JudikaturJustiz3R55/23i

3R55/23i – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Guggenbichler und die Richterin Mag. a Klenk in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG, FN **, **, vertreten durch Dr. Klemens Dallinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B*, geb. am **, **, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 88.365,52 sA und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 30.03.2023, 62 Cg 66/22a-14, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.948,68 (darin EUR 324,78 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte mit ihrer am 9.11.2022 eingebrachten Klage Zahlung von EUR 88.365,52 sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten gegenüber F* und G* für künftige Schäden aus der Planung und Errichtung von vier deren Objekt auf der Liegenschaft EZ **, KG **, ** zugehörigen Terrassen, wobei die Haftung hinsichtlich der Planung nur hinsichtlich der von der C* KEG vorgenommenen Umplanung bestehe.

Das Erstgericht trug der Beklagten mit Beschluss vom 20.11.2022 (ON 2) die Klagebeantwortung auf und veranlasste die Zustellung dieses Beschlusses samt einer Gleichschrift der Klage an die Beklagte.

Laut dem aus dem elektronischen Akt ersichtlichen Zustellnachweis erfolgte die Zustellung der entsprechenden Sendung durch Hinterlegung zur Abholung ab 28.11.2022. Da eine Abholung nicht erfolgte, wurde die Sendung als nicht behoben an das Erstgericht retourniert.

Das Erstgericht erließ am 25.1.2023 über Antrag der Klägerin ein Versäumungsurteil und veranlasste dessen Zustellung an die Beklagte, die wiederum durch Hinterlegung erfolgte. Laut der im elektronischen Akt ersichtlichen Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments wurde die Sendung am 30.1.2023 zur Abholung ab 31.1.2023 in der Post-Geschäftsstelle ** hinterlegt. Am 2.2.2023 übernahm die Beklagte das Versäumungsurteil persönlich.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 27.2.2023 (ON 6) die Aufhebung der (Bestätigung der) Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils und die neuerliche Zustellung der Klage. Hilfsweise beantragte sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil.

Dazu brachte sie vor, weder die Klage noch der Auftrag zur Klagebeantwortung seien ihr zugestellt worden. Sie habe sich vom 20.11.2022 bis 5.12.2022 in Kroatien zur Kur aufgehalten. Bei ihrer Rückkehr an ihre Wohnadresse habe sie keine Verständigung über die Hinterlegung eines gerichtlichen Schriftstücks vorgefunden. Es komme häufig vor, dass Mitarbeiter der Post Zustellstücke in den falschen Briefkasten einwerfen.

Zum hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag brachte die Beklagte vor, sie sei davon ausgegangen, ab der Abholung des hinterlegten Versäumungsurteils am 3.2.2023 noch 14 Tage Zeit für einen Widerspruch zu haben. Die Rechtsbelehrung am Versäumungsurteil sei für sie nicht verständlich gewesen. Erst der Beklagtenvertreter, den sie am 14.2.2023 aufgesucht habe, habe sie darüber aufgeklärt, dass die Widerspruchsfrist aufgrund der Hinterlegung des Versäumungsurteils und dem Beginn der Abholfrist am 30.1.2023 bereits am 13.2.2023 abgelaufen sei. Mit dieser Information sei das Hindernis für die Erhebung des Widerspruchs weggefallen. Es liege ein bloß minderer Grad des Versehens vor.

Unter einem erhob die Beklagte Widerspruch gegen das Versäumungsurteil.

Die Klägerin beantragte in der ihr vom Erstgericht eingeräumten Äußerung die Abweisung sämtlicher Anträge der Beklagten.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht alle Anträge der Beklagten ab.

Zur Begründung für die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die allein Gegenstand des Rekursverfahrens ist, führte es aus, das Versäumungsurteil sei der Beklagten am 31.1.2023 durch Hinterlegung zugestellt worden. Die 14-tägige Widerspruchsfrist habe daher am 1.2.2023 zu laufen begonnen und am 14.2.2023 geendet. Der Beklagten wäre ausgehend von ihrem Vorbringen, am 14.2.2023 den Beklagtenvertreter aufgesucht zu haben, an diesem Tag noch die Einbringung des Widerspruchs möglich gewesen. Es widerspräche dem Zweck der Wiedereinsetzung, wenn eine Partei zuerst die Frist ablaufen lasse, um in weiterer Folge die Wiedereinsetzung zu beantragen.

Die Nichtbeachtung der Rechtsbelehrung begründe im Übrigen grobes Verschulden. Dass die Beklagte dem Beklagtenvertreter nach ihrem eigenen Vorbringen den Beginn der Abholfrist mit 30.1.2023 statt mit 31.1.2023 bekannt gegeben habe, gehe zu ihren Lasten.

Gegen die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung und wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne der Bewilligung der Wiedereinsetzung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Die Beklagte bringt vor, der Beginn der Abholfrist für das Versäumungsurteil sei tatsächlich der 30.1. und nicht, wie vom Erstgericht angenommen, der 31.1.2023 gewesen. Dazu legte sie mit ihrem Rekurs die Kopie eines nicht näher zuordenbaren Rückscheinkuverts vor.

2. Wie sich aus den im elektronischen Akt gespeicherten Zustellnachweisen unzweifelhaft ergibt, wurde die das Versäumungsurteil beinhaltende Sendung am 30.1.2023 in der Abgabeeinrichtung hinterlegt. Die Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Schriftstücks, die die Beklagte ausgehend von ihrem eigenen Vorbringen nach ihrer Rückkehr an ihre Wohnadresse vorgefunden hat, enthält den unmissverständlichen Hinweis, dass das Schriftstück ab 31.1.2023 vom Empfänger abgeholt werden könne.

3. Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil beträgt gemäß § 397a Abs 2 ZPO 14 Tage und beginnt mit dem Tag nach der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Versäumungsurteils an den Säumigen. Gemäß § 17 Abs 3 ZustG beginnt der Lauf der Abholfrist mit jenem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Das hinterlegte Dokumente gilt mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Im vorliegenden Fall galt das Versäumungsurteil daher mit 31.1.2023 als zugestellt, die Widerspruchsfrist begann am 1.2.2023 und endete am 14.2.2023.

Laut Ihrem Vorbringen im Rekurs war auf dem Kuvert des Rückscheinbriefs aber als Beginn der Abholfrist der 30.1.2023 genannt. Wenn dies der Fall war konnte der Beklagtenvertreter beim Besprechungstermin am 14.2.2023 jedenfalls davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt die Frist für den Widerspruch gegen das Versäumungsurteil bereits abgelaufen war. Den Widerspruch hat er dann erst verspätet samt dem Wiedereinsetzungsantrag eingebracht.

4. Das Erstgericht hat zwar kein Bescheinigungsverfahren durchgeführt und auch keine Feststellungen getroffen, dennoch erweist sich seine Entscheidung als richtig:

Geht man vom Vorbringen der Beklagten aus, dann hat sie vom Verfahren erstmals durch den Erhalt des Versäumungsurteils erfahren; dieses hat sie am 2.2.2023 bei der Postgeschäftsstelle behoben, wo es hinterlegt worden war. Sie gesteht zu, dass dem Versäumungsurteil eine Rechtsmittelbelehrung (ZPForm 87b) angeschlossen war. Darin wird der Empfänger des Versäumungsurteils darauf hingewiesen, dass er binnen 14 Tagen ab Zustellung des Versäumungsurteils einen Widerspruch schriftlich einbringen kann, der von einem Rechtsanwalt unterschrieben werden muss. Auch der Fristenlauf wird erklärt; nach dem Hinweis „Achtung:“ wird auch klargestellt: „Auch die Hinterlegung des Versäumungsurteils beim Postamt gilt als Zustellung. Für den Lauf der Frist ist in einem solchen Fall der Beginn der Abholfrist der hinterlegten Sendung und nicht der Tag der tatsächlichen Abholung maßgeblich.“

5. Die Beklagte hat den Widerspruch erst am 27.2.2023 und damit jedenfalls verspätet eingebracht. Allerdings ist ihr die von ihr beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist nicht zu bewilligen, wenn ihr ein Verschulden an der Säumnis zur Last liegt, das gravierender ist als ein minderer Grad des Versehens (§ 146 Abs 1 ZPO).

6. Das ist hier der Fall: Die Klägerin hat am 2.2.2023 ein Versäumungsurteil erhalten, welches sie unter anderem zur Zahlung von insgesamt über EUR 93.000, an die Klägerin verpflichtete. Die Beklagte argumentiert, ihre Muttersprache sei Kroatisch. Sie habe die Rechtsbelehrung nicht entsprechend verstehen können und sei davon ausgegangen, dass die 14 Tage Frist zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil ab der tatsächlichen Abholung der hinterlegten Briefsendung laufe.

Die Beklagte hat die Rechtsmittelbelehrung aber immerhin soweit verstanden, dass ihr bewusst war, dass sie für eine Bekämpfung des Versäumungsurteils einen Rechtsanwalt beauftragen muss. Nach ihrem eigenen Vorbringen hat sie deshalb auch in der Kanzlei des Beklagtenvertreters einen Besprechungstermin vereinbart, und zwar für den 14.2.2023 (siehe ihr Vorbringen auf S 3 in ON 6). Wenn sie sich nicht sicher war, dass der vereinbarte Besprechungstermin überhaupt noch innerhalb der Widerspruchsfrist liegt, etwa wie sie behauptet weil sie die Rechtsmittelbelehrung nicht richtig verstehen konnte, dann hätte sie bei der Vereinbarung dieses Besprechungstermins die Anwaltskanzlei des Beklagtenvertreters um eine Überprüfung dieser Frage ersuchen müssen. Dabei hätte leicht erfragt werden können, dass auf dem Kuvert als Beginn der Abholfrist wie die Beklagte behauptet der 30.1.2023 angegeben ist, sodass der Widerspruch (die Richtigkeit dieser Angabe unterstellt) spätestens am 13.2.2023 an das Erstgericht übermittelt werden musste. Hätte die Beklagte in der Kanzlei des Beklagtenvertreters nachgefragt, dann wäre mit Sicherheit ein früherer Termin vereinbart worden, damit die Widerspruchsfrist gewahrt werden kann.

7. Wenn die Beklagte zwar die Rechtsmittelerklärung nicht vollständig verstehen konnte, dann aber mit dem von ihr beigezogenen Rechtsanwalt einen relativ späten Besprechungstermin vereinbart hat, ohne auch nur nachzufragen, ob dann die Widerspruchsfrist überhaupt noch gewahrt werden kann, dann war ihr Verhalten insbesondere wenn man auch die Höhe der gegen sie erhobenen Forderung berücksichtigt grob fahrlässig. Das Erstgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten daher zu Recht abgewiesen, ihrem Rekurs ist keine Folge zu geben.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 154 ZPO.

9. Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.