JudikaturJustiz1Ob111/20k

1Ob111/20k – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr.

Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der H*****, geboren am ***** 1931, österreichische Staatsbürgerin, früher wohnhaft in *****, vertreten durch DI (FH) Mag. Bernd Auer, Rechtsanwalt in Innsbruck, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der betroffenen Person gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 23. April [richtig] 2020, GZ 55 R 28/20a 73, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 6. Februar 2020, GZ 4 P 41/19z 55, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird

mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die betroffene Person wird (auch) in dritter Instanz von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten. Dies ist zulässig, weil im derzeitigen Verfahrensstadium nach der Aktenlage nicht offenkundig ist, dass sie gar nicht fähig wäre, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen (vgl 2 Ob 185/18x mwN; RIS Justiz RS0008539)

2.1. Zur von der betroffenen Person angestrebten Einstellung des Verfahrens nach § 122 AußStrG ist auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, wonach für die Verfahrensfortsetzung schon die bloße Möglichkeit genügt, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen kann (RS0008542). An dieser Rechtslage hat auch das 2. Erwachsenenschutz Gesetz (BGBl I 59/2017) nichts geändert (RS0008542 [T3]). Es würde dem Zweck des eingeleiteten Überprüfungsverfahrens widersprechen, würden schon zu dessen Beginn konkrete Feststellungen über vorliegende psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen sowie konkrete Gefährdungen verlangt (vgl etwa 4 Ob 7/18k; 6 Ob 103/18t). Ob die Voraussetzungen für eine Verfahrensfortsetzung (oder eben eine Einstellung des Verfahrens) erfüllt sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG ist in diesem Zusammenhang regelmäßig nicht zu beurteilen (vgl 6 Ob 103/18t mwN).

2.2. Dass das Rekursgericht keinen hinreichenden Grund für eine Einstellung des Verfahrens sah, begegnet schon deshalb keinen Bedenken, weil sich sowohl aus dem (gemäß § 117a Abs 1 AußStrG) eingeholten Bericht des Erwachsenenschutzvereins („Clearingbericht“; darin wurde eine Fortsetzung des Verfahrens empfohlen; entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin durfte dieser Bericht der [vorläufigen] Abklärung ihrer Schutzbedürftigkeit bedenkenlos zugrunde gelegt werden) als auch aus dem ärztlichen Attest des Dr. T***** vom 26. 4. 2019 deutliche Hinweise auf eine erhebliche Demenzerkrankung der Betroffenen und eine sich daraus ergebende Einschränkung ihrer Entscheidungsfähigkeit ergaben. So ergibt sich aus dem Clearingbericht etwa, dass die Betroffene ihren Sohn als ihren Bruder und ihre Tochter als ihre Halbschwester ansah. Das genannte ärztliche Schreiben attestierte ihr ein – die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließendes – irreversibles und chronisch progredientes, schwer ausgeprägtes dementielles Syndrom mit psychotischen sowie Verhaltensstörungen.

2.3. Dass das Rekursgericht die von der betroffenen Person zur Darlegung ihrer behaupteten uneingeschränkten Entscheidungsfähigkeit vorgelegten Urkunden (ärztliche Atteste; Stellungnahmen von Notaren; „Erklärungen“ von Bekannten der Betroffenen zu ihrem Geisteszustand) nicht zum Anlass für eine Einstellung des Verfahrens nach § 122 AußStrG nahm, weil es nach wie vor Bedenken hatte, ob die Betroffene ihre Interessen ausreichend selbst wahrnehmen könne, bedarf keiner Korrektur. Gerade wenn – wie im vorliegenden Fall – für und gegen eine die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigende psychische Erkrankung sprechende Umstände zu berücksichtigen sind, bedarf es im Interesse der betroffenen Person einer weiteren Abklärung durch das Pflegschaftsgericht, das sich bisher noch keinen persönlichen Eindruck von ihr verschaffen konnte. Hier kommt hinzu, dass die von der Betroffenen zu ihrem Gesundheitszustand vorgelegten Urkunden teilweise nicht von Ärzten stammten und diesen – soweit sie von solchen erstellt wurden – keine offengelegten Befundaufnahmen zugrunde lagen. Warum Dr. T***** der Betroffenen ursprünglich (offenbar ohne sie persönlich untersucht zu haben) eine stark ausgeprägte Demenz bescheinigte, wohingegen er in einem späteren Attest (ohne Bezugnahme auf konkrete Untersuchungsergebnisse) von einer uneingeschränkten „Einsichts-, Urteils-, Verfügungs- und Testierfähigkeit“ ausging, erschließt sich nicht und lässt weitere Erhebungen zum konkreten Gesundheitszustand unumgänglich erscheinen. Die gänzlich unangebrachten polemischen Formulierungen im Rechtsmittel, die Vorinstanzen hätten im Zweifel ein schwer ausgeprägtes demenzielles Syndrom „angenommen“ und die Revisionsrekurswerberin „einfach für prozessunfähig erklärt“, gehen an der in diesem Verfahrensstadium zu beantwortenden Rechtsfrage weit vorbei.

3. Soweit die Betroffene das Verfahren eingestellt haben möchte, weil sie ihren Wohnsitz nach Irland verlegt habe, setzte sich das Rekursgericht mit der Frage der internationalen Zuständigkeit eingehend auseinander. Es ging davon aus, dass Irland das Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. 1. 2000 (BGBl III 287/2013) nicht ratifiziert hat und daher keine Zuständigkeit Irlands nach diesem Übereinkommen bestehe. Da nach der Aktenlage nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Rechte der betroffenen Person durch die Behörden des ausländischen (irischen) Staats ausreichend gewahrt würden, habe das Erstgericht zutreffend nicht (nach § 110 Abs 2 JN) von einer Fortsetzung des Verfahrens abgesehen. Aus welchen Gründen diese rechtliche Beurteilung unrichtig sein soll, legt die Revisionsrekurswerberin, die sich mit der Argumentation des Rekursgerichts nicht auseinandersetzt, nicht dar (vgl RS0043603 [T9, T16; T17 zum Außerstreitverfahren]).

4. Auf die ihrer Tochter erteilte Vorsorgevollmacht kommt die Rechtsmittelwerberin nur insoweit zurück, als sie die Bestellung einer „externen Person“ zur einstweiligen gerichtlichen Erwachsenenvertreterin als „nicht nachvollziehbar“ erachtet. Der (rechtskräftige) Beschluss über die Bestellung einer Rechtsanwältin zur einstweiligen Erwachsenenvertreterin ist aber nicht Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens. Mit der Begründung des Rekursgerichts, wonach eine bestehende Vorsorgevollmacht das Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters nicht ausschließe, weil in diesem Verfahren auch über die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht (bzw einer gewählten Erwachsenenvertretung) zu entscheiden sei (zur „Einbettung“ dieser Prüfung in das Verfahren nach den §§ 117 AußStrG vgl Weitzenböck in Schwimann / Kodek 5 § 246 ABGB; das Erstgericht erachtete es als bis dato ungeklärt, ob die Betroffene bei Erteilung der entsprechenden Vollmachten die dafür erforderliche Einsichtsfähigkeit aufwies; das Rekursgericht wies ergänzend darauf hin, dass auch die Eignung der Tochter als gewählte Vertreterin besonders zu prüfen sei), setzt sich die Revisionsrekurswerberin überhaupt nicht auseinander, sodass sie auch in diesem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigt.