JudikaturJustiz4Ob346/98f

4Ob346/98f – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Februar 1999

Kopf

Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Dr. Egon Sattler und Dr. Reinhard Schanda, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Prettenhofer Jandl Partnerschaft, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 100.000 S), infolge Revisionsrekurses der Beklagten gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 22. Oktober 1998, GZ 3 R 158/98w-8, mit dem der Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 23. Juli 1998, GZ 10 Cg 182/98t-4, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

"Der Antrag der Klägerin, die Beklagte schuldig zu erkennen, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, für den Bezug der von der Beklagten angebotenen Arzneispezialitäten materielle Vorteile anzubieten oder anzukündigen, die nicht bloß von geringem Wert sind oder sonst unzulässige Zugaben darstellen, insbesondere durch unentgeltliche Zugaben von einzelnen Packungen von Arzneispezialitäten zu diesem Paket, wird abgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 4.058,90 S bestimmten Äußerungskosten (darin 676,50 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 11.157,10 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 1.859,50 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Streitteile vertreiben Arzneimittel; die Klägerin packt (ua) die von der Beklagten vertriebenen Empfängnisverhütungsmittel um und importiert sie parallel.

Im Mai 1998 wandte sich die Beklagte mit einer Werbeaussendung an Apotheken, in der sie ankündigte, bei der Abnahme von 10 Packungen Diane Mite eine Packung in der jeweils bestellten Größe und bei der Abnahme von 30 Packungen 4 Packungen gratis dazuzugeben. Die Werbeaussendung war mit

"Unser Frühjahrsangebot* sichert Ihre Wettbewerbsfähigkeit auch gegenüber Gelegenheitsanbietern umgepackter ausländischer Ware.

* Gültig für Bestellungen bis 31. Mai 1998"

überschrieben.

Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen, mit "Widerklage" (zur Unzulässigkeit einer Widerklage nach § 96 JN in Wettbewerbssachen s 4 Ob 231/98v) erhobenen Unterlassungsanspruches, der Beklagten zu verbieten, für den Bezug der von ihr angebotenen Arzneispezialitäten materielle Vorteile anzubieten oder anzukündigen, die nicht bloß von geringem Wert sind oder sonst unzulässige Zugaben darstellen, insbesondere durch unentgeltliche Zugaben von einzelnen Packungen von Arzneispezialitäten zu diesem Paket. Der von der Beklagten gewährte materielle Vorteil betrage beim ersten Angebot 10 %, beim zweiten 13,3 %. Das angerufene Gericht habe im Verfahren 10 Cg 107/98 ausgesprochen, daß ein Naturalrabatt von 10 bis 15 % gegen § 55 AMG verstoße. Die Beigabe von Gratispackungen sei für die medizinische oder pharmazeutische Praxis ohne Belang.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Die Werbeaktion der Beklagten sei branchenüblich. Während die Beklagte einen Naturalrabatt angekündigt habe, sei Gegenstand des Parallelverfahrens die Ankündigung der Klägerin, zu kombinierten Angeboten eine Zugabe zu gewähren. Naturalrabatte verstießen nicht gegen § 55 AMG.

Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Die Beklagte biete eine Prämie und damit verbunden finanzielle und materielle Vorteile an. Ihr Angebot verstoße gegen § 55 AMG. Diese Bestimmung sei eine Sondervorschrift, die den allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Regelungen vorgehe. Wiederholungsgefahr sei trotz Befristung der Aktion gegeben.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 52.000 S, nicht jedoch 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Beklagte habe die Zugaben nicht zur Information über Produkteigenschaften, sondern ausschließlich zur Verkaufsförderung angekündigt. Allein schon deshalb handle es sich dabei um verbotene Prämien im Sinne des § 55 AMG. Die richtlinienkonforme Auslegung des § 55 AMG verbiete eine Deutung dahin, daß in Mitgliedstaaten übliche Handelspraktiken wie Mengennachlässe vom Verbot ausgenommen sind.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete ordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß die von ihr angekündigten Naturalrabatte bei richtlinienkonformer Auslegung nicht unter § 55 AMG fallen. Das gemeinschaftsrechtliche Verständnis des Begriffes "Rabatt" stimme mit der österreichischen und deutschen Auffassung überein. Danach seien Naturalrabatte zulässige Preisnachlässe.

Der erkennende Senat hat sich bereits in der - zwischen denselben Parteien, aber mit umgekehrten Parteirollen, ergangenen - Entscheidung 4 Ob 250/98p mit § 55 AMG befaßt und ausgesprochen, daß sich die Auslegung des § 55 AMG an der Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Werbung für Humanarzneimittel zu orientieren hat. § 55 erster Satz AMG ist wortgleich mit Art 9 Abs 1 der Richtlinie. Danach ist es im Rahmen der Verkaufsförderung für Arzneimittel bei den zu deren Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen verboten, diesen eine Prämie, finanzielle oder materielle Vorteile zu gewähren, anzubieten oder zu versprechen, es sei denn, diese sind von geringem Wert und für die medizinische oder pharmazeutische Praxis von Belang. Gemäß Art 9 Abs 4 der Richtlinie läßt dieser Artikel die in den Mitgliedstaaten bestehenden Maßnahmen oder Handelspraktiken hinsichtlich der Preise, Gewinnspannen und Rabatte unberührt.

Die Richtlinie definiert nicht, was unter "Rabatt" zu verstehen ist. Maßgebend ist, da sich aus dem Gemeinschaftsrecht keine andere Auffassung ergibt das allgemeine Begriffsverständnis. Danach sind Rabatte Preisermäßigungen, die der Unternehmer dem Kunden durch einen Nachlaß (Abschlag) vom allgemein angekündigten oder geforderten Preis gewährt.

Dieses Begriffsverständnis stimmt mit der österreichischen und deutschen Auffassung überein. Der Preisnachlaß umfaßt auch den Mengennachlaß, weil sich wirtschaftlich gleichbleibt, ob der Käufer zum Barabzug berechtigt ist, oder ob ihm der Verkäufer eine größere Menge gleichartiger Ware liefert (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht20 RabattG Allgemeines Rz 1, 14). Unter den Begriff "Rabatt" fallen demnach auch Naturalrabatte. Eine Auslegung des Art 9 Abs 4 der erwähnten Richtlinie in diesem Sinn steht mit den Erwägungsgründen der Richtlinie im Einklang. Daraus ergibt sich neben der Beschränkung der Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel als weiterer Zweck der Richtlinie, eine objektive Information der zur Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen sicherzustellen und eine unsachliche Beeinflussung zu verhindern. Die Mehrlieferung gleichartiger Ware ist nicht geeignet, den Kaufentschluß unsachlich zu beeinflussen. Sie ist keine Abgabe von Gratismustern zum Zwecke der Verkaufsförderung, wie sie nach den Erwägungsgründen zu untersagen ist. Bei der Lieferung von 11 Packungen eines Arzneimittels zum Preis von 10 ist die zusätzlich gelieferte Packung kein "Muster", sondern eine Mehrlieferung, durch die sich der Preis je Packung ermäßigt.

Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, daß für einen vernünftigen Zweifel an diesem Auslegungsergebnis kein Raum ist. Damit erübrigt es sich, die Rechtssache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (EuGH Slg 1982, 3415 - C.I.L.F.I.T.; s Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag**2, 113ff mwN).

§ 55 erster Satz AMG ist richtlinienkonform dahin auszulegen, daß zulässige Naturalrabatte nicht unter das Verbot fallen. Die in einer bestimmten oder lediglich nach Bruchteilen zu berechnenden Menge derselben Ware bestehende Zugabe ist sowohl nach österreichischem (§ 9a Abs 2 Z 6 UWG) als auch nach deutschem Recht (§ 1 Abs 2 lit c ZugabeVO) zulässig. Voraussetzung ist, daß die dazugegebene Ware mit der Hauptware qualitativ völlig identisch ist (ÖBl 1954, 45 [Schönherr]; SZ 49/12 = EvBl 1976/239 mwN; s auch Baumbach/Hefermehl aaO § 1 ZugabeVO Rz 76 mwN). Eine mit der Hauptware identische Mehrlieferung ist im Gegensatz zu einer Mehrlieferung, die aus verschiedenen Arzneispezialitäten besteht, nicht geeignet, den Preis zu verschleiern und aus anderen als rein sachlichen Überlegungen zum Kauf zu verleiten (4 Ob 250/98p mwN).

Die Auslegung des § 55 AMG steht mit der Umsetzung der Richtlinie 92/28/EWG durch den deutschen Gesetzgeber im Einklang. § 7 HWG (Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens) nimmt vom Verbot von Zuwendungen und sonstigen Werbegaben ausdrücklich Werbegaben aus, die als Zugaben zulässig wären (s Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze II H 53 § 7 HWG Rz 8).

Die von der Beklagten angekündigte Mehrlieferung von einer Packung Diane Mite bei Abnahme von 10 Packungen und von vier Packungen bei Abnahme von 30 Packungen ist ein nach § 9a Abs 2 Z 6 UWG zulässiger Naturalrabatt, der unter Art 9 Abs 4 der Richtlinie fällt. Damit entfällt auch der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen § 55 AMG.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren dahin abzuändern, daß der Sicherungsantrag abgewiesen wird.

Die Entscheidung über die Kosten der Beklagten beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Im Provisorialverfahren beträgt der Streitwert 100.000 S und nicht 150.000 S, weil die Klägerin das Unterlassungsbegehren mit 100.000 S bewertet hat. Der Einheitssatz beträgt gemäß § 23 Abs 3 RATG 60 %. Eine Leistung, für die nach § 23 Abs 5 RATG der doppelte Einheitssatz zusteht, hat die Beklagte nicht erbracht. Die Klägerin hat sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.