JudikaturJustiz2Ob374/64

2Ob374/64 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Januar 1965

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Köhler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pichler, Dr. Höltzel, Dr. Bauer und Dr. Steinböck als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Georg F*****, vertreten durch DDr. Karl Michtner, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wider die beklagte Partei Georg S*****, vertreten durch Dr. Johann Rotter, Rechtsanwalt in Ried i. I., wegen 73.570,30 S sA, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. Oktober 1964, GZ 4 R 161/64 28, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Kreisgerichts Ried i. I. vom 30. Juni 1964, GZ 2 Cg 42/64 19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision des Beklagten wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision des Klägers teilweise dahin Folge gegeben, dass die angefochtene Entscheidung abgeändert wird und zu lauten hat:

„Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen bei Exekution 63.427,80 S samt 4 % Zinsen aus 59.852,80 S seit 7. 6. 1963 und aus 3.575 S seit 1. 4. 1964 zu bezahlen und die mit 12.011 S bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.

Das Mehrbegehren von 10.142,50 S wird abgewiesen.“

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 2.580,73 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 28. 10. 1962 ging der Kläger bei Dunkelheit und starkem Regen auf der Bundesstraße 141 im Gemeindegebiet Weng in Richtung Altheim. Er benützte die rechte Fahrbahnseite und führte sein Fahrrad, dessen Lichtanlage nicht funktionierte, am äußersten rechten Straßenrand neben sich. Schließlich blieb er stehen, um die Lichtanlage zu reparieren. Dabei wurde er von dem in der gleichen Richtung fahrenden Personenkraftwagen des Beklagten, der bei der Begegnung mit einem Fahrzeug von der Straßenmitte nach rechts auswich, niedergestoßen und schwer verletzt. Der Beklagte hatte weder den Kläger, noch das Fahrrad gesehen, sondern nur einen Schlag gegen den Wagen wahrgenommen, trotzdem aber die Fahrt fortgesetzt. Er wurde aus diesem Anlass wegen Vergehens nach §§ 335, 337 lit c StG rechtskräftig verurteilt.

Das Erstgericht gab dem auf Zahlung von 73.570,30 S gerichteten Schadenersatzbegehren des Klägers mit dem Betrag von 63.427,80 S samt gesetzlichen Zinsen aus 59.852,80 S seit 7. 6. 1963 und aus 3.575 S seit 7. 3. 1964 statt und wies das Mehrbegehren ab.

Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Der Berufung des Beklagten wurde teilweise Folge gegeben und der Beklagte unter Abweisung des Mehrbegehrens schuldig erkannt, dem Kläger nur 53.427,80 S samt 4 % Zinsen aus 49.852,80 S ab 7. 6. 1963 und aus 3.575 S seit 1. 4. 1964 zu bezahlen.

Beide Parteien erheben Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, der Beklagte auch wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Der Kläger will den Zuspruch des abgewiesenen Teilbetrags von 20.142,50 S sowie des abgewiesenen Zinsenmehrbegehrens erreichen und stellt den entsprechenden Abänderungsantrag. Hilfsweise formuliert er auch einen Aufhebungsantrag. Der Beklagte ficht das Berufungsurteil an, soweit dem Kläger mehr als 10.476,40 S samt Zinsen seit 7. 6. 1963 zugesprochen wurden. Er beantragt in erster Linie, das angefochtene Urteil im Umfang der Anfechtung aufzuheben, allenfalls es im Sinn des Zuspruchs des vorgenannten oder eines jedenfalls unter dem zuerkannten liegenden Betrags abzuändern. Beide Parteien beantragen, der klägerischen Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist teilweise begründet, die des Beklagten unbegründet.

1.) Der Beklagte wendet sich vor allem gegen die vom Berufungsgericht gebilligte Ansicht des Erstgerichts, dass den Kläger kein Mitverschulden am Unfall treffe. Er meint, es liege zumindest gleichteiliges Verschulden beider Teile vor. Soweit er in diesem Zusammenhang einen Verfahrensmangel im Fehlen zweckdienlicher Feststellungen über die Sichtbarkeit des am Fahrrad angebrachten roten Rückstrahlers und der gelben Rückstrahler an den Pedalen (§ 66 Abs 1 Z 5 und 6 StVO 1960) erblickt, wird in Wahrheit kein Verfahrens , sondern ein mit der Rechtsrüge geltend zu machender Feststellungsmangel behauptet. Ein solcher liegt jedoch ebensowenig vor, wie den sonstigen rechtlichen Ausführungen beigepflichtet werden kann. Was der Beklagte in Bezug auf die Stellung des Klägers im Augenblick des Anstosses vorbringt, sind reine Vermutungen. Die Untergerichte haben nicht festgestellt, dass der Kläger im Augenblick des Zusammenstoßes bereits mit der Reparatur der Lichtanlage seines Fahrrads beschäftigt war, sondern nur, dass er stehen blieb, um die Lichtanlage zu reparieren. Der Oberste Gerichtshof hält auch im zeitlichen Geltungsbereich der Straßenverkehrsordnung daran fest, dass auch wer sein Fahrrad schiebt, als Radfahrer zu werten ist (vgl hiezu Gaisbauer in ZVR 1962 S 31 ff). Es wäre sinnlos, die Radfahrereigenschaft in dem Augenblick enden zu lassen, in dem ein sein Fahrrad schiebender Verkehrsteilnehmer aus welchem Grund immer anhält und zum Stillstand kommt. War aber der Kläger weiterhin als Radfahrer zu beurteilen, dann hatte er die rechte und nicht, wie der Beklagte meint, die linke Straßenseite zu benützen (§ 7 Abs 1 StVO 1960). Zwar wurden erst durch Z 52 des Art I der StVONov 1964 Fahrräder, die geschoben werden, von der Verpflichtung nach § 60 Abs 3 StVO Fahrzeuge während der Dämmerung, bei Dunkelheit oder Nebel oder wenn es die Witterung sonst erfordert, auf der Fahrbahn zu beleuchten, ausdrücklich ausgenommen. Mit dieser Novellierung wurde jedoch lediglich den bereits vorher völlig gleichgelagerten technischen Gegebenheiten der Fahrradbeleuchtung Rechnung getragen (vgl die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur StVONov 1964, 97 der Beilagen zu den sten. Protokollen des Nr X. GP). Die vom Beklagten angezogene Bestimmung des § 89 Abs 2 StVO 1960, nach der der Lenker eines mehrspurigen Fahrzeugs, das nicht vorschriftsmäßig beleuchtet werden kann und auf der Freilandstraße bei den näher bezeichneten Licht und Witterungsverhältnissen zum Stillstand gelangt ist, diesen Umstand unverzüglich den Lenkern anderer auf dem verlegten Fahrstreifen herannahender Fahrzeuge in geeigneter Weise anzuzeigen hat, ist auf den Kläger, der ein einspuriges Fahrrad schob, auf keinen Fall anwendbar. Da er sich überdies am äußersten rechten Straßenrand befand, musste er auch nicht damit rechnen (§ 3 StVO 1960), dass ein Kraftwagenlenker weiter rechts fahren würde, als dies ohne Gefährdung anderer Straßenbenützer möglich ist (§ 7 Abs 1 StVO 1960). Den Kläger lediglich wegen seines hohen Alters auf eine weniger befahrene Straße zu verweisen oder aus diesem Grund von ihm zu verlangen, dass er das Fahrrad überhaupt nicht benütze, bestand umso weniger Anlass, als nicht festgestellt ist, dass er den Anforderungen des Verkehrs nicht gewachsen gewesen wäre.

Die Revisionsausführungen sind somit nicht geeignet, ein Mitverschulden des Klägers darzutun.

2.) Der Kläger begehrte ua ein Schmerzengeld von 50.000 S, das Erstgericht sprach ihm 40.000 S, das Berufungsgericht 30.000 S zu. In diesem Belang fühlen sich beide Parteien beschwert. Der Kläger hält an seinem Begehren fest, während ihm der Beklagte nur (rechnungsmäßig) 20.000 S zubilligt.

Der beim Unfall 82 jährige Kläger erlitt eine Querfraktur des linken Oberschenkels, einen Bruch des linken Schulterblatts, eine Gehirnerschütterung und eine 9 cm lange Rissquetschwunde am Hinterkopf. Der Oberschenkelbruch musste eingerichtet und mit 10 kg belastet werden. Später wurde ein Marknagel eingebracht, der erst im Februar 1964, also fast 1 ½ Jahre nach dem Unfall, operativ entfernt wurde. Der Kläger war zweimal das zweite Mal zur Entfernung des Marknagels insgesamt vier Monate in stationärer Krankenhausbehandlung. Er hatte 21 Tage starke, 21 Tage mittlere und 2 Monate leichte Schmerzen. Schmerzen geringen Grades werden auch künftig infolge erhöhter Klimaabhängigkeit der Bruchstellen auftreten. Als Dauerfolgen blieb eine schwere Arthrose des linken Kniegelenks, verbunden mit mäßigen Bewegungseinschränkungen der Hüfte und des Knies, eine muskuläre Schwäche und eine Zirkulationsschwäche des Knies zurück. Die vom Berufungsgericht für die Herabsetzung des Schmerzengeldes um 10.000 S angeführten Gründe, nämlich dass die Heilung komplikationslos verlaufen und dass die Dauerfolgen nicht derart schwer seien, um ein höheres Schmerzengeld zu rechtfertigen, vermögen nicht zu überzeugen. Es darf nicht übersehen werden, dass nach dem ärztlichen Sachverständigengutachten die Verletzungen des Klägers wegen der Gefahr einer Embolie und der erfahrungsgemäß hohen Gefährdung durch Lungenentzündung lebenbedrohend waren. Dies und die sonstigen erhobenen Umstände lassen das vom Erstgericht zuerkannte Schmerzengeld angemessen erscheinen. Eine weitere Erhöhung im Sinne des Standpunkts des Klägers ist nicht gerechtfertigt, zumal alle Einzelheiten, die der Kläger in seiner Revision geltend macht, bereits gebührend berücksichtigt wurden.

3.) Mit beiden angerufenen Revisionsgründen bekämpft der Beklagte weiter den Zuspruch der gesamten Krankenhaus und Verpflegungskosten an den Kläger. Seine Ansicht, der Kläger hätte diesfalls nicht ihn, sondern jene Personen in Anspruch nehmen müssen, die aufgrund von bäuerlichen Übergabsverträgen verpflichtet seien, dem Kläger in Krankheitsfällen bei Spitalsbedürftigkeit die Spitalskosten zu leisten, trifft nicht zu. Bei den dem Kläger aufgrund dieser Verträge zustehenden Ansprüchen handelt es sich um Unterhaltsansprüche. Auf die Unterhaltspflicht eines anderen kann sich aber der ersatzpflichtige Schädiger gegenüber dem Geschädigten nicht berufen (SZ XXVI 67). Es ist weiter zu bedenken, dass der Kläger, um den Anspruch auf die vertraglichen Ausgedingsleistungen der Übernehmer seiner Landwirtschaft zu erlangen, ihnen diese übergeben, somit Gegenleistungen erbracht hat. Der Fall liegt daher im Wesentlichen nicht anders, als beim Abschluss einer Vertragsversicherung. Die Leistungen der Übernehmer würde folgte man dem Standpunkt des Beklagten unberechtigterweise der Beschädiger lukrieren. Der in diesem Zusammenhang gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

4.) Rechtlich unbedenklich ist auch entgegen der Ansicht des Beklagten der Zuspruch der Verpflegskosten in der 2. anstatt in der 3. Gebührenklasse. In diesem Belang kommt es jedenfalls nicht ausschließlich auf die Lebenshaltung des Beschädigten an. Im vorliegenden Fall berechtigte die bestehende Lebensgefahr sowie das hohe Alter den Kläger, die mit der Benützung der nächst höheren Klasse verbundene Bequemlichkeit für sich in Anspruch zu nehmen. Demgemäß begründet die unterbliebene Beweisaufnahme über die Höhe der Gebühren in der 3. Klasse keinen Verfahrensmangel.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass nur der Revision des Klägers im aufgezeigten Umfang dh hinsichtlich eines Schmerzengeldmehrbetrags von 10.000 S Berechtigung zukommt. Demgemäß war in der Hauptsache das Ersturteil wiederherzustellen. Bei dem abgeänderten Zinsenzuspruch des Berufungsgerichts hatte es zu verbleiben. Da der Kläger in diesem Belang die Revision nicht ausgeführt hat.

Die Prozesskosten waren in Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO auf der Grundlage des vom Kläger ersiegten Betrags neu zu bestimmen. Eine Überklagung beim Schmerzengeld liegt nicht vor. Die Abänderung hinsichtlich der Zinsen ist bedeutungslos. Die die Kosten der Privatbeteiligung des Klägers im Strafverfahren betreffenden Einwände des Beklagten in seiner Berufung sind aus den bereits vom Berufungsgericht dargelegten Erwägungen nicht stichhältig.

Für seine Berufung, mit der der Kläger im Ergebnis erfolglos blieb, kann er Kosten nicht verlangen. Für die Berufungsverhandlung, deren Gegenstand auch die auf gänzliche Klagsabweisung gerichtete Berufung des Beklagten war, wurden dem Kläger gemäß §§ 43 Abs 1, 50 ZPO die halben Kosten zugesprochen.

Die Kosten der Revisionsbeantwortung gebühren dem Kläger zur Gänze, die Kosten seiner eigenen Revision wurden ihm gemäß §§ 43, 50 ZPO zu einem Drittel zuerkannt.