JudikaturJustiz2Ob505/95

2Ob505/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** regGenmbH, ***** vertreten durch Rechtsanwälte Strafverteidiger Dr.Sieglinde Lindmayr, Dr.Michael Bauer, Dr.Günter Secklehner Kommandit-Partnerschaft in Liezen, wider die beklagte Partei Othmar F*****, vertreten durch Dr.Rudolf Volker und Dr.Helmut Fetz, Rechtsanwälte in Leoben, wegen S 500.000,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 11.Oktober 1994, GZ 3 R 85/94-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 10.März 1994, GZ 7 Cg 75/93w-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 21.375,-- (darin enthalten USt. von S 3.562,50, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Friederike F***** war die einzige Tochter der am 13.2.1992 verstorbenen Flora G*****. Sie betrieb ein Sägewerk, welches am 10.12.1985 geschlossen wurde. Über ihren Antrag vom 9.12.1985 wurde mit Beschluß vom 30.12.1985 der Konkurs über ihr Vermögen eröffnet; die Gläubiger erhielten eine Quote von rund 10,3 %; am 2.2.1989 wurde der Konkurs aufgehoben.

Am 23.12.1985 unterfertigten Flora G***** und Friederike F***** einen notariellen Erbverzichtsvertrag, in welchem Friederike F*****, die einzige Pflichtteilsberechtigte nach ihrer Mutter Flora G*****, einen Erb- und Pflichtteilsverzicht abgab. Dadurch entsprach sie dem Wunsch ihrer Mutter, daß deren Vermögen innerhalb der Familie erhalten bleibe und nicht daraus ihre Gläubiger nach dem Tod der Flora G***** Befriedigung aus einem Erb- und Pflichtteil der Friederike F***** aus dem Vermögen der Flora G***** finden. Der Vertrag enthält unter anderem folgende Bestimmung:

"Vereinbarungsgemäß gilt dieser Verzicht nur für die Person der Friederike F*****, jedoch nicht für ihre Nachkommen, sodaß deren Erb- und Pflichtteilsrechte aufrecht bleiben".

Die Überschuldung der Friederike F***** blieb im Vertrag unerwähnt, es erfolgte kein Hinweis auf § 773 ABGB oder eine Enterbung.

Friederike F***** war zu diesem Zeitpunkt mit dem Beklagten verheiratet und hatte zwei Nachkommen, nämlich die am 5.5.1962 geborene Tochter Eva B***** und den am 6.10.1963 geborenen Sohn Reinhard F*****. Die Familie bewohnte eine von Flora G***** unentgeltlich zur Verfügung gestellten Wohnung. Der Beklagte hatte vom Erb- und Pflichtteilsverzicht seiner Gattin Kenntnis und war auch über ihre Vermögenslage informiert.

Die Enkelkinder von Flora G***** erhielten in der Folgezeit von dieser Zuwendungen, die zur Deckung des ihnen (nach dem Verzicht der Noterbin) gebührenden Pflichtteiles ausreichend waren.

Am 8.10.1990 errichtete Flora G***** ein eigenhändiges Testament, in welchem sie den Beklagten als ihren Universalerben einsetzte. Allfällige Pflichtteilsansprüche fanden darin keine Erwähnung, ebensowenig wurde auf eine Enterbung der Friederike F***** Bezug genommen. Der Nachlaß wurde aufgrund dieses Testamentes und der unbedingt abgegebenen Erbserklärung dem Beklagten eingeantwortet. Eva B***** und Reinhard F***** wurden dem Verlassenschaftsverfahren nicht beigezogen.

Der Verkehrswert der dem Beklagten eingeantworteten Liegenschaft beträgt S 1,023.000,--, die dem Pflichtteil der Friederike F***** entsprechende Hälfte S 511.500,--.

Die am 5.3.1938 geborene Friederike F***** ist vermögenslos und ohne Einkommen.

Der Beklagte, dem der Vertrag vom 23.12.1985 und die Überschuldung seiner Ehefrau bekannt waren, wurde von seiner testamentarischen Erbseinsetzung durch Flora G***** im Jahre 1990 informiert.

Die Klägerin ist Gläubigerin von Friederike F*****. Ihre im Konkurs über deren Einzelunternehmen anerkannte Forderung von S 6,8 Mill. wurde nur mit einem Teilbetrag von S 706.000,-- befriedigt. Nach Aufhebung des Konkurses wurde der Klägerin die Exekution durch Pfändung und Überweisung des Friederike F***** als Alleinerbin nach ihrer verstorbenen Mutter Flora G***** zustehenden Erbanspruches bewilligt, die gleichzeitig bewilligte Fahrnisexekution blieb erfolglos; nach dem Vermögensverzeichnis verfügte Friederike F***** über keine Vermögenswerte.

Mit der vorliegenden Klage ficht die Klägerin den Erbverzichtsvertrag vom 23.12.1985 an und begehrt mit ihrem Hauptbegehren vom Beklagten die Zahlung von S 500.000,--, eingeschränkt auf die Sachhaftung des Beklagten mit der ihm übereigneten Liegenschaft aus dem Nachlaß; im Eventualbegehren ist eine derartige Einschränkung nicht enthalten. Die Klägerin vertritt die Ansicht, der Betrag von 500.000,-- S entspreche dem Pflichtteilsanspruch der Friederike F*****. Es habe zur Entziehung des Pflichtteils kein Grund bestanden, Friederike F***** habe unentgeltlich verzichtet, allfällige Pflichtteilsansprüche ihrer Kinder seien nicht Gegenstand des Verlassenschaftsverfahrens gewesen und sei der Pflichtteil dem Beklagten zugewendet worden. Es seien sohin die Anfechtungstatbestände nach § 2 Z 1 und 3 sowie § 3 Z 1 AnfO gegeben.

Die Beklagte bestritt die Anfechtbarkeit des Pflichtteilsverzichtes mit der Begründung, Flora G***** wäre berechtigt gewesen, ihrer Tochter auch ohne deren Verzicht den Pflichtteil zufolge ihrer hohen Verschuldung zu entziehen, zumal Besorgnis bestanden habe, der Pflichtteil würde den Kindern der Noterbin entgehen. Von der Erblasserin seien den Enkelkindern noch zu Lebzeiten Zuwendungen gemacht worden, die auf den Pflichtteil anzurechnen gewesen seien; die Enkelkinder seien somit pflichtteilsbefriedigt. Die Erblasserin habe daher in ihrem Testament ohne Bedachtnahme auf Pflichtteilsansprüche frei verfügen können. Im übrigen habe auch Friederike F***** trotz des Erbverzichtes noch zu Lebzeiten ihrer Mutter Zuwendungen erhalten, die gleichfalls auf einen Pflichtteil anzurechnen wären. Eine Benachteiligungsabsicht liege nicht vor, im übrigen sei der Anspruch verfristet und verjährt.

Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt wies das Erstgericht das Klagebegehren ab.

In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, daß zwar die allgemeinen Anfechtungsvoraussetzungen, nämlich Benachteiligungsabsicht und Unentgeltlichkeit der angefochtenen Verfügung vorlägen; dessenungeachtet sei aber der Pflichtteilsverzicht nicht anfechtbar. Der Wunsch der Erblasserin nach Abschluß des Erbverzichtsvertrages verbunden mit einem Pflichtteilsverzicht sei einer Enterbung nach § 773 ABGB gleichzusetzen, auch wenn weder im Erbverzichtsvertrag noch im Testament ein ausdrücklicher Enterbungsgrund angeführt sei. Die Voraussetzungen des § 773 ABGB hätten auch noch im Zeitpunkt des Erbanfalles vorgelegen, sodaß die Erblasserin auch zu diesem Zeitpunkt den Pflichtteil einseitig hätte entziehen können, in welchem Falle ein Pflichtteilsverzicht aber unanfechtbar sei.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.

Das Berufungsgericht schloß sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes, wonach der Pflichtteilsverzicht vor dem Tode des Erblassers dann der Gläubigeranfechtung nicht unterliege, wenn der Noterbe den Verzicht bloß für sich selbst abgebe und statt ihm seine Kinder den Pflichtteil bekommen, er überdies verschuldet sei und die Wahrscheinlichkeit bestehe, daß sonst seinen Kindern der Pflichtteil entgehe, an. Es liege einer jener Fälle vor, in denen der Erblasser auch durch einseitige Willenserklärung den Pflichtteil hätte entziehen und den Vermögenszuwachs beim Schuldner verhindern hätte können.

Die Voraussetzungen für eine Enterbung im guten Glauben nach § 773 ABGB seien auch zum Zeitpunkt des Erbanfalles vorgelegen, sodaß der Pflichtteilsverzicht der Noterbin der Gläubigeranfechtung durch die Klägerin nicht unterliege.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der klagenden Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die klagende Partei vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, der Erbverzicht der Friederike F***** sei anfechtbar, weil die Voraussetzungen einer Enterbung fehlten, weil Flora G***** mit dem Beklagten eine Person bedacht habe, die nicht unter den Kreis der Kinder der Noterbin falle. Die Konsequenz der unrechtmäßigen Enterbung sei, daß der Noterbe den Pflichtteil fordern könne; bedenke man weiters, daß die Unterlassung der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches eine anfechtbare Rechtshandlung darstelle, sei bei einer derartigen Konstellation die Anfechtbarkeit des Pflichtteilsverzichtes gegeben.

Weiters seien die Wirkungen des Verzichtes erst mit dem Todestag der Flora G***** eingetreten. Zumindest zu diesem Zeitpunkt habe aufgrund der Vorempfänge der Enkelkinder kein Schutzzweck für eine Enterbung in guter Absicht mehr bestanden. Gerade der Umstand, daß nach Wegfall der Schutzwürdigkeit der Kinder die Gelegenheit einer einvernehmlichen Änderung des Erbverzichtes nicht wahrgenommen wurde, obwohl allen Beteiligten klar war, daß die Verzichtsleistung der Friederike F***** zum Nachteil der Gläubiger erfolgte, bilde einen wesentlichen Grund für die Zulässigkeit der Anfechtung. Setze man den Zeitpunkt der Gläubigerbenachteiligung auf den Zeitraum nach dem Erhalt der Vorempfänge der Kinder, so fehle es nicht nur an den Voraussetzungen für eine rechtmäßige Enterbung, sondern auch an der Wahrscheinlichkeit, daß den Kindern der ihnen gebührende Pflichtteil großteils entgehe und daß sie nicht an die Stelle der Noterbin traten.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:

Wie Koziol (Gläubigeranfechtung bei Unterlassung der Geltendmachung des Pflichtteils und bei Erbverzicht, JBl 1974, 402 [406 f]) überzeugend dargelegt hat, ist eine Gläubigeranfechtung bei einem Pflichtteilsverzicht vor dem Tod des Erblassers immer dann auszuschließen, wenn der Schuldner durch seinen Verzicht nur an der Verhinderung eines Vermögenszuwachses mitgewirkt hat, den der Erblasser auch allein hätte hintanhalten können. Die Gewährung der Gläubigeranfechtung in einem derartigen Fall würde zu einer Einschränkung der Testierfreiheit des Erblassers führen, da der im Erbverzicht zum Ausdruck gelangte Wille des Erblassers mißachtet würde. Der Gesetzgeber hat durch die Schaffung des § 773 ABGB die Interessen der Gläubiger des überschuldeten Erben grundsätzlich nicht für schutzwürdig erachtet. Der Verzicht auf den Pflichtteil ist aber nur dann unanfechtbar, wenn der Erblasser ohnehin auch allein den Pflichtteil nach § 773 ABGB entziehen hätte können. Dies ist dann der Fall, wenn der Noterbe im Zeitpunkt des Verzichtes überschuldet war; ferner die Wahrscheinlichkeit bestand, daß seinen Kindern der ihnen gebührende Pflichtteil großteils entgeht und der Verzicht nicht auch für die Kinder des Noterben gilt; diese müssen vielmehr an seine Stelle treten.

Diese Ausführungen stehen durchaus mit der übrigen herrschenden Lehre (Hofmann-Wellenhof, Erbverzicht und Ausschlagung der Erbschaft aus zivilrechtlicher Sicht, NZ 1984, 17 [21 f]; König, Die Anfechtung nach der Konkursodnung2, Rz 43, Feil, Konkursordnung, Rz 4 zu § 39) im Einklang. Davon abweichend sind lediglich die Ausführungen von Kralik (Erbrecht, 48), nach dessen Ansicht allerdings ein Erbverzichtsvertrag von den Gläubigern des Verzichtenden überhaupt nicht angefochten werden kann.

Die Ansicht der Vorinstanzen, der im vorliegenden Fall von der klagenden Partei angefochtene Erbverzichtsvertrag vom 23.12.1985 sei unanfechtbar, weil die Noterbin zum Zeitpunkt dieses Verzichtes überschuldet war, weiters die Wahrscheinlichkeit bestand, daß der ihren Kindern gebührende Pflichtteil großteils entgehen würde und der Verzicht nicht auch für die Kinder der Noterbin galt, entspricht sohin der herrschenden Lehre, der sich auch der erkennende Senat anschließt.

All den gegenteiligen Argumenten der klagenden Partei ist damit zu begegnen, daß sie keine Mitwirkung der Friederike F***** an der Verhinderung eines Vermögenszuwachses dartun können, die nicht auch die Erblasserin allein hätte hintanhalten können. Richtig ist zwar, daß der Beklagte Erbe nach Flora G***** wurde, doch haben die Kinder der Noterbin den Pflichtteil erhalten. Von der Einsetzung des Beklagten zum Erben konnte die Verstorbene weder durch die Pflichtteilsberechtigte noch deren Kinder gehindert werden. Es können daher auch die Gläubiger der Noterbin nicht nachträglich seine Erbeinsetzung beseitigen.

Zu bedenken ist auch, daß nicht neben den Kindern der Mutter auch diese selbst einen Pflichtteilsanspruch haben kann; die gegenteilige Ansicht würde den Nachlaß zweimal mit dem Pflichtteil belasten. Der Beklagte hat vielmehr den Nachlaß bereits "bereinigt" von Pflichtteilsansprüchen erhalten, weil die Enkelkinder der Verstorbenen Vorempfänge in dessen Höhe erhalten haben.

Die Revision der klagenden Partei erweist sich somit als nicht berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.