JudikaturJustiz3R2/23w

3R2/23w – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Guggenbichler und die Richterin Mag. a Klenk in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH , FN **, **, wider die beklagte Partei B* mbH , FN **, **, vertreten durch Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP Co KG in Wien, wegen EUR 89.922,86 s.A., über die Berufung der klagenden Partei gegen das Endurteil des Handelsgerichts Wien vom 25.10.2022, 41 Cg 60/16f-123, und den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 10.11.2022, 41 Cg 60/16f-127, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben und das angefochtene Endurteil als nichtig aufgehoben.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Mit ihrem Rekurs gegen den Beschluss ON 127 wird die Klägerin auf diese Entscheidung über ihre Berufung verwiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung von EUR 89.922,-- s.A. an Anwaltshonorar.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete eine Gegenforderung von EUR 110.000,-- ein; dabei handle es sich um einen Schadenersatzanspruch der C* - Aktiengesellschaft gegen die Klägerin, welcher ihr zum Inkasso abgetreten worden sei.

Das Erstgericht schloss die Verhandlung erster Instanz am 12.6.2019 zur Fällung eines Teilurteils. Mit dem Teilurteil vom 13.11.2019, ON 61, verpflichtete es die Beklagte, der Klägerin EUR 89.922,86 s.A. zu zahlen.

Im Schriftsatz vom 17.1.2022, ON 98, brachte die Beklagte vor, D* F* habe am 17.12.2019 mit der Klägerin einen Vergleich zur umfassenden Beendigung aller zu diesem Zeitpunkt zwischen der Klägerin und D* F* sowie den ihm zuzurechnenden Konzerngesellschaften anhängigen Rechtsstreitigkeiten geschlossen. Dabei habe sich die Klägerin verpflichtet, gegen Erhalt einer Zahlung von EUR 450.000,-- sämtliche gegen D* F* und seine Konzerngesellschaften geführten Verfahren zur Einstellung zu bringen. Von diesem Vergleich sei auch das hier zu beurteilende Verfahren umfasst gewesen. Entsprechend dem Vergleich seien der Klägerin am 30.1.2020 EUR 50.000,--, am 29.4.2021 EUR 150.000,-- und am 30.8.2021 EUR 250.000,-- gezahlt worden. In einem von der Klägerin gegen D* F* zu 67 E 403/21y des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien geführten Exekutionsverfahren habe D* F* deshalb eine Oppositionsklage eingebracht, die vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu 76 C 12/21h geführt werde. Die Klägerin hätte auf Grund der Erfüllung des Vergleichs umgehend alle notwendigen Schritte zur Einstellung des gegenständlichen Verfahrens setzen müssen. Die Fortsetzung des Verfahrens sei nur erforderlich wegen der beharrlichen Weigerung der Klägerin, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Die Klägerin verursache somit schuldhaft einen Mehraufwand, weshalb die Beklagte beantrage, das Erstgericht möge der Klägerin gemäß § 48 ZPO den Ersatz der Kosten des weiteren Verfahrens auferlegen.

In der folgenden Tagsatzung vom 19.1.2022, ON 100, erklärte der Erstrichter, dass sich nach diesen Wendungen im Verfahren das an diesem Tag vorgesehene Beweisverfahren erübrige. Die Klägerin habe somit ausreichend Zeit, in der Tagsatzung auf das neue Vorbringen der Beklagten zum Vergleichsabschluss zu replizieren.

Die Klägerin bestritt daraufhin in dieser Verhandlung das Vorbringen der Beklagten. Ihr Vergleichsanbot sei nicht angenommen worden. In der nächsten Tagsatzung vom 27.6.2022, ON 105, brachte die Klägerin nochmals vor, es sei kein Vergleich zustande gekommen, der in diesem Prozess eingewandt werden könnte.

Der Erstrichter erörterte daraufhin, es sei zwar ein bereits rechtskräftiges und vollstreckbares Teilurteil erlassen worden, doch habe sich die Beklagte nicht mehr nur auf die bisher eingewandte Gegenforderung berufen, sondern ausdrücklich auch auf einen Vergleich, der nach Schluss der Verhandlung zum Teilurteil geschlossen worden sein soll. Auch die Klagsseite habe sich darauf ohne eine Rüge zu formulieren eingelassen, weshalb auch dieser Umstand jetzt verfahrensgegenständlich sei. Allenfalls müsse wegen des bereits rechtskräftigen Teilurteils ein unüblicher Spruch formuliert werden.

Mit dem angefochtenen Endurteil sprach das Erstgericht aus, dass das mit rechtskräftigem Teilurteil vom 13.1.2019 zugesprochene Klagebegehren von EUR 89.922,86 s.A. erloschen sei. Es stellte den auf den Seiten 7 bis 14 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte in seiner rechtlichen Beurteilung aus, die Beklagte habe nachträgliche Einwendungen gegen den Grund des Anspruchs des Teilurteils erhoben, darauf habe sich die Klägerin rügelos eingelassen. Dies sei analog § 235 Abs 2 ZPO zu berücksichtigen, somit sei zu prüfen, ob der bereits rechtskräftig zugesprochene Klagsanspruch nachträglich erloschen sei. Dies sei hier der Fall, weil auch über diesen Anspruch ein Vergleich abgeschlossen und in weiterer Folge erfüllt worden sei.

Mit Schriftsatz vom 8.11.2022 ON 124 beantragte die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Nichtigerklärung des Verfahrens, weil die Beklagte mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 26.7.2022 wegen Vermögenslosigkeit amtswegig gelöscht worden sei.

Mit dem Beschluss ON 127 stellte das Erstgericht den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens der Klägerin zur allfälligen Verbesserung zurück und wies den Antrag der Klägerin auf Zurückweisung des Klagebegehrens und Nichtigerklärung des Verfahrens ab.

Gegen das Endurteil erhob die Klägerin Berufung wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil derart abzuändern, dass das Teilurteil ON 61 wieder hergestellt werde; hilfsweise stellt die Klägerin einen Aufhebungsantrag. Ausdrücklich nur für den Fall, dass der Berufung nicht stattgegeben werde, erhob die Klägerin einen Rekurs gegen den Beschluss vom 10.11.2022 (ON 127) mit dem Antrag, diesen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung darüber aufzutragen.

Die Beklagte beantragt, den Rechtsmitteln keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist berechtigt.

1. Die beklagte Kapitalgesellschaft wurde zwar wegen Vermögenslosigkeit gelöscht, doch hat die Klägerin ausdrücklich erklärt, das Verfahren trotzdem weiterführen zu wollen (Punkt 2.4. der Berufung), sodass dieser Umstand auf das weitere Verfahren keine Auswirkungen hat (RS0110979).

2. Die Klägerin argumentiert in ihrer Rechtsrüge, das Erstgericht habe die Rechtskraft seines Teilurteils nicht beachtet. Es sei rechtlich unzulässig, dass es in einem fortgesetzten Verfahren denselben Sachverhalt neuerlich beurteile und dann im angefochtenen Endurteil darüber entscheide. Dieser Einwand ist berechtigt:

3. Ein Teilurteil erfüllt im Umfang der Erledigung die Funktion eines Endurteils (10 Ob 33/15y, 7 Ob 132/18i). Demgemäß wird ein Teilurteil selbständig rechtskräftig und vollstreckbar ( Deixler Hübner in Fasching/Konecny , Kommentar 3 § 391 ZPO Rz 56). Die Wirkung der Rechtskraft ist allerdings begrenzt mit der Sachlage bei Schluss der mündlichen Verhandlung ( Klicka in Fasching/Konecny , Kommentar 3 § 411 ZPO Rz 140; RS0041247; 5 Ob 17/10a). Demgemäß ist bei einem Teilurteil über die Klagsforderung gemäß § 391 Abs 3 ZPO im Endurteil, in welchem über die (nicht konnexen) Gegenforderungen zu entscheiden ist, der Entscheidungszeitpunkt auf den Schluss der mündlichen Verhandlung über den Hauptantrag (also über das Klagebegehren) vorzuziehen. Somit ist es unerheblich, wenn der Beklagte in der Zwischenzeit die Klagsforderung erfüllt hat ( Deixler Hübner , aaO Rz 60; 6 Ob 617/77 SZ 50/134), aber auch, wenn die Gegenforderung in der Zwischenzeit (also zwischen Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Teilurteil über das Klagebegehren und dem Endurteil mit der Entscheidung über die Gegenforderung) durch Zahlung erloschen ist ( Deixler Hübner , aaO Rz 60/1). Dasselbe gilt für einen in dieser Zwischenzeit geschlossenen Vergleich; dieser ist für das dann über die Gegenforderung zu fällende Endurteil bedeutungslos, ist der maßgebliche Zeitpunkt doch der des Schlusses der Verhandlung erster Instanz über das Klagebegehren.

4.1 Abgesehen davon kann die Rechtskraft nur mit den durch die Prozessordnung gewährten Mitteln beseitigt werden. Die österreichische Prozessordnung hat aber nur wenige zulässige Gründe für die Beseitigung der Rechtskraft anerkannt, wie beispielsweise die Nichtigkeitsklage oder die Wiederaufnahmsklage ( Klicka in Fasching/Konecny , Kommentar 3 § 411 ZPO Rz 141 ff). Das österreichische Prozessrecht ermächtigt das über die Klagsforderung mit Teilurteil entschieden habende Gericht aber nicht dazu, dieses Teilurteil noch vor der Entscheidung über die Gegenforderung nur deshalb wieder zu beseitigen, weil die Klagsforderung in der Zwischenzeit erfüllt oder verglichen (und der Vergleich erfüllt) worden ist.

4.2 Das Erstgericht hat argumentiert, die Zulassung des nachträglichen Einwands der Beklagten, die Streitsache sei inzwischen verglichen worden, erspare den Streitteilen einen aufwendigen weiteren Prozess zur eingewandten Gegenforderung und einen allfälligen weiteren Oppositionsprozess. Dies mag richtig sein, allerdings steht es der Beklagten frei, wenn sie der Meinung ist, dass die Klagsforderung inzwischen verglichen und der Vergleich erfüllt worden ist, ihre Aufrechnungseinrede zurückzuziehen. Ein Oppositionsprozess würde nur dann erforderlich, wenn die Klägerin auf Grund des im Teilurteil ihr zuerkannten Anspruchs gegen die Beklagte Exekution führt; dann (oder nach einer negativen Feststellungsklage) wäre der Verfahrensaufwand allerdings auch nicht größer als der, den das Erstgericht unternommen hat, um den Einwand der Beklagten zu prüfen, die Streitsache sei nachträglich verglichen worden. Jedenfalls sehen die Prozessgesetze keine Durchbrechung der Rechtskraft bloß deshalb vor, weil in einem andernfalls möglicherweise notwendigen weiteren Verfahren der Aufwand größer wäre als bei einer nochmaligen Überprüfung eines bereits zuerkannten Anspruchs im fortgesetzten Verfahren.

5.1 Weiters beruft sich das Erstgericht auf eine Analogie zu § 235 Abs 2 ZPO. Dies ist gleich aus mehreren Gründen nicht richtig: Bei § 235 Abs 2 ZPO geht es darum, ob in einem von einem Kläger gegen einen Beklagten geführten Verfahren der Kläger eine weitere Forderung gegen denselben Beklagten geltend machen kann. Das wird dann für zulässig erklärt, wenn das Prozessgericht für diese weitere Forderung durch eine Vereinbarung oder ein bestimmtes Verhalten der Prozessparteien zuständig gemacht werden könnte (vgl. § 104 JN). Hier geht es aber um ein ganz anderes Thema, nämlich ob eine rechtskräftige Entscheidung, konkret ein Teilurteil, auf Grund eines bloßen Einwands der beklagten Partei im fortgesetzten Verfahren, der mit dem Teilurteil dem Kläger zuerkannte Anspruch bestehe nicht bzw. nicht mehr, vom erkennenden Gericht überprüft und allenfalls dieses Teilurteil aufgehoben bzw. beseitigt werden darf.

5.2 Eine Analogie setzt eine Lücke, also eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Die §§ 391 Abs 3 und 392 Abs 1 ZPO, beides Bestimmungen noch aus der Stammfassung der ZPO, sind aber ganz eindeutig. Ebenso eindeutig ordnet § 411 Abs 2 ZPO an, dass die Rechtskraft des Urteils von Amts wegen zu berücksichtigen ist; auch diese Bestimmung gehört noch zur Stammfassung der ZPO. Dass der Gesetzgeber diese Regelung gerade bei einem Teilurteil nach § 391 Abs 3 ZPO nicht angewendet haben will ist auszuschließen, hätte er doch sonst in irgendeiner Novelle der ZPO eine entsprechende Änderung beschlossen.

5.3 Abgesehen davon ist es auch gar nicht richtig, dass sich die Klägerin auf das Bestreitungsvorbringen der Beklagten iSd § 235 Abs 2 ZPO rügelos eingelassen hat: Die Beklagte hat zwar in ihrem Schriftsatz ON 98 Vorbringen zu einem nachträglich mit der Klägerin abgeschlossenen Vergleich erstattet, in diesem Zusammenhang aber nur eine Kostenseparation nach § 48 ZPO beantragt. In weiterer Folge hat das Erstgericht die Klägerin dazu aufgefordert, sich zu diesem Vorbringen zu äußern; dieser Aufforderung hat die Klägerin dann entsprochen. Erst danach hat das Erstgericht erkennen lassen, dass seines Erachtens der neue Einwand der Beklagten verfahrensgegenständlich sei, weil sich die Klägerin auf diesen Einwand eingelassen habe. Die Beklagte hat nie beantragt, dass das Erstgericht sein rechtskräftiges Teilurteil für erloschen erklären solle; demgemäß konnte die Klägerin über einen solchen gar nicht gestellten Antrag auch nicht iSd § 235 Abs 2 ZPO (ohne Einwendungen zu erheben) verhandeln.

6. Somit verstößt die Entscheidung des Erstgerichts gegen die Rechtskraft des Teilurteils; sie ist daher als nichtig aufzuheben (3 Ob 188/10h; RS0074226).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

7. Den Rekurs hat die Klägerin zulässigerweise (vgl. RS0037502) nur für den Fall erhoben, dass ihrer Berufung nicht stattgegeben werde. Ihre Berufung war aber erfolgreich, weshalb der Rekurs nicht weiter zu behandeln ist.