JudikaturJustiz3Ob191/23v

3Ob191/23v – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch die Kosesnik Wehrle Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch die Maybach Görg Lenneis Gered Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. März 2022, GZ 5 R 141/21y 30, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. Juni 2021, GZ 30 Cg 29/20x 25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I. beschlossen:

Spruch

Das mit Beschluss vom 20. Juli 2022, AZ 3 Ob 103/22a, gemäß § 90a GOG unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt; und

II. zu Recht erkannt:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.036,73 EUR (hierin enthalten 165,53 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung und die mit 1.240,93 EUR (hierin erhalten 198,13 EUR USt) bestimmten Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

B e g r ü n d u n g u n d Entscheidungsgründe:

Zu I.:

[1] Aus Anlass des Rechtsmittelverfahrens legte der Senat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH hat mit Urteil vom 5. Oktober 2023, C 565/22, die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen (3 Ob 140/22t ua).

Zu II.:

[2] Der Kläger ist ein nach § 29 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) klagebefugter Verein.

[3] Die Beklagte betreibt Online Lernplattformen für Schüler. Sie bietet ihre Leistungen über das Internet auch im gesamten österreichischen Bundesgebiet an und tritt in ihrer geschäftlichen Tätigkeit laufend mit Verbrauchern im Sinn des § 1 KSchG, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, in rechtsgeschäftlichen Kontakt. Die Beklagte schließt mit den Verbrauchern Verträge, denen sie ihre Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zugrunde legt.

[4] Die AGB der Beklagten sehen vor, dass bei der erstmaligen Buchung eines Abonnements auf der Plattform dieses 30 Tage lang ab Vertragsschluss kostenlos getestet und während dieser Zeit jederzeit fristlos gekündigt werden kann, dass das Abonnement erst nach Ablauf der 30 Tage kostenpflichtig wird und dass für den Fall des Unterbleibens einer Kündigung innerhalb der 30 Tage der im Buchungsprozess vereinbarte kostenpflichtige Abonnementzeitraum zu laufen beginnt.

[5] Für den Fall, dass der kostenpflichtige Abonnementzeitraum abläuft, ohne dass die Beklagte oder der Verbraucher rechtzeitig gekündigt hat, verlängert sich nach den AGB das Abonnement automatisch um eine bestimmte Zeit.

[6] Die Beklagte informiert die Verbraucher anlässlich des erstmaligen Vertragsschlusses über das ihnen wegen des vorliegenden Vertragsschlusses im Fernabsatz zustehende Rücktrittsrecht (Widerrufsrecht).

[7] Der Buchungsvorgang über das Internet stellt sich bei der Beklagten – wie aus den ihrem Inhalt nach unstrittigen und daher vom Obersten Gerichtshof ohne Weiteres seiner Entscheidung zugrunde zu legenden Beilagen ./E, ./F und ./G ersichtlich (RS0121557 [T3]) – wie folgt dar:

[8] Anfangs des Buchungsvorgangs werden dem Verbraucher verschiedene Angebote unterbreitet, die hinsichtlich ihres Preises etwa wie folgt graphisch präsentiert werden:

„30 TAGE KOSTENLOS TESTEN

statt 19,95 €

ab 17 ,95 € im Monat“

[9] Am Ende des Buchungsvorgangs gibt die Beklagte dem Verbraucher unmittelbar oberhalb des von ihm erst noch anzuklickenden Button „Jetzt kaufen“ eine „Bestellungszusammenfassung“, an deren Ende sich in einem (als solchen optisch hervorgehobenen) Feld (zB in dem Fall, dass sich der Verbraucher für einen Zeitraum von 24 Monaten bei monatlicher Vorauszahlung entschieden hat) steht:

24 Monate

statt 19,95 €

Jetzt nur 17 ,95 €

im Monat

Als Vorauszahlung von

430,92 € für 24 Monate“

[10] Der Button „Jetzt kaufen“ am Ende des Buchungsvorgangs enthält den Vermerk „Erst nach 30 Tagen kostenpflichtig“. Unmittelbar unter dem Button steht (bei Wahl der zuvor genannten Variante von 24 Monaten):

[11] „Erst nach Ihrer 30 tägigen Testphase wird ihr 24 Monate-Premium-Abo kostenpflichtig. Ihr Abo verlängert sich um weitere 12 Monate zum unrabattierten Preis, sofern es nicht bis 14 Tage vor Laufzeitende gekündigt wird. […]“.

[12]

[13] Der Kläger begehrt – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – die Beklagte schuldig zu erkennen, „es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen, Verbraucher bei Verlängerung eines befristeten Vertragsverhältnisses im Fernabsatz nicht in klarer und verständlicher Weise über die Bedingungen, die Fristen und die Vorgangsweise für die Ausübung des Rücktrittsrechts, dies unter Zurverfügungstellung des Muster-Widerrufsformulars zu informieren, oder sinngleiche Praktiken anzuwenden“. Er vertritt die Ansicht, dass dem Wortlaut des Art 9 der Richtlinie 2011/83/EU keine Einschränkung auf den erstmaligen Vertragsabschluss zu entnehmen sei. Folglich habe der Verbraucher auch bei Überleitung seines Testabonnements in ein reguläres Abonnement und auch bei der Verlängerung eines regulären Abonnements ein Rücktrittsrecht (Widerrufsrecht) nach der Art 9 der Richtlinie 2011/83/EU umsetzenden Bestimmung des § 11 FAGG. Über dieses zweite Rücktrittsrecht (Widerrufsrecht) informiere die Beklagte die Verbraucher nicht. Damit verstoße sie gegen die Informationspflicht nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG, was sie unterlassungspflichtig nach § 28a Abs 1 KSchG mache.

[14] Die Beklagte trat diesem Unterlassungsbegehren entgegen. Sie nahm den Standpunkt ein, dass die vorgesehenen automatischen Vertragsverlängerungen kein zweites Rücktrittsrecht (Widerrufsrecht) des Verbrauchers begründeten, folglich müsse sie über ein solches auch nicht informieren.

[15] Das Erstgericht verurteilte – soweit hier von Interesse – die Beklagte klagegemäß.

[16] Das Berufungsgericht änderte das Urteil – soweit hier von Interesse – in eine Klageabweisung ab.

Rechtliche Beurteilung

[17] Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene, aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers an den Obersten Gerichtshof.

[18] Der Senat ersuchte den EuGH mit Beschluss vom 20. Juli 2022 um Vorabentscheidung zur folgenden Frage: „ Ist Art 9 Abs 1 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2011 über die Rechte der Verbraucher dahin auszulegen, dass dem Verbraucher bei 'automatischer Verlängerung' (Art 6 Abs 1 lit o der Richtlinie) eines Fernabsatzvertrags neuerlich ein Widerrufsrecht zukommt?

[19] Der EuGH hat diese Frage mit Urteil vom 5. Oktober 2022, C 565/22, wie folgt beantwortet:

Art 9 Abs 1 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass dem Verbraucher das Recht, einen Fernabsatzvertrag zu widerrufen, bei einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen, der für den Verbraucher anfangs einen kostenlosen Zeitraum vorsieht, dem sich – falls der Verbraucher den Vertrag in diesem Zeitraum nicht kündigt oder widerruft – ein kostenpflichtiger Zeitraum anschließt, der sich, wenn dieser Vertrag nicht gekündigt wird, automatisch um einen bestimmten Zeitraum verlängert, nur ein einziges Mal zukommt, sofern er beim Abschluss dieses Vertrags vom Unternehmer in klarer, verständlicher und ausdrücklicher Weise darüber informiert wird, dass die Erbringung dieser Dienstleistung nach dem anfänglich kostenlosen Zeitraum kostenpflichtig wird.

[20] Der EuGH wies in seiner Begründung unter anderem auch darauf hin, dass nach Art 6 Abs 1 lit e und Art 8 Abs 2 der Richtlinie 2011/83/EU eines der wesentlichen Merkmale eines Fernabsatzvertrags im Sinne dieser Richtlinie der Gesamtpreis der Dienstleistungen ist, die Gegenstand dieses Vertrags sind (Rn 44), und dass es im vorliegenden Fall Sache des vorlegenden Gerichts sei zu prüfen, ob die Beklagte die Verbraucher klar, verständlich und ausdrücklich über den Gesamtpreis der betreffenden Dienstleistungen gemäß der Richtlinie 2011/83/EU informiert hat (Rn 49).

Der Senat hat erwogen:

[21] Voranzustellen ist, dass zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits das FAGG noch in seiner Fassung vor dem – am 19. Juli 2022 im BGBl I 2022/109 verlaut-barten – Modernisierungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (MoRUG) anzuwenden ist, zumal § 20 Abs 4 FAGG keine Rückwirkung dieses Gesetzes bestimmt und das Verfahren erster Instanz am 22. Mai 2021 geschlossen wurde. Dass für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits die Richtlinie 2011/83/EU noch in ihrer Fassung vor der Richtlinie (EU) 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union anzuwenden ist, darauf machte auch der EuGH in der vom Senat eingeholten Vorabentscheidung aufmerksam (Rn 28).

[22] Art 6 Abs 1 lit e und Art 8 Abs 2 der Richtlinie 2011/83/EU wurden in das österreichische Recht (auch) durch § 4 Abs 1 Z 4 FAGG umgesetzt. Danach muss, bevor der Verbraucher durch einen Vertrag oder seine Vertragserklärung gebunden ist, ihn der Unternehmer in klarer und verständlicher Weise über Folgendes informieren: „4. den Gesamtpreis der Ware oder Dienstleistung einschließlich aller Steuern und Abgaben […].“ Wenn – wie hier – ein elektronisch, jedoch nicht ausschließlich im Weg der elektronischen Post oder eines damit vergleichbaren individuellen elektronischen Kommunikationsmittels geschlossener Fernabsatzvertrag den Verbraucher zu einer Zahlung verpflichtet, hat der Unternehmer den Verbraucher, unmittelbar bevor dieser seine Vertragserklärung abgibt, gemäß der Art 8 Abs 2 der Richtlinie 2011/83/EU (auch) umsetzenden Bestimmung des § 8 Abs 1 FAGG „klar und in hervorgehobener Weise auf die in § 4 Abs 1 Z  [...] 4 […] genannten Informationen hinzuweisen“.

[23] Aus den vom Senat ergänzend aufgrund der ihrem Inhalt nach unstrittigen Beilagen ./E, ./F und ./G getroffenen Feststellungen (vgl RS0121557 [T3]) ergibt sich, dass die Beklagte klar und in hervorgehobener Weise (§ 8 Abs 1 FAGG) den Gesamtpreis ihrer Dienstleistung, für die sich der Verbraucher unmittelbar anschließend bindend entscheidet (Abgabe seiner Bestellung durch Anklicken des Button „Jetzt kaufen“), bekanntgibt. Der Forderung des EuGH, die hier beklagte Unternehmerin müsse den Verbraucher über den Gesamtpreis ihrer Dienstleistung gemäß der Richtlinie 2011/83/EU informiert haben, ansonsten nach der kostenlosen Testphase ein neuerliches Widerrufsrecht im Sinne des Art 9 Abs 1 der Richtlinie 2011/83/EU (bzw im Sinne des diese Vorschrift in das österreichische Recht umsetzenden § 11 FAGG; Anm) anerkannt werden müsste (Rn 49 der Vorabentscheidung), ist damit entsprochen.

[24] Der Verbraucher wird von der Beklagten beim Abschluss dieses Vertrags auch wie vom EuGH zusätzlich verlangt (Rn 51 der Vorabentscheidung) – und wie aus dem vom Senat ergänzend festgestellten Buchungsvorgang ersichtlich – in klarer, verständlicher und ausdrücklicher Weise darüber informiert, dass die Erbringung der Dienstleistung nach dem anfänglich kostenlosen Zeitraum kostenpflichtig wird.

[25] Damit liegt aber gerade kein vom EuGH genannter Fall vor, in dem ausnahmsweise eine – hier vorliegende – Information des Verbrauchers über sein Rücktrittsrecht (Widerrufsrecht) wegen Vertragsabschlusses im Fernabsatz anfänglich des Vertragsschlusses nicht hinreicht.

[26] Der Revision des Klägers war daher der Erfolg zu versagen.

[27] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

[28] Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Verzeichnet der österreichische Anwalt – kommentarlos – 20 % Umsatzsteuer, wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen. Die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer kann nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (§ 54 Abs 1 ZPO) oder die Höhe des ausländischen Umsatzsteuersatzes allgemein bekannt ist (RS0114955). Da im Falle der Bundesrepublik Deutschland Letzteres der Fall ist, war der dort ansässigen Beklagten (nur) die in Deutschland zu entrichtende Umsatzsteuer von bekanntermaßen 19 % zuzusprechen (RS0114955 [T10, T12]).