JudikaturJustiz21Fs1/12g

21Fs1/12g – LG St. Pölten Entscheidung

Entscheidung
12. April 2012

Kopf

Der gemäß § 91 Abs. 3 GOG zuständige Senat des Landesgerichtes St. Pölten hat durch die Richter des Landesgerichtes Dr. Schramm (Vorsitzender), Dr. Steger und Mag. Fischer in der Rechtssache der klagenden Partei M***** G*****, *****, vertreten durch Gabl Kogler Leitner, Rechtsanwälte OG in Linz, wider die beklagte Partei W***** G*****, *****, vertreten durch Mag. Alexander Lederer, Rechtsanwalt in Wien, wegen € 15.725,-- s.A., AZ 12 C 1006/11m des Bezirksgerichtes Melk, über den Fristsetzungsantrag der Klägerin den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der Antrag, es möge festgestellt werden, dass eine Säumigkeit des Bezirksgerichtes Melk vorliege, und es möge dem Bezirksgericht Melk zur Anberaumung einer Verhandlung und geschäftsordnungsgemäßen Abwicklung des Verfahrens eine angemessene Erledigungsfrist gesetzt werden, wird a b g e -

w i e s e n .

Text

B e g r ü n d u n g :

Mit Mahnklage vom 19.9.2011 zu 12 C 1006/11m des Bezirksgerichtes Melk begehrte die Klägerin vom Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises für einen gebrauchten PKW der Marke VW Passat in Höhe von € 16.000,--, wobei die Klägerin von diesem Betrag eine Nutzungsentschädigung von € 500,-- in Abzug brachte. Weiters begehrte die Klägerin die Zahlung von € 175,-- für Ummeldespesen und pauschal € 50,-- an sonstigen Kosten. Das Klagebegehren belief sich daher insgesamt auf € 15.725,-- s.A. Der Zahlungsbefehl wurde antragsgemäß am 22.9.2011 erlassen. Der Einspruch des Beklagten wurde am 24.10.2011 im elektronischen Wege eingebracht und stützte sich inhaltlich im Wesentlichen darauf, der Beklagte habe der Klägerin ein Gebrauchtfahrzeug wie besichtigt und probegefahren ohne Garantie und Gewährleistung verkauft. Zum Übergabszeitpunkt habe das Fahrzeug lediglich zwei leichte Mängel aufgewiesen, welche der Klägerin bekannt gewesen seien. Die in der Klage nun angeführten erheblichen Mängel seien bei Übergabe nicht vorgelegen.

Die für dieses Verfahren zunächst zuständige Richterin Mag. Sonja Temper schrieb am 25.10.2011 eine vorbereitende Tagsatzung für den 29.11.2011 aus. Infolge Erkrankung der Richterin musste dieser Termin allerdings kurzfristig abberaumt werden. Die Parteienvertreter wurden vom Entfall des Termins am 29.11.2011 durch die Gerichtskanzlei am 28.11.2011 verständigt.

Sodann schrieb die zuständige Erstrichterin Mag. Temper am 13.12.2011 neuerlich einen Termin für eine vorbereitende Tagsatzung aus. Dieser wurde für den 17.1.2012 anberaumt (ON 7). Am 27.12.2011 wurde dieser Termin allerdings abberaumt, da ein Richterwechsel unmittelbar bevorstehe (ON 8). Hiervon wurden die Parteien entsprechend verständigt.

Mit Eingabe vom 16.3.2012 ersuchten die Klagevertreter um Mitteilung, wann mit der Anberaumung einer Streitverhandlung gerechnet werden könne. Diese Anfrage beantwortete die Richterin des Bezirksgerichtes Melk Mag. Regina Engel mit Note vom 21.3.2012, in welcher mitgeteilt wurde, dass die Abteilung 12 C nach wie vor unbesetzt sei und daher nicht abgeschätzt werden könne, bis wann eine Tagsatzung anberaumt werden könne (vgl. ON 9).

Am 27.3.2012 beantragte die Klägerin nunmehr die Feststellung der Säumnis des Bezirksgerichtes Melk sowie die Setzung einer angemessenen Erledigungsfrist. Auch wenn die gegenständliche Rechtssache nicht zu den dringenden Angelegenheiten im Sinne des § 110 Abs. 1 GeO zähle, sei sie doch jedenfalls so rasch zu erledigen, als es die Geschäftslage gestatte und hätte bei gehöriger Umsicht längst erledigt sein müssen. Bei gebotener Führung und Umsicht hätte jedenfalls längst ein Verhandlungstermin stattfinden können.

Die Leiterin der Gerichtsabteilung 3.1 des Bezirksgerichtes Melk, Mag. Regina Engel, als erste Vertreterin der Abteilung 3.2 des Bezirksgerichtes Melk legte diesen Antrag mit der Stellungnahme vor, dass die Abteilung 3.2 seit dem 1.1.2012 unbesetzt sei. Es sei ihr als Stellvertreterin dieser Abteilung nicht möglich, die gesamte Gerichtsabteilung 3.2 weiterzuführen. Sie sei in Halbauslastung tätig und sehe sich außerstande, zu ihrer eigenen 50%igen Auslastung weitere 50 % Arbeitsbelastung zu übernehmen. Sie versuche so weit wie möglich den Akteneinlauf der Abteilung 3.2 zu bewältigen sowie die dringenden Angelegenheiten wie etwa einstweilige Verfügungen, Besitzstörungsklagen oder Bestandsachen halbwegs auf dem Laufenden zu halten. Darüber hinaus fehlten die zeitlichen Kapazitäten, um in allgemeinen Zivilrechtssachen zu verhandeln.

Rechtliche Beurteilung

Der Fristsetzungsantrag ist nicht berechtigt.

Ist ein Gericht mit der Vornahme einer Verfahrenshandlung, etwa auch der Anberaumung einer Tagsatzung, säumig, so kann eine Partei gemäß § 91 Abs. 1 GOG bei diesem Gericht den an den übergeordneten Gerichtshof gerichteten Antrag stellen, letzterer möge dem Gericht für die Vornahme der Verfahrenshandlung eine angemessene Frist setzen.

Das Gesetz selbst enthält keine Definition des Begriffes der Säumnis, auch der JAB überließ die Auslegung dieses Begriffes der Praxis. Die Frage, nach welchem Maßstab das Vorliegen einer Säumnis zu beurteilen sei, wird in Judikatur und Lehre unterschiedlich beantwortet. Schoibl (JBl 1991,14) und Fasching (LB 2 , Rz 2.100/1) etwa vertreten seit jeher die Ansicht, bei der Beurteilung der Säumnis sei ein objektiv-abstrakter Maßstab anzulegen. Es sei lediglich auf eine objektive Erledigungsdauer der Verfahrenshandlung bei durchschnittlichem Geschäftsanfall abzustellen (so auch Ballon, Zivilprozessrecht 10 , Rz 24; Faseth, AnwBl 1991,48; Krömer, AnwBl 1992,319). Schalich hingegen (WR Sonderbeilage 23/1989,10) vertritt die Ansicht, es sei ein rein subjektiver Säumnismaßstab anzulegen, welcher eine schuldbare Zurechnungsmöglichkeit zum Gericht voraussetze. Ertl wiederum (RZ 1994,262, RZ 1991,52) und Kossak (RZ 1992,80, 106) sprechen sich dafür aus, die Säumnis zwar grundsätzlich objektiv zu beurteilen, hierbei aber nicht von einer objektiv-abstrakten Säumnis auszugehen, sondern vielmehr einen objektiv-konkreten Säumnismaßstab anzulegen. Dieser Auffassung hat sich auch der erkennende Senat bereits mehrfach angeschlossen (vgl. etwa Fs 5/92, 36 Fs 1/98v, 36 Fs 2/99t, 3/99i u.a.). Unter Bedachtnahme auf ein objektiv-konkretes Verständnis des Säumnisbegriffes liegt Säumigkeit des belangten Gerichtes dann vor, wenn der Richter (aus welchen Gründen auch immer) das Verfahren nicht mit der ihm möglichen und zumutbaren Zielstrebigkeit durchführt. Hierbei ist u.a. auch die personelle und materielle Ausstattung von entscheidender Bedeutung. Ob die personelle Ausstattung durch Gesetzgeber, Justizverwaltung und Geschäftsverteilung ausreichend und zweckmäßig ist, ist hingegen nach § 91 GOG nicht zu beurteilen. Ansonsten müsste nämlich bei Verfahrensverzögerungen zufolge unzureichender Ausstattung einem Fristsetzungsantrag im jedem Falle stattgegeben werden. Dies aber hätte zur Folge, dass die Beschleunigung dieser einzelnen Verfahren zwangsläufig auf Kosten aller anderen Verfahren ginge. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass selbst nach dem JAB die Entscheidung des übergeordneten Gerichtshofes über einen Fristsetzungsantrag eine gerichtliche und keine Justizverwaltungsentscheidung darstellt. Der Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung (Art. 94 B-VG) führt nämlich konsequent dazu, dass es dem übergeordneten Gerichtshof im Rahmen einer Entscheidung über einen Fristsetzungsantrag verwehrt ist, Justizverwaltung oder gar Gesetzgebung zu betreiben. Dementsprechend kommt auch eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit einer vom Personalsenat beschlossenen Geschäftsverteilung (Vertretungsregelung) nicht in Betracht. Wollte man eine zu knappe personelle Ausstattung bei der Beurteilung der Säumnis eines Richters nicht berücksichtigen, ergäbe sich die Konsequenz, dass die Stattgebung eines Fristsetzungsantrages zwangsläufig auf Kosten all jener Parteien gehen müsste, welche einen solchen nicht stellten. Dies wiederum kann nicht Sinn dieses Rechtsinstituts sein. Anzumerken ist ferner, dass dem Gesetzgeber selbst diese Problematik durchaus bewusst war und gewisse Verzögerungen in Kauf genommen wurden. So findet sich etwa in RV 1597 Blg. NR 18. GP. 28 f bezüglich § 47 Abs. 1 GOG (vgl. auch Danzl, GeO 4 Anm. 15 zu § 15) der Hinweis, dass Vertretungsleistungen zwangsläufig zu einer gewissen „Verlangsamung“ der Verfahren bei den betroffenen Gerichten führen.

Im Falle des Bezirksgerichtes Melk ist nun folgendes festzuhalten:

Beim Bezirksgericht Melk sind drei Richterplanstellen in Vollzeitkapazität (VZK) systemisiert. Neben dem Vorsteher des Bezirksgerichtes und einem weiteren Richter des Bezirksgerichtes wurde die dritte Gerichtsabteilung des Bezirksgerichtes Melk zunächst von der Richterin des Landesgerichtes Mag. Sonja Temper (§ 77 Abs. 6 RStDG) geleitet, welche für diese Rechtssache bei deren Anfall im September 2011 zuständig war. Sie blieb für diese Rechtssache auch zuständig, als die Richterin des Bezirksgerichtes Mag. Regina Engel nach einem Karenzurlaub ihren Dienst beim Bezirksgericht Melk wieder antrat, da diese in Halbauslastung (50 % VZK) tätig ist. Die zuständige Richterin Mag. Temper betrieb diese Rechtssache zunächst in vorbildlicher Weise, indem unmittelbar nach Einlangen des Einspruches bereits eine vorbereitende Tagsatzung in einer durchaus ansprechenden Ausschreibungsfrist anberaumt wurde. Dass diese wegen Erkrankung kurzfristig abberaumt werden musste, stellt keinesfalls eine Säumnis dar. Ein neuerlicher Termin wurde umgehend und abermals in einem durchaus akzeptablen Zeitraum (vor allem unter Berücksichtigung der Weihnachtsfeiertage und des Jahreswechsels) anberaumt. Zwischen der Ausschreibung der Tagsatzung am 13.12.2011 und dem in Aussicht genommenen Termin am 17.1.2012 erfolgte allerdings die Ernennung der zuständigen Richterin Mag. Temper zu einem anderen Gericht in einem anderen Bundesland. Seither, d.h. seit 1.1.2012, ist die Gerichtsabteilung 3.2 des Bezirksgerichtes Melk nicht besetzt. Aus der Begründung des Beschlusses des Personalsenates des Landesgerichtes St. Pölten vom 30.1.2012, Jv 479/12t-07, ist bereits ersichtlich, dass bei der Erstellung der Geschäftsverteilungen von der Kapazität der vormaligen Richterin des Landesgerichtes Mag. Sonja Temper ausgegangen worden war, diese jedoch zum 1.1.2012 zum Handelsgericht Wien ernannt wurde und ihre Planstelle derzeit vakant ist. Aus der Begründung des Beschlusses des Personalsenates vom 26.3.2012, Jv 915/12k-07, ist zu entnehmen, dass mit der Zuteilung eines Sprengelrichters gerechnet wurde. Diese Zuteilung ist bislang allerdings noch nicht erfolgt. Für das Bezirksgericht Melk bedeutet dies, dass die Gerichtsabteilung 3.2 weiterhin nicht besetzt ist. Die in dieser Gerichtsabteilung angefallenen und anfallenden Streitsachen können daher derzeit lediglich im Rahmen allgemeiner Vertretungsregelungen betreut werden. Die zuständige erste Vertreterin für diese Gerichtsabteilung ist die mit 50 % VZK tätige Leiterin der Gerichtsabteilung 3.1, Mag. Engel. Sie weist in ihrer Stellungnahme zum gegenständlichen Fristsetzungsantrag nachvollziehbar darauf hin, dass es ihr neben der Leitung ihrer eigenen Gerichtsabteilung aus zeitlichen Gründen lediglich möglich ist, vorrangige und dringende Angelegenheiten der Abteilung 3.2 zu betreuen. Die regelmäßige Verhandlung allgemeiner Zivilrechtssachen ist ihr neben der Leitung ihrer eigenen Gerichtsabteilung und der Vornahme dringend erforderlicher Vertretungstätigkeiten nicht möglich. Dies ist absolut plausibel und bedarf wohl auch keiner weiteren Begründung. Im Sinne der obigen einleitenden Bemerkungen zur Interpretation des Begriffes der Säumnis ist somit auch für diesen Fall festzuhalten, dass allenfalls eintretende Verfahrensverzögerungen infolge unzureichender Ausstattung des Bezirksgerichtes nicht zu einer Stattgebung des Fristsetzungsantrages führen können. Eine Beschleunigung dieses Verfahrens würde nicht nur eine Ungleichbehandlung gegenüber jenen Verfahren der Gerichtsabteilung 3.2 darstellen, in welchen die Parteien einen derartigen Antrag nicht stellen, sondern vor allem ganz erheblich auf Kosten jener Verfahren gehen, welche in die primäre Zuständigkeit der Gerichtsabteilung 3.1 fallen. Dies kann keinesfalls der Intention des § 91 GOG entsprechen. Zu derartigen Problemfällen bietet im Übrigen auch Schoibl in Fasching/Konecny 2 Anh. Einl. IV/1 ZPO Rz 33 ff sowie Rz 42 keine Lösung an. Insbesondere ist nicht ersichtlich, welche angemessene Fristsetzung in einem derartigen Fall erfolgen könnte. Hierbei kommt es überhaupt nicht darauf an, ob – wie Schoibl dies unterstellt – der antragstellenden Partei die Angabe konkreter Möglichkeiten für einen zumutbaren Ersatztermin möglich ist oder nicht. Problematisch ist in diesem Fall ja vielmehr der Umstand, dass ein primär zuständiger Richter derzeit schlicht nicht vorhanden ist. Der Vertreter der Gerichtsabteilung kann aber neben seiner eigenen Tätigkeit stets nur absolut notwendige Vertretungshandlungen setzen, welche quasi keinen Aufschub dulden. Eine Frist für die Vornahme allgemeiner Verhandlungstätigkeit ohne besondere dringende Notwendigkeit im Einzelfall kann schon allein aus Praktikabilitätsgründen nicht erfolgen. Auf dieses praktische Problem geht Schoibl bei seiner Kommentierung überhaupt nicht ein. Der zuständige Senat hält daher – wie bereits weiter oben ausgeführt – an der Anlegung des objektiv-konkreten Maßstabes bei der Beurteilung der Säumnis auch in diesem Falle fest.

Vor dem Hintergrund all dieser Überlegungen ist aber eine Säumnis des Bezirksgerichtes Melk in dieser Rechtssache nicht festzustellen. Der Fristsetzungsantrag vermag auch in diesem Sinne keine konkrete Säumnis des Bezirksgerichtes Melk aufzuzeigen. Im Antrag selbst wird lediglich darauf verwiesen, dass die Abteilung 12 C (das ist die Gerichtsabteilung 3.2 in diesem Falle) unbesetzt ist.

Der Fristsetzungsantrag war somit abzuweisen.