JudikaturJustiz33R72/23k

33R72/23k – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. Juli 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden, den Richter Dr. Schober sowie den Kommerzialrat Ing. Karall in der Rechtssache der klagenden Partei ***** , gegen die beklagte Partei ***** , vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen zuletzt EUR 254.545,50 sA und Feststellung (EUR 5.000) über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 9.3.2023, 14 Cg 35/22i-38 (ehemals 18 Cg 24/21z), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.888,12 (darin EUR 648,02 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Text

Der Kläger ist seit 28.11.2000 Alleineigentümer der Liegenschaft EZ*****. Auf der Liegenschaft befindet sich ein Zinshaus, in dessen Dachgeschoß mit Baubewilligung vom 18.1.2005 vier Wohnungen (Top 34, 35, 36 und 37) samt Terrassen neu errichtet wurden.

Die Beklagte hat die Liegenschaft bis 31.12.2014 für den Kläger verwaltet und am 27.3.2008 die Mietverträge hinsichtlich der Wohnungen Top 34 und Top 35 sowie am 26.8.2008 hinsichtlich der Wohnung Top 37 abgeschlossen. Wann der Mietvertrag für die Top 36 unterfertigt wurde, konnte nicht festgestellt werden; der Beginn des Mietvertragsverhältnisses war der 1.4.2008.

Strittig in diesem Verfahren ist die Haftung der Beklagten aus dem behaupteten fehlerhaften Abschluss dieser Mietverträge. Ihr wird vorgeworfen, zu Lasten des Klägers den Mietverträgen die nach § 64 Abs 2 WWFSG errechnete Deckungsmiete zugrunde gelegt zu haben, obwohl die Vereinbarung des „freien“ Mietzinses zulässig gewesen wäre. Wenn der „freie“ Mietzins vereinbart worden wäre, wäre ein Betrag von EUR 8,20 netto pro Quadratmeter an Hauptmietzins auf dem Markt erzielbar gewesen.

Im ersten Rechtsgang begehrte der Kläger an Schadenersatz (zuletzt) EUR 227.885,69 zuzüglich Zinsen und die Feststellung, dass ihm die Beklagte für sämtliche Vermögensschäden und zukünftige Vermögensschäden aus den fehlerhaften Mietzinsberechnungen oder Mietverträge für die vier Wohnungen hafte.

Die Beklagte wandte ein, dass die Mietverträge entsprechend den Vorgaben der zuständigen Stelle (MA 50 und Wohnfonds Wien) erstellt worden seien. Aufgrund der zivilrechtlich abbedungenen Begrenzung mit der Deckungsmiete im Zuge der Förderungsgewährung seien die Mietverträge auch bei Kenntnis der Entscheidung 5 Ob 79/07i vom 3.7.2007 nicht anders abgefasst worden.

Das die Klagebegehren abweisende Urteil wurde mit Beschluss des Berufungsgerichts vom 5.7.2022 (ON 23) aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Rechtlich sei unter Zugrundelegung der Förderungsbestimmungen und der Entscheidung des OGH zu 5 Ob 79/07i davon ausgehen, dass die im Dachboden neu errichteten Wohnungen nicht der Mietzinsbestimmung des § 64 Abs 2 WWFSG unterliegen. Für die vier Dachgeschoßwohnungen hätte der Mietzins frei vereinbart werden können, weil Mietgegenstände, die durch den Ausbau eines Dachbodens oder einen Aufbau aufgrund einer nach dem 31.12.2001 erteilten Baubewilligung neu errichtet worden seien, nicht unter den Mietzinsbestimmungen des MRG fallen (vgl § 1 Abs 4 Z 2 MRG idFd MRG 2001 und WRN 2006).

Von einem sorgfältigen Hausverwalter müsse verlangt werden, dass er sich über die Neuerungen in der miet- und förderungsrechtlichen Rechtsprechung regelmäßig informiere. Nach der Veröffentlichung der Entscheidung in der Literatur habe daher einem sorgfältigen Hausverwalter die Entscheidung zu 5 Ob 79/07i bekannt sein müssen. Einem sorgfältigen Hausverwalter müsste auch bekannt sein, dass neu errichtete Dachgeschoßwohnungen nicht den Mietzinsbestimmungen des MRG unterfallen und dass daher für sie ein freier Mietzins vereinbart werden dürfe. Da auch der Förderer die höchstgerichtliche Judikatur zu beachten habe, sei in Kenntnis der Entscheidung 5 Ob 79/07i auch nicht mit einem Widerruf der Förderung zu rechnen.

Um die Parteien nicht mit dieser Rechtsansicht zu überraschen, müsse ihnen die Gelegenheit gegeben werden, ihr bisheriges Begehren und Vorbringen zu präzisieren. Es komme im vorliegenden Fall darauf an, wann und in welchen Werken die Entscheidung 5 Ob 79/07i in die einschlägige Literatur Eingang gefunden habe. Die vom Erstgericht in diesem Zusammenhang schon getroffene Feststellung, dass „die einschlägige Entscheidung in Stabentheiner/Vonklich, Wohnrecht: Jahrbuch 2008, veröffentlicht worden sei“, sei überschießend und dürfe der rechtlichen Beurteilung nicht zugrunde gelegt werden.

Im zweiten Rechtsgang dehnte der Kläger das Leistungsbegehren auf EUR 254.545,50 zuzüglich Zinsen aus (das Feststellungsbegehren blieb gleichlautend) und brachte vor, die Entscheidung 5 Ob 79/07i sei im November 2007 in der Loseblattsammlung „Wohnrechtliche Entscheidungen“ (kurz: „EWr“ ) veröffentlicht worden. Herausgeber der EWr sei der Österreichische Verband der Immobilientreuhänder (ÖVI), dessen Präsident einst NN gewesen sei. Überdies sei die Entscheidung später in der Richterzeitung 1/2008, sohin spätestens im Februar 2008, und im „Jahrbuch Wohnrecht“ 2008 von Stabentheiner und Vonkilch , erschienen am 12.6.2008, veröffentlicht worden.

Er habe vom Sachverhalt erstmals im Zuge eines Ende 2018 eingeleiteten Schlichtungsstellungsverfahrens eines Mieters Kenntnis erlangt. Der Schaden bestehe in der Differenz zwischen dem erzielbaren „freien“ Mietzins zu dem tatsächlich vereinbarten Deckungsmietzins. Zumal der Zeitpunkt der vertraglichen Beschränkung auf die Deckungsmiete noch nicht abgelaufen sei, sei auch aus künftigen Mietzinsperioden ein weiterer derzeit der Höhe nach noch nicht absehbarer Schaden zu erwarten. Dies gelte zuletzt allerdings nicht für einen Mietvertrag zu Top 36, der bereits mit 31.8.2021 vorzeitig aufgelöst worden sei.

Die Beklagte hielt dem im Wesentlichen entgegen, dass die Entscheidung 5 Ob 79/07i der Beklagten nicht bekannt gewesen sei und ihr auch nicht hätte bekannt sein müssen. In der einschlägigen mietrechtlichen Literatur sei sie erstmals im November 2008, also nach Abschluss der Mietverträge, veröffentlicht worden ( MietSlg Band 59). Weder die Richterzeitung noch die EWr seien ein Teil der einschlägigen miet- und wohnrechtlichen Literatur. Überdies hätte die Beklagte selbst in Kenntnis dieser Entscheidung die Mietverträge aufgrund der möglichen Auswirkung auf die erhaltene Förderung nicht abweichend abgefasst. Der Kläger sei neben der gesetzlichen Bestimmung auch an den privatrechtlichen Förderungsvertrag gebunden, der vom übereinstimmenden Willen der Parteien, die Deckungsmiete als Voraussetzung für die Gewährung der Förderung zu vereinbaren, getragen sei.

Das Erstgericht gab nunmehr beiden Klagebegehren vollinhaltlich statt. Es traf die auf den Seiten 3 bis 7 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

Rechtlich folgerte es, dass die Entscheidung 5 Ob 79/07i einer sorgfältigen Hausverwaltung zum Zeitpunkt des Abschlusses der Mietverträge hätte bekannt sein müssen. Diese Entscheidung sei bereits Ende des Jahres 2007 erstmals in den EWr veröffentlicht worden. Durch die Veröffentlichung in einer Sammlung werden einschlägige Entscheidungen aus der Masse der im RIS des Bundes abrufbaren Entscheidungen vorselektiert und einem fachlich versierten Publikum als relevant zur Kenntnis gebracht. Die Beklagte könne sich nicht wirksam auf eine nicht substanziiert behauptete fehlende Reichweite oder Bedeutung der EWr berufen, weil sie diese sogar selber bezogen und ihr zuständiger Entscheidungsträger die Sammlung aufgrund seiner Tätigkeit für den Herausgeber auch gut habe kennen müssen. Damit sei ihr die Entscheidung gewissermaßen „auf dem Silbertablett“ serviert worden.

Der Schaden sei durch die Differenz zwischen dem erzielbaren „freiem“ Hauptmietzins und dem Deckungsmietzins über die angeführte Zeitdauer schlüssig dargelegt worden. Die rechnerische Richtigkeit sei auch zuletzt nicht mehr bestritten worden.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie unrichtiger und unvollständiger Tatsachenfeststellung mit dem Antrag, das Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern.

Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Soweit die Beklagte die Auslegung des Förderungsvertrags, insbesondere der dort enthaltenen Mietzinsbestimmungen als unzutreffend einstuft, ist sie auf die rechtliche Beurteilung der Entscheidung des Berufungsgerichts im ersten Rechtsgang zu verweisen.

Dass es dem Willen der Vertragsparteien entsprochen hätte, für die neu errichteten Dachgeschoßwohnungen solle nur die Deckungsmiete zur Anwendung gelangen, ist so von den Feststellungen nicht gedeckt. Dies steht auch im klaren Widerspruch zum Vorbringen des Klägers. Nach den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen in Verbindung mit der Entscheidung des OGH zu 5 Ob 79/07i wäre die Vereinbarung des „freien“ Mietzinses für diese Dachgeschoßwohnungen zulässig gewesen.

2. Im zweiten Rechtsgang war daher nur mehr zu klären, wann und in welchen Werken die Entscheidung 5 Ob 79/07i in die einschlägige Literatur Eingang gefunden hat. Erst nach der Veröffentlichung in der einschlägigen Literatur musste die Entscheidung der Beklagten bekannt sein.

2.1 Die Beklagte führt dazu aus, dass in Österreich die MietSlg , die wobl und Immolex führende Publikationen auf dem Gebiet des Miet- und Wohnrechts seien. Darunter falle jedoch nicht die mittlerweile längst eingestellte EWr . Schon aufgrund des Erscheinungsdatums scheide die MietSlg für ein „Kennenmüssen“ im konkreten Fall aus; ebenso zumindest für die ersten zwei Mietverträge das „Jahrbuch Wohnrecht“, das wohl nicht zu einer dem durchschnittlichen Hausverwalter zusinnbaren Publikation zähle. Dasselbe gelte für die Richterzeitung . Eine derartige Kenntnisanforderung würde den Sorgfaltsmaßstab haltlos überspannen. Die Feststellung des Erstgerichts, dass NN die EWr aus seiner Tätigkeit als Präsident des ÖVI gekannt habe, sei hierfür bedeutungslos. Abzustellen sei auf den durchschnittlich gewissenhaften Hausverwalter.

2.2 Diese Argumentation trifft grundsätzlich zu. § 1299 ABGB normiert einen allgemeinen Standard, der einem Sachverständigen nicht auferlegt, zusätzliche Spezialkenntnisse zu erwerben, die über den erwartbaren Standard hinausgehen. Tatsächlich vorhandene spezielle Kenntnisse müssen allerdings verwertet werden, wenn damit nicht eine unzumutbare Anstrengung verbunden wäre (RS0026400). Auch wenn NN, der im maßgeblichen Zeitraum Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Beklagten war, überdies Präsident des ÖVI war (die wiederum die „Entscheidungssammlung Wohnrecht – EWr“ herausgegeben hat), erhöht das den Standard nicht, der an seine Kenntnisse von der Rechtsprechung anzulegen ist. Zu beurteilen ist, ob die allgemeine Sachverständigenhaftung einem Hausverwalter abverlangt, die in der genannten Entscheidungssammlung veröffentlichten Inhalte zu kennen und zu beachten.

Dazu teilt das Berufungsgericht die Beurteilung durch das Erstgericht, wonach die „Entscheidungssammlung Wohnrecht – EWr“ zur verbindlichen Lektüren von Hausverwaltern gehört, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil diese Sammlung von der Berufsvereinigung speziell für die Angehörigen der Berufsgruppe bereitgestellt wurde.

Die Nichtkenntnis der Entscheidung 5 Ob 79/07i ist der Beklagten daher als fahrlässig vorzuwerfen. Ob – was fraglich ist – auch die Lektüre der „Richterzeitung“ zu den Berufspflichten von Hausverwaltern gehört, kann offen bleiben. Die Beurteilung, dass die Beklagte sich nicht wirksam auf das nicht substanziiert behauptete Fehlen der Reichweite oder der Bedeutung der EWr berufen kann, bedarf keiner Korrektur, weil die Beklagte diese Publikation kannte und bezog.

3. Soweit die Beklagte anführt, dass aus der Entscheidung 5 Ob 79/17i nicht zwingend die Vorschreibung einer Vereinbarung des „freien“ Mietzinses hervorgehe, sondern die Vereinbarung der Deckungsmiete auch zulässig sei, ist dem entgegenzuhalten, dass der Kläger seine Klagebegehren auf eine Sorgfaltspflichtverletzung des Hausverwalters stützt, weil in Kenntnis der Rechtslage die Vereinbarung des „freien“ Mietzinses zulässig gewesen wäre. Dass ein „freier“ Mietzins zwingend vereinbart hätte werden müssen, wurde so nicht behauptet. Die Beklagte hat aber auch nicht vorgetragen, dass der Kläger in Kenntnis der Rechtslage auf eine Vereinbarung der Deckungsmiete bestanden hätte. Somit bleibt es im Ergebnis bei der fahrlässigen (Rechts-)Unkenntnis der Beklagten und dem dadurch verursachten Schaden für den Kläger.

4. Die Beklagte bekämpft die Feststellung „Mit der Entscheidung des OGH zu 5 Ob 79/07i vom 3.7.2007, konfrontiert, hätte die MA 50 bzw. die Fördergeberin jedenfalls ungeachtet des geschlossenen Fördervertrags auch bei Abschluss der gegenständlichen Mietverträge keine Einwände gegen die Vereinbarung eines „freien“ Mietzins gehabt. Eine Auswirkung auf die erhaltene Förderung hätte dies nicht gehabt.“ und begehrt anstelle die Feststellung „ Wären der MA 50 Mietverträge vorgelegt worden, die nicht der Deckungsmiete entsprechen, wäre nicht sofort ein Widerruf der Förderung, sondern zunächst lediglich eine Hemmung und eine Einschaltung der Schlichtungsstelle zur Überprüfung der Mietverträge erfolgt“ .

Wesentlich sei die Ersatzfeststellung, weil das Erstgericht daraus in seiner rechtlichen Beurteilung ableite, dass sich die Fördergeberin bei Konfrontation mit der Entscheidung des OGH gar nicht auf eine abweichende vertragliche Vereinbarung berufen hätte.

Mit Recht weist der Kläger in der Berufungsbeantwortung dazu darauf hin, dass sich aus der Aussage von A***** vom 20.2.2023 jedenfalls nicht ergibt, die MA 50 hätte die Förderung bei oder trotz Kenntnis der Entscheidung 5 Ob 79/07i widerrufen.

Da die Beklagte wegen fahrlässigen Nichtkennens der Entscheidung 5 Ob 79/07i keinen freien Mietzins vereinbart hat, könnte ein mögliches Verhalten der MA 50 nur dann die Kausalität dieser Unkenntnis für den Schaden beseitigen, wenn gewiss wäre, dass die MA 50 die Förderung eingestellt hätte und dadurch der Zugewinn durch den höheren Mietzins vollständig ausgeglichen worden wäre. Für eine solche Gewissheit gibt es keine Beweisergebnisse. Zu verweisen ist auch auf die Ausführungen in Punkt 3.6.3. der Entscheidung des Berufungsgerichts im ersten Rechtsgang vom 5.7.2022.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Die ordentliche Revision ist mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.