JudikaturJustiz2Ob214/18m

2Ob214/18m – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** K*****, vertreten durch Anwaltssocietät Sattlegger, Dorninger, Steiner Partner in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. E***** B*****, 2. J***** B*****, und 3. R***** S*****, alle vertreten durch Dr. Herbert Veit, Rechtsanwalt in Linz, wegen Herausgabe eines Nachlasses (Streitwert: 84.133,53 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. September 2018, GZ 1 R 121/18x 13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 2. August 2018, GZ 11 Cg 56/17z 9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„Die beklagten Parteien sind jeweils schuldig, der klagenden Partei 28.044,51 EUR samt 4 % Zinsen seit 8. 9. 2017 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagten Parteien sind jeweils schuldig, der klagenden Partei die mit 5.202,55 EUR (darin enthalten 677,82 EUR USt und 1.135,63 EUR Barauslagen) bestimmten anteiligen Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagten Parteien sind jeweils schuldig, der klagenden Partei die mit 5.970,59 EUR (darin enthalten 354,99 EUR USt und 3.840,63 EUR Barauslagen) bestimmten anteiligen Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehegatten J***** und J***** K***** errichteten am 9. 6. 1988 in Linz ein von einem öffentlichen Notar verfasstes fremdhändiges Testament mit folgendem Inhalt:

„Wir […] treffen hiemit folgende letztwillige Anordnungen:

I. Wir J***** und J***** K***** berufen uns hiemit wechselseitig als Alleinerben unseres gesamten beweglichen und unbeweglichen Nachlasses und stellen fest, dass wir keine pflichtteilsberechtigte Personen hinterlassen.

II. Für den Fall des gleichzeitigen Ablebens berufen wir bzw. beruft der von uns zuletzt Ablebende den Neffen des J***** K***** W***** K*****, als Alleinerben des gesamten beweglichen und unbeweglichen Nachlasses.

III. Wir heben alle früheren, mündlichen oder schriftlichen, letztwilligen Anordnungen vollinhaltlich auf.“

J***** K***** verstarb am 3. 3. 2006. Aufgrund des genannten Testaments wurde sein Nachlass seiner Witwe J***** K***** zur Gänze eingeantwortet. Im Verlassenschaftsverfahren nach der am 4. 11. 2013 verstorbenen J***** K***** war das Testament nicht aktenkundig. Ihr Nachlass wurde aufgrund des Gesetzes den Beklagten als deren Neffe und deren Nichten, die in Unkenntnis eines vorhandenen Testaments je eine bedingte Erbantrittserklärung abgegeben hatten, mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 13. 4. 2014 zu je einem Drittel eingeantwortet. Der reine Nachlass betrug 87.526,53 EUR abzüglich der Gebühren des Gerichtskommissärs von 3.393 EUR, sodass jeder der Beklagten 28.044,51 EUR erhielt.

Der Kläger begehrt, die beklagten Parteien schuldig zu erkennen, den Nachlass nach J***** K***** zu je einem Drittel herauszugeben, „in eventu“ die Zahlung von je 28.044,51 EUR sA. Er sei aufgrund des Testaments vom 9. 6. 1988 zum Alleinerben des gesamten Nachlasses nach J***** K***** berufen und verfüge daher gegenüber den beklagten Parteien über den stärkeren Erbrechtstitel. Der Nachlass habe nur aus Geld und Sparbüchern, welche realisiert worden seien, bestanden. Die Beklagten hätten das im Verlassenschaftsverfahren tatsächlich erlangte, also die eingeforderten Geldbeträge von jeweils 28.044,51 EUR sA an den Kläger als Erben herauszugeben. Der Kläger habe Anspruch auf Wertersatz, der auch bestehe, soweit eine Rückstellung wegen Verbrauchs nicht möglich sei und daher jedenfalls Anspruch auf „Herausgabe des Klagsbetrags“. Die beklagten Parteien hätten zudem den Anspruch des Klägers auch anerkannt und eine entsprechende Zahlung zugesagt.

Die Beklagten wendeten ein, das Testament sehe eine Erbeinsetzung des Klägers nur für den Fall des gleichzeitigen oder zeitlich sehr nahe beieinander liegenden Ablebens der beiden Testierenden vor. Die Beklagten hätten lediglich Geldbeträge aus der Verlassenschaft erhalten, welche bereits gutgläubig verbraucht worden seien. Ein Anerkenntnis sei nicht erfolgt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da keine wesentlichen äußeren Umstände festgestellt worden seien, sei bei der Auslegung des Testaments lediglich auf die Urkunde zurückzugreifen. Die einleitende Wendung „Für den Fall des gleichzeitigen Ablebens …“ beziehe sich auf den gesamten Punkt II. des Testaments, somit auch auf den Satzteil „beruft der von uns zuletzt Ablebende“. Punkt II. des Testaments sei daher so zu verstehen, dass die Testierenden nur für jene Fälle eine Regelung zugunsten des Klägers treffen hätten wollen, dass sie zur gleichen Zeit oder so zeitnah versterben, dass faktisch der eine den anderen nicht beerben und kein neues Testament errichten könne. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sie damit auch den Fall des Ablebens in einem zeitlich größeren Abstand hintereinander regeln hätten wollen. Es sei anzunehmen, dass der Überlebende, von den geregelten Sonderfällen des zeitgleichen oder zeitnahen Ablebens abgesehen, freie Hand haben sollte, über das Vermögen letztwillig zu verfügen oder auch nicht zu verfügen. Ein konstitutives Anerkenntnis liege nicht vor.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es folgte der Auslegung des Erstgerichts.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer ohne Freistellung durch den Obersten Gerichtshof bereits erstatteten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Beklagten als materielle Streitgenossen im Sinne des § 11 Z 1 ZPO erhobenen Ansprüche sind für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision zusammenzurechnen (7 Ob 220/08s; 1 Ob 309/02a = RIS Justiz RS0117342). Ein Bewertungsausspruch war im Hinblick auf die Zahlungsbegehren nicht erforderlich (vgl RIS-Justiz RS0042305).

Die Revision ist zulässig , weil das Berufungsgericht bei der Auslegung des Testaments von den Grundsätzen der Rechtsprechung in korrekturbedürftiger Weise abgewichen ist. Sie ist auch berechtigt .

Der Revisionswerber macht geltend, das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen widerspreche der gefestigten Rechtsprechung, wonach die Auslegung dem Wortlaut der letztwilligen Verfügung nicht widersprechen dürfe. Von einem „zeitnahen“ Tod der Ehegatten oder einem „nur kurz Überleben“ sei in der gesamten Urkunde weder etwas zu lesen noch seien diese Bezeichnungen angedeutet. Klar geregelt sei jedoch, dass der von den Ehegatten zuletzt Ablebende den Kläger als Alleinerben des gesamten Nachlasses berufe. Die Ehegatten hätten mit Punkt II. erkennbar die Situation ihres gleichzeitigen Versterbens sowie die Situation des Vorversterbens eines der Ehegatten regeln wollen.

Hiezu wurde erwogen :

1. Im Hinblick auf den Todestag der Erblasserin ist die Rechtslage vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) maßgeblich (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).

2. Bei der Auslegung einer testamentarischen Anordnung ist zunächst von der gewöhnlichen Bedeutung der Worte auszugehen, wobei die Erklärung als Einheit in ihrem Gesamtzusammenhang zu betrachten ist (RIS Justiz RS0012371). Auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände aller Art sind zur Auslegung heranzuziehen (2 Ob 220/17t; RIS Justiz RS0012340). Die Auslegung muss aber in der letztwilligen Verfügung irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen zuwider laufen („Andeutungstheorie“; RIS Justiz RS0012372). Ist ein wirklicher Wille des Erblassers nicht zu ermitteln, weil der eingetretene Fall von ihm nicht bedacht wurde, greift die hypothetische Auslegung Platz, sofern der hypothetische Wille mit dem ausdrücklich erklärten Willen nicht im Widerspruch steht (2 Ob 220/17t; 2 Ob 41/11k SZ 2012/49; RIS Justiz RS0012346).

3. Die Vorinstanzen bezogen bei ihrer Auslegung des Punktes II. des Testaments die einleitende Wortfolge „Für den Fall des gleichzeitigen Ablebens ...“ auch auf den Satzteil „… beruft der von uns zuletzt Ablebende ...“. Das Wort „bzw.“ stelle lediglich eine präzisierende Verbindung zwischen diesen Wortfolgen her. Diese Auslegung findet allerdings keine Stütze in der gewöhnlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang. Sie würde zu einer in sich widersprüchlichen letztwilligen Anordnung führen, weil es bei gleichzeitigem Ableben keinen zuletzt Ablebenden geben kann. Das haben auch die Vorinstanzen erkannt und daher eine weitere Auslegung dahin vorgenommen, mit dieser Formulierung sei lediglich der Fall gemeint, dass die Ehegatten innerhalb eines kürzeren Zeitraums nacheinander versterben.

4. Anhaltspunkte dafür, dass die Testierenden mit Punkt II. keine Regelung für den viel eher zu erwartenden Fall ihres zeitlich weiter auseinander liegenden Ablebens treffen wollten, bestehen aber weder nach dem Wortlaut noch nach dem Gesamtzusammenhang der Erklärung:

4.1 Bereits die Vorinstanzen haben dargelegt, dass dem Wort „beziehungsweise“ auch die Bedeutung „und im anderen Fall“ zukommen kann.

4.2 Es trifft zwar zu, dass aus dem Testament die Anordnung einer fideikommissarischen Substitution im Sinne des § 608 ABGB aF („Nacherbschaft“) nicht abzuleiten ist.

Allerdings lässt sich schon der Wortlaut des Punktes II. des Testaments widerspruchsfrei dahin auslegen, dass damit eine gemeine Substitution im Sinne des § 604 ABGB aF („Ersatzerbschaft“) angeordnet wurde: Kann ein Ehegatte den anderen nicht beerben, weil er gleichzeitig mit diesem oder vorher verstorben ist, soll der Kläger Erbe sein. Der Kläger sollte somit statt des anderen Ehegatten, nicht aber nach diesem erben. Dafür spricht auch der Aufbau des Testaments, das in seinem Punkt I. die wechselseitige Erbseinsetzung der Ehegatten enthält und in Punkt II. eine Regelung für (alle) jene Fälle, in denen der jeweils andere Ehegatte nicht erben kann.

4.3 Die als Argument für das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen herangezogene Beschränkung der Verfügungsmöglichkeit des überlebenden Ehegatten ergibt sich bei dieser Auslegung nicht. Tritt der überlebende Ehegatte die Erbschaft aufgrund des Testaments an, erlischt gemäß § 615 Abs 1 ABGB aF die vom vorverstorbenen Ehegatten zugunsten des Klägers im gemeinsamen Testament angeordnete Ersatzerbschaft. Der überlebende Ehegatte wäre dann – mangels einer Nacherbschaft – gemäß § 1248 ABGB aF zum Widerruf oder zur Änderung des gemeinsamen Testaments durch die Errichtung einer (weiteren) letztwilligen Verfügung berechtigt (2 Ob 508/77 SZ 50/19; Jesser Huß in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 1248 Rz 4; M. Bydlinski in Rummel , ABGB 3 § 1248 Rz 1). Das ist im vorliegenden Fall nicht geschehen.

5. Der Kläger ist daher aufgrund des Testaments vom 9. 6. 1988 Alleinerbe des den Beklagten aufgrund des Gesetzes eingeantworteten Nachlasses. Er kann mit der Erbschaftsklage (§ 823 ABGB aF) sein besseres Erbrecht (§ 727 ABGB aF) geltend machen und von den Beklagten jeweils die Herausgabe der ihnen angefallenen Erbschaftsquote verlangen (3 Ob 219/05k; 7 Ob 63/98k; RIS Justiz RS0013130).

6. Nach dem Vorbringen des Klägers bestand der Nachlass aus Geld und Sparbüchern, welche realisiert wurden. Die Beklagten haben vorgebracht, lediglich Geldbeträge erhalten zu haben. Damit ist unstrittig, dass – vor dem behaupteten Verbrauch durch die Beklagten – der Nachlass lediglich in Form von Geldbeträgen vorhanden war.

Wurden Nachlassgegenstände veräußert, verbraucht oder in einer Weise benützt, dass die Zurückgabe der Sache tatsächlich oder wirtschaftlich unmöglich geworden ist, tritt Wertersatz an die Stelle der Rückgabe der Sachen (1 Ob 246/12a; 2 Ob 198/07t; 3 Ob 219/05k; 6 Ob 646/93). Aus § 824 ABGB aF ergibt sich, dass der Scheinerbe, auch wenn er die Erbschaft ganz oder teilweise gutgläubig verbraucht hat, von seiner Verpflichtung zur Rückstellung oder zum Wertersatz nicht befreit wird (1 Ob 246/12a; 6 Ob 646/93). Der obsiegende wirkliche Erbe als Eigentümer kann vielmehr nach § 1041 ABGB einen Verwendungsanspruch, der ergänzende, nicht subsidiäre Funktion hat, geltend machen, weil seine Sache zum Nutzen eines anderen verwendet wurde. Die Frage der Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzers berührt im zweipersonalen Verhältnis nicht die Verpflichtung zum Ersatz selbst, sondern nur die Berechnung der Höhe des Wertersatzes und ist im vorliegenden Fall nicht entscheidend, weil den Beklagten Geld oder Wertpapiere zugekommen sind, deren Wert zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers nicht strittig ist (6 Ob 646/93).

7. Bestand der Nachlass nur aus Geld, wurde er „realisiert“, das heißt durch Verwertung „in Geld umgewandelt“ oder verbraucht, kann der Erbe die Herausgabe des Nachlasses mit einem Zahlungsbegehren fordern (1 Ob 246/12a; 2 Ob 198/07t; 3 Ob 219/05k). Aus dem gesamten Vorbringen des Klägers geht unzweifelhaft hervor, dass der Kläger in erster Linie die Bezahlung der im („Eventual“ )Klagebegehren ausgedrückten Geldbeträge begehrt. Sein jeweiliges Begehren auf „Herausgabe des Geldbetrags“ geht daher in den Zahlungsbegehren auf, soweit diese – wie im vorliegenden Fall – zulässig sind, und die Verurteilung zur Herausgabe des Nachlasses kann entfallen (vgl 2 Ob 198/07t). Es kann somit dahinstehen, ob die Beklagten die aus dem Nachlass erhaltenen Geldbeträge oder allenfalls den in Geld erlösten Surrogatsbetrag aus der Verwertung von Sparbüchern zur Gänze verbraucht haben.

8. Die Revision des Klägers hat daher Erfolg. Das angefochtene Urteil ist dahin abzuändern, dass dem Zahlungsbegehren des Klägers stattgegeben wird. Ob die Beklagten in ihrem (gemeinsamen) vorprozessualen Schriftverkehr die Forderungen des Klägers konstitutiv anerkannt haben, muss nicht mehr geprüft werden.

9. Die Kostenentscheidung des erstinstanzlichen Verfahrens gründet sich auf § 41 Abs 1 ZPO, jene des Rechtsmittelverfahrens auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.