Bestimmungen, deren Anwendung kosten- und zeitintensiv sei, hätten sich die Beklagten einen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft. Sie verletzten damit auch die guten Sitten im Wettbewerb (§ 1 UWG). In ihrem Sicherungsantrag (ON 1 Punkt II) erhob die Klägerin ihr Klagevorbringen zum Vorbringen im Sicherungsverfahren und berief sich "auf die der Klage beigelegten Urkunden sowie auf die Einvernahme dreier Zeugen, von denen einer bereit sei, nach vorheriger telefonischer Verständigung durch die Kanzlei des Klagevertreters vor Gericht zu erscheinen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Sicherungsantrags. Die Tätigkeit der Erstbeklagten sei durch die vorhandene gewerbebehördliche Genehmigung gedeckt.

Nachdem der Erstrichter die Beischaffung des in der Klage (ON 1 I S. 3) als Beweismittel angeführten Akts der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt "zur GZ 12-B-81118" verfügt, in der Folge den Klagevertreter zur Stelligmachung aller drei Zeugen aufgefordert und den allein erschienenen Zeugen vernommen hatte, wies er den Sicherungsantrag ab. Aus dem beigeschafften Akt der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt ergebe sich, dass ein Konzipient des Klagevertreters die Verwaltungsbehörde um telefonische Auskunft über den "Verfahrensstand hinsichtlich der dort gegenständlichen Betriebsanlage" ersucht habe, diese ihm aber unter Hinweis darauf verweigert worden sei, dass detaillierte Auskünfte nur persönlich und bei entsprechendem Nachweis des rechtlichen Interesses möglich seien. Da sich aus diesem Amtsvermerk im Verwaltungsakt ergebe, dass die Klägerin keine Akteneinsicht genommen habe, es sich also bei dem Beweisanbot um einen unzulässigen Erkundungsbeweis handle, würden keine Feststellungen aus dem Akt getroffen. Die der Vernehmungstagsatzung ferngebliebenen Auskunftspersonen seien keine paraten Bescheinigungsmittel. Da es aufgrund des durchgeführten Bescheinigungsverfahrens nicht möglich gewesen sei, Feststellungen zu treffen, wonach die Beklagten die ihnen vorgeworfenen Gesetzwidrigkeiten begangen hätten, sei der Sicherungsantrag abzuweisen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Eine - wie hier - in kürzester Zeit mögliche Beischaffung von Urkunden, insbesondere von Akten einer Behörde, sei zur Glaubhaftmachung geeignet, wenn nicht im Einzelfall berechtigte Interessen dritter Personen entgegenstünden. Der Antragsteller habe nur jene Urkunden dem Gericht vorzulegen, die sich in seinen Händen befänden und die er sich beschaffen könne. Es könne nicht zweifelhaft sein, dass es dem Erstgericht, das den Verwaltungsakt bereits beigeschafft habe, möglich und zumutbar gewesen wäre, daraus über den Inhalt des Aktenvermerks hinaus entscheidungswesentliche Feststellungen im Sinn des Vorbringens des Klägers zu treffen, ohne dass dadurch eine dem Sinn und Zweck der einstweiligen Verfügung widersprechende Verzögerung eingetreten wäre. Damit sei aber für den Kläger nichts gewonnen. Die Behebung des Mangels wäre nämlich dem Rekursgericht nur im Wege der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Erteilung des Auftrags an das Erstgericht möglich, den Verwaltungsakt neuerlich beizuschaffen und daraus die entscheidungswesentlichen Feststellungen zu treffen. Dieser Auftrag widerspräche aber jedenfalls den Grundprinzipien des Provisorialverfahrens als eines summarischen Eilverfahrens. Da das Gericht nicht verpflichtet gewesen sei, eine längere Frist zur Stelligmachung der Auskunftspersonen einzuräumen oder die Vernehmungstagsatzung zu erstrecken, sei der insoweit geltend gemachte Verfahrensmangel zu verneinen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil die Ausführungen des Rekursgerichts im Widerspruch zur Verfahrensrechtslage stehen; er ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Mit Recht wendet sich der Kläger gegen die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass sich aus dem Wesen des Provisorialverfahrens als eines summarischen Verfahrens die Unzulässigkeit der Aufhebung eines erstinstanzlichen Beschlusses wegen Verfahrensmängeln ergebe. Dabei kann sich das Rekursgericht weder auf Lehrmeinungen noch auf Rechtsprechung stützen; die von ihm angeführten Belegstellen (Heller/Berger/Stix 2836; Rechberger/Simotta Exekutionsver- fahren2 Rz 943; 1 Ob 10/94 = SZ 67/166) enthalten nur die Aussage über den summarischen Charakter des Sicherungsverfahrens, nicht aber über die Vorgangsweise bei der Wahrnehmung von Mängeln einer unteren Instanz.

Die Rechtsmeinung des Rekursgerichtes ist auch völlig unvertretbar:

Unterlässt das Gericht erster Instanz die Aufnahme ihm angebotener, im Sinne des § 274 Abs 1 ZPO sofort ausführbarer Beweismittel, so ist das Verfahren - die rechtliche Erheblichkeit der zu bescheinigenden Behauptung vorausgesetzt - mangelhaft geblieben. Mangels Ausnahmebestimmung - wie etwa im § 501 Abs 1 ZPO - hat das Rekursgericht im Fall der Mängelrüge einen solchen Verfahrensfehler wahrzunehmen und entsprechend vorzugehen. Soweit es sich nicht in der Lage sieht, das Bescheinigungsmittel selbst heranzuziehen und zu würdigen, bleibt ihm nur die Aufhebung im Sinne des gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO auch im Provisorialverfahren anzuwendenden § 527 Abs 2 ZPO. Bei anderer Auffassung bliebe jeder Verfahrensfehler erster Instanz in einem Provisorialverfahren sanktionslos. Es geht aber nicht an, dass Parteien, die parate Bescheinigungsmittel anbieten, infolge eines Gerichtsfehlers den begehrten Rechtsschutz verlieren.

Daraus ist aber für den Kläger im vorliegenden Fall nichts zu gewinnen. Entgegen der Darstellung des Rekursgerichts (S. 91) hat sich der Kläger im Provisorialverfahren nicht auf den Akt der Bezirkshauptmannschaft Wr. Neustadt berufen. Er hat zwar in der Klage diesen Akt als Beweismittel angeführt, sich aber im Sicherungsantrag - offenbar im Hinblick auf Entscheidungen, wonach erst beizuschaffende Akten anderer Behörden keine tauglichen Bescheinigungsmittel seien (MGA EO13 § 389/E 100) - ausdrücklich auf "die der Klage beigelegten Urkunden" berufen. Dass er in der Folge unter der Rubrik "Bescheinigungsmittel" "sämtliche in der Klage genannten Urkunden" angeboten hat, kann im Hinblick darauf, dass er dort auch die schon vorher angeführten Zeugen noch einmal genannt hat, nur als Wiederholung des bereits im Antragsvorbringen zum Ausdruck gebrachten Beweisanbots verstanden werden. Hätte er tatsächlich im Provisorialverfahren die Beischaffung des Aktes der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt begehrt, dann hätte er dies deutlich beantragen müssen; im Übrigen hätte er auch, um das Beweismittel "im Einzelnen genau zu bezeichnen" (§ 226 Abs 1 ZPO, welcher im Provisorialverfahren analog anzuwenden ist), jene Aktenbestandteile zu nennen gehabt, auf die er sich stützt (ÖBl 1981, 122 - B P-Eisenwaren).

Da sich der Kläger somit in Wahrheit im Provisorialverfahren nur auf die der Klage beigelegten Urkunden (Beilagen A bis F) und drei Zeugen berufen hat, hätte das Erstgericht den Akt - selbst wenn man ihn als parates Bescheinigungsmittel ansehen wollte (in diesem Sinn RZ 1989/68) - nicht beizuschaffen gehabt. Dem Erstgericht kann daher aus diesem Grund vom Rechtsmittelgericht nicht der Auftrag erteilt werden, den - gar nicht beantragten - Akt noch einmal abzuverlangen.

Soweit sich der Kläger auch gegen die Unterlassung der Vernehmung zweier Zeugen wendet, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Rekursgericht diesen Verfahrensmangel - anders als den in der Nichtberücksichtigung des Verwaltungsakts gelegenen Mangel - verneint hat. Ein angeblicher Mangel des Verfahrens erster Instanz, der vom Rekursgericht nicht als solcher erkannt wurde, kann aber im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (Kodek in Rechberger, ZPO2 § 528/Rz 1 mwN aus der Rechtsprechung). Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekurses gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1, § 52 ZPO.