JudikaturJustiz3Ob44/12k

3Ob44/12k – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. April 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Verlassenschaft nach Hans Dichand, vertreten durch Dr. C*****, vertreten durch Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte KG in Wien, wider die Gegnerinnen der gefährdeten Partei 1. W***** GmbH Co KG, 2. N***** GmbH und 3. A***** GmbH, sämtliche ***** Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Daniel Charim, Mag. Wolfgang Steiner, Mag. Anton Hofstetter, Rechtsanwälte in Wien, wegen einstweiliger Verfügung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 7. Oktober 2011, GZ 47 R 362/11z, 47 R 476/11i 36, womit über Rekurs der Gegnerinnen der gefährdeten Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 14. April 2011, GZ 6 C 307/11b-11, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 27. April 2011, GZ 6 C 307/11b 14, als nichtig aufgehoben, das Erstgericht für international unzuständig erklärt und der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 78 EO/§ 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Nach dem Antragsvorbringen sind die Parteien gemeinsam an mehreren Gesellschaften unmittelbar und mittelbar beteiligt und haben ihr Rechtsverhältnis in einem Rahmenvertrag vom 5. November 1987 samt Schiedsklausel sowie die Ausübung ihrer Stimmrechte in einem Syndikatsvertrag geregelt. Gegen diesen hätten die in Deutschland domizilierten Gegnerinnen der gefährdeten Partei verstoßen. Zur Sicherung der Ansprüche auf vertragsgemäßes Verhalten begehrt die gefährdete Partei verschiedene Handlungs und Unterlassungsgebote für bestimmte Entscheidungen in den Gesellschaftergremien zweier Gesellschaften (einer GmbH und einer KG) mit dem Sitz in Wien. Mit P 6. der beantragten einstweiligen Verfügung möge der österreichischen GmbH aufgetragen werden, einen näher bezeichneten Gesellschafterbeschluss vom 22. März 2011 bis zur Entscheidung in dem in der Schweiz bereits anhängigen Schiedsverfahren nicht umzusetzen.

Die gefährdete Partei wendet sich mit drei Argumenten gegen die mangels inländischer Zuständigkeit des Erstgerichts erfolgte Zurückweisung ihres Sicherungsantrags durch das Rekursgericht.

1. Da gemäß § 585 ZPO die Erlassung von einstweiligen Maßnahmen durch die staatlichen Gerichte trotz Vorliegens einer Schiedsvereinbarung zulässig sei, bestimme sich das dafür zuständige Gericht nach den allgemeinen Zuständigkeitsregeln des Verfahrensstatuts, zu denen hier neben § 387 Abs 2 EO ua auch Art 5 Z 1 lit a EuGVVO zähle, auf den sie die Zuständigkeit gegründet habe.

2. Die begehrte einstweilige Verfügung solle in Ansehung einer GmbH Co KG mit Sitz im Sprengel des Erstgerichts, also eines Unternehmens als Gesamtsache, getroffen werden.

3. Durch Auferlegung einer Unterlassungspflicht richte sich die beantragte einstweilige Verfügung auch gegen eine dritte GmbH mit Sitz im Sprengel des Erstgerichts, sodass auch dort die dem Vollzug der einstweiligen Verfügung dienende Handlung vorzunehmen sei.

Der gefährdeten Partei gelingt es damit aus folgenden, kurz darzulegenden Gründen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO) nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach der Entscheidung des EuGH vom 17. 11. 1998, Rs C 391/95, Van Uden Maritime BV/Deco Line , Slg 1988, I 7901, bewirkt die Schiedsvereinbarung, dass das nach der Verordnung für die Hauptsache zuständige Gericht auch keine einstweiligen Maßnahmen mehr erlassen kann. Der EuGH misst der Schiedsvereinbarung umfassende Derogationswirkung bei; die Zuständigkeitsbestimmungen nach Art 2, 5 24 EuGVVO stehen nicht zur Verfügung. Die Parteien haben nur die Möglichkeit, einstweilige Maßnahmen bei dem nach Art 31 EuGVVO iVm dem autonomen Recht zuständigen Gericht zu beantragen (so auch Hausmaninger in Fasching/Konecny 2 [2007] § 585 ZPO Rz 26; McGuire in Burgstaller/Neumayr , IZVR [2009] Art 31 EuGVO Rz 39; Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr , IZVR [2010] Art 1 EuGVO Rz 22). Auch wenn die Auffassung des EuGH im Schrifttum vielfach auf Kritik gestoßen ist ( Simotta in Fasching/Konecny 2 Art 31 EuGVVO Rz 180; Garber , Einstweiliger Rechtsschutz nach der EuGVVO [2011] 199; Geimer in Geimer/Schütze , Europäisches Zivilverfahrensrecht 3 [2010] Art 31 EuGVVO Rz 19; Leible in Rauscher , Europäisches Zivilprozess und Kollisionsrecht [2011] Art 31 Brüssel I VO Rz 20) ist seine Rechtsprechung weiter zu beachten. Auf Art 5 Z 1 lit a EuGVVO kann sich die gefährdete Partei nicht berufen.

Art 31 EuGVVO schafft keinen weiteren Tatbestand für die internationale Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, sondern lässt nur für den Bereich einstweiliger Maßnahmen die Regelungen des nationalen Rechts unangetastet; die Bestimmung begründet demnach keine Verpflichtung Österreichs zur Ausübung von Gerichtsbarkeit, es sei denn, dass eine nationale Zuständigkeit gegeben wäre (9 NdA 4/97; 5 Nd 510/01 = RIS Justiz RS0109077 [T1], jeweils zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des Art 24 LGVÜ 1988), die hier vom Rekursgericht nach Prüfung des § 387 Abs 2 EO verneint wurde.

2. § 387 Abs 2 zweiter Fall EO knüpft an die Belegenheit der Sache an, in Ansehung derer eine Verfügung getroffen werden soll. Die gefährdete Partei strebt die Sicherung eines Anspruchs an, der ihrem Rechtsvorgänger in einem Syndikatsvertrag betreffend das Stimmverhalten in Gesellschafterausschüssen von zwei Gesellschaften, an denen der Rechtsvorgänger nur mittelbar beteiligt war, eingeräumt wurde. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, es solle damit nicht eine Verfügung in Ansehung einer Sache (sondern zur Gewährleistung der Einhaltung eines vertraglichen Anspruchs) getroffen werden, ist daher keineswegs unvertretbar.

3. Die österreichische GmbH, der ein Auftrag erteilt werden soll (P 6. des Sicherungsantrags) ist kein Drittschuldner iSd § 387 Abs 2 dritter Fall EO:

Nach § 382 Z 7 EO kann das Drittverbot zur Sicherung anderer Ansprüche als Geldforderungen angeordnet werden, wenn der Gegner der gefährdeten Partei gegen Dritte Anspruch auf Leistung oder Herausgabe „gerade“ jener Sache hat, auf welche sich der von der gefährdeten Partei behauptete oder ihr bereits zuerkannte Anspruch „bezieht“. Zur Sicherung „anderer Ansprüche“ kann somit (im Gegensatz zum Drittverbot nach § 379 Abs 3 Z 3 EO) nicht irgendein Anspruch gegen Dritte mit Verbot belegt werden. Davon betroffen (also Verfügungsobjekt) ist vielmehr (nur) der Anspruch des Gegners auf Leistung oder Herausgabe von Sachen, auf die sich der gesicherte Hauptanspruch der gefährdeten Partei bezieht, wobei die (verbotenen) Handlungen „gerade diesen Anspruch als künftiges Exekutionsobjekt des Antragstellers“ gefährden müssen (10 Ob 104/05z = RIS Justiz RS0008398 [T1]; König , Einstweilige Verfügungen 3 Rz 3/71). Einen derartigen Anspruch der Gegnerinnen der gefährdeten Partei gegenüber der „Drittschuldnerin“ behauptet die gefährdete Partei aber gar nicht.

4. Zum vierten Fall des § 387 Abs 2 EO beschränkt sich der Revisionsrekurs auf die Wiedergabe des Gesetzestextes, ohne anzuführen, welche dem Vollzug der einstweiligen Verfügung dienenden Handlungen im Sprengel des angerufenen Gerichts vorzunehmen wären. Die vertraglichen Ansprüche aus dem Syndikatsvertrag sollen mit Handlungs und Unterlassungsgeboten gesichert werden. Die Durchsetzung der Gebote erfolgt durch Strafbeschlüsse (§§ 354 f EO), die jeweils im Ausland zugestellt werden müssten. Dass verhängte Geldstrafen im Inland einbringlich zu machen wären, wurde nicht einmal behauptet. Zwar wäre bei einer unterstellten Handlungs und Unterlassungspflicht in Österreich das in der zitierten Entscheidung des EuGH ( Van Uden ) verlangte Erfordernis der „realen Verknüpfung“ erfüllt (dazu Simotta in Fasching/Konecny 2 Art 31 EuGVVO Rz 127, 132 f mwN), es fehlt aber jede der Zuständigkeitsvoraussetzungen des § 387 Abs 2 EO. Dass der angestrebte Erfolg der Exekutionsführung allenfalls in Österreich eintritt (Abstimmungsverhalten in den Gesellschaftergremien) reicht nicht, käme es doch bei gegenteiliger Ansicht im Ergebnis und entgegen der zitierten Rechtsprechung des EuGH zur Anerkennung des Gerichtsstands des Erfüllungsortes (Art 5 Z 1 lit a EuGVVO) für einstweilige Maßnahmen iSd Art 31 EuGVVO.