JudikaturJustiz1Ob215/21f

1Ob215/21f – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* S*, vertreten durch die Hock Partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 260.146,68 EUR sA, Zahlung einer Rente und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Oktober 2021, GZ 14 R 28/21x 16, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 7. Jänner 2021, GZ 32 Cg 20/19z 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Klägerin leitet ihre Amtshaftungsansprüche aus behauptetem Fehlverhalten eines Vollstreckungsorgans beim Vollzug einer Räumungsexekution ab. Der Gerichtsvollzieher ist dabei als Organ des Bundes in Vollziehung der Gesetze eingeschritten (3 Ob 11/97g; vgl 1 Ob 5/93).

[2] 2. Ein Organverhalten durch Unterlassung ist nach ständiger Rechtsprechung dann rechtswidrig, wenn und soweit eine Handlungspflicht bestand und pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte (RIS Justiz RS0081378 [T3]). Maßgeblich für das Entstehen einer Handlungspflicht ist – außerhalb konkreter gesetzlicher Verhaltensvorgaben – das Erkennen bzw die Erkennbarkeit der Gefahr (1 Ob 103/14z mwN). Voraussetzung für eine Haftung des Rechtsträgers ist zudem, dass die von Amts wegen zu treffende Maßnahme schuldhaft nicht gesetzt wurde (1 Ob 128/15b mwN; vgl RS0081378 [T12]).

[3] 3.1. Da der Schlosser bemerkte, dass der Schlüssel der Wohnungstüre innen steckte, war dies für den Gerichtsvollzieher ein Indiz dafür, dass es Probleme mit dem Verpflichteten geben könnte, weil dieser auf das Klopfen nicht reagierte. Er entschloss sich, die Polizei zur Unterstützung zu rufen. Aufgrund seiner Erfahrungen wusste er, dass die Polizei in etwa fünf bis zehn Minuten da sein würde. Er wusste auch, dass der Schlosser zumindest zehn Minuten benötigen wird, um das Schloss zu öffnen, sodass er ihn damit beauftragte. Der Verpflichtete manipulierte bereits zu Beginn der Amtshandlung das Gasleitungsrohr, sodass Erdgas ausströmte. Er brachte in der Folge das Gas /Luftgemisch zur Explosion. Das Aufbohren des Schlosses durch den Schlosser war nicht kausal für die Explosion; es gab keine Entzündung durch etwaige Funken während des Bohrens. Der Ehemann der Klägerin verstarb wegen der vom Verpflichteten ausgelösten Gasexplosion.

[4] 3.2. Die Vorinstanzen verneinten eine Haftung der Beklagten, habe doch der Gerichtsvollzieher beim Räumungsvollzug keiner Handlungspflicht zuwider gehandelt, weil keine Hinweise auf eine bevorstehende Gasexplosion vorgelegen seien. Nach der nicht zu beanstandenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts kann aus der mangelnden Bereitschaft des Verpflichteten, dem Gerichtsvollzieher die Wohnungstür zu öffnen, nicht auf eine besondere Gewaltbereitschaft und schon gar nicht auf dessen Absicht geschlossen werden, die Gasexplosion herbeizuführen. Dass der Gerichtsvollzieher die Polizei zur Unterstützung angefordert habe, sei auf die Erwartung passiven Widerstands durch mangelnde Kooperation des Verpflichteten – worauf das Versperren der Tür hingewiesen habe – zurückzuführen. Die Polizisten seien im Moment der Explosion – noch vor der Öffnung der Tür durch den Schlosser – vor dem Haus eingetroffen. Durch ein Zuwarten auf die Exekutivbeamten, die erst im Zeitpunkt der Explosion vor dem Haus angekommen seien, hätte sich am Ausgang der Ereignisse nichts geändert. Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig.

[5] 3.3. Entgegen der Vermutung der Klägerin bestanden für den Gerichtsvollzieher keine Anhaltspunkte für ein „Aggressionspotential“ oder ein besonderes „Gefahrenpotential“ des Verpflichteten. Ihre Behauptung, der Gerichtsvollzieher hätte das Eintreffen der Exekutivorgane abwarten müssen, die dann entsprechende Absicherungsmaßnahmen gesetzt hätten, vernachlässigt den abweichend festgestellten Sachverhalt. Für den Gerichtsvollzieher bestand – worauf die Vorinstanzen ohne Fehlbeurteilung hinwiesen – keine konkrete Veranlassung, vom weiteren Vollzug der Räumungsexekution bis zum Eintreffen der Polizeibeamten Abstand zu nehmen; zum endgültigen Öffnen der Tür war es ohnehin noch nicht gekommen. Warum die Befürchtung passiven Widerstands des Mieters dem Gerichtsvollzieher zu Vorsichtsmaßnahmen gegen eine in Mordabsicht herbeigeführte Gasexplosion veranlassen hätte müssen, ist nicht nachvollziehbar.

[6] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).