JudikaturJustiz2Ob56/22g

2Ob56/22g – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E*, 2. M*, beide vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. L*, vertreten durch Dr. Günther Egger und Dr. Karl Heiss, Rechtsanwälte in Innsbruck, 2. A* AG, *, vertreten durch Mag. Christof Heel, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 3.352,78 (Erstkläger) und 33.950,30 EUR (Zweitkläger), über den Rekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2022, GZ 3 R 287/21h 59, mit welchem die Berufung der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 30. August 2021, GZ 16 C 262/18k 55, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, und dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die zweitklagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.205,64 EUR bestimmten Kosten des Rekurses (darin 200,94 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] In einem Schadenersatzprozess gab das Erstgericht (unter anderem) dem Klagebegehren des Zweitklägers gegen die Zweitbeklagte statt.

[2] Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die dagegen erhobene Berufung des Zweitklägers zurück. Aus der Zustellurkunde ergebe sich, dass das Urteil dem Beklagtenvertreter am 3. September 2021 zugestellt worden sei, weswegen die am 4. Oktober 2021 eingebrachte Berufung verspätet sei.

[3] Mit ihrem Rekurs macht die Zweitbeklagte geltend, dass das Ersturteil tatsächlich erst am 6. September 2021 zugestellt worden sei. Am 3. September sei die Kanzlei nicht besetzt gewesen, sodass keine Zustellung erfolgen konnte.

[4] Der Zweitkläger beantragt in der Rekursbeantwortung , dem Rekurs nicht Folge zu geben. Offenkundig sei am 3. September 2021 eine Zustellung durch Hinterlegung erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der – zweiseitige (RS0125481) – Rekurs ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und berechtigt .

[6] 1. Aufgrund des Rekurses wurden vom Erstgericht und vom Obersten Gerichtshof Erhebungen (§ 526 Abs 1 ZPO) zum Zustellzeitpunkt durchgeführt. Auf ihrer Grundlage steht fest , dass das Ersturteil am 3. September 2021 weder einem Dienstnehmer des Beklagtenvertreters übergeben noch hinterlegt wurde. Vielmehr erfolgte die Zustellung erst am 6. September 2021 durch Übergabe an einen Dienstnehmer des Beklagtenvertreters. Dass auf der Zustellurkunde dennoch das Datum 3. September 2021 angegeben ist, beruht „auf einem technischen Fehler, welcher [der österreichischen Post] bekannt ist und eine Problemlösung gesucht wird“.

[7] 2. Diese Feststellungen waren aufgrund von schriftlichen Mitteilungen von Mitarbeitern der Österreichischen Post AG an das Erstgericht und den Obersten Gerichtshof zu treffen. Zweifel an deren Richtigkeit bestehen nicht. Den Parteien wurde Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern; sie haben diese Möglichkeit nicht wahrgenommen.

[8] 3. Bei Zustellung des Ersturteils am 6. September 2021 endete die vierwöchige Berufungsfrist am 4. Oktober 2021. Die an diesem Tag im Elektronischen Rechtsverkehr eingebrachte Berufung war somit rechtzeitig. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben, und dem Berufungsgericht war die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

[9] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO. Durch die Rekursbeantwortung ist ein Zwischenstreit über die Rechtzeitigkeit der Berufung entstanden ( Obermaier , Kostenhandbuch 3 [2018] Rz 1.334). Der darin unterlegene Zweitkläger hat der Zweitbeklagten daher die Rekurskosten zu ersetzen. Bei der Bestimmung der Höhe war zu berücksichtigen, dass im Rekursverfahren keine Pauschalgebühr anfällt.