JudikaturJustiz2Ob44/11a

2Ob44/11a – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Mai 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des H***** T*****, vertreten durch den Sachwalter Mag. Dieter Berthold, Rechtsanwalt in Mistelbach, über den Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 26. Jänner 2011, GZ 23 R 479/10d 167, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Amstetten vom 18. Oktober 2010, GZ 2 P 346/10y 161, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss als nichtig aufgehoben und der Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Aufgrund der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher befindet sich der dauernde Aufenthalt des Betroffenen nunmehr in der Krankenanstalt Mauer Öhling.

Das bislang für die Sachwalterschaftssache zuständige Bezirksgericht Hollabrunn übertrug daher die Zuständigkeit an das Bezirksgericht Amstetten; die Übertragung werde mit der Übernahme der übertragenen Geschäfte durch das Bezirksgericht Amstetten wirksam. Den entsprechenden Beschluss stellte es an den Betroffenen und an den Sachwalter zu, übermittelte den Akt aber (noch) nicht an das genannte Bezirksgericht.

Das vom Betroffenen durch seinen Sachwalter angerufene Landesgericht Korneuburg als Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Aus Anlass des dagegen vom Betroffenen durch seinen Sachwalter eingebrachten Revisionsrekurses hob der Senat zu 2 Ob 125/10m den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als nichtig auf und stellte den Akt dem Bezirksgericht Hollabrunn zurück, weil der Übertragungsbeschluss für seine Wirksamkeit nach § 111 Abs 2 JN der Übernahme der Zuständigkeit durch das andere Gericht bedarf, an das die Zuständigkeit übertragen wird. Bis zur Übernahme bleibt es in Schwebe, ob überhaupt ein Zuständigkeitswechsel eintritt, sodass es bis zum Vorliegen eines solcherart wirksamen Übertragungsbeschlusses darüber keine Rekursentscheidung geben kann.

In der Folge fällte das Bezirksgericht Amstetten ( Erstgericht ) einen Beschluss auf Übernahme der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN. Der Betroffene halte sich jetzt ständig im Landesklinikum Mostviertel Forensik in Mauer auf. Es sei daher zweckmäßiger, wenn das Erstgericht die Pflegschaftssache führe.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Die Voraussetzungen des § 111 JN seien in der Regel und so auch hier gegeben, wenn die Pflegschaftssache dem Gericht übertragen werde, in dessen Sprengel der ständige Aufenthalt des Betroffenen liege. Das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht sei von wesentlicher Bedeutung, nicht aber der Wohnort der Eltern des Betroffenen oder des Sachwalters. Das Rekursgericht wies darauf hin, dass wegen des Aufhebungsbeschlusses 2 Ob 125/10m der Rekurs des Betroffenen (durch den Sachwalter) gegen den Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn vom 18. 3. 2010 noch offen sei.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts wendet sich der Revisionsrekurs des durch den Sachwalter vertretenen Betroffenen mit dem Antrag, auszusprechen, dass die Sachwalterschaftssache beim Bezirksgericht Hollabrunn verbleibe. Die Übernahme durch das Bezirksgericht Amstetten liege nicht im Interesse des Betroffenen.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses ist die Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses wahrzunehmen.

Mit dem Beschluss 2 Ob 125/10m wurde nur der (verfrüht ergangene) Beschluss des Landesgerichts Korneuburg aufgehoben, nicht aber der Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn. Das Rekursgericht hat daher zutreffend bemerkt, dass der seinerzeit erhobene Rekurs gegen den Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn vom 18. 3. 2010 noch offen ist.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob neben dem Übertragungsbeschluss auch noch der Übernahmebeschluss des Gerichts, an das übertragen wurde, anfechtbar ist. Der Oberste Gerichtshof hatte dies in einer älteren Entscheidung (5 Ob 151/69 = SZ 42/86) ohne nähere Begründung bejaht (aus SZ 12/157, auf die sich die genannte Entscheidung bezieht, ist für die hier zu lösende Frage nichts zu gewinnen, weil es darin um die Anfechtbarkeit des Übertragungsbeschlusses und nicht des Übernahmebeschlusses geht). Dem schlossen sich auch einzelne Rechtsmittelgerichte bis in die jüngere Zeit an (vgl EFSlg 108.760; EFSlg 108.765). Mayr in Rechberger 3 § 111 JN Rz 6 hingegen verneint die Anfechtbarkeit des Übernahmebeschlusses durch das „neue Gericht“.

Der Senat hält die zuletzt zitierte Literaturmeinung für zutreffend: Die Funktion des Übernahmebeschlusses liegt darin, dem Übertragungsbeschluss die Wirksamkeit zu verschaffen. Der Übertragungsbeschluss ist nach einhelliger Rechtsprechung und Lehre grundsätzlich anfechtbar (RIS Justiz RS0046981; RS0047094; Mayr aaO). Würde man nun die Anfechtung auch des Übernahmebeschlusses zulassen, so bedeutete dies eine durch nichts insbesondere nicht durch ein Rechtsschutzbedürfnis der Partei(en) zu rechtfertigende Verdoppelung des Rechtsmittelverfahrens (im Wesentlichen mit demselben Gegenstand) und würde dem Ziel der raschen Übertragung der Pflegschaftsgeschäfte an ein anderes Gericht im Sinne der Sicherung oder Verbesserung der wirksamen Handhabung des pflegschaftsbehördlichen Schutzes (vgl 4 Ob 5/04w) zuwiderlaufen.

Ist somit der Übernahmebeschluss (mit dem die Übertragung angenommen wird) unanfechtbar, so erweist sich der dagegen erhobene Rekurs als unzulässig und die darüber ergangene meritorische Entscheidung des Rekursgerichts als nichtig, was zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung des Rekurses gegen den Übernahmebeschluss des Erstgerichts führen muss (vgl RIS Justiz RS0043969, RS0115201).

Das Erstgericht wird nunmehr den Akt an das Landesgericht Korneuburg zwecks Entscheidung über den Rekurs gegen den Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn zu übermitteln haben.