JudikaturJustiz3Ob44/72

3Ob44/72 – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. April 1972

Kopf

SZ 45/52

Spruch

Vereinbarungen der Parteien über die Nichtanwendung der exekutionsrechtlichen Schutzbestimmungen, mögen diese nur auf Antrag des Verpflichteten oder auch von Amts wegen zu beachten sein, sind unzulässig, weil derartige öffentlich-rechtliche Ansprüche der Parteiendisposition außerhalb des Exekutionsverfahrens entzogen sind. Ein Schuldner kann demnach auf sein Antragsrecht gemäß § 201 Abs 1 EO im voraus nicht wirksam verzichten

Bei der Anwendung der exekutionsrechtlichen Schutzbestimmungen kommt es im allgemeinen nur darauf an, ob die gesetzlichen Voraussetzungen objektiv gegeben sind, nicht aber auch darauf, ob der Verpflichtete diese Maßnahme aus wirtschaftlichen oder sonstigen Erwägungen auch wirklich verdient

OGH 20. 4. 1972, 3 Ob 44/72 (LG Innsbruck 2 R 88/72; BG Kitzbühel E 103/71)

Text

Mit dem Beschluß vom 24. 1. 1972 wies das Erstgericht den rechtzeitig gestellten Antrag der Verpflichteten, statt der Versteigerung die Zwangsverwaltung der in Exekution gezogenen Liegenschaft anzuordnen, sowie die damit verbundenen Anträge mit der Begründung ab, die Verpflichtete habe auf die Geltendmachung des ihr nach § 201 EO zustehenden Rechts bereits im Schuldschein wirksam verzichtet.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluß infolge des Rekurses der Verpflichteten unter Rechtskraftvorbehalt mit dem Auftrag an das Erstgericht auf, über die Anträge der Verpflichteten nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden. Das Rekursgericht vertrat im wesentlichen die Rechtsansicht, im vorhinein könne auf das Recht des Schuldners nach § 201 EO nicht verzichtet werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der betreibenden Gläubigerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Bestimmung des § 201 EO bezweckt, vom Verpflichteten den Verlust seines Grundbesitzes abzuwenden und ihm auf diese Weise die Grundlage oder doch eine wesentliche Stütze seiner ganzen wirtschaftlichen Existenz so lange als möglich zu erhalten. Die Bestimmung entspricht dem auch in den §§ 14, 27, 96 und 263 EO zum Ausdruck kommenden Grundsatz, daß der Verpflichtete durch die Exekution nicht mehr beschränkt und nicht härter getroffen werden soll, als dies zur Wahrung der Interessen des betreibenden Gläubigers notwendig ist (Neumann - Lichtblau[4], 3 und 1419 f, Mat I 525). Die im § 201 EO nach diesen sozialpolitischen Erwägungen und Absichten getroffene Regelung besteht darin, daß unter bestimmten Voraussetzungen - entgegen dem allgemein geltenden Grundsatz, wonach es dem Gläubiger überlassen bleibt, sich das ihm am geeignetsten erscheinende Exekutionsobjekt und Exekutionsmittel frei auszuwählen - eine gesetzliche Reihenfolge der in Exekution zu ziehenden Vermögensobjekte einzuhalten ist (Pollak, System[2], 840): Es soll zunächst Exekution auf die Ertragsüberschüsse der Liegenschaft und nicht sogleich auf diese selbst geführt werden. Es handelt sich hier also nicht um eine Schutzvorschrift, nach der Vermögensobjekte unbedingt der Exekution entzogen sind, sondern nach der Vermögenswerte nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Befriedigung des Gläubiger herangezogen werden können. Bei allen sich aus verfahrensrechtlichen Schutzbestimmungen ergebenden Rechten handelt es sich um Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur. Ein Verzicht auf solche Ansprüche im voraus ist nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen unwirksam (Pollak, System[2], 98 f; Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechts[2], 3; vgl auch hinsichtlich des Rechtsmittelverzichts Fasching IV, 23). Dies trifft im besonderen Maß auch auf Vereinbarungen der Parteien über die Nichtanwendung der exekutionsrechtlichen Schutzbestimmungen zu, mögen diese nur auf Antrag des Verpflichteten oder auch von Amts wegen zu beachten sein; nicht nur, weil derartige öffentlichrechtliche Ansprüche der Parteiendisposition außerhalb des Exekutionsverfahrens entzogen sind, sondern auch weil nur auf diese Weise eine Ausschaltung des gesetzlichen Schutzes durch unbedachte Handlungen des Schuldners vermieden werden kann. Daß die Unzulässigkeit eines vorzeitigen Verzichts auf die Anwendung bestimmter im Interesse des Schuldners gelegener Bestimmungen für die Kreditwürdigkeit nachteilig sein kann, muß hier außer Betracht bleiben (vgl auch Sperl GZ 1899, 9 ff und Neumann - Lichtblau[4], 1420). Wenn also ein Verzicht auf die Anwendung einer auch von Amts wegen wahrzunehmenden Schutzbestimmung überhaupt beachtlich ist (vgl Neumann - Lichtblau[4] 1643) oder wenn der Pfändungs- oder sonstige exekutionsrechtliche Schutz nur auf Antrag des Verpflichteten zu gewähren ist, wie im Fall des § 201 EO, so ist nur der nach der Bewilligung der Exekution dem Gericht gegenüber erklärte Verzicht für das Exekutionsverfahren beachtlich. In den letzteren Fällen kann der Verzicht auch darin bestehen, daß der Verpflichtete die Antragstellung trotz Vorliegens aller Voraussetzungen unterläßt.

Aus vorstehenden Erwägungen kann daher der in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes GlUNF 4223 vertretenen Ansicht nicht beigepflichtet werden. Den Ausführungen der betreibenden Gläubigern im Revisionsrekurs über die Schutzwürdigkeit der Verpflichteten ist entgegenzuhalten, daß es bei der Anwendung der exekutionsrechtlichen Schutzbestimmungen im allgemeinen nur darauf ankommt, ob die gesetzlichen Voraussetzungen objektiv gegeben sind, nicht aber auch darauf, ob der Verpflichtete diese Maßnahme aus wirtschaftlichen oder sonstigen Erwägungen auch wirklich verdient. Die Billigkeit oder Unbilligkeit der Exekutionsführung ist nur in den Fällen des § 4 LpfG 1955 erheblich.

Im vorliegenden Verfahren hat sich die betreibende Gläubigerin auf einen Verzicht berufen, der bei Eingehen der Verpflichtung vereinbart wurde. Das Erstgericht hat diesen Verzicht nach den obigen Ausführungen zu Unrecht als für das Exekutionsverfahren rechtswirksam befunden. Es kann auch nicht die Ansicht des Erstrichters geteilt werden, die Entscheidung über einen Antrag nach § 201 EO sei deshalb Ermessenssache des Gerichtes, weil es im Gesetz "... kann ... angeordnet und ... aufgeschoben werden ..." heißt. Es handelt sich hier um eine jener in der Exekutionsordnung häufiger vorkommenden Bestimmungen, die nach der Absicht des Gesetzgebers nicht als Ermessensbestimmungen auszulegen sind (vgl §§ 47 Abs 3, 271 und 280 Abs 1 und 2 EO und die Ausführungen hiezu bei Pollak System[2], 846, Neumann - Lichtblau[4], 589, 1774, 1824). Bei Vorliegen der Voraussetzungen muß also der Antrag nach § 201 EO bewilligt werden.

Rechtssätze
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