JudikaturJustiz28Os17/14f

28Os17/14f – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. April 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 16. April 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kampitsch als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwältin in *****, über die Beschwerde der Disziplinarbeschuldigten gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 15. September 2014, AZ D 14/09, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 15. September 2014 aufgehoben und dem Disziplinarrat die neue Entscheidung über die Anträge auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 30. Juni 2010 wurde Dr. ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung sowie der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt. Der erkennende Senat setzte sich aus dem Präsidenten des Disziplinarrats Dr. Alois Autherith als Vorsitzenden sowie Dr. Friedrich Bubla, Dr. Ulrike Grünling, Dr. Gerda Mahler Hutter und Dr. Bernd Schmied als weitere Mitglieder zusammen.

Mit Beschluss vom 21. Dezember 2012 gab der Disziplinarrat unter anderem dem Antrag der Beschuldigten auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens nicht statt.

In teilweiser Stattgebung der dagegen erhobenen Beschwerde der Disziplinarbeschuldigten wurde der zuletzt genannte Beschluss mit Entscheidung der Obersten Berufungs und Disziplinarkommission vom 25. November 2013, 7 Bkd 3/13, im Umfang der Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme aufgehoben und dem Disziplinarrat die neue Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens aufgetragen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 15. September 2014 gab der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich den (am 4. April 2012 und am 22. November 2013 eingebrachten) Anträgen der Dr. ***** auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens erneut nicht statt. Als Vorsitzender bei dieser Entscheidung fungierte Dr. Alois Autherith, die weiteren Senatsmitglieder waren Dr. Friedrich Bubla, Dr. Ulrike Grünling, Dr. Gerda Mahler Hutter und Dr. Bernd Schmied.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Disziplinarbeschuldigten erhobenen Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 77 Abs 1 DSt gelten für die Wiederaufnahme des Verfahrens sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozessordnung. Gemäß § 77 Abs 3 DSt sind die Bestimmungen der Strafprozessordnung insoweit sinngemäß anzuwenden, als sich aus dem Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter nichts anderes ergibt und die Anwendungen der Bestimmungen der Strafprozessordnung mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens vereinbar ist.

Solcherart sind auch die die Ausschließung und Befangenheit betreffenden Bestimmungen des 4. Abschnitts des 2. Hauptstücks der Strafprozessordnung und demzufolge insbesondere auch jene betreffend die Ausgeschlossenheit von Richtern gemäß § 43 StPO dem Sinne nach anzuwenden.

§ 43 Abs 2 bis 4 StPO regelt die Ausgeschlossenheit von Richtern wegen Vorbefassung im selben Verfahren ( Lässig , WK StPO § 43 Rz 16). Gemäß Abs 4 leg cit ist ein Richter unter anderem von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme ausgeschlossen, wenn er in einem Verfahren bereits als Richter tätig gewesen ist. Dieser Ausschließungsgrund trifft somit auf alle fünf an der angefochtenen Entscheidung vom 15. September 2014 beteiligten Mitglieder des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zu, zumal sie wie dargestellt auch an der Fällung des durch den Wiederaufnahmeantrag betroffenen Erkenntnisses vom 30. Juni 2010 mitgewirkt hatten (AnwBl 1998/7478; Feil/Wennig , AnwR 8 S 973 f).

Damit war der angefochtene Beschluss zu kassieren und dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich die neue Entscheidung über den Antrag der Disziplinarbeschuldigten auf Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens aufzutragen (§ 77 Abs 3 DSt iVm § 89 Abs 2a Z 1 letzter Fall StPO; vgl auch RIS Justiz RS0129414).

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Beschwerde erübrigt sich mit Blick auf diese kassatorische Entscheidung (§ 77 Abs 3 DSt iVm § 89 Abs 2b letzter Satz StPO).

Rechtssätze
1
  • RS0129414OGH Rechtssatz

    16. April 2015·2 Entscheidungen

    Dem OGH kommt (auch) im Disziplinarverfahren nach dem RStDG nur die einem Höchstgericht angemessene Rolle zu. Indem § 140 Abs 2 RStDG den OGH bei der Tatsachenkognition gezielt entlastet, wird klar, dass das die Pflicht zur Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache einschränkende Ermessen des § 89 Abs 2a StPO, welches es diesem in besonderen Fällen ermöglicht, statt selbst in der Sache zu entscheiden, vorerst eine grundlegenden rechtsstaatlichen Erfordernissen angemessene erstinstanzliche Entscheidung herbeizuführen, dem OGH als Disziplinargericht nicht verwehrt sein kann, schon um diesen nicht ohne Not dem Vorwurf von Vorbefasstheit auszusetzen. Entscheidungen nach § 176 NO, § 130 Abs 1 und Abs 2 RStDG verlangen nämlich, was Wiederin im Zusammenhang mit der Ermittlungsfunktion der Staatsanwälte treffend hervorstreicht, die „Bildung von Hypothesen und damit von Vorurteilen“. Nicht zuletzt deshalb ist in Betreff der Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nach neuerer, indes ständiger Rechtsprechung, der Einfluss des Höchstgerichts auf das Fehlen von Sachverhaltsannahmen einerseits und die Anfechtungskategorien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO andererseits beschränkt. In sinngemäßer Anwendung des § 89 Abs 2a StPO steht es dem Höchstgericht demnach zu, von einer eigenständigen (Verdachts‑)Würdigung von Tatumständen abzusehen und nach Maßgabe dieser Vorschrift kassatorisch vorzugehen.