JudikaturJustiz2Ob199/23p

2Ob199/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon. Prof. PD. Dr. Rassi, MMag. Sloboda, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj 1. L*, geboren * 2008, und 2. A*, geboren * 2009, wegen Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 110 Abs 2 JN über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch den mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung betrauten U*, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Juni 2023, GZ 45 R 331/23v 531 (2 Ob 199/23p), sowie gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. September 2023, GZ 45 R 414/23z 536 (2 Ob 211/23b), den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 26. 5. 2021 (2 Ob 45/21p) wurde im Hinblick auf die gemäß Art 14 des Vertrags zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über Rechtshilfe, Beglaubigung, Urkunden und Vormundschaft vom 13. 3. 1956 (BGBl 1956/213) in der Fassung des ergänzenden Vertrags vom 1. 6. 1966 (BGBl 1968/99) ebenfalls begründete internationale Zuständigkeit Liechtensteins und die ausreichende Wahrnehmung der Interessen der Minderjährigen durch die dortigen Pflegschaftsgerichte von der Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens in Österreich gemäß § 110 Abs 2 JN abgesehen.

[2] Die Vorinstanzen wiesen – im Zusammenhang mit (i) der Anregung, in einem zu erwartenden Abstammungsverfahren einen Kollisionskurator zu bestellen (2 Ob 199/23p), bzw (ii) dem Antrag, einen in Vermögensangelegenheiten abgeschlossenen Vergleich zu genehmigen (2 Ob 211/23b), gestellte – Anträge des mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung betrauten Rechtsanwalts, das Verfahren fortzusetzen, weil die Kinder wieder in Wien aufhältig seien, ab .

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentlichen Revisionsrekurse zeigen keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[4] 1. Die Entscheidung, ob von der Fortsetzung eines inländischen Verfahrens abgesehen wird oder nicht, liegt im Ermessen des Gerichts, das sich am Wohl des Kindes, nämlich der ausreichenden Wahrung der Interessen durch die Behörden des ausländischen Staats, orientieren muss (RS0099363). Ob die Voraussetzungen des § 110 Abs 2 JN vorliegen, kann daher nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls beurteilt werden, sodass der Entscheidung – abgesehen von korrekturbedürftiger Fehlbeurteilung – keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt (8 Ob 8/23v Rz 9).

[5] 2 . Der Oberste Gerichtshof hat in seiner dieses Pflegschaftsverfahren betreffenden Entscheidung bereits klargestellt, dass eine Fortsetzung (zur Wahrung des Wohls der Minderjährigen) nur bei Vorliegen einer echten Rechtsschutzlücke in Betracht kommt (2 Ob 45/21p Rz 69). Wenn das Rekursgericht unter Hinweis auf die aufrechte, aktiv ausgeübte Pflegschaftsgerichtsbarkeit in Liechtenstein und den zu vermeidenden Konflikt einander widersprechender Entscheidungen davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine Fortführung des Pflegschaftsverfahrens auch bei einer Rückübersiedlung der – nur mehr über die liechtensteinische Staatsangehörigkeit verfügenden – Minderjährigen nach Österreich (derzeit) nicht vorliegen, ist dies zum Wohl der Minderjährigen nicht korrekturbedürftig.

[6] 3. Dass ein erforderlicher Kollisionskurator im Zusammenhang mit einem Abstammungsverfahren nicht vom Pflegschaftsgericht, sondern von jenem Gericht zu bestellen ist, das das Abstammungsverfahren führt (vgl dazu G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I² § 5 Rz 14, 18; vgl Motal in Schneider/Verweijen , AußStrG § 5 Rz 20; Klicka/Rechberger in Rechberger/Klicka ³, AußStrG § 5 Rz 5), zieht der Revisionsrekurs nicht in Zweifel, sodass in diesem Zusammenhang schon mangels des Erfordernisses pflegschaftsgerichtlicher Maßnahmen (derzeit) kein Anlass zur Verfahrensfortsetzung besteht.

[7] 4. Aber auch das Erfordernis, den vom Teilobsorgeberechtigten abgeschlossenen Vergleich einer pflegschaftsgerichtlichen Überprüfung zu unterziehen, lässt die Ermessensübung des Rekursgerichts nicht unvertretbar erscheinen.

[8] 4.1 Soweit der Revisionsrekurs argumentiert, die Gerichte in Liechtenstein seien aufgrund ausschließlicher, auch nach dem Umzug perpetuierter internationaler Zuständigkeit österreichischer Gerichte nie international zuständig geworden, sodass nach Rückübersiedlung der Minderjährigen nach Österreich der Grundsatz der perpetuatio fori nicht zum Fortbestand der Zuständigkeit Liechtensteins führen könne, wird ignoriert, dass nach Art 14 des Rechtshilfevertrags mit dem Umzug der Minderjährigen nach Liechtenstein (auch) die internationale Zuständigkeit der dortigen Pflegschaftsgerichte begründet wurde (2 Ob 45/21p Rz 52 f). Dass auch in Liechtenstein der Grundsatz der perpetuatio fori gilt, hat der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits klargestellt (2 Ob 45/21p Rz 57). Anhaltspunkte dafür, dass die Gerichte Liechtensteins aufgrund der – auch gegenüber diesen behaupteten – Rückübersiedlung nur der Minderjährigen (nicht aber des sonst Obsorgeberechtigten) ihre perpetuierte Zuständigkeit nicht mehr wahrnehmen würden und daher eine echte Rechtsschutzlücke bestünde, liegen nicht vor.

[9] 4.2 Durch eine (allfällige) Rückübersiedlung (nur) der Minderjährigen nach Österreich, würde sich die internationale Zuständigkeit österreichischer Pflegschaftsgerichte zwar (auch wieder) aus Art 14 des Rechtshilfevertrags ableiten, während jene Liechtensteins (bloß) perpetuiert wäre (2 Ob 45/21p Rz 69). Dies ist aber neben der faktischen Nähe (2 Ob 45/21p Rz 74) nur ein bei der Ermessensübung nach § 110 Abs 2 JN zu berücksichtigender Umstand. Zum Wohl der Minderjährigen sind jedenfalls parallele Verfahren mit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zu vermeiden. Diese Gefahr besteht aber, solange die Pflegschaftsgerichte in Liechtenstein ihre (perpetuierte) Zuständigkeit weiter wahrnehmen. Auch eine Fortsetzung bloß in Bezug auf (neue) Einzelmaßnahmen der Vermögensverwaltung hat zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und eines unnötigen Verfahrensaufwands die Ausnahme zu bleiben (vgl 2 Ob 45/21p Rz 75). Dass bloß aufgrund des (behaupteten) Schulbesuchs der Minderjährigen in Wien ihre Interessen vor den Pflegschaftsgerichten in Liechtenstein nicht ausreichend gewahrt werden könnten und daher ihr Wohl gefährdet wäre, ist zumindest derzeit nicht ersichtlich.