JudikaturJustiz2Ob572/50

2Ob572/50 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Oktober 1950

Kopf

SZ 23/285

Spruch

Die Bezirksverwaltungsbehörde ist zur Abgabe von Erbserklärungen für die Armen einer Gemeinde ihres Sprengels legitimiert.

Bestehen gegen das jüngere Testament gewichtige Bedenken (durch privates Gutachten festgestellte Fälschung), so haben die sich auf dieses Testament stützenden Erben einem älteren Testament gegenüber den schwächeren Titel.

Entscheidung vom 11. Oktober 1950, 2 Ob 572/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Judenburg; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.

Text

Nach dem Tode des Johann P. wurden dem Abhandlungsgericht zwei letztwillige Verfügungen des Erblassers vorgelegt, eine vom 3. Oktober 1946, in der seine außerehelichen Söhne Franz Pr. und Jakob A. als Erben eingesetzt waren, und eine vom 19. August 1946, in der er bestimmt hatte, daß "alles, seine Kleider, Möbel, Bücher, der ganze Besitz bei 90 ha, viel Arbeitszeug" den Gemeindearmen in P. gehören solle. Bedingte Erbserklärungen wurden abgegeben 1. von den beiden außerehelichen Söhnen, 2. namens der Gemeindearmen von der Gemeinde P. und der Bezirksselbstverwaltung M. und 3. von den gesetzlichen Erben, die die Echtheit beider letztwilliger Verfügungen bestritten.

Das Abhandlungsgericht nahm alle Erbserklärungen an und wies die Gemeindearmen an, die Klage auf Feststellung ihres Erbrechtes gegen die außerehelichen Söhne sowie gegen die gesetzlichen Erben einzubringen.

Das Rekursgericht, von den Gemeindearmen angerufen, verwies die außerehelichen Söhne mit ihren Erbansprüchen auf den Rechtsweg und setzte ihnen eine Frist von zwei Monaten zur Einbringung einer Erbrechtsklage; in seiner Begründung bemerkte das Rekursgericht, daß die gesetzlichen Erben wegen ihres schwächsten Erbrechtstitels voraussichtlich erst dann in den Rechtsstreit eintreten werden, bis der Prozeß zwischen den beiden Testamentserben rechtskräftig beendet ist.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte den von den außerehelichen Söhnen des Erblassers angefochtenen Beschluß des Rekursgerichtes mit der Maßgabe, daß den auf den Rechtsweg verwiesenen erblasserischen Söhnen die Klägerrolle gegen die gesetzlichen Erben und die Gemeindearmen zugewiesen wird.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Oberste Gerichtshof hat zunächst in formeller Beziehung von Amts wegen geprüft, ob eine von den im Testament vom 19. August 1946 bedachten Gemeindearmen in P. in gehöriger Form abgegebene Erbserklärung vorliegt. Auszugehen war hiebei von den Bestimmungen der §§ 559 und 651 ABGB., sowie des Hofdekrets vom 3. Juni 1846, JGS. Nr. 964. Gemäß § 559 ABGB. soll eine "Versammlung", wie zum Beispiel die Armen, immer nur als eine Person gelten. Nach dem Hofdekret vom 3. Juni 1846, JGS. Nr. 964, waren Vermächtnisse für Arme, wenn der Erblasser sie nicht näher bezeichnet hat, jederzeit dem Lokalarmenfonds zuzuweisen. § 651 ABGB., welcher bei einem Vermächtnis die Auswahl der Bedachten und, was jedem von ihnen zukommen soll, dem Erben überweist, falls der Erblasser hierüber keine Bestimmung getroffen hat, ist bei einer Erbeinsetzung der Armen unanwendbar. Die selbständigen Ortsarmenfonds wurden, soweit es nicht, wie in Steiermark, durch § 124 des GemVG., LGBl. 1938, Nr. 16, schon früher geschehen war, durch § 28 Fürs.Einf.VO. vom 3. Oktober 1938, DRGBl. I S. 1125 (GBlÖ. 1938, Nr. 397), aufgehoben. Durch diese und eine zweite Fürs.Einf.VO. vom 20. November 1939, DRGBl. I S. 2282, wurde das deutsche Fürsorgerecht (Fürsorgepflichtverordnung und "Reichsgrundsätze") in Österreich eingeführt. Diese Rechtsvorschriften haben heute noch, und zwar als landesrechtliche Normen, in allen Ländern grundsätzliche Geltung. Hiernach sind Träger der Fürsorge im allgemeinen die zu einem Gemeindeverband (Bezirksfürsorgeverband) zusammengeschlossenen Gemeinden eines Verwaltungsbezirkes. Nach § 33 der Vorläufigen Verfassung vom 1. Mai 1945, StGBl. Nr. 5, sollen die Verwaltungsbezirke zur Besorgung der ihnen eigenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten als Selbstverwaltungskörper ausgestaltet werden. Zur Besorgung der den Verwaltungsbezirken in Selbstverwaltung überlassenen Angelegenheiten sollte in jedem Verwaltungsbezirk eine provisorische Bezirksvertretung errichtet werden, die aus ihrer Mitte einen Bezirksausschuß zu wählen hatte. Ebenso bestimmte das Behörden-Überleitungsgesetz vom 20. Juli 1945, StGBl. Nr. 94 (§ 8), daß die von den Landkreisen geführte Selbstverwaltung in jedem Verwaltungsbezirk auf die provisorische Bezirksvertretung (Bezirksausschuß) übergeht. Aber die Bezirksausschüsse sind nicht eingerichtet worden. Auch die in Aussicht gestellten näheren Bestimmungen über die Einrichtungen der Bezirksvertretungen und Bezirksausschüsse sind nicht ergangen. Diese nach den erwähnten Bestimmungen des österreichischen Rechtes den Bezirksvertretungen zustehenden Aufgaben werden nun von der ihnen wesentlich verschiedenen Bezirkshauptmannschaft erfüllt. Eine ihrer Abteilungen ist die ehemals selbständige Bezirksfürsorge (vgl. hiezu Weiss in Klangs Kommentar zum ABGB., 2. Aufl., III., S. 244, Adamovich, Grundriß des österreichischen Verwaltungsrechtes, 4. Aufl., S. 210 ff., Heinl - Loebenstein - Verosta, Das österreichische Recht, III/3, S. 26, Anm. 4 zu § 15 VStG., Axmann und Chaloupka, Die Vorschriften über Armenfürsorge, Wien 1934).

Bei der dargestellten Rechtslage erscheint die Bezirksverwaltungsbehörde M., in deren Sprengel die Gemeinde P. gelegen ist und die zugleich die Aufsichtsbehörde über die Gemeinde P. ist, jedenfalls legitimiert, im Namen der Ortsarmen dieser Gemeinde als einer zwar örtlich, aber zeitlich nicht bestimmten und auch nicht als juristische Person organisierten Gruppe die Erbserklärung auf Grund des Testamentes vom 19. August 1946 abzugeben mag es sich nun hier um ein Testament im Sinne der Rechtsordnung oder nur um ein Kodizill handeln (§ 533 ABGB.).

In sachlicher Beziehung kommt dem Rekurs keine Berechtigung zu.

Bei der Verteilung der Parteienrollen im Erbrechtsprozeß hat zufolge der Bestimmungen der §§ 125, 126 AußstrG. der Grundsatz zu gelten, daß der Erbe mit dem schwächeren Erbrechtstitel gegen denjenigen Erben aufzutreten hat, der sich auf einen stärkeren Erbrechtstitel zu stützen vermag. Im vorliegenden Falle erweist sich das Erbrecht der Gemeindearmen als der stärkste, indem es sich auf das Testament vom 19. August 1946 stützt, gegen dessen Formmäßigkeit und Echtheit seitens der übrigen Erben keine gegrundeten Bedenken vorgebracht werden konnten. Die Frage, ob durch dieses Testament über den gesamten Nachlaß verfügt wurde und ob der nicht entmundigte Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung infolge Geisteskrankheit nicht testierfähig war (§ 566 ABGB.). kann nur im Prozeßweg geklärt werden.

Der schwächste Erbrechtstitel steht den erblasserischen außerehelichen Söhnen Jakob A. und Franz Pr. zur Seite, wenngleich sie sich auf ein jüngeres Testament vom 3. Oktober 1946 berufen können. Denn gegen die Echtheit dieser letzten Willenserklärung wurden gewichtige Bedenken vorgebracht, die auf Grund des vorliegenden kriminologischen Gutachtens begrundet erscheinen. Denn der Sachverständige erklärt mit Bestimmtheit, daß Text und Unterschrift dieses Testamentes nicht vom Erblasser geschrieben wurden. Bei dieser Sachlage erscheint es geboten, vorerst die Echtheit und Gültigkeit des jüngeren Testamentes gegenüber den mit dem stärkeren Erbrechtstitel ausgestatteten gesetzlichen Erben und zugleich gegenüber den Gemeindearmen feststellen zu lassen. Eine solche Maßnahme erscheint auch deshalb zweckmäßig, weil im Falle des Obsiegens der Kläger in diesem Rechtsstreit mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 713 ABGB. jede weitere Prozeßführung entfallen würde.

Andernfalls wird das Verlassenschaftsgericht für den notwendigen zweiten Erbrechtsstreit die Parteienrollen zwischen den gesetzlichen Erben und den Gemeindearmen in P. nach den Grundsätzen des § 126 AußstrG. zu bestimmen haben. In gleicher Weise wird auch vorzugehen sein, falls die erblasserischen außerehelichen Söhne die ihnen aufgetragene Erbrechtsklage nicht rechtzeitig überreichen sollten. Dazu ist noch zu bemerken, daß es für den Zweck der Abhandlung ausreicht, wenn bei einer Zuweisung der Klägerrolle an die gesetzlichen Erben nur einer oder ein Teil der gesetzlichen Erben (die gesetzlichen Erben aber immer nur als eine Prozeßpartei) in dem Erbrechtsstreit die erforderlichen Grundlagen für das Abhandlungsgeschäft liefern (vgl. E. v. 13. September 1894, GlU. 15.222).

Auf die Frage der Rechtswirksamkeit des zwischen den erblasserischen außerehelichen Söhnen und den Vertretern der Gemeindearmen am 16. Mai 1948 in Form eines außergerichtlichen Vergleiches abgeschlossenen Erbübereinkommens ist in diesem Stadium des Verfahrens nicht einzugehen. Hiezu besteht um so weniger ein Anlaß, als die Rekurswerber bei der Erbenverhandlung vom 5. Juli 1949 selbst die Gültigkeit dieses Übereinkommens bestritten haben. Ein zwischen präsumtiven Testamentserben getroffenes Erbübereinkommen hat nicht die Kraft, die gesetzlichen Erben von ihrem gesetzlichen Erbrechte auszuschließen. Nur durch ein Erbübereinkommen aller widerstreitenden Erbsinteressenten könnte eine Prozeßführung vermieden werden.

Nach dem Gesagten erweist sich somit der Rekurs der erblasserischen außerehelichen Söhne als nicht gerechtfertigt und es war darum der angefochtene Beschluß mit der nach der Sach- und Rechtslage gebotenen Ergänzung zu bestätigen.