JudikaturJustiz3Ob93/90

3Ob93/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. November 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard N***, Angestellter, Graz, Waltendorfergürtel 5 a, vertreten durch Dr. Otmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Raoul N***, Musikschüler, Graz, Uhlandgasse 13, vertreten durch Dr. Alfred Lind ua, Rechtsanwälte in Graz, wegen Einwendungen gemäß § 35 EO gegen einen Unterhaltsanspruch von 1.500 S monatlich, infolge Rekurses beider Streitteile gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 23.April 1990, GZ 4 R 84/90-16, womit das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 21.Dezember 1989, GZ 10 C 33/89-10, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger macht in seiner Oppositionsklage gegen den mit Lohnpfändungsexekution betriebenen Unterhaltsanspruch des Beklagten von monatlich 1.500 S geltend, dieser sei selbsterhaltungsfähig, weil der weitere Besuch eines Musikkonservatoriums nicht zielführend sei; der Unterhaltsanspruch sei seit 1.8.1989 erloschen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:

Der am 7.9.1968 geborene Beklagte besuchte in den Jahren 1975 bis 1979 die Volksschule, in den Jahren 1979 bis 1983 die Hauptschule und im Schuljahr 1983/84 das Polytechnikum. Im Jahr 1984 begann er mit dem Besuch des Konservatoriums des Landes Steiermark. Er besucht im Hauptfach Klarinette die lehrplanmäßig vorgesehenen Lehrveranstaltungen und ist (Ende 1989) lehrplanmäßig in der Leistungsstufe III B. Er hat bisher die Studien in der vorgesehenen Zeit absolviert. Die Noten waren in den ersten vier Schuljahren positiv.

Das Konservatorium des Landes Steiermark ist kein berufsausbildendes Institut. Für interessierte Schüler besteht aber die Möglichkeit, für die Aufnahme in eine Musikhochschule vorbereitet zu werden. Der Besuch des Konservatoriums ist nicht notwendige Voraussetzung für die Aufnahme an die Hochschule für Musik und darstellende Kunst, die Chancen für eine positive Ablegung der Aufnahmeprüfung an einer solchen Hochschule steigen jedoch bei Besuch des Konservatoriums.

Die reguläre Ausbildung des Beklagten bis zur Abschlußprüfung nach Absolvierung der Leistungsstufe IV B dauert noch drei Jahre. Er könnte aber auch in eineinhalb Jahren fertig sein.

Nach Abschluß des Konservatoriums möchte der Beklagte die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst machen. Sein Berufsziel wäre Musiklehrer in einer Waldorfschule. Er hat im Oktober 1988 schon einmal die genannte Aufnahmeprüfung versucht. Den theoretischen Teil bestand er mit der Note Gut, den praktischen bestand er infolge seiner Aufregung aber nicht. Eine Wiederholung der Prüfung im praktischen Teil ist erst nach einer Wartezeit von zwei Semestern möglich. Das Durchschnittsalter der Kandidaten dieser Aufnahmeprüfung liegt zwischen 19 und 21 Jahren. Auf Grund dieses Sachverhaltes war das Erstgericht der Rechtsansicht, daß der Beklagte noch nicht selbsterhaltungsfähig sei. Auf Grund seiner Anlagen und Fähigkeiten sei ihm der Besuch des Konservatoriums des Landes Steiermark zuzubilligen. Bei der erwiesenen Ernsthaftigkeit des Studiums des Beklagten komme es nicht darauf an, daß es sich beim Konservatorium um keine berufsbildende Schule handle.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, daß die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes nach Absolvierung seiner gesetzlichen Schulpflicht eintrete, wenn weder ein Mittelschulstudium noch eine andere zielführende Schul- oder Berufsausbildung angestrebt noch ein Beruf ergriffen werde. Im konkreten Fall bedeute dies, daß der Unterhaltsanspruch des Beklagten nur dann zu bejahen wäre, wenn sein Unterricht am Konservatorium im Hinblick auf das von ihm angestrebte Berufsziel eines Musiklehrers an einer Waldorfschule bei realistischer Betrachtungsweise zielführend und wenigstens ein (auch zeitlich) durchschnittlicher Unterrichtserfolg gegeben wäre.

Zur Beantwortung dieser Fragen reichten die Feststellungen des Erstgerichtes nicht aus, und einige dieser Feststellungen seien auch das Ergebnis eines mangelhaften Verfahrens. Es sei bisher nicht festgestellt worden, wie der Beklagte im Vergleich zu anderen Musikschülern stehe, inwieweit der Besuch des Konservatoriums überhaupt für das angestrebte Berufsziel notwendig sei, ob der Beklagte für den angestrebten Beruf geeignet sei, wieviel Zeit er bisher der Musikausbildung gewidmet habe und warum er bisher die Wiederholungsprüfung an der Musikhochschule nicht abgelegt habe. Die Zulässigkeit des Rekurses wurde ausgesprochen, weil man auch die Rechtsansicht vertreten könne, die Sache sei schon spruchreif im Sinne der Klage, weil der Beklagte nun schon relativ lange (fünfeinhalb Jahre) das Konservatorium besuche und noch eine so lange Ausbildungszeit vor sich habe, daß schon nach allgemeiner Erfahrung seine bisherigen Ausbildungsfortschritte ungenügend seien; dazu sei keine eindeutige Judikatur feststellbar.

Rechtliche Beurteilung

Ungeachtet dieses Ausspruches ist jedoch das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 519 Abs. 2 ZPO nicht erkennbar. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, und in den Rekursen der beiden Streitteile werden keine gegen diese Judikatur sprechenden Gesichtspunkte aufgezeigt:

Widmet sich ein Minderjähriger einer zielführenden Ausbildung, dann ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bei einer erstmaligen Ausbildung kein strenger Maßstab an die Fähigkeiten des Minderjährigen, an die künftigen Berufsaussichten oder die Lebensverhältnisse der Eltern anzulegen. Nur wenn nach abgeschlossener Berufsausbildung ein Zweitstudium angestrebt wird, müssen besondere Umstände dafür sprechen, daß die Selbsterhaltungsfähigkeit immer noch zu verneinen ist (EFSlg XX/2; EFSlg XXI/2; SZ 58/83, ÖA 1989, 166; 5 Ob 507/89, für den Fall eines Kunststudiums nach zuvor erlangtem anderen Beruf; ebenso Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 12 a zu § 140 mwN).

Soweit das Berufungsgericht weitere Feststellungen für erforderlich hält, um die grundsätzliche Eignung des Beklagten für den von ihm angestrebten Beruf eines Musiklehrers an einer Waldorfschule, die Sinnhaftigkeit des Konservatoriumsbesuches für dieses Berufsziel und die Ernsthaftigkeit des bisher betriebenen Musikstudiums beurteilen zu können, und auch zu bisher dazu getroffenen Tatsachenfeststellungen wegen eines mangelhaft gebliebenen Verfahrens weitere Beweisaufnahmen erforderlich hält, kann dem der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten und ist keine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 519 Abs. 2 ZPO gegeben.

Unrichtig ist der Standpunkt der klagenden Partei, es stünden schon jetzt die fehlende Eignung des Beklagten und die fehlende Ernsthaftigkeit des bisher betriebenen Musikstudiums, aber auch die Sinnlosigkeit des Konservatoriumsbesuches an sich fest. Dem erfolgreichen Absolventen eines Konservatoriums mit öffentlichem Recht steht nicht nur die Möglichkeit der Ablegung einer Übertrittsprüfung nach § 55 KHStG offen, sondern es gibt auch ohne Übertritt an eine Hochschule für Musik und darstellende Kunst Berufsmöglichkeiten. Auf die fehlende Bezeichnung einer Schule als einer "berufsausbildenden" kommt es dabei nicht an. Es muß vielmehr, wie es dem Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichtes entspricht, untersucht werden, ob gerade für den angestrebten Beruf eines Musiklehrers an einer Waldorfschule der Besuch des Konservatoriums sinnvoll ist. Der bisher mit dem Musikstudium verbrachte Zeitraum ist dafür noch nicht ungewöhnlich.

Unzutreffend ist aber auch die Ansicht des Beklagten, wegen der bisher erzielten Noten stehe schon jetzt fest, daß ihm die Fortsetzung des Konservatoriumsbesuches jedenfalls zuzubilligen sei. Wenn der Besuch des Konservatoriums für den Beruf eines Musiklehrers an einer Waldorfschule nicht notwendig oder zweckentsprechend sein sollte oder wenn sich der Beklagte vorhalten lassen müßte, er habe bisher nicht ernsthaft studiert, also in den mit dem Musikstudium verbrachten Jahren nicht jenen Durchschnittsstandard erreicht, den vergleichbare Mitschüler erreicht hätten; aber auch, wenn er für den angestrebten Beruf ungeeignet sein sollte, dann müßte er sich sofort einer vielleicht auch wenig geliebten Arbeit widmen und wäre als selbsterhaltungsfähig zu behandeln. Die bisher erzielten Noten sind allein noch nicht ausschlaggebend. Es wäre denkbar, daß nach den Berufsanforderungen die bisher erzielten Schulleistungen unzureichend wären.

Die unzulässigen Rekurse sind damit zurückzuweisen. Da die klagende Partei in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses des Beklagten nicht hingewiesen hat, waren hiefür keine Kosten zuzusprechen.