JudikaturJustiz2Ob63/95

2Ob63/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. August 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Klaus H*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr.Estermann, Dr.Wagner, Dr.Postlmayr, Kommandit-Partnerschaft in Mattighofen, wider die beklagten Parteien

1. Josef G***** und 2. ***** Versicherung-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Hermann Aflenzer und Dr.Norbert Aflenzer, Rechtsanwälte in Linz, wegen Zahlung von S 50.000 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 18.April 1994, GZ R 104/95-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 16.Dezember 1994, GZ 2 C 1260/94b-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Am 29.9.1993 ereignete sich auf der B***** Bundesstraße im Freilandgebiet zwischen M***** und Mu***** ein Verkehrsunfall an dem der Kläger als Lenker eines LKW-Kleintransporters, Maximilian S***** als Lenker eines PKW und der Erstbeklagte als Lenker einer Zugmaschine mit nicht zum Verkehr zugelassenem Anhänger beteiligt waren. Beim Überholen des vom Erstbeklagten gelenkten Traktorgespanns kollidierte der Kläger mit dem entgegenkommenden PKW des Maximilian S*****. Sowohl der Kläger als auch S***** wurden schwer verletzt.

Unter Anrechnung eines Mitverschuldens von 3/4 begehrt der Kläger die Zahlung eines Schmerzengeldes von 50.000 S sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall im Ausmaß von 1/4, wobei die zweitbeklagte Partei nur im Rahmen der Haftpflichtversicherungssumme zu haften habe. Der Kläger brachte vor, die Überholstrecke sei ausreichend gewesen, um das Überholmanöver problemlos und kollisionsfrei durchzuführen. Der Erstbeklagte sei aber mit seiner Zugmaschine und dem nicht zum Verkehr zugelassenen Anhänger anstatt mit der erlaubten Geschwindigkeit von 10 km/h mit 30 km/h gefahren. Das Feststellungsinteresse wurde mit der Möglichkeit von Spätfolgen im Zusammenhang mit den gravierenden Verletzungen begründet.

Die Beklagten wendeten ein, daß der Unfall nur dadurch zustande gekommen sei, daß der Kläger trotz Gegenverkehr vor einer unübersichtlichen Linkskurve ein riskantes Überholmanöver eingeleitet habe. Das vom Kläger begehrte Schmerzengeld wurde der Höhe nach bestritten, desgleichen das Feststellungsinteresse.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Der Kläger versuchte mit dem von ihm gelenkten LKW kurz vor einer unübersichtlichen Linkskurve mit einer Geschwindigkeit von ca 60 bis 80 km/h die vom Erstbeklagten gelenkte Zugmaschine mit einem nicht zum Verkehr zugelassenen Anhänger zu überholen. Der Erstbeklagte hielt dabei eine Geschwindigkeit von mindestens 20 km/h ein. Der Kläger übersah bei seinem Überholmanöver den entgegenkommenden PKW der von Maximilian S***** mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 80 km/h gelenkt wurde. Als der Kläger die Zugmaschine des Erstbeklagten noch nicht zur Gänze überholt hatte, kam es zum Frontalzusammenstoß mit dem entgegenkommenden Fahrzeug. Der Kläger erlitt durch den Unfall einen Sprung- und Würfelbeinbruch am linken Knie.

Hätte der Erstbeklagte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h eingehalten, hätte der Unfall vermieden werden können, weil der Kläger die Überholspur rechtzeitig verlassen und vor dem Gefährt des Erstbeklagten einscheren hätte können.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß der Erstbeklagte gegen die Bestimmung des § 58 Abs 1 Z 2 lit a KDV verstoßen habe, weil er beim Ziehen eines nicht zum Verkehr zugelassenen Anhängers die höchste zulässige Fahrgeschwindigkeit von 10 km/h überschritten habe. Dieses vorschriftswidrige Verhalten des Erstbeklagten sei auch kausal für den Schaden des Klägers gewesen, weil sich der Unfall nicht ereignet hätte, hätte der Erstbeklagte die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h eingehalten. Der vom Kläger erlittene Schaden liege aber außerhalb des Schutzzweckes der vom Erstbeklagten übertretenen Norm, der darin liege, alle Gefahren zu vermeiden, die sich aus der mit Rücksicht auf die Art solcher Fahrzeuge erhöhten Betriebsgefahr bei Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit ergeben. Die vom Erstbeklagten übertretene Sorgfaltsnorm habe nicht den Zweck, Unfälle zu verhindern, die durch riskante Überholmanöver anderer Verkehrsteilnehmer verursacht werden.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit insgesamt über 50.000 S und erklärte die Revision für nicht zulässig.

Das Berufungsgericht schloß sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes an, wonach ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Überschreitung der gemäß § 58 Abs 1 Z 2 lit a KDV zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h durch den Erstbeklagten und dem Schaden des Klägers nicht bestehe. Daß beim Ziehen von nicht zum Verkehr zugelassenen Anhängern eine Fahrgeschwindigkeit von 10 km/h nicht überschritten werden dürfe, solle die Betriebsgefahr, die von solchen nicht auf ihre Verkehrstauglichkeit behördlich überprüften Anhängern ausgehe, möglichst minimieren und verhindern, daß andere Verkehrsteilnehmer dadurch zu Schaden kommen. Im vorliegenden Fall sei aber der Verkehrsunfall nicht dadurch ausgelöst worden, daß der von der Zugmaschine des Erstbeklagten gezogene Anhänger mangelhaft beschaffen oder nicht verkehrstauglich gewesen sei, sondern einzig und allein durch das riskante Überholmanöver des Klägers. Nur solche Mängel des nicht zugelassenen Fahrzeugs würden im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem eingetretenen Schaden stehen, die eine Zulassung des Fahrzeuges wegen Verkehrsuntüchtigkeit nicht gestattet hätten (SZ 56/80). Daß solche Mängel hier vorgelegen seien und unfallsauslösend waren, sei nicht erwiesen.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien haben in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, das Rechtsmittel des Klägers nicht zuzulassen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, weil die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung SZ 56/80 mit der sonstigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhanges bei Verletzung von Geschwindigkeitsbeschränkungen im Sinne des § 58 KDV nicht völlig im Einklang steht, sie ist im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, daß die Bestimmungen der KDV über die von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nicht zu überschreitenden Geschwindigkeiten Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB seien, deren Normzweck in einer Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr bestehe, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringe. Hätte der Erstbeklagte die erlaubte Geschwindigkeit von 10 km/h eingehalten, wäre die Kollision unterblieben.

Diesen Ausführungen ist grundsätzlich zu folgen:

Auszugehen ist davon, daß der Erstbeklagte durch die Einhaltung einer Geschwindigkeit von zumindest 20 km/h gegen § 58 Abs 1 Z 2 lit a KDV, wonach beim Ziehen von nicht zum Verkehr zugelassenen Anhängern die höchste zulässige Fahrgeschwindigkeit 10 km/h beträgt, verstoßen hat. Auch bei dieser Vorschrift der KDV handelt es sich um eine Schutzvorschrift im Sinne des § 1311 ABGB, jedoch macht die Übertretung einer Schutznorm nur insoferne für den durch die Übertretung verursachten Schaden haftbar, als durch die Schutznorm gerade dieser Zweck verhindert werden soll. Um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhindern wollte, ist das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren (ZVR 1995/75; ZVR 1991/130). Dabei genügt es, daß die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist; die Norm muß aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen intendiert haben (JBl 1993, 788; SZ 61/189; ecolex 1994, 534; ZVR 1995/75).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß der Zweck der Normen über die Bauartgeschwindigkeit von Fahrzeugen nach § 58 Abs 2 KDV (vgl ZVR 1982/12; ZVR 1981/116 ua), aber auch jener nach § 58 Abs 1 Z 1 lit a, b, c und e KDV über die von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nicht zu überschreitenden Geschwindigkeiten Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB darstellen, deren Normzweck in der Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr besteht, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (EvBl 1995/37; ZVR 1990/119; 2 Ob 15/90 ua). Der erkennende Senat ist in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung der Auffassung, daß auch die Bestimmung des § 58 Abs 1 Z 2 lit a KDV - gleich den Bestimmungen des § 58 Abs 1 Z 1 lit a, b und c KDV - eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB darstellt, deren Normzweck in der Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr besteht, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt. Die vom Erstbeklagten eingehaltene überhöhte Geschwindigkeit war im vorliegenden Fall (ua) auch kausal für den vom Kläger erlittenen Schaden, sodaß - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen ist.

Der Sachverhalt der der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SZ 56/80 zugrundeliegt, kann mit dem hier zu beurteilenden nicht verglichen werden. Im Fall der Entscheidung SZ 56/80 war nämlich der Versicherungsnehmer der klagenden Transportversicherung auf ein Fahrzeug, dessen Anhänger zwar ein polizeiliches Kennzeichen trug, obgleich die Anlage nicht zum öffentlichen Verkehr zugelassen oder einzelgenehmigt war, aufgefahren. In diesem Zusammenhang führte der Oberste Gerichtshof aus, daß die Vorschriften über die behördliche Zulassung und Führung eines amtlichen Kennzeichens eines Kraftfahrzeuges zwar Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB seien, ihr Zweck aber nicht die Verhinderung eines Schadens durch das Fahrzeug an sich, sondern nur eines spezifisch mit dem Erfordernis der Zulassung des Kraftfahrzeuges zusammenhängenden Schadens betreffe. Nur solche Mängel des nicht zugelassenen Fahrzeuges würden im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem eingetretenen Schaden stehen, die eine Zulassung des Fahrzeuges wegen Verkehrsuntüchtigkeit nicht gestattet hätten. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang sei nicht schon deshalb gegeben, weil ein Fahrzeug, das ohne behördliche Zulassung nur mit weitaus geringerer Geschwindigkeit hätte fahren dürfen, für den öffentlichen Verkehr nicht zugelassen war und dennoch eine höhere Geschwindigkeit einhielt. Es ging also im Falle der Entscheidung SZ 56/80 primär um den Schutzzweck der Vorschriften über die behördliche Zulassung und Führung eines amtlichen Kennzeichens und nicht um jene der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Trotz des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Klägers bestehen gegen die von ihm vorgenommene Verschuldensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu seinen Lasten keine Bedenken, hat doch der Erstbeklagte die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch um 100 % überschritten.

Grundsätzlich besteht daher der vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzanspruch zu Recht. Im fortgesetzten Verfahren werden daher Feststellungen darüber zu treffen sein, welche Schmerzen der Kläger erlitten hat und ob die Möglichkeit künftiger Schäden besteht.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.