JudikaturJustiz2Ob76/68

2Ob76/68 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Mai 1968

Kopf

SZ 41/59

Spruch

Haftung des Straßenerhalters wegen ungenügender Kenntlichmachung einer ungewöhnlichen Vorrangregelung.

Die Haftung des Straßenerhalters wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß eine Behörde für den Schaden nach dem AHG. gleichfalls haftet.

Entscheidung vom 9. Mai 1968, 2 Ob 76/68.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Am 2. Juni 1965 gegen 10 Uhr abends ereignete sich auf der Kreuzung der Bundesstraße 1 mit der Bundesstraße 227 in P. ein Verkehrsunfall. Leopold D., der mit seinem PKW aus P. in Richtung W. fuhr, stieß mit dem VW-Pritschenwagen der Firma K. zusammen, dessen Lenker Willibald F. aus Richtung W. kommend, nach links in die Bundesstraße 227 - die Zubringerstraße zur Autobahnauffahrt - einzubiegen im Begriff war. Dabei wurde u, a, der Pritschenwagen beschädigt. Die Klägerin hat als Kaskoversicherer dieses Kraftfahrzeuges für ihren Versicherungsnehmer Leistungen im Betrag von 28.500 S erbracht.

Mit der Behauptung, der Schaden an dem versicherten Fahrzeug sei durch mehrfache grobe Verletzungen der der Beklagten (Republik Österreich) als Straßenerhalter obliegenden Pflichten entstanden, begehrt die Klägerin von dieser im Regreßweg den Ersatz ihrer Leistungen.

Die Beklagte bestritt ein grob fahrlässiges Verhalten ihrer Organe und ihre passive Klagslegitimation. Den Unfall hätten ausschließlich die beiden beteiiligten Lenker verschuldet.

Das Erstgericht erkannte gemäß dem Klagebegehren.

Das Berufungsgericht bestätigte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Soweit die Beklagte in wörtlicher Wiederholung ihres Berufungsvorbringens weiterhin bestreitet, passiv legitimiert zu sein, kann auf die zutreffenden Ausführungen der zweiten Instanz verwiesen werden. Hiernach hat die Klägerin nicht behauptet, daß der Schaden ihres Versicherungsnehmers durch schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten eines Organes der Beklagten als Rechtsträger verursacht worden sei. Sie hat vielmehr unmißverständlich die Haftung der Beklagten als Straßenerhalter im Sinne des § 11 BStG. wegen Verletzung von Obliegenheiten in Bezug auf die Instandhaltung der Straße in Anspruch genommen. Diese Haftung wird bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nicht dadurch ausgeschlossen, daß allenfalls eine Behörde im Sinn der Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes gleichfalls haftet. Zur Instandhaltung gehört aber nicht nur die Verpflichtung, die Straße mit allen den Vorschriften entsprechenden Verkehrseinrichtungen zu versehen, sondern auch darüber hinaus in erster Linie alles vorzukehren, um die Sicherheit der Straße herzustellen und zu erhalten. Diese Verpflichtung ergibt sich insbesondere auch aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aller Personen, die eine Straße dem allgemeinen Verkehr überlassen (vgl. Anm. 10 zu § 98 (4) StVO. 1960, in der 3. Auflage der von Dittrich - Veit - Schuchlenz besorgten Gesetzesausgabe). Damit geht aber der Einwand ins Leere, daß die Verordnung vom 3. Jänner 1962 des BM. f. Handel und Wiederaufbau von einer unzuständigen Behörde erlassen worden sei und daß die Beklagte an diese Verordnung nicht gebunden gewesen sei, ebenso der weitere Einwand, daß diese Verordnung in der Folge außer Kraft gesetzt worden sei. Ihrer Verpflichtung, alle nach den gegebenen Umständen erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen für die Sicherheit der Straße zu treffen, wurde die Beklagte auch dadurch nicht ledig, daß die Behörde keinen Aufstellungsort fixierte. Ob im vorliegenden Fall die Bezirkshauptmannschaft ein Verschulden trifft, ist hier nicht zu untersuchen. Für die Passivlegitimation der Beklagten ist es aber auch ohne Belang, ob und aus welchen Erwägungen die Bezirkshauptmannschaft weitere Anordnungen für entbehrlich hielt. Die Ansicht der Beklagten, die zur Unfallszeit aufgestellten Verkehrszeichen seien ordnungsgemäß kommissioniert und genehmigt gewesen, beruht auf einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Schlußfolgerung. Ein Beweis in der Richtung, daß die Organe der Beklagten bei entsprechenden, mit gehöriger Aufmerksamkeit durchgeführten Kontrollen die ungenügende Kenntlichmachung der ungewöhnlichen Vorrangregelung nicht wahrnehmen konnten, wurde nicht erbracht.

Vergeblich wendet sich die Revision auch gegen die Annahme, es liege keine als grobe Fahrlässigkeit zu beurteilende Vernachlässigung der Instandhaltung der Straße durch die Beklagte vor. Die Regelung, wonach dem aus Richtung W. kommenden, auf die Bundesstraße 227 nach links abbiegenden Verkehr der Vorrang vor den aus der Gegenrichtung auf der Bundesstraße Nr. 1, also einer der wichtigsten Durchzugsstraßen, kommenden, ihre Fahrtrichtung beibehaltenden Fahrzeugen eingeräumt wurde, erforderte ein Höchstmaß von Sicherungsmaßnahmen. Nun war das unmittelbar vor der Kreuzung angebrachte Gefahrenzeichen "Achtung Vorrangverkehr" (§ 50 Z. 5 StVO.) zur Unfallszeit derart aufgestellt, daß es für die aus Richtung P. kommenden Verkehrsteilnehmer entweder durch das Brückengeländer oder durch Lichtmaste oder durch andere Tafeln verdeckt war, während die Zusatztafel, die den Verlauf der Vorrangstraße anzeigte, erst 18.5 m vor dem Verkehrszeichen zu erkennen war. Dem Gefahrenzeichen kam, wie die Vorinstanzen richtig erkannten, im vorliegenden Fall ungleich größere Bedeutung zu, als dem nach der zur Unfallszeit bestehenden Anordnung gut sichtbaren Verbotszeichen, nach rechts (auf die Bundesstraße 227) abzubiegen. Sehr wesentlich ist es aber auch, daß die ungewöhnliche vorübergehende Aufhebung des Vorranges des geradeaus auf der Bundesstraße 1 fahrenden Verkehrs nicht entsprechend vorangekundigt wurde, daß vielmehr an Stelle einer solchen Vorankündigung das Rechtsabbiegeverbot vorangekundigt wurde. Dies war im vorliegenden Fall völlig überflüssig. Denn ein Fahrzeuglenker, der die Absicht gehabt hätte, aus Richtung P. kommend von der Bundesstraße Nr. 1 nach rechts in die Bundesstraße 227 einzubiegen, hätte wegen des spitzen Winkels auf jeden Fall seine Fahrgeschwindigkeit derart herabsetzen müssen, daß das unmittelbar an der Kreuzung angebrachte Abbiegeverbotszeichen seiner Aufmerksamkeit kaum hätte entgehen können.

Die unzweckmäßige und mangelhafte Art, in der die Beklagte die gegenständliche Gefahrenstelle genügend gesichert zu haben vermeinte, leuchtet jedem Kraftfahrer mit durchschnittlicher Fahrpraxis ein. Es ist daher unabhängig davon, ob der klagsgegenständliche Unfall der erste seiner Art war oder nicht, als grobe Fahrlässigkeit zu beurteilen, daß die Organe der Beklagten dies nicht erkannt und die Gefahrenstelle nicht schon längst in der Weise abgesichert haben, wie es nach dem Unfall geschah und wodurch ein Höchstmaß von Sicherheit gewährleistet ist. Wenn die Revision mit dem Hinweis auf höchstgerichtliche Entscheidungen die Meinung vertritt, grobe Fahrlässigkeit liege nur dann vor, wenn das unterlaufene Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere und Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommen könne und nach den Umständen die Vermutung des bösen Vorsatzes nahe liege, so ist ihr zu erwidern, daß auch andere als die genannten Kriterien grobe Fahrlässigkeit involvieren. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt den Standpunkt vertreten, daß grob fahrlässig jedes Handeln und Unterlassen ist, bei dem unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall leicht hätte einleuchten müssen, und bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt wurde. Dies trifft aber nach dem festgestellten Sachverhalt hier zu, weil die einzig richtige und verläßliche Sicherungsart die schon seit 1962 vorgesehen gewesene Anzeige und entsprechende Vorankündigung gewesen wäre, daß die Bundesstraße 1 in Richtung W. vorübergehend nicht Vorrangstraße ist. Da die Beklagte dies leicht erkennen konnte, hätte sie, wenn sie die Verordnung vom 3. Jänner 1962 als nicht verpflichtend ansah, die Notwendigkeit der Aufstellung von im § 44 (1) StVO. genannten Verkehrszeichen der Behörde bekanntgeben müssen (§ 98 (4) StVO. 1960).

Die Vorinstanzen haben schließlich auch mit Recht eine Minderung des Regreßanspruches der Klägerin aus dem Gesichtspunkt des § 9 (2) EKHG. abgelehnt (die Behauptung, den Lenker Willibald F. treffe ein Verschulden, wird nicht mehr aufrecht gehalten). Willibald F. näherte sich der Kreuzung mit einer 50 km/h nicht übersteigenden Geschwindigkeit mit Bewußtsein, daß ihm beim Linksabbiegen in die Bundesstraße 227 der Vorrang zukomme. Wenngleich er das entgegenkommende Fahrzeug wahrnam, war von ihm nicht zu verlangen, er müsse erkennen, daß dessen Geschwindigkeit etwa gleich hoch war wie seine eigene und sich bei der Annäherung an die Kreuzung nicht verringerte. Als er erkennen konnte, daß sein Vorrang nicht gewahrt werde, war es für eine wirksame Abwehrhandlung zu spät. Bis zur Erkennbarkeit durfte er auf ein sachgemäßes Verhalten Leopold D's vertrauen.