JudikaturJustiz4Ob202/03i

4Ob202/03i – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Oktober 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, ***** vertreten durch Korn Frauenberger Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, ***** vertreten durch Mag. Dieter Kocher, Rechtsanwalt in St. Michael, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 35.000 EUR), über den Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 12. August 2003, GZ 3 R 141/03f-9, womit der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 27. Juni 2003, GZ 9 Cg 118/03h-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen; die Beklagte hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Beide Parteien vertreiben Arzneispezialitäten, die bei Venenproblemen eingesetzt werden. Die Beklagte vertreibt ihre - bereits seit 1992 in Verkehr befindliche - homöopathischen Venentropfen seit Anfang des Jahres 2003. Sie wirbt dafür in Fachkreisen und auch durch eine Informationsbroschüre für Konsumenten, die in Apotheken aufliegt. In der Gebrauchsinformation werden folgende Anwendungsgebiete genannt:

Durchblutungsstörungen der Venen mit Schweregefühlen, Schmerzen und Schwellungen, Unterschenkelgeschwüre. Die Venentropfen der Beklagten werden stets in gleicher Zusammensetzung hergestellt und unter der gleichen Bezeichnung in einer zur Abgabe an den Verbraucher oder Anwender bestimmten Form in Verkehr gebracht.

Die von der Beklagten vertriebenen Venentropfen sind nicht als homöopathische Arzneispezialität zugelassen. Die Pekana Naturheilmittel GmbH hat jedoch am 28. 3. 1995 beim zuständigen Bundesministerium einen Antrag gemäß § 13 AMG auf Zulassung im Sinn des § 89 AMG gestellt.

Mit Schreiben vom 12. 5. 2003 machte die Klägerin die Beklagte darauf aufmerksam, dass der Vertrieb der nicht zugelassenen Venentropfen rechtswidrig sei. Die Beklagte hielt dem ihre Rechtsauffassung entgegen, dass ein Antrag nach § 13 AMG für homöopathische Arzneispezialitäten bis 31. 3. 1995 gestellt werden könne, auch wenn die Arzneispezialitäten nicht bereits zum 1. 4. 1984 in Verkehr gewesen seien.

Nach dem - laut Verhaltenscodex der PHARMIG verbindlichen - Werbecodex der IGEPHA darf ein Produkt nicht länger als ein Jahr nach Markteinführung als Neuheit bezeichnet werden. Die IGEPHA ist die Interessengemeinschaft österreichischer Heilmittelhersteller und Depositeure.

Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Inverkehrbringen von V*****. im Inland als Arzneimittel und/oder Arzneimittelwerbung für V*****. zu unterlassen, solange sie für V*****. nicht über eine Zulassung nach § 11 AMG verfügt, in eventu, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Bewerbung von V*****. mit der Bezeichnung „NEU" und/oder sinngleichen Angaben zu unterlassen. Die Venentropfen der Beklagten seien eine zulassungspflichtige Arzneispezialität. Nach § 89 AMG gelte ein Arzneimittel nur dann als zugelassen, wenn es vor dem 1. 4. 1984 in Österreich im Verkehr gewesen sei. Das treffe für die Venentropfen der Beklagten nicht zu. Die Rechtsansicht der Beklagten, wonach für homöopathische Arzneispezialitäten der Stichtag 31. 3. 1995 maßgebend sei, sei unvertretbar. Es sei aber nicht nur das Inverkehrbringen der Venentropfen rechts- und wettbewerbswidrig, sondern auch die Werbung für dieses Arzneimittel. Laienwerbung für nicht zugelassene Arzneimittel sei unzulässig. Die Werbeaussage, wonach das Produkt „neu" sei, sei zur Irreführung geeignet und widerspreche auch der Standesauffassung, weil die Markteinführung bereits vor mehr als einem Jahr erfolgt sei.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Die Venentropfen gälten gemäß § 89 AMG als zugelassen. Der Antrag nach § 13 AMG sei rechtzeitig gestellt worden. Eine formelle, bescheidmäßige Erledigung sei nicht vorgesehen. Die Werbemaßnahmen seien nicht wettbewerbswidrig, weil die Venentropfen zugelassen seien. Die Bezeichnung „neu" sei nicht geeignet, das Kaufverhalten zu beeinflussen. Da die Klägerin „diese Umstände" Jahre hindurch hingenommen habe, fehle es sowohl am Rechtsschutzbedürfnis als auch an der Dringlichkeit. Der Anspruch der Klägerin sei auch verjährt; die Beklagte sei passiv nicht legitimiert. Durch den Vollzug der einstweiligen Verfügung entstünde der Beklagten ein Schaden in Millionenhöhe. Der Vollzug sei daher vom Erlag einer Sicherheitsleistung von 200.000 EUR abhängig zu machen. Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Die Auslegung des § 89 AMG durch die Beklagte widerspreche sowohl dem Gesetzeswortlaut als auch den Materialien. Die Beklagte setze sich über die Zulassungsvoraussetzungen für homöopathische Arzneimittel hinweg, sie werbe für eine nicht zugelassene Arzneispezialität und verstoße auch gegen § 51 Z 3 AMG, weil sie für eine nicht durch Bescheid zugelassene homöopathische Arzneispezialität werbe. Der Gesetzesverstoß sei ihr vorwerfbar und begründe daher sittenwidriges Handeln im Sinne des § 1 UWG. Die Werbung sei auch zur Irreführung geeignet, weil die Beklagte ihre schon mehr als 10 Jahre auf dem Markt befindlichen Venentropfen als „neu" bezeichne. Eine Sicherheitsleistung sei nicht aufzuerlegen, weil die Klägerin ihren Anspruch hinreichend bescheinigt habe und die Beklagte die Venentropfen weiterhin vertreiben könne, wenn sie ehestens einen Antrag auf Zulassung stelle.

Das Rekursgericht wies den Antrag der Beklagten, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des § 89 Abs 1 AMG zu stellen, zurück, bestätigte die einstweilige Verfügung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Parteien seien nicht befugt, einen Antrag auf Gesetzesprüfung zu stellen. Das am 1. 4. 1984 in Kraft getretene Arzneimittelgesetz habe auch homöopathische Arzneispezialitäten der Zulassung unterworfen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 89 Abs 1 AMG, auf den § 89 Abs 6 AMG verweise, komme die Gleichstellung mit durch Bescheid zugelassenen homöopathischen Arzneispezialitäten nur solchen homöopathischen Arzneispezialitäten zu, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Arzneimittelgesetzes bereits im Verkehr befunden haben und nach der früheren Rechtslage nicht zulassungspflichtig gewesen seien. § 89 Abs 6 AMG sei nicht zu entnehmen, dass auch die - unerlaubterweise - zwischen dem 1. 4. 1984 und dem 28. 2. 2002 erstmals in Verkehr gebrachten homöopathischen Arzneispezialitäten den durch Bescheid zugelassenen homöopathischen Arzneispezialitäten gleichgestellt werden sollten. Die Auslegung durch die Beklagte liefe auf eine - tatsächlich unsachliche - Befreiung aller vor dem 1. 3. 2002 entgegen der gesetzlichen Anordnung ohne Zulassung in Verkehr gebrachten homöopathischen Arzneispezialitäten von der Zulassungspflicht hinaus. In der unterschiedlichen Behandlung der ohne behördliche Zulassung zulässigerweise vor bzw unzulässigerweise nach Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes erstmals in Verkehr gebrachten homöopathischen Arzneispezialitäten könne demgegenüber keine sachliche Ungleichbehandlung erkannt werden, so dass auch kein Anlass bestehe, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts sei der Gesetzesverstoß der Beklagten auch subjektiv vorwerfbar. Ihr Verhalten verstoße gegen § 1 UWG. Der gegen diesen Beschluss gerichtete Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil keine Rechtsprechung zu § 89 AMG besteht; der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 89 Abs 1 AMG gelten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Arzneimittelgesetzes (1. 1. 1984) im Verkehr befindliche zulassungspflichtige Arzneispezialitäten, die vor Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes gemäß der Spezialitätenordnung nicht zulassungspflichtig waren, als zugelassen im Sinne des Arzneimittelgesetzes. Eine gemäß Abs 1 geltende Zulassung erlischt für homöopathische Arzneispezialitäten mit 31. 3. 1995, es sei denn, es wird vor Ablauf der entsprechenden Frist ein Antrag auf Zulassung gemäß § 13 AMG gestellt (§ 89 Abs 2 Z 5 AMG). Homöopathische Arzneispezialitäten, die gemäß Abs 1 als zugelassen gelten, sind homöopathischen Arzneispezialitäten gleichgestellt, die durch Bescheid zugelassen sind. Die Anträge im Sinne des Abs 2 bedürfen daher keiner bescheidmäßigen Erledigung (§ 89 Abs 6 AMG).

§ 89 AMG trifft damit eine Regelung für jene homöopathischen Arzneispezialitäten, die vor dem 1. 1. 1984 bereits im Verkehr und nicht zulassungspflichtig waren, aber durch das Arzneimittelgesetz der Zulassungspflicht unterworfen wurden. Allein auf diese Arzneispezialitäten bezieht sich sowohl die in § 89 Abs 2 Z 5 AMG gesetzte Frist als auch der in § 89 Abs 6 AMG normierte Verzicht auf eine bescheidmäßige Erledigung. Das wird durch die Erläuternden Bemerkungen zu § 89 Abs 6 AMG bestätigt (777 BlgNR 21. GP): Es wird ausdrücklich auf homöopathische Arzneispezialitäten Bezug genommen, „für die im Rahmen der Geltungszulassung" rechtzeitig ein Antrag auf Zulassung gestellt wird. Diese Arzneispezialitäten seien auch ohne formelle Zulassung den durch Bescheid zugelassenen Homöopathika gleichgesetzt. Die Regelung sei vor dem Hintergrund der mit den jeweiligen Produkten gesammelten Erfahrungswerte sowie des spezifischen Produktcharakters fachlich gerechtfertigt. Eine zusätzliche Bewertung solle im Rahmen einer Vorlage gemäß § 19a AMG in Verbindung mit § 94a Abs 2 AMG erfolgen.

§ 19a AMG trägt dem Zulassungsinhaber auf, in periodischen Abständen nachzuweisen, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach dem letzten Stand der Wissenschaften gegeben sind; § 94a Abs 2 AMG trifft für die Vorlagefristen bei Arzneispezialitäten, die vor Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes idF BGBl 1994/107 zugelassen wurden, eine Sonderregelung.

Beide Bestimmungen betreffen demnach zugelassene oder als zugelassen geltende Arzneispezialitäten. Der Beklagten ist zuzustimmen, dass aus diesen Bestimmungen auf die Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden kann, die Arzneimittel einer gewissen Kontrolle zu unterwerfen. Nicht zugestimmt kann aber ihren weiteren Schlussfolgerungen werden. Die Beklagte macht nämlich geltend, die Bestimmungen zeigten, dass nicht allein zwischen den vor dem Jahr 1984 und den nach dem Jahr 1984 in Verkehr gebrachten Arzneispezialitäten zu unterscheiden sei. § 89 Abs 1 AMG sei entgegen seinem Wortlaut dahin zu verstehen, dass die Ausnahme von der Zulassungspflicht für alle Arzneimittel gelten müsse, sofern ein Antrag gemäß § 13 AMG vor Ablauf des 31. 3. 1995 gestellt wurde. Die Beklagte vermengt damit völlig verschiedene Dinge. § 89 Abs 1 AMG trifft eine Regelung für jene Arzneispezialitäten, die mit dem Inkrafftreten des Arzneimittelgesetzes zulassungspflichtig wurden und zu diesem Zeitpunkt bereits - zulässigerweise ohne Zulassung - vertrieben wurden. Nur für diese Arzneimittel bestand das Bedürfnis nach einer Regelung, die auf bereits bestehende Rechte Rücksicht nahm (1060 BlgNR 15. GP 59). Die ursprünglich mit 6 Jahren festgesetzte Frist für den in § 89 Abs 2 AMG vorgesehenen Antrag nach § 13 AMG (§ 89 idF BGBl 1983/185) wurde durch die Arzneimittelgesetz-Nov 1988 BGBl 1988/748 bis 31. 3. 1995 verlängert. § 19a und § 94a AMG betreffen hingegen die laufende Kontrolle bereits zugelassener oder als zugelassen geltender Arzneimittel. Aus ihnen kann daher nicht geschlossen werden, dass es für die Frage, ob eine homöopathische Arzneispezialität als zugelassen gilt, nicht auf den Stichtag 1. 1. 1984 ankomme.

Diese Frage ist naturgemäß nur für homöopathische Arzneimittel von Bedeutung, die - wie unstrittig die Venentropfen der Beklagten - überhaupt zulassungspflichtig sind. Für nicht zulassungspflichtige Arzneispezialitäten hat sich durch das Arzneimittelgesetz nichts geändert; sie konnten und können weiter vertrieben werden, ohne dass ein Antrag nach § 13 AMG gestellt werden muss. Es trifft daher auch nicht zu, dass die von der Beklagten zitierte Verordnung über anmeldepflichtige homöopathische Arzneispezialitäten, BGBl 1994/1011, für zulassungspflichtige homöopathische Arzneispezialitäten irgendeine Änderung gebracht hätte. Diese Arzneispezialitäten durften auch nach Inkrafttreten dieser Verordnung nur vertrieben werden, wenn sie durch Bescheid zugelassen waren oder gemäß § 89 Abs 1 AMG als zugelassen galten.

Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zulassungspflichtiger Arzneimittel liegt daher, wie schon das Rekursgericht zutreffend dargelegt hat, nicht vor. Für einen Antrag auf Gesetzesprüfung besteht somit kein Anlass.

Das Gleiche gilt für das von der Beklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen. Die Beklagte macht dazu geltend, dass die Bestimmungen des österreichischen Arzneimittelgesetzes anders lauteten als die des deutschen Arzneimittelrechts. Die Vorschrift des deutschen Arzneimittelrechts entspreche dem „Art 2 Abs 2 1. Spiegelstrich der Richtlinie 65/67 des Europäischen Rates", § 89 AMG hingegen offensichtlich nicht.

Es ist nicht erkennbar, welche Bestimmung des deutschen Arzneimittelrechts die Beklagte meint. Der von ihr an anderer Stelle zitierte „§ 38 Abs 1 des dAMG" kann es offenbar nicht sein, weil diese Bestimmung, anders als § 89 AMG, keine Übergangsregelung trifft, sondern - folgt man der Wiedergabe der Beklagten - eine Freistellung homöopathischer Arzneimittel von der Registrierungspflicht enthält, die dann gelten soll, wenn ein pharmazeutisches Unternehmen ein homöopathisches Arzneimittel in einer Menge von bis zu 1.000 Packungen im Jahr in Verkehr bringt. Ebenso wenig erkennbar ist, worin die Beklagte einen Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht erblickt. Die von ihr zitierte Richtlinienbestimmung gibt es nicht, auch wenn berücksichtigt wird, dass offenbar die Richtlinie 65/65/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel gemeint ist. Der Revisionsrekurs musste erfolglos bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO; jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.