JudikaturJustiz1Ob125/07z

1Ob125/07z – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der am ***** geborenen Dr. Daniela C*****, infolge Revisionsrekurses der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 7. März 2007, GZ 43 R 130/07x-43, mit dem der Rekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 26. Jänner 2007, GZ 40 P 22/06b-30, teilweise zurückgewiesen und ihm im Übrigen nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird insoweit, als der Rekurs der Betroffenen zurückgewiesen wurde, ersatzlos behoben. Im Übrigen wird der Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Nachdem das Erstgericht davon in Kenntnis gesetzt worden war, dass die zuständige Richterin in einem Verfahren vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien Bedenken gegen die Fähigkeit der Betroffenen hatte, Prozesse ohne Nachteile selbst zu führen, führte der Erstrichter eine Erstanhörung gemäß § 118 AußStrG durch. Über das aufgenommene Protokoll hinaus hielt er in einem Aktenvermerk fest, dass die Betroffene über derzeit unter ihrer Beteiligung anhängige Verfahren unrichtige Angaben gemacht habe, woraus zu schließen sei, dass sie keinen Überblick über ihre Angelegenheiten betreffend Gerichtsverfahren habe und somit Schädigungsgefahr bestehe. Auch aus der Mitteilung der Prozessrichterin ergebe sich eine gewisse Uneinsichtigkeit der Betroffenen betreffend die ihr erteilten Rechtsbelehrungen, die ihr durchaus zum Schaden gereichen könnte. Sie habe auch seine eigenen Erklärungen zum Zweck des Verfahrens und über das weitere Geschehen nicht wahrgenommen, sondern nur ihre eigene Ansicht gelten lassen. Auch wenn keine psychische Krankheit oder geistige Behinderung „indiziert sei", lägen möglicherweise doch die Voraussetzungen für eine Sachwalterbestellung vor, weil durch die Verfahrensführungen für sie unter Umständen doch ein Nachteil entstehen könnte. Zur Abklärung und Hintanhaltung eines etwaigen Nachteils für die Betroffene sei daher die Einholung eines Sachverständigengutachtens „vorläufig indiziert".

Das Erstgericht bestellte daraufhin eine Sachverständige, die insbesondere die Frage beantworten sollte, ob die Betroffene an einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung leidet, sodass sie alle oder einzelne Angelegenheiten nicht ohne Gefahr für sich selbst wahrnehmen könne. Die Betroffene äußerte sich dazu in einer schriftlichen Stellungnahme, in der sie im Wesentlichen die Auffassung vertrat, sie bedürfe keines Sachwalters, weil sie in der Lage sei, ihre eigenen vermögensrechtlichen Angelegenheiten sowie jene ihrer Gesellschaft ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Sie beantragte, „von der Einholung eines Sachverständigengutachtens Abstand zu nehmen und das Verfahren einzustellen".

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es verwies auf die Anregungen des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien und des Arbeits- und Sozialgerichts Wien sowie die durchgeführte Erstanhörung und führte aus, dass auf Grund der unrichtigen Angaben der Betroffenen betreffend anhängige Gerichtsverfahren sowie auf Grund des persönlichen Eindrucks des Richters bei der Erstanhörung zumindest die Möglichkeit bestehe, dass sie ihre Angelegenheiten betreffend Vertretung vor Gerichten in nicht ausreichendem Maße wahrnehmen und sich somit selbst schädigen könnte. Zur Abklärung dieses Verdachts sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich. In diesem Verfahrensstadium käme eine Einstellung nicht in Betracht. Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs der Betroffenen, „soweit er die Bestellung eines Sachverständigen betrifft", zurück und gab ihm im Übrigen nicht Folge, wobei es aussprach, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Aus dem Akt gehe hervor, dass die Betroffene der Meinung sei, keine Hilfe zu benötigen, dass aber einige Hinweise dazu vorlägen, dass dies möglicherweise doch der Fall sein könnte. Um zu gewährleisten, dass alle Personen, die einer Hilfe bedürfen, diese auch bekommen, habe der Gesetzgeber das Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters detailliert geregelt. Komme das Erstgericht nach der Erstanhörung zum Ergebnis, dass es nicht ausschließen könne, dass die betroffene Person Hilfe braucht, dann müsse es das Verfahren fortsetzen, wobei kein Ermessensspielraum bestehe. Dabei sei auch die Bestellung eines Sachverständigen gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Der Rekurs sei daher im Hinblick auf den Antrag auf Verfahrenseinstellung unberechtigt. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG sei nicht zu lösen, da die Beurteilung des konkreten Sachverhalts im Vordergrund gestanden sei. Der Beschluss betreffend die Sachverständigenbestellung sei allerdings ein verfahrensleitender Beschluss, der gemäß § 45 AußStrG nicht selbstständig anfechtbar sei. Der Rekurs sei daher insoweit als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich das als „außerordentlicher Revisionsrekurs" bezeichnete Rechtsmittel der Betroffenen, dem insoweit Berechtigung zukommt, als das Rekursgericht unzutreffenderweise von zwei unterschiedlichen Antragsgegenständen ausgegangen ist. Die Betroffene hat sowohl in ihrer Stellungnahme im Verfahren erster Instanz als auch in ihrem Rekurs den Antrag auf Einstellung des Sachwalterverfahrens damit begründet, dass die dem Erstgericht vorliegenden Verfahrensergebnisse keinen Hinweis darauf böten, dass sie nicht in der Lage wäre, ihre Angelegenheiten bzw jene ihrer Gesellschaft ordnungsgemäß wahrzunehmen. Wenn sich auch ihr Antrag nach seinem Wortlaut nicht darauf beschränkt hat, die Einstellung des Verfahrens zu begehren, sondern darüber hinaus auch noch die Bestellung eines Sachverständigen erwähnt wurde, kann daraus vernünftigerweise nicht der Schluss gezogen werden, dass die Betroffene zwei voneinander unabhängige Anträge stellen wollte, die dann auch ein unterschiedliches verfahrensrechtliches Schicksal haben könnten. Richtigerweise kann der Antrag nur so aufgefasst werden, dass die Betroffene die (unverzügliche) Einstellung des Verfahrens anstrebte, womit zugleich auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens obsolet wäre. Schon aus der Antragsbegründung geht hervor, dass die Betroffene die Ansicht vertritt, das Verfahren wäre im Sinne einer Einstellung entscheidungsreif, wobei sie auch für ihren Antrag, von der Einholung eines Sachverständigengutachtens Abstand zu nehmen, keine weitere (eigene) Begründung anführt.

Soweit der Beschluss des Rekursgerichts daher den Rekurs teilweise zurückweist, ist er ersatzlos zu beheben.

Im Übrigen erweist sich der Revisionsrekurs als unzulässig, weil das Rekursgericht keine im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage zu lösen hatte. Zutreffend haben die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass für die Fortsetzung des Verfahrens schon die bloße Möglichkeit genügt, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen kann (RIS-Justiz RS0008542). Die Beurteilung der Frage, ob genügend und welche Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines (einstweiligen) Sachwalters vorliegen, ist immer eine solche des Einzelfalls, aus den dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Grundlagen zu lösen und nach den konkreten Tatumständen jeweils individuell zu beurteilen (RIS-Justiz RS0106166). Gleiches gilt für die Frage, ob die Verfahrensergebnisse die Möglichkeit offen lassen, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters zu kommen hat.

Soweit die Revisionsrekurswerberin ausführt, es hätten sich im erstinstanzlichen Verfahren keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung ergeben, übersieht sie, dass die in § 273 Abs 1 ABGB verwendeten Begriffe (psychische Krankheit/geistige Behinderung) Rechtsbegriffe sind, die nicht unbedingt mit medizinischen Definitionen übereinstimmen müssen. Sie umfassen vielmehr jede geistige Störung, die die gehörige Besorgung der eigenen Angelegenheiten hindert (RIS-Justiz RS0049003). Auch eine weit über das gewöhnliche Maß hinausgehende Uneinsichtigkeit in bestimmten Angelegenheiten - etwa in Rechtsstreitigkeiten gegen bestimmte Personen oder im Zusammenhang mit bestimmten Lebensumständen - kann die Bestellung eines Sachwalters notwendig machen, sofern sich die betroffene Person durch unzweckmäßiges Verhalten Vermögensschäden zufügt (vgl auch § 6a ZPO).

Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin hat das Erstgericht - wenn auch mit äußerst knapper Begründung - ausreichend klargestellt, aus welchen Umständen es die Möglichkeit ableitet, die Betroffene könnte auf Grund ihrer psychischen Disposition im Zusammenhang mit (anhängigen oder zukünftigen) Gerichtsverfahren nicht in der Lage sein, ihre Angelegenheiten in ausreichendem Maße selbst wahrzunehmen. Es hat dabei einerseits auf die Anregung des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien und andererseits auf die vor dem Erstgericht durchgeführte Erstanhörung verwiesen und beispielshaft den Umstand herausgehoben, dass sie - was auch im Revisionsrekurs gar nicht bekämpft wird - über anhängige Gerichtsverfahren unrichtige Angaben gemacht hat. Soweit sich der Erstrichter weiters auf den persönlichen Eindruck bei der Erstanhörung bezogen hat, ist dieser in einer für alle Verfahrensbeteiligten zugänglichen Weise im Aktenvermerk ON 20 festgehalten, sodass ausreichend deutlich erkennbar ist, von welchen Bedenken der Erstrichter bei seiner Entscheidung ausgegangen ist. Auch dem Rekursgericht kann kein Verfahrensmangel vorgeworfen werden, weil es die „Unbegründetheit der Entscheidung des Erstgerichts" übersehen habe. Es hat vielmehr (zutreffend) darauf hingewiesen, dass nach der Aktenlage einige Hinweise darauf vorliegen, dass die Betroffene möglicherweise der Unterstützung durch einen Sachwalter bedürfe, womit erkennbar der Aktenvermerk des Erstrichters sowie die entsprechende Darstellung der Richterin im anhängigen Verfahren gemeint sind, die die Einleitung eines Sachwalterverfahrens angeregt haben.

Auf den Vorwurf, das Rekursgericht habe die Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Beschlusses übersehen, weil der Erstrichter „einen wesentlichen Teil der Anträge vollkommen ignoriert" habe, kann schon deshalb nicht eingegangen werden, weil die Revisionsrekurswerberin hier konkrete Versäumnisse des Rekursgerichts nicht nachvollziehbar aufzeigt; Anträge, die die Betroffene erst nach Fällung des erstgerichtlichen Beschlusses gestellt hat, können wohl nicht gemeint sein.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).