JudikaturJustiz21Ds2/20m

21Ds2/20m – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Januar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 27. Jänner 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Bydlinski als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Univ. Prof. Dr. Harrer und Dr. Pressl als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der ***** Rechtsanwaltskammer vom 22. April 2020, GZ DISZ/29 19 11, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der ***** Rechtsanwaltskammer aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung hinsichtlich des Verdachts vorliege, Rechtsanwalt ***** habe dadurch Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes begangen, dass er zwei Schreiben absetzte, nämlich eines an die ***** unter dem Betreff „Angebot: Datenschutz Audit UrhG /Social Media Rechtsberatung“ und ein weiteres an mehrere Werbeagenturen unter dem Betreff „Wichtig: Behördenverfahren und Abmahnungen aufgrund von DSGVO Verstößen; AUS für Analytics, Profiling, Retargeting ohne Einwilligung; AUS für Facebook Seiten und wohl viele andere Social Media Auftritte“.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die dagegen erhobene Beschwerde des Kammeranwalts geht fehl.

[3] Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), setzt voraus, dass kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (RIS Justiz RS0056969 und RS0057005; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohrergger/Vitek , RAO 10 [2018] § 28 DSt Rz 9). Vom – somit eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Licht des § 212 Z 2 StPO [iVm § 77 Abs 3 DSt]) dann auszugehen, wenn das Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Angezeigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Eine diesbezügliche Fehlentscheidung des nach § 28 DSt zu bildenden Senats vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen:

[4] Zur Verdachtslage hinsichtlich des Schreibens an die *****:

[5] Der Diszipinarrat wertete das Angebot des angezeigten Rechtsanwalts an seine Mandantin ***** nicht als Werbemaßnahme, weil dem Schreiben individuelle Besprechungen und Korrespondenzen vorangegangen waren.

[6] Der dagegen erhobene Beschwerdeeinwand, es handle sich um kein „maßgeschneidertes“ Angebot, sondern „offensichtlich“ um ein Schreiben mit dem Ziel der Geschäftsanbahnung, entzieht sich mangels argumentativen Substrats einer sachbezogenen Erwiderung.

[7] Hinzugefügt sei, dass die dem Einstellungsbeschluss insoweit zugrunde liegende Korrespondenz schon in der Stellungnahme des angezeigten Rechtsanwalts vom 10. Jänner 2020 (ON 6) detailliert aufgelistet und in einer weiteren Stellungnahme vom 22. Juni 2020 (ON 13) eingehend dokumentiert (Beilagen zu ON 13) wird.

[8] Zur Verdachtslage hinsichtlich des Schreibens an mehrere Werbeagenturen:

[9] Nach § 10 Abs 5 RAO ist dem Rechtsanwalt Werbung insoweit gestattet, als sie über seine berufliche Tätigkeit wahr und sachlich informiert und mit seinen Berufspflichten im Einklang steht (vgl auch § 47 Abs 2 RL BA 2015). Unzulässig ist hingegen – soweit hier von Interesse – Selbstanpreisung durch marktschreierische Werbung (§ 47 Abs 3 Z 1 RL BA 2015). Die Abgrenzung zwischen zulässiger (§ 10 Abs 5 BAO, § 47 Abs 2 RL BA 2015) und im Sinn des § 47 Abs 3 Z 1 RL BA 2015 unzulässiger Werbung ist dahin vorzunehmen, dass Werbeaussagen im Zweifel als vom Schutzbereich des Art 10 EMRK umfasst zu verstehen sind (VfGH B 841/07 AnwBl 2008, 129; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/ Vitek , RAO 10 [2018] § 47 RL BA 2015 Rz 15).

[10] Fallbezogen berücksichtigte der Disziplinarrat, dass sich der angezeigte Rechtsanwalt seit 20 Jahren mit IT, Internet und Recht beschäftigt, aufgrund seiner Spezialisierung auf Marketingrecht schwerpunktmäßig Werbeagenturen betreut, den Großteil der jährlichen Marketingkonferenzen in Österreich besucht und dort selbst vorträgt. Der Disziplinarrat hielt überdies fest, dass der angezeigte Rechtsanwalt vor dem Versand des Schreibens, mit dem er auf zwei einschlägige Urteile des EuGH aufmerksam machen wollte, die Rechtslage umfassend geprüft hat und dass die in dem Schreiben enthaltenen Einschätzungen der Rechtsansicht der deutschen Datenschutzbehörden entsprechen. Ausgehend von diesen Überlegungen, denen die Beschwerde inhaltlich nichts entgegensetzt, ist die Verneinung marktschreierischer Werbung (§ 47 Abs 3 Z 1 RL BA 2015) nicht zu beanstanden.

[11] Der Beschwerdeansatz, es sei „zu überprüfen, ob hier nicht eine Werbung in der Art eines nach § 1 UWG verpönten 'Kundenfanges' vorliegt, zumal davon auszugehen ist, dass zumindest ein Teil der angeschriebenen Unternehmen bereits ständig rechtsanwaltlich vertreten und beraten wird“, entzieht sich als bloße Spekulation einer meritorischen Behandlung.

[12] Inwiefern die behauptete Gestaltung von Anboten als „Gesamtpaket“ von Leistungen der ***** und der ***** den Verdacht einer Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes infolge marktschreierischer Werbung erhärten soll, wird nicht klar.

[13] Der Beschwerde des Kammeranwalts war daher insgesamt nicht zu folgen.