JudikaturJustiz2Ob7/21z

2Ob7/21z – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. April 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Mag. Pertmayr und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. des mj F***** V*****, geboren am ***** 2010, 2. des mj H***** V*****, geboren am ***** 2012, und 3. des mj J***** V*****, geboren am ***** 2014, *****, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters H***** V*****, vertreten durch Schubert Schaffler Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 17. Dezember 2020, GZ 16 R 299/20i 159, womit der Rekurs des Vaters vom 10. September 2020 gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 30. Juli 2020, GZ 10 Ps 43/18s 127, teilweise zurückgewiesen und der Beschluss im Übrigen bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird,

a) soweit er dem Rekurs des Vaters vom 3. August 2020 nicht Folge gab, und

b) soweit er den Rekurs des Vaters vom 10. September 2020 gegen die einstweilige Entziehung und Übertragung der Obsorge für die Kinder an den Kinder- und Jugendhilfeträger (Punkt 1. des erstinstanzlichen Beschlusses) zurückwies, aufgehoben.

Dem Rekursgericht wird aufgetragen, in diesem Umfang über die als Einheit zu behandelnden Rekurse des Vaters vom 3. August 2020 und vom 10. September 2020 unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund neuerlich zu entscheiden.

2. Im Übrigen (Bestätigung von Punkt 2. des erstinstanzlichen Beschlusses) wird der außerordentliche Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Ehe der seit Juni 2018 getrennt lebenden Eltern wurde im November 2018 rechtskräftig geschieden. Der Vater beantragte, ihm vorläufig die alleinige Obsorge für die Kinder zu übertragen.

[2] In der Tagsatzung vom 30. 7. 2020 verkündete das Erstgericht den Beschluss, mit dem es (von Amts wegen) die Obsorge für die drei mj Kinder den Eltern vorläufig entzog und dem Kinder und Jugendhilfeträger übertrug. Nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolls wurde diese Entscheidung mündlich begründet. Noch in dieser Tagsatzung folgte das Erstgericht den Vertretern der Eltern und des Kinder- und Jugendhilfeträgers eine Beschlussausfertigung aus, die lediglich den verkündeten Spruch, aber keine Begründung enthielt.

[3] In derselben Tagsatzung verkündete das Erstgericht weiters den Beschluss, mit dem es den Antrag des Vaters, ihm vorläufig die alleinige Obsorge für die Kinder zu übertragen, abwies.

[4] Das Erstgericht kündigte in der Tagsatzung an, dass eine Beschlussausfertigung mit ausführlicher Begründung in den nächsten Tagen zugestellt werde.

[5] Bereits am 31. 7. 2020 übernahm der Kinder und Jugendhilfeträger die Kinder und brachte sie in eine Betreuungseinrichtung.

[6] Der Vater erhob am 3. 8. 2020 Rekurs gegen den in der Tagsatzung vom 30. 7. 2020 verkündeten Beschluss, mit dem die Obsorge für die drei Kinder den Eltern vorläufig entzogen und dem Kinder und Jugendhilfeträger übertragen wurde. Er machte geltend, dass die ausgefolgte Beschlussausfertigung keine Begründung enthalte und der Beschluss daher nichtig sei.

[7] Am 28. 8. 2020 wurde dem Vertreter des Vaters eine Ausfertigung der in der Tagsatzung vom 30. 7. 2020 verkündeten Beschlüsse zugestellt, die in ihrem Spruchpunkt 1. die vorläufige Entziehung der Obsorge für die drei Kinder und deren Übertragung auf den Kinder und Jugendhilfeträger enthielt und in Spruchpunkt 2. die Abweisung des Antrags des Vaters, ihm vorläufig die alleinige Obsorge für die Kinder zu übertragen. Diese Ausfertigung enthielt eine ausführliche Begründung.

[8] Dagegen brachte der Vater am 10. 9. 2020 einen (weiteren) Rekurs ein, in dem er beide Entscheidungen bekämpfte und nun auch deren unrichtige Begründung geltend machte.

[9] Das Rekursgericht wies den Rekurs des Vaters vom 10. 9. 2020, soweit damit Punkt 1. des erstinstanzlichen Beschlusses bekämpft wurde, zurück und gab im Übrigen diesem Rekurs ebenso wie seinem Rekurs vom 3. 8. 2020 nicht Folge. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

[10] Das Rekursgericht war der Ansicht, dass der Vater gegen Punkt 1. des erstinstanzlichen Beschlusses bereits am 3. 8. 2020 einen zulässigen Rekurs erhoben hatte. Dieser sei jedoch nicht berechtigt, weil der Rekurswerber ausschließlich Nichtigkeit mangels Begründung geltend gemacht habe, der verkündete Beschluss aber mündlich begründet worden sei. Soweit sich der Rekurs des Vaters vom 10. 9. 2020 erneut gegen diesen Spruchpunkt wende, sei er aus dem Grund der Einmaligkeit des Rechtsmittels unzulässig. Dem Rekurs vom 10. 9. 2020 gegen Spruchpunkt 2. des angefochtenen Beschlusses gab das Rekursgericht aus inhaltlichen Erwägungen nicht Folge.

[11] Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem erkennbaren Antrag, die vorläufige Obsorgeübertragung an den Kinder- und Jugendhilfeträger ersatzlos zu beheben und die Obsorge für die drei mj Kinder an ihn zu übertragen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Die Mutter beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung , dem Revisionsrekurs des Vaters gegen die vorläufige Obsorgeübertragung an den Kinder und Jugendhilfeträger Folge zu geben. Der Kinder und Jugendhilfeträger machte von der Möglichkeit einer Revisionsrekursbeantwortung keinen Gebrauch.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist, soweit sich die angefochtene Entscheidung auf Punkt 1. des erstinstanzlichen Beschlusses bezieht, zulässig , weil das Rekursgericht die Einheit der Beschlussausfertigungen und der dagegen erhobenen Rekurse des Vaters verkannte; das Rechtsmittel ist insoweit auch berechtigt . Im Übrigen ist der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig .

[14] Der Vater macht geltend, der in der Tagsatzung vom 30. 7. 2020 mündlich verkündete Beschluss, mit dem die Obsorge für die drei mj Kinder den Eltern vorläufig entzogen und dem Kinder und Jugendhilfeträger übertragen worden sei, sei durch die Ausfolgung einer – wenn auch begründungslosen – Ausfertigung durch die Erstrichterin noch in dieser Tagsatzung wirksam zugestellt worden. Damit habe die Rechtsmittelfrist zu laufen begonnen. Dieser Beschluss sei mangels jeglicher schriftlicher Begründung in der Ausfertigung nichtig. Nach Zustellung der mit umfangreicher Begründung versehenen Beschlussausfertigung habe er aus Vorsichtsgründen einen weiteren Rekurs erhoben.

[15] Hiezu wurde erwogen:

[16] 1. Ein mündlich verkündeter Beschluss wird gegenüber den Parteien erst durch Zustellung der schriftlichen Ausfertigung wirksam (§ 43 Abs 4 AußStrG). Das gilt auch für die Zuerkennung der vorläufigen Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit eines Beschlusses (§ 44 AußStrG) und damit auch für vorläufige Obsorgeentscheidungen nach § 107 Abs 2 AußStrG (vgl § 107 Abs 2 letzter Satz AußStrG; Einberger in Schneider/Verweijen , AußStrG § 107 Rz 17; Beck in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG² § 107 Rz 47).

[17] 2. Ein Fall, in dem gemäß § 39 Abs 4 AußStrG in der schriftlichen Ausfertigung eine Begründung unterbleiben konnte, lag gegenständlich nicht vor. Offenbar deshalb hat das Erstgericht bereits bei Ausfolgung der Beschlussausfertigung am 30. 7. 2020 angekündigt, eine die Begründung enthaltende (weitere) Beschlussausfertigung in den nächsten Tagen folgen zu lassen. Unter diesen konkreten Umständen ist die den Parteien in der Folge zugestellte weitere Beschlussausfertigung, die die bis dahin fehlende schriftliche Begründung enthielt, zugleich als Berichtigung (§ 41 AußStrG iVm §§ 419, 430 ZPO) der ursprünglich unvollständigen Ausfertigung zu qualifizieren. Denn für die Parteien war offenkundig, dass die ihnen überreichte Ausfertigung des Beschlusses unvollständig war, weil sie noch keine Begründung enthielt, eine solche vom Erstgericht aber jedenfalls gewollt war, weshalb die überreichte Ausfertigung durch eine begründete Ausfertigung ersetzt werden sollte.

[18] 3. Für die Parteien entstand durch diese – nicht den Verfahrensvorschriften entsprechende – Vorgangsweise des Erstgerichts dennoch eine zweifelhafte Lage, weil sie die tatsächliche Zustellung einer die Begründung enthaltenden weiteren Beschlussausfertigung nicht als gesichert betrachten konnten.

[19] Wurde im Falle der Berichtigung der Entscheidung für eine Partei eine zweifelhafte Lage herbeigeführt und konnte sie erst durch die Berichtigung volle Klarheit über den Entscheidungsinhalt erlangen, so kann sie ihr bereits gegen die unberichtigte Entscheidung erhobenes Rechtsmittel durch einen weiteren Rechtsmittelschriftsatz ergänzen. Beide Schriftsätze sind dann als eine Einheit aufzufassen; das bereits erhobene Rechtsmittel kann ergänzt oder durch ein neues ersetzt werden (RS0041778 [T5, T6, T7]).

[20] 4. Unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen waren somit beide Rechtsmittelschriftsätze des Vaters als Einheit zu betrachten. Zu Unrecht hat daher das Rekursgericht dessen Rekursschrift vom 10. 9. 2020, soweit sie sich neuerlich gegen die einstweilige Entziehung und Übertragung der Obsorge für die Kinder an den Kinder- und Jugendhilfeträger richtete, wegen Verletzung des Grundsatzes der Einmaligkeit des Rechtsmittels ohne inhaltliche Behandlung zurückgewiesen und ohne Berücksichtigung des darin erstatteten Vorbringens über den Rekurs vom 3. 8. 2020 inhaltlich entschieden.

[21] 5. Der Revisionsrekurs des Vaters hat daher insoweit Erfolg. Das Rekursgericht wird beide Rechtsmittelschriftsätze des Vaters, soweit sie sich gegen die einstweilige Entziehung und Übertragung der Obsorge für die Kinder an den Kinder- und Jugendhilfeträger richten, als Einheit zu betrachten und neuerlich darüber zu entscheiden haben.

[22] 6. Der ebenfalls mündlich verkündete Beschluss auf Abweisung des – ohne Zusammenhang mit der amtswegigen vorläufigen Obsorgeübertragung an den Kinder- und Jugendhilfeträger gestellten – Antrags des Vaters auf vorläufige Übertragung der alleinigen Obsorge für die Kinder an ihn wurde vom Erstgericht lediglich einmal schriftlich ausgefertigt. Der dagegen gerichtete Rekurs des Vaters vom 10. 9. 2020 wurde vom Rekursgericht auch meritorisch behandelt und es wurde ihm nicht Folge gegeben. Insoweit enthält der außerordentliche Revisionsrekurs jedoch keine inhaltlichen Ausführungen, sodass damit keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird. Er ist daher in diesem Punkt mangels Vorliegens einer zu beurteilenden erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.